Mittwoch, 24. Februar 2021
Autoluminescent auf Vimeo.
Wie so ein junger Mensch habe ich neulich tatsächlich erstmals einen Film auf Vimeo gekauft und runtergeladen. Man muß ja langsam akzeptieren, daß es nicht mehr alles auf DVD gibt (und noch viel mehr sowieso nie gab). Die Dokumentation AUTOLUMINESCENT über den australischen Gitarristen und Sänger Rowland S. Howard ist jedenfalls jeden Euro wert. Als Gründungsmitglied der Birthday Party kam er an der Seite von Nick Cave (und Mick Harvey) zwar viel rum, aber nie zu Ruhm. Irgendwann hatte er von seinem Nebenmann, man kann es verstehen, auch die Faxen dicke und ging dann zunächst mit Bands wie Crime and the City Solution und später These Immortal Souls eigene Wege. Da ich mich nie sonderlich für Nick Cave interessiert hatte, lernte ich Rowland S. Howard durch seine Zusammenarbeit mit Lydia Lunch, für die ich in meiner Jugend ein gewisses hormonelles Interesse hatte, kennen.
Da gab es das Knalleralbum Honeymoon in Red und ein paar Jahre später den Nachfolger Shotgun Wedding. 1991 sah ich die Tour dazu im vollgepackten, verrauchten, engen und schwitzigen Kölner Rose Club. Aus hormonellen Gründen stand ich ganz vorne an der Bühne und wollte mich eigentlich in Ruhe auf Ms Lunch konzentrieren, aber es war der Gitarrist, der mich packte. Eine hagere, gebeugte Vampirgestalt, Kippe im Mund, Last der Welt auf den Schultern, puhlte der aus seiner Fender Mustang einen sirrenden Krach, wunderbaren Lärm, das mir die Luft weg blieb. Das ging einigen so, denn weiter hinten im sauerstoffentleerten Club klappte zu der Zeit meine Freundin zusammen und wurde dankenswerterweise von ein paar freundlichen Leuten nach draußen geschleppt. Die haben allerdings alle was verpaßt: ein grandioses, dreckstrotzendes, sumpflandblusiges Konzert mit einer auch für Köln ungewöhnlichen Truppe, einer wohl aufgelegten, gewohnt sarkastisch-schnippigen Lydia Lunch und eben Rowland S. Howard.
Meine Freundin hat mich irgendwann später verlassen (weiß nicht, warum), ich habe sie lange nicht vergessen. Aber auch nicht Rowland S. Howard. "Rimbaud with guitar", sagt ein gut gelaunter Henri Rollins über den Schmerzensmann aus Melbourne in der Doku. Ein dunkler Poet sei er gewesen, ein bißchen zu sehr vielleicht. Eine Handvoll ikonische Songs hat er hinterlassen, ein paar zu wenige vielleicht. Nach vielen Jahren zwischen Hunger und Heroin zog er sich um die Jahrtausendwende lange zurück, machte auf Familie. 2009 erschien sein Comeback-Album Pop Crimes, von vielen neugierig erwartet. Da hatte seine Leber schon aufgegeben, eine ausgedehnte Tour fand nicht mehr statt. Howard starb mit gerade mal 50 Jahren Ende 2009.
Die Doku gräbt viele Details und Interviews zur australischen Musikszene Ende der 70er-Jahre raus und lässt viele Zeitzeugen zu Wort kommen, von denen leider nicht alle ausreichend vorgestellt werden und einige, wie Bobbie Gillespie, etwas reingeworfen wirken. Aber Weggefährten Mick Harvey, auch Nick Cave, nie um ein Wort oder auch zwei oder drei verlegen, seine langjährige Lebensgefährtin und Partner-in-crime Genevieve McGuckin, Howards Bruder Harry (Bassist bei These Immortal Souls), Lydia Lunch, Wim Wenders (in dessen Himmel über Berlin Howard auftrat) und weitere musikalische Begleiter und Freundinnen. Einzig Anita Lane, mit der Rowland Howard in jungen Jahren eine Affäre hatte, fehlt. Aber in einer Doku über mich würden auch nicht alle Ex-Freundinnen freundlich bürgen wollen. Life's what you make it.
