Auf und unter der Walz

Girl, you'll be a
verhärmte Hauswirtin soon

(Pulp Fiction)

Den gestrigen Beitrag mußte ich wieder offline setzen - und kann nicht so recht sagen, warum. Jedenfalls wachte ich gegen zwei Uhr auf, mit heiß pochendem Fuß, im fiebrigen Wahn vielleicht, Stimmen hörend wie "Ich bin dein linker Fuß! Gib' mir einen Stift, auf daß ich was malen kann!"

Bald dachte ich, halb paranoid, es sei nicht gut, das Leiden meines Fußes der Nach- und demi-monde anzuvertrauen. Aber der Zeuge meines gestrigen Unfalls versicherte mich, meine verkehrserzieherischen Belehrungsversuche dem Unfallgegner gegenüber seien zweifelsfrei einem physischen und psychischen Stolpern zuzuordnen gewesen, ausgelöst durch den Zusammenprall von Mensch und Maschine.

Jedenfalls bewahrte ich heute meinen lädierten Fuß während eines langen Arbeitstages in einem Kübel Eiswasser auf, dachte erst an die vielen guten Wünsche, später an meine Zeit als Eisenfuß auf dem linken Flügel in der C-Jugend von Sportfreunde Wichlinghausen, zuletzt dann an die literaturwissenschaftlichen Implikationen meines Zustands. Denn wie jeder Kenner der amerikanischen Literatur weiß, ist dort jeglicher Hinweis auf die Fußverletzung des männlichen Helden als Impotenz zu deuten. Das liegt am starken freudianischen Einfluß der Autoren dort und ist nachzulesen bei Melville, Hemingway oder John Irving. Also, schreibt auf: Jedesmal, wenn sich der Held in einem amerikanischen Roman einen Splitter in die Ferse jagt, geht bei ihm gar nix mehr.

Dem Bildungsauftrag genüge getan, kehre ich zurück zum Spiel. Eine Hauswirtin nahm mich heute vertraulich beiseite (ich wies schnell auf den maladen Fuß, um Näheres zu verhindern) und klagte über die spielenden Kinder im Innenhof. Zweimal schon hätte sie eine Scheibe ersetzen müssen, weil ein Ball ins Fenster geflogen kam. Immerhin habe man jetzt die Grundstücksgrenze zwischen den Häusern markiert: Bis zum Sandkasten liefe sie, das wäre nun deutlich zu sehen. Ich sprach etwas vom "Leben und leben lassen" und war doch erstaunt. Bislang war diese Art Kinderfeindlichkeit, die in der Hansestadt schon weit traurigere Schlagzeilen gemacht hat, mir mehr ein abstraktes Problem aus der Tageszeitung gewesen. Hier aber stand es in abgehärmter, postmenopausaler Zierblondsträhnigkeit. "So ein Ball gehört halt in 'ne Scheibe", dachte ich, aber eher leise und für mich, denn am frühen Morgen und mit Hinkefuß will man ja nicht alles diskutieren. "Auf der Hauptstraße können die ja schließlich nicht spielen", rutschte mir noch raus.

Nachher fährt denen noch einer über den Fuß - und schon geht es los mit dem Aussterben. Darüber könnte man dann höchstens noch Romane schreiben.

>>> Fußverkehr in Deutschland

Homestory | 23:21h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
diagonale - Mittwoch, 28. März 2007, 23:53
Oh. In Wichlinghausen machte ich meine erste Ausbildung.

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kid37 - Donnerstag, 29. März 2007, 00:01
Echt? Ich so gesehen auch ;-) Ist leider doch sehr runtergekommen, wie ich finde. Jedenfalls wenn man die Geschäfte auf der Wichlinghauser Str. betrachtet. Da reißen auch die Altbauten und gelegentlichen Fachwerkhäuser nicht viel.

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diagonale - Donnerstag, 29. März 2007, 00:44
Nein, hübsch ist diese Ecke wahrlich nicht. Das war mit vor 17 Jahren aber total egal. Ich baute total tolle Möbel. Und ausser einem Supermarkt, einer Pommesbude und meinem Lehrbetrieb sah ich da nix.

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au lait - Donnerstag, 29. März 2007, 00:24
Ich staune. Literarhistorische Motive, die mir so noch nie aufgegangen sind. Es dürfte schwierig werden, aber ich werde mal in meinem persönlichen Umfeld nachforschen. Denn prompt splitterte mir die Erinnerung ins Bewusstsein, dass wir früher, als ich neun oder zehn war, im damals maroden, morschen und seit Jahren verlassenen Sonderpostenmarktgebäude in unserem Dorf herumgeturnt sind, durch die riesigen Röhren im Heizungsraum geklettert sind und in den Verkaufsräumen Fußball gespielt haben. Bis plötzlich die Polizei auf einer Routinestreife vorbeifuhr und Andy K. beim Wegrennen in einen Nagel getreten ist und sich eine Blutvergiftung zugezogen hat... Ich habe Andy schon lange nicht mehr gesehen, aber davon, dass er Kinder hätte, habe ich bislang auch nicht gehört. Was viele Gründe haben kann. Grandioser Text indes, Herr Kid.

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isabo - Donnerstag, 29. März 2007, 14:36
Oh, weh! Und ach! Armes Hascherl!

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kid37 - Donnerstag, 29. März 2007, 16:52
Danke. Ich sach's Ihnen. Als Osterhase hüpfe ich dieses Jahr jedenfalls nicht übers Feld.

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