Im Schlund der Hölle

Jedes Ding ist, je nachdem, wie man es
betrachtet, ein Wunder oder ein Hindernis,
ein Alles oder ein Nichts, ein Weg oder eine Sorge.

(Fernando Pessoa. Das Buch der Unruhe").

Draußen vor Cascais liegt der berühmte Boca do Inferno, der Höllenschlund. Die Küste bricht hier über zwanzig Meter steil hinab, und in einem ausgewaschenen Felskessel schlagen die Wellen des Atlantiks mit einem ausgemachten Getöse an den Stein. In meiner zahmen Gegenwart jedoch halten selbst die Meere manchmal Ruhe und so fand ich Gelegenheit, die kleine Marmortafel zu inspizieren, die unmittelbar vor dem Abstieg zur Aussichtsplattform angebracht ist.

Die Inschrift erinnert an eine lange zurückliegende, recht bizarre Begebenheit. Edward Alexander Crowley, Dichter, Dandy, Gesellschaftslöwe, Thelemit und Meister verschiedener verschrobener Künste, der unter dem angenommenen Namen Aleister in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts als "Tier 666" zu zweifelhafter Popularität kam und dessen Beitrag zur Geistesgeschichte dennoch nicht auf Sinnsprüche wie "Jede Minute wird ein Blödmann geboren" reduziert werden sollte, reiste im September 1930 nach Lissabon, um dort den portugiesischen Schriftsteller Fernando Pessoa zu treffen. Dieser, den astrologischen Künsten selbst nicht abgeneigt, hatte Crowley bezichtigt, sich ein falsches Horoskop gestellt zu haben, man lernte sich kennen, und der "Meister" unternahm es, dem Kollegen einen Besuch abzustatten.



Von der Stadt war Crowley nur mäßig beeindruckt und meinte angeblich¹: "Schon einmal hat Gott versucht, Lissabon aus seinem Dämmerzustand aufzuwecken - mit einem Erdbeben. Aber er hat es aufgegeben. Es lohnte nicht".

Nach einem Zwist im Hause Hexenmeister reiste Crowleys Geliebte, die Künstlerin Hanni Jäger, überraschend nach Berlin ab. Pampig wie ein kleines Kind Zauberer, beschloss der britische Magus, der Flüchtigen einen Streich zu spielen. Mit Pessoas Hilfe deponierte er eine Zigarettendose und eine Notiz bei den Klippen des Höllenschlunds: "Ohne Dich kann ich nicht leben. Mich wird ein anderes Höllenmaul als dieses zu sich nehmen - aber es wird nicht brennen so heiß wie das Deine! Hjos! Tu Li Yu". Am nächsten Tag machte die Meldung von seinem Verschwinden Schlagