Donnerstag, 11. September 2008


As dat Schipp, so weer ok de Kaptein

...and especially whenever my hypos
get such an upper hand of me,
that it requires a strong moral principle
to prevent me from delibertaley stepping
into the street, and methodically knocking
people's hats off - then, I account it high time
to get to sea as soon as I can.

(Herman Melville. Moby Dick. 1851.)


Aus den Schiffstagebüchern. Exotische Länder erobern, unentdeckte Passagen suchen, Landkarten neu zeichnen. Oder reiche Schätze finden, fremde Schiffe entern, schöne Töchter karibischer Gouverneure rauben - so viele Dinge hatte ich mir letztes Jahr in einem Anflug maritimer Sehnsucht vorgenommen. Aber nun, wenn die Mannschaft meutert, fängt man besser erstmal kleiner an.

Stillschweigend ermuntert von den Berliner Luftbootausflügen der Frau A&O, muß ich die Hamburger Ehre verteidigen, die letzten warmen Tage nutzen und endlich, endlich mein eigenes kleines bateau ivre zu Wasser lassen. Kein Sekt fand sich im Haus, die Flasche will auch im dritten Versuch nicht zerspringen - so nehme ich Sanddornwein, muffig zwar, aber so riecht die frischgetaufte BB Hermetik (das steht für Badeboot) eben auch: Nicht knallrot, aber nach Gummi.




Mit frischem Segen abgelegt (ich spare, denn wie stünde ich sonst da, die Geschichte aus, wie ich - zu ufernah gestartet - erst auf Grund sitze) und fromm die Paddel eingetaucht - erst hat das Boot, dann aber habe auch ich den Dreh heraus - lange Schläge, kurze Schläge, und immer mit Gefühl, das ist ja fast wie bei... anderes Thema. Munter, so möchte ich fast sagen, denn wir befinden uns auf den ersten zehn Metern, geht die Fahrt voran und ich bedaure, nicht bunte Wimpel am Bug gehißt zu haben. Überhaupt, fällt mir da siedendheiß ein, wo ist meine Piratenflagge? Wenn jetzt eine fette Brigg... aber da dreht die BB Hermetik einem störrischen Lasttier gleich wieder nach links backbord. Ich lasse ihr für einen Moment ihren Willen und überlege in der Zeit, ob das Knacken in meinen Schultern etwas zu bedeuten habe.

Schon bald darauf bin ich froh, nicht den Geist von Hans-Joachim Kulenkampff ("Drei Mann in einem Boot") an Bord und auf Sakko und Einstecktuch verzichtet zu haben: Das Rudern kommt mit einem Lied daher, das "Anstrengung" heißt. Ach was, mein Schnaufen nennt sich ganz im Geiste von Sam Cooke: "That's the sound of the men working on the chain gang". Im nächsten Leben, manche Entschlüsse fallen ja überraschend schnell, werde ich eine Galeere besitzen. Gut, werden die meisten sagen, Sie haben da ein Billigboot mit Billigpaddeln und vom richtigen Rudern haben Sie Schreibtischhocker bestimmt auch noch nichts gehört. Aber wollen wir doch bitte das Schlauchkajak mal im Dorfteich lassen. Es ist eben wie ich und hat so seine Schwierigkeiten beim Geradeauslaufen.

Während das Boot also freimütig im Kreis dreht, betrachte ich die Aussicht, denn auch dafür bin ich hier. Wasser ist, um einmal die Missfits zu zitieren, wie wennze fliechst - die Dinge am Ufer sehen von dort bemerkenswert anders aus. Nicht unbedingt kleiner, das wäre ein Punkt für mein Projekt "Ich will Segelflugzeug fliegen". Aber ungewohnter. Es wird wohl daran liegen, so mein sehr, sehr tiefer Erkenntnisschluß nach einer gepflegt dümpelnden, sonnenbestrahlten Ruhepause, daß man an den meisten Tagen eben wie eine Landratte seine Kreise zieht.




Man soll ja nicht auf die Ruder, sondern auf den Bug schauen, aber mehr noch entdeckt man in der Uferböschung. Toll, ich habe zwei Eisvögel gesehen! Ja nun, werden sicher die meisten sagen, die gibt es hier jeden Tag. Bei mir jedenfalls nicht; ihr Lebensraum, so weit ich das ersehen kann, erstreckt sich nicht auf dunkle Kellerbibliotheken. Ein paar Bläßhühner schauen mißtrauisch, mein Tarnboot scheinen sie durchschaut zu haben. "Ich gehöre jetzt zu euch!" juble ich, doch eine Ente schnattert höhnisch - wie meist, wenn ich solche Sätze rufe.

Derart naturbeflügelt, ich bin du, und du bist ich, und wir sind alle zusammen, scheint der Geist von Peter-Michael Kolbe in mich gefahren zu sein, mindestens aber sein großes Herz. Munter pflüge ich voran. Das Boot dreht sich im Kreis. Ein kleines weißblaues Motorboot tuckert mir entgegen, der Skipper tippt sich an die imaginäre Mütze. Ein Seemannsgruß! Natürlich, man grüßt sich unter Seinesgleichen! Weil ich keine Flagge dippen kann, winke ich dem Fahrensmann fröhlich mit dem Arm. Mein Boot dreht sich daraufhin im Kreis.




Einige Ruhepausen später - es gibt auf einmal soviel Nachzudenken, wenn man rudern muß auf dem Wasser ist - wage ich mich tapfer den Kanal hinunter. Vorbei an Gewerberückseiten, verborgenen Winkeln und zugemüllten Unterschlupfen und einem kleinen Hinterhof-Idyll. Ein paar Jungs liegen in der Hängematte, auf dem Ausleger glotzt ein irritiertes Huhn. Kleine Fluchten, und wir sind noch immer mitten in der Stadt.

"Anlegen und genießen" verkündet gleich nebenan der Schnellimbiß mit dem gelben M. Ich habe oft davon gehört und kann es nun bestätigen: der Drive-In vom Hamburger-Bräter hat einen eigenen Bootsanleger! Ungefähr fünf peinliche Minuten jedoch sitze ich in meiner kleinen Jolle und überlege, wie ich mich möglichst elegant die knapp 70 Zentimeter hinaufwuchte, ohne das Boot an den Kanal zu verlieren. Ein kleiner Tip: Seid strukturiert wie ich und täut es ordentlich an. Und sorgt dafür, daß niemand zusieht.