>>> Geräusch des Tages: Rowland S. Howard, Sleep Alone
Sonntag, 10. Januar 2021
Jetzt, da ich ein wenig Heimfreizeit habe, fand ich auch Zeit, mir ein paar neue Musker anzuhören. Darunter die sympathisch pragmatisch benannten Dry Cleaning aus Südlondon, die jung sind und Krach machen, dabei aber angenehm unaufgeregt sind. Sachlich, mit einem gewissen britisch-distanzierten sneer vorgetragene Texte aus aufgeschnappten Fetzen aus dem Alltag, Gequatsche im Bus, absurde Werbeschlagzeilen, dahinter treibt eine dichtgeklöpppelte Band wie ein stampfender Royal-Mail-Zug, der wichtige Postpunk-Briefe bringt. Alles ohne Firlefanz wie hier im Knaller Magic Of Meghan. (Der Songtitel beflügelt das Gerücht, daß tatsächlich Prinz Harry an den Drums sitzt. Aber das ist ein Fall für die X-Akten.)
Bislang gibt es zwei EPs, die hierzulande aber schwer erhältlich sind. Die Band ist 2020 bei 4AD untergeschlüpft, Adresse für gute Musik seit den 80ern. Die Tour für dieses Jahr wurde allerdings gerade aufgrund der aktuellen Situation verschoben. Hm. Bis dahin muß ich so mitsummen. Und Alltagstexte sammeln.
>>> Geräusch des Tages: Dry Cleaning, "Scratchcard Lanyard"
Samstag, 19. Dezember 2020
Wenn ich einen Werkstoff nicht leiden kann, also nachgerade verachte sogar, ist es Kunststoff. Entweder sind Gebilde daraus schmiegsam, aber voller Weichmacher, oder aber hart und spröde wie das Herz eines alten Bloggers. Ist Kunststoff transparent, wird er bald opak und schlierig wie die Gemüseschublade eines traurigen Kühlschranks. Hat er eine Farbe, gerät die bald außer Mode. Nein, Kunststoff ist der Feind, Plastik sogar ein Mörder, vor allem, wenn es in mikroskopisch kleine Stückchen zerschreddert ist und in Fisch- und Vogelmägen wandert.
Bakelit muß man aus dieser Gruppe ausnehmen. Ein meist wohlgeformter, nun klassisch gewordener thermoplastischer Werkstoff von angenehmen Gewicht und für Lichtschalter, Radiogeräte und Lampen eine gute Wahl. Gleiches gilt für Melamin, das hier im Haus neben Glasschalen den profanen Tuppertopf ersetzt. Überhaupt Ersatz: Seit Jahren predige ich: Plastik raus, Ersatz rein.
So hatte ich die letzten Tage auch keine Finger frei zum Bloggen, sondern war damit beschäftigt, einen wahren Haßgegenstand aus dem Haushalt zu entsorgen. Das sogenannte Jewel Case. Die Älteren erinnern sich. Bei DVDs mache ich das schon länger, wenn sie nicht in hübsche Boxen oder angenehme Packs aus Pappe stecken. Weg mit den klumperten Kunststoffboxen, rein mit den Scheiben in dafür vorgesehene Papierumschläge und alles in Sammelschuber. Spart Platz und Schrott. Jetzt waren die CDs dran, die sich bislang über mehrere große Schubladen verteilten. So wie andere in dieser Jahreszeit mit einer Schale auf den Knien abends vor dem Fernseher sitzen und Nüsse knacken, saß ich nun da und knackte Jewel-Cases. Die heißen edel so, sind aber meist im Laufe der Zeit verkratzt, angelaufen und blind geworden wie billiges Talmi.
Also weg damit! Krack, Knack, Krick gingen die Geräusche, denn all diese schäbigen Hüllen und Booklets aus den Hüllen rauszubrechen, rauszuzerren, rauszuschauben, rauszuknacken, rauszuprokeln ist ein zerstörerisches, wenngleich befriedigendes Geschäft. Nach einigen Hundert erbrochener CDs sollte man meinen, ich wüßte, wie das schadenfrei geht. Aber nein. Es gibt verblüffend viele Arten dieser Plastiksarkophage, und jeder öffnet sich anders. Manche kann man wie Zauberwürfel auf vertrackte Art verdrehen und verschieben, dann geben sie ihre Cover preis. Andere kann man eigentlich nur zerstampfen. Vier-, fünfhundert CDs später kann ich nun mit meinen Fingern Hummer knacken oder Austern oder was es sonst bei euch so regelmäßig gibt. Vielleicht könnte ich mich als Freiberufler unter dem Claim Ich knack das! selbständig machen.
Man lernt bei dieser Arbeit viel. Über Vielfältigkeit zum Beispiel. Ich bin sicher, daß es irgendwo ein Forum für CD-Case-Nerds gibt, die die Terminologie der einzelnen Formen dieser Plastiknervdinger (die einem ja früher bereits im CD-Gebrauchtkaufladen beim kontrollierenden Öffnen aus der Hand und quer durch den Laden geflogen sind) drauf haben. Da gibt es garantiert eine Art Linné'sches System für Einzel-CDs, Doppel-CDs, Dreifach-CDs, welche, die wie ein Triptychon geöffnet werden, welche, in denen die Scheiben wie Seiten in einem Buch angeordnet sind usw. Eine faszinierende Welt, wenn man darüber nachdenkt. Das alles haben sich Menschen einmal aus.ge.dacht!
Ganz sicher gibt es Menschen, die nun sagen, CDs, das sei aber soooo Neunziger, und sich dabei sehr klug und modern vorkommen. Ja, mag sein. Aber schaut lieber nach, ob euch euer Musikstreamdienstleister nicht gerade alle Bibliotheken auf dem Telefon gelöscht hat. Dann reden wir weiter. Hast du was im Haus, dann hast du in der Not. Meine Meinung. Musik zum Beispiel. Nun stammt ein Gutteil meiner CDs aber tatsächlich aus den Neunzigern, und da kann man sich schon auch wundern. Künstler, von denen man nie weder etwas gehört hat, Künstler, die es aus bereits damals unerklärlichen Gründen in meine Sammlung geschafft haben, Künstler, deren CDs überhaupt noch eingeschweißt waren. Man sortiert auf dieser Zeitreise auch streng noch mal aus, dann heißt es, auf Wiedersehen Pizzicato Five oder auch Tschüß Melvins, ihr seid super, aber einfach nicht meine Musik. Also Mukke.
Schade, daß ich in den Neunzigern keine eigene Band gehabt habe. Das wäre eine Emo-Goth-Band namens Gloomy Fühlings gewesen und hätte CDs in schön gestalteten Papp-Digipacks herausgebracht. Buchbinderische Arbeiten, Augenweiden, dazu astreine Musik, die die Zeit überdauert hätte. Aber wann hätte ich das alles auch noch machen sollen?
Ungefähr die Hälfte an Platz ist dazugewonnen, denn ich habe im Laufe der Tage ca. acht Tonnen Plastikschrott in den Container vorm Haus geworfen, immer mal so ein bis zehn Tüten, damit die Nachbarn ihre Käsefrischhaltefolien auch noch entsorgen konnten. Befreiend! Frau Kondo hätte gelacht! Jetzt kann ich guten Gewissens neue CDs kaufen, um die Lücken zu füllen.
Donnerstag, 4. Juli 2019
Wofür ich Youtube ja mag, sind die Momente, in denen sich Musiker selbst zu Wort melden. Manchmal stellen sie lässig irgendwelche wilden Behauptungen richtig (als Blogger ist man das ja gewohnt) oder zeigen, wie ein bestimmter Part tatsächlich gespielt wurde. Ab und an sind es mittlerweile die Kinder, die sich zu Wort melden.
So wie bei Saint Etienne:
"Fun fact: I'm the singer (Moira Lambert)'s daughter, and I didn't know about this song until last year, or maybe the year before that. She let me believe for the first 14 years of my life that, yeah, she had gigs and stuff, but nothing big - then I found out about this and at first I didn't realize that it was as big as it was."
Sehr rührend. So wie wenn eure Kinder irgendwann eure Blogs entdecken.
>>> Geräusch des Tages: Saint Etienne, Only Love Can Break Your Heart
Montag, 24. Juni 2019
In meinem Sachbuch Männer, die noch selbst dabei waren: Erinnerungen an eine vor-virtuelle Zeit wird man dereinst nachlesen können, wie man in einem Wald stehen, ein selbstgeschmiertes Butterbrot essen und dem Gesang der Vögel lauschen konnte. Bis dahin werden die meisten aber ausgestorben sein.
Nicht aber dem Gedächtnis verloren. Während ihr euch Musik von einem Girl namens Alexa vorsingen laßt, höre ich ja Musik bekanntlich gern von Wachszylindern. Man muß schließlich nicht jeden neuen Quatsch mitmachen. Unter den in vielerlei Hinsicht faszinierenden Arbeiten der Radio- und Klangkünstlerin Sally Ann McIntyre, die hauptsächlich zwischen ihrer Heimat Neuseeland und der schönen Stadt Melbourne pendelt, befindet sich ein noch viel faszinierenderes Klangkunstprojekt:
Vom in Neuseeland einst weit verbreitete, 1907 aber ausgestorbenen Huia gibt es leider keine Tonaufzeichnung. Es gab einen Ureinwohner, der den Gesang des Vogels nachahmen konnte, um ihn zu jagen. Daraus entstand eine Notation, die nun wiederum von einem Pianisten zusammen mit field recordings aus der ehemals natürlichen Umgebung des Vogels auf Wachszylinder aufgenommen wurde. Sally Ann McIntyre stellt das Projekt hier vor.
Da es nun mit jeder Wiedergabe auch einen Abrieb des wie ein junger Vogel empfindlichen Zylinders gibt, wird auch dieser nach und nach verblassen und eines Tages ausgestorben sein. Denn Geschichte wiederholt sich.
Das Wiederholungsprinzip macht sich McIntyre auch in Projekten zunutze, in denen sie die Soundrecordings ausgestorbener Vögel in ehemals bekannten Vogelrevieren abspielt und neu aufnimmt, um das Klangerlebnis zurück in die Natur zu bringen und wiederum für uns erfahrbar zu machen.
Hier überträgt sie eine live gespielte Geige per Radio, um deren Töne zusammen mit der ersten kommerziellen (78 RPM) Schallplattenaufnahme eines Vogels in Gefangenschaft (die Nachtigall des Herrn Bremen) aufzunehmen.
Ich finde das gerade aufregend interessant, zumal auch dies wiederum mit Rekreation und Nacherfinden zu tun hat, mit Imitiation und frommer Lüge. Aber auch mit Technikgeschichte, denn so wie vielerorts Taxidermiekurse aufblühen, um die Kunst der Naturerhaltung zu üben, gibt McIntyre Kurse im Radiobasteln. Da wird an einem Nachmittag ein kleiner FM-Sender zusammengelötet (Empfänger sind für solche Projekte zu kompliziert), um mit wenigen Milliwatt (und entgegen gängiger Lizenzbestimmungen, vermute ich) Radio in die nahe Umgebung abzustrahlen. Eine schwindende, bald obsolete Kulturtechnik.
Leider wird Frau McIntyre sträflich selten auf Festivals eingeladen, immerhin hat sie mal bei den Radiorevolten eine Sendung machen können.
>>> Radio Cegeste, das Blog von Sally Ann McIntyre
Sonntag, 13. Januar 2019
Sonntagsbetrachtung. In meinem geheimen Geheimblog Where older Goths go to die schreibe ich über die Effektgeräte von Chelsea Wolfe. Die heißen recht klingend "Apocalypse", "Frost Bite" und "Angry Troll" und das paßt natürlich gut zur ihrer verheulten Donnergrollen-Musik. Hübsch bildlich. "Warte mal, ich schalte den Angry Troll ein." Und dann wabert eine grauverfusselte Klangwolke durch den tropfenden Regenwald. So etwas müßte es für Blogs geben.
Beim Insektenzeichnen höre ich jetzt wechselseitig Meredith Monk (für die feinen Tasthärchen) und Chelsea Wolfe (Mandibeln und Thorax). Am Ende, wenn ich alles ausmale, dann den "Angry Troll". Man könnte es vielleicht mischen, so wie hier jemand die Versionen von Flatlands von Chelsea Wolfe und Mark Lanegan zusammengemixt hat. Dessen Solovariante hingegen ist mir etwas zu... gediegen, vielleicht. Man sieht dazu Leute, die ihren Kopf von links nach rechts wiegen, garantiert hält auch jemand ein Feuerzeug hoch... NEIN. Ihm fehlt hier ein Effektgerät namens "Screaming Trees", um mal seine Bandgeschichte aufzugreifen.
Es gibt Menschen, die können ein Insekt auf ein Reiskorn zeichnen. Oder ein Haar in der Suppe. Unangenehm. Die als wandelndes Mandat durch die Weltgeschichte stapfen. Oder Unke. Als rechtwinkliges Bauhaus. Als Angry Troll.
>>> Geräusch des Tages: Chelsea Wolfe und Mark Lanegan, Flatlands
Samstag, 10. November 2018
Derzeit bin ich in einer Phase, das eine Ding, was ich so rumstehen habe, einen Zentimeter nach links und ein anderes einen Zentimeter nach rechts zu rücken. Mal neue Perspektiven im engbegrenzten Raum des Leuchtturms schaffen. Das schafft schon Luft. Neulich aber drohte bot sich Aufräumagitatorin Frau Novemberregen an, bei mir mal auf Sortierstreife zu gehen. Da bekam ich Angst.
So habe ich heute ein wenig aufgeräumt, dabei Chemie aus meinem geheimen Forschungslabor Farben, Lacke, Fotofreunde e.V. für den Sondermüll zusammengeräumt, Grillanzünder wie Aal-Dieter, "komm hier, haste auch noch!" obendrauf, dann ging es ans Medienarchiv. Weil ich nicht gleich an die Wachswalzen aus der Frühzeit der Klangarchivierung wollte, beschloß ich, den Bestand an Magnetbandkassetten zu komprimieren. Also wegzuschmeißen. Fort. Raus. Jedoch: Herrliche Funde, allesamt! Den halben Meter Bootlegs, also Live-Mitschnitte aus der Zeit, als selbst ich noch ein Kid war, darunter einen viertel Meter von einer britschen Kombo namens The Cure, ließ ich erstmal als Memento mori zurück. Kann man ja mal eine Collage draus basteln oder in Gießharz einbetten. Auch seltene Exemplare aus der Kassettenszenen-Zeit erhalten ein Gnadenbrot. Sonst, weg.
Zum Glück war ich vor langem so schlau, mein Tapedeck aus Platzgründen in den Keller zu verfrachten. So gab es nun keine Versuchung, irgendwelche Hörproben und Rauschverkostungen anzufangen. Toll aber auch der Gang durch die Technikgeschichte. Obskure, aus Armut benutzte Markennamengratistapes ("Saba"!) und überspielte Hörspielkassetten, deren originaler Inhalt sicher interessanter wäre als das Debüt von Nichts beispielsweise ("Zehn Bier zuviel"). "Flug XS 2340 - Bitte melden!" - das will man doch jetzt wissen! In Stereo sogar, so habe ich das nie gehört (Armut).
