Dienstag, 4. Juli 2006
Vom Boden essen. Gerne, spricht Demut. Und der alte Witz geht, aber werden wir satt? Geleckt und glatt und anschiegsam. Ich mag es ja mehr in den Brüchen und Kanten. Wenn einer zeigt, daß die Dinge größer sein können als der eigene Griff. Daß sie diesem entschlüpfen, weil das Heute größer oder quicker oder einfach bloß anders ist als das Gestern. Und vom Morgen wollen wir nur ahnen und furchtsamer raunen. Wer weiß schon, was kommt und ob es so ist, wie es ist.
Am hinteren Zaun wehten erst ein paar Haare. Als ich hintrat und nachsah, legte sich dort ein blutendes Tier. Und in silbernen Augen/Spiegeln sich die schwarzen Schatten unserer Wildnis/Gräßliches Lachen, das unsere Münder zerbrach. (Trakl, "Passion") Die klopfenden Herzen, das furchtsame Drängen, ein flatternder Puls in meiner Hand. Als es starb, war ich zaghaft, kein Wort fiel mir ein. Außer ein Ja und ein Nein. Und einem es, das ist, wie es ist.

Montag, 3. Juli 2006
Nachdem die Sonne sich senkte, das Geschrei verebbte, nur von Ferne noch gellten einzelne Triller einer Schiedsrichterpfeife, gingen wir runter zum Hafen. Ein leiser Wind kühlte die schwitzige Haut, und die Lampen der Marktbuden und die blauen Tore tauchten die Schiffe in ein farbiges Licht. Am Kai pullerte ein Betrunkener ins Hafenbecken. "Sieh dort!", rufe ich aus und ziehe sie am Arm. "Schau, wie romantisch!"
Ich deutete auf das Hausboot. Ein schnittiger Kahn, eine architektonische Studie in Retro-Design. Und seh mich schon draußen, dümpelnd und treibend, einen auf flokatiumhüllte Entspannung mimend. Oder so ein Feuerschiff! Mit dem druckvollen Strahl der Wasserkanone zeigte ich jedem Beckenrandpinkler, was seine Kümmerlichkeit ist. So ein Hafen ist Aufbruch und Sehnsucht, Fernweh und Ankunft: jeder Matrose sein eigenes Schiff. Und ob stolzer gesegelt oder träge nur treibend, manchmal geht es doch über Bord.

Montag, 19. Juni 2006
Ein Wochenende, fünf Prints - bei dem Tempo bin ich dann in schätzungsweise fünfzehn Jahren fertig. Wohin ist die Zeit enteilt, frage ich mich. Derzeit also Blogentschleunigung. Denken Sie sich nichts dabei.

Sonntag, 11. Juni 2006
And you may find yourself in another part of the world
And you may find yourself behind the wheel of a large automobile
And you may find yourself in a beautiful house,
with a beautiful wife
And you may ask yourself -
Well... how did I get here?
(Talking Heads, "Once In A Lifetime")
Merke ich nichts vom Vollmond, dann ist es bestimmt der Nebenmann, der nachts randaliert. Vergesse ich nichts von meinen Regelmäßigkeiten, dann sind es die Umstände, die (für sie umstandslos), Schwanken und Zögern, Knüppel werfen (die Beine! die Beine!) oder Dinge doppelt erledigen lassen, die auch einmal gereicht hätten.
Die Nacht dann plötzlich auf den Kopf gestellt. Mich selbst orientierungslos in kleinen Wohnungen finden. Küche, Bad, Aufstehen, Hinsetzen und doch nicht wissen, wo ich bin, außer daß ich plötzlich einen Bademantel trage. Das Display zeigt 37, und das ist so etwas wie eine Botschaft. Handeln, weitermachen, aber schön langsam. Zurück in die Grenzen finden, ins Vertraute. Durchs Internet wandern und liebgewordenen Plätze tot finden oder neu gewalzt. Wo seid ihr alle hin? Das Weblog wurde deaktiviert. Wenn Sie Administrator sind, können Sie es hier wieder reaktivieren. Activate yourself, denk' ich und ja, es ist auch Zorn dabei.
Ich muß mich selbst besser administrieren. Nicht verschüttgehen, Grubenlampe, Kanarienvogel, Notration immer dabeihaben. Nicht ohne Karte loslaufen, auch nicht in überschaubaren Wohnungen. Irgendwann, später dann, stehe ich vor dem Bücherregal und lese die Titel aus der Zukunft.

Freitag, 9. Juni 2006
Heute beginnt ja dieses Sportereignis, dessen Namen ich nicht besser umschreiben kann, aus Angst, auch dieser könne bereits durch die FIFA als Warenzeichen geschützt worden sein. Nachdem ich hörte, selbst "Hamburg" in Kombination mit der Zahl dieses Jahres sei registriert worden, bin ich nun dabei, mir die Begriffe "Abi 2007" bis "Abi 2037" schützen zu lassen. Die Lizenzgelder, die mir junge Golf- und Opelfahrer fortan zahlen müssen, werden mir hoffentlich einen angenehmen Lebensabend in gemäßigten Klimazonen bescheren.
Es geht also los, und die zahlreichen Gäste, die nun in die Stadt strömen, könnten morgen alle schon perfekt Deutsch sprechen, wenn sie willens und einigermaßen liquide sind. Ob sich der Wortschatz über das hinaus erstreckt, was ich meinen Lesern bereits vor einiger Zeit an Fußballwissen auftrug, entzieht sich allerdings meiner Regelkenntnis. Im Abseits werden die breitbrustigen Schweden und zierlichen Schottinnen in dieser freundlichen Stadt sicher so oder so nicht stehen.
Mein Favorit? Nun, ich denke, wenn Deutschland die Todesgruppe der Vorrunde überstehen sollte, nun, dann ist alles möglich, dann sind die Tore plötzlich weit offen. Nicht das deutsche, hoffen wir mal. Schon allein wegen der Binnenkonjunktur, so ein Ereignis muß sich ja schließlich rechnen. Apropos: Jens Weinreich, Sportchef der Berliner Zeitung und Träger des "Wächterpreises der Tagespresse", sagt: "Die WM-Macher behaupten, diese WM sei das größte privat organisierte Sportereignis seit Menschengedenken. Das ist eine faustdicke Lüge. Nach unseren Erhebungen wurden sechseinhalb Milliarden Euro aus verschiedenen öffentlichen Töpfen für die Finanzierung dieser WM investiert." (M, 6/2006)
Dann also Prost und have a ball!

Donnerstag, 8. Juni 2006
Es verhielt sich nämlich so, daß ich neue Schuhe brauchte. Ein Graus, ein Schrei: Ich hab' nichts anzuziehen! Und Sally sagte zu mir, "Jack". Jack sagt sie zu mir, wenn sie nicht gerade Mr. Skellington sagt, was sie aber nur sagt, wenn sie mich ermahnen will. Also sagte sie, Jack, ich nähe dir ein Paar, kein Problem, laß mich nur an meine Nähmaschine eilen. (Wo sind eigentlich meine Hosen?)
Und so erhielt ich linken Schuh und rechten Schuh (unterschiedlich, wie es sich für liebevolle Handarbeit gehört), trés chic, und zufrieden bin ich auch. Eigentlich ist Sticheln ja mein Hobby, aber so reizvoll hätte ich es selbst nicht hinbekommen. Das ist kein Flickwerk, das ist Schusterkunst. Damit werde ich bestimmt wieder auf der Straße angesprochen könnte ich glatt in diesem Film von Sally Burton mitwirken. Schuhe voller Narben. Ganz wie das Leben selbst.

Dienstag, 30. Mai 2006
Bei Leiden und Schmerzen aller Art hilft bekanntlich die Ringelblume. Solches Naturwissen ist vielfach verschütt' gegangen, was schade ist, betrachtet man den generell eher unblumigen Alltag. Heute gleich zwei ältere Herren gesehen, beide in beigen Hosen und einem senffarbenen Bluson gekleidet. Was ist nur aus der Fliederfarbe geworden?
Für jemanden wie die Londonerin Veronica Read wohl eine triste Entwicklung.
(Die Installation von Kutlug Ataman ist derzeit übrigens in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.)
Neben der blumigen Rede führe ich hingegen gerne meine florale Kleidungspracht spazieren. Man nennt mich auch die schwarze Tulpe. (Oder war es die Tollkirsche?)

Donnerstag, 25. Mai 2006
Ich hab mich selbst zum Altglas gestellt.
(Taumelnd hinab ins Flaschengrün. Kennen wir uns? Von der Neige des Glases. Du Flasche, zischt sie. Ich habe dir gestern erst den Korken gezogen. Du steiler Zahn, nuschel ich zurück. Du Assoziationsschlampe, alkoholisches Luder, du. Grinsend ringelt sie ihren Strumpf wieder hinauf. Haltlos, lalle ich. Allohaltlos.)
Morgen arbeiten nur mit höchstem Unwillen. Das ganze monotone Leben wie eine Nagelbettentzündung. Selbst ein Kuß nur pilziger Atem. Mir war als hätte ich das Ticken der Uhr zu lange nicht gehört. Ticktack, der Stempelkasten. Aus dem Nebel wird auftauchen der Personalleiter der Gartenzwergfabrik. Mirdochegal wie ihr arbeitet, wird er grinsen. Fertig muß die Scheiße werden.
(Neulich beim Entgraten, der Kollege hebt die blutenden Finger, will den Boss der Bosse grüßen. Der aber schleicht vorbei, über die Flure, nickt & sagt nicht Guten Tag. Jasollnwirunsdennalleselbstentleiben? Nur für ein bißchen Augenblick?)
Ich habe es genossen. Im Regen sieht es aus, als söge meine faltige Haut mehr Tropfen auf als die Jugend, deren Glanz wie Sonne scheint. Im schrundigen Haus, zwischen welker Tapete und verschlissenen Hemden, die Trauer. Mit Bedacht, stillem Eifer und vorgespitzter Zunge wickel ich ein schwarzes Band, rundherumundrundherum ums Treppengeländer. Ich bin auf links genäht, Bruch der Schokoladenfabrik.
(Keine Himmelfahrt.)

Sonntag, 21. Mai 2006
Das Leben und der Flohmarkt lehren: Irgendwas fehlt immer. Da heißt es improvisieren. Mal über seinen eigenen Buchstaben springen. Das hohe C gerade sein lassen. Und bevor man das Alphabet vor dem Abend lobt, nachschauen, wie die Zahlen stehen. Es sind nämlich auch nicht alle Ziffern im Schrank.
Aber die wichtigsten schon, ein Glück.

Sonntag, 14. Mai 2006
You've got to have a dream
To just hold on.
(Pia Zadora, "When The Rain Begins To Fall")
In manchen Städten gilt es bekanntlich nur als gelungenes Wochenende, wenn man sich anschließend von der Neigungsgruppe Selbst&Gegenseitig ordentlich auf die Schulter klopfen kann (lies nach in meinem Erstlingsroman Manwatthamwerjelacht). Im stilleren Hamburg legt man sich notorisch lieber selbst an die Kette und wandert die Flohmärkte ab. Erst Höllenbrook, die extravagante Ramschrutsche. Hundehalsband nur ein Euro, womöglich lege ich mir ja mal einen wirklich treuen Gefährten zu, Beständigkeit ist schließlich hard to find. Ein dreibeiniger, einäugiger Kampfhund vielleicht. Einen, den keiner mehr will, wir verstehen uns blind, und sonst nehme ich es zum fotografieren. Deko. Ich kaufe immer nur Deko, das ist man klar.
Für 50 Cents, und damit unwiderstehlich, diese Kinderdruckerei. Ich könnte ja mal was publizieren, das soll Spaß machen und vielleicht Aufmerksamkeit bringen (Talking about me and my Aufmerksamkeitsdefizit). Wenn ich mal was mitzuteilen habe, unter Druck von tief unten. Leider, und damit kommen wir zum verlorenen Auge und den drei Beinen, fehlen schon ein paar Buchstaben. Ick firmesse Dükk als Liebes- und Kostennote ans Kopfkissen gepinnt, keine Ahnung, ob man damit Freunde gewinnt. Zum Muttertag gehen vielleicht auch andere Optionen.
Macht auch nichts, denn Sonntag gab es ja noch Hamburgs vielleicht schönsten Flohmarkt am Immenhof. Zwar nicht in Begleitung von Heidi Brühl, aber mindestens so attraktiv. Kurz überlegt, Texas Chainsaw Massacre in der Tobe-Hooper-Variante für einen Euro auf DVD, aber dann ließ ich mir lieber eindringlich von "The Hostel" erzählen, das reicht auf nüchternem Magen auch. Darauf lieber schnell etwas Kuchen selbstgebacken von den Lieben Händen der Gemeinde St. Gertrud am wonnigen Kuhmühlenteich (mein verstecktes Haus dort mußte ich zeigen, das kaufe ich eines Tages für meine sieben Kinder).
Dortselbst konnte man lauschen dem wunderbarsten Flohmarktgitarrenspieler der Hansestadt. Ein reiferer Herr mit schütteren Haaren saumseligen Schnitts klampft sich tapfer und mit verlorener Stimme durch die Klassiker der 60er, vage erkennt man die Beatles. Schrummschrummschrumm, immer auf einem Ton. "Hey Jude", nanananaa, und "Octopus's Garden" (Ah, der zärtliche Sex der Tintenfische!). Während er "Ruby Tuesday" von der Gegenpartei einstreut, erkläre ich gewichtig und weil ich mich gerne reden höre, das sei der verschollene fünfte Beatle. Der war damals schon in Hamburg dabei. Und dann, irgendwann 1961, als sie zurückfuhren nach London, hätten sie ihn beiseite genommen und mit treuherzigem Augenrollen "Werner" gesagt. "Werner" sagten JohnPaulGeorgeundPeteBestRingo, "wer hollen dick nak, sobald Kontrakt fertig." Werner - und jetzt wird es ein bißchen traurig, holt schon mal die Taschentücher raus - wartet noch heute. Treu und tonlos und immer ein wenig gegen den Rhythmus der schrammelnden Gitarre singt er die alten Songs, "Love me do", nur böse Zungen würden sagen leiernd, und wir spendeten im Schatten von St. Gertrud (dortselbst schon der Sl. Herr Mequito gesungen hat nämlich) auch ein bißchen Geld und Aufmerksamkeit (Geben und Nehmen!).
Anschließend fuhr ich in einem etwas betagterem Automobil, da muß ich sagen, wäre ich nicht auf Buckelvolvos abonniert, ich hätte eine Schwäche in meinem Herzen seismographieren können. Aber im nüchternen Hamburg blogt man darüber ja nich.