Ein Teil dieser Kassetten fiel schon in den 80ern meiner Schönberg-Phase zum Opfer, als ich aus dem Tonkopf eines alten Walkman eine Art elektronische Geige bastelte, die man mit einem "Bogen" spielen konnte, der aus einem Holzstab bestand, auf den ein Stück Magnetband geklebt war. So konnte man dann Klänge verschiedener Höhen erzeugen, je nachdem, wie schnell man spielte und was vorher darauf aufgezeichnet war. Das versucht mal digital, Kinder. (Wo ist dieses tolle Gerät eigentlich hingekommen?!? Ich war immer so achtlos, was die Selbstmusealisierung anbelangt. Sonst, heute: Weltruhm!)
Nun aber hinweg, meine kleinen Kassettenfreunde. Oder... Moment... Weihnachten! Statt Lametta an den Baum hängen? Einen Kissenbezug für Musikfreunde draus weben und verschenken? Vielleicht sollte ich euch doch noch eine Weile aufbewahren...
Sonntag, 30. September 2018
Herr Hacke war ja schon immer da, Frau Picciotto lernte ich zunächst über ihre Malerei so um 2006 herum in Berlin kennen. Aus Wolfgang Müllers unverzichtbarem Almanach Subkultur Westberlin 1979-1989 aber lernen wir: "Zu Danielles Geburtstag wollte der total verliebte Dr. Motte ihr eine Art öffentliche Parade oder Aufzug schenken. Es wäre jedoch unbezahlbar gewesen, den ganzen Kurfürstendamm absperren zu lassen. Deshalb meldete Dr. Motte das Ganze als politische Demonstration an." (S. 235)
Und deshalb hieß das Love Parade. Alexander Hacke (aka von Borsig), einigen von den Einstürzenden Neubauten her bekannt, wußte also, worauf er sich einließ, als er de Picciotto 2006 heiratete. Seither nämlich ziehen die beiden umher, also reisen um die Welt, in *romantische Klaviermusik ertönt* Liebe vereint und musikalisch aufgeschlossen. Eine Art Love Parade eben. Dazu haben sie (angeblich) "alle ihre Sachen abgestoßen" (sprich: eingelagert, die werden ja nicht doof sein), der Freiheit wegen und des leichten Gepäcks.
Angemessen leicht bepackt nahmen denn HackeDePicciotto am Samstag den Bus, um in Hamburg vor Publikum (53 Personen) aus den letzten Alben vorzutragen. Übrigens sehr ohrenfreundlich (geraucht wurde auch nicht, und angenehm kurz war's!), also leise. (Vor allem, wenn man die Einstürzenden Neubauten mal live gehört hat. Häh?!?) Hamburgs wichtigste Musiker (also ich und der andere) standen derweil ganz hinten (oder saßen, weil geschwächelt) im Westwerk, ganz entspannt eben.
Reduzierte Hausmusik neuerer Art hören wir da, düsterer angelegt als die Vorgänger, was vor allem an Herrn Hackes feedbackondulierter E-Gitarre liegt, mit der er (unterstützt von Loop-Effekten, was ihm Gelegenheit gibt, hier mal zu Trommeln oder dort eine kleine Reiseespressomaschine... na ja, das ist jetzt erfunden) quer zu Frau de Picciottos Geigen- und Drehleierspiel dazwischensägt. (Ich erinnere mich an einen Auftritt vor ziemlich genau zwanzig Jahren, wo er auf diese Weise die Singende Säge seiner damaligen Gattin Fr. Becker im Zaum hielt.) Das schwankt (die beiden sind für den Abend in Rot gekleidet, sie: Vintage, er: Stylists own) zwischen Baghwan-Pärchen in der Fußgängerzone (hier will wohl einer frech werden!) und angenehm schunkelndem Kaputt-Chanson Berliner Schule. Besser als erwartet, vor allem gegen Ende, als die Betriebstemperatur so ein bißchen angeschnuckelt war.
Draußen war es schon genauso dunkel wie die Musik, also angenehm. Singende Pärchen unter den Laternen.
>>> Geräusch des Tages: HackeDePicciotto, All Are Welcome
Samstag, 2. Juni 2018
Wie ich heute ein wenig durch die Weltgeschichte kabelte, Bulletins und Fürsprechungen durch Zeitzonen und Kontinente morsend, kam ich auf meinen Reisen durch Youtubeland. Zu einer Aufnahme der Simple Minds, und ich glaube, das war diese Tour, auf die ich die in den 80ern (noch in kurzen Hosen also) gesehen habe. The American nämlich, diese Milch-und-Honigsuche, die so viele von uns so verbissen umtreibt. Jim Kerr schwitzt so sehr wie ich sollte mein Debütroman damals heißen, ein Titel, den ich später leider verwarf.
Dabei stimmt das, gerade heute habe ich das in meiner kleinen Dach- und Denkstube gemerkt. Da kann ich mir noch so viele Kühlakkus unters Ringelhemd schieben, hier bin ich eine Art ausgeschnurrte Katze unterm heißen Blechdach. Die Andeutung eines Gewitters brachte (bislang) nicht viel Abkühlung, so könnte ich also wie Jim Kerr eine ganze Westfalenhalle vollschwitzen.
Jim Kerr, auch das ist interessant, geht mit Chrissie Hynde auf Tour. Die beiden waren ja mal verheiratet und feiern sozusagen 30 Jahre freundliche Scheidung. Dabei erinnere ich mich an Backstagefotos einer etwas derangiert angetrunkenen Mrs. Kerr in englischen Gazetten mit der launigen Unterschrift, daß Mr. Kerr doch mal dringend seine Frau anrufen solle. Also damals. Schön, wenn sich über die Jahre alles auswächst. Man sollte die Vergangenheit immer gut aufarbeiten.
"Jupiter will urge you to go to a faraway land that you’ve never seen but always wanted to go", heißt es derweil. Das war ja meine Hoffnung mit diesem angekündigten Gewitter, das dann doch ein wenig lasch dahertröpfelte. Eine Windhose packt mich unterm Hemd und wirbelt mich nach Oz. Ich könnte gelbe Wege anlegen oder sonst etwas Nützliches tun. Eine große Stadt bauen. Mit Kühlräumen für die Bevölkerung. Und guter Musik aus allen Lautsprechern.
>>> Geräusch des Tages: Simple Minds, Theme For Big Cities
Mittwoch, 14. März 2018
Da wir gerade so schön unter uns sind und ich so langsam umstehenden Menschen ein wenig auf die Nerven gehe mit meiner neuentdeckten Begeisterung für Viv Albertine die Slits. Aber dahinter stecken natürlich wie so oft frühkindliche Prägungen, denn meine "Freundin Viv" (wie ich nun regelmäßig aufgezogen werde) hätte damals ja so etwas wie eine große Schwester sein können.
Warum auch nicht? Was spätere Biografen sicher lange schon geahnen haben werden, wäre das ein Riesenspaß gewesen. Das kann man, kommen wir zur Botschaft, in diesem kleinen und raren Filmdokument sehen, wo ich ab Minute drei wie Zelig in einem meiner ebenso kleinen und raren Auftritte kurz zu sehen bin, wie ich mit meiner Wasserpistole für Schrecken in der rechtschaffenen Bevölkerung sorge. (Die Slits machen das dann auf ihre Weise so gegen 7:20'. Da durfte ich aber nicht mitmachen, wegen dem Jugendschutz. Hübsch albern amüsant aber, wie Sängerin Ari-Up, beim Versuch, in der Wechselstube die Strumpfhosen zu wechseln, meint, das ginge jetzt nicht so schnell - "I'm not a fucking genius". Als ginge es im Kulturleben sonst stets um seelenschwere Erkenntnisse! Die Klamotten sind übrigens auch super, da könnte ich mal was in meinem FAZ-Fashionblog zu schreiben. Wenn ich das kriege.)
So war das eben damals, Ende der 70er. Ich war eben doch mal jung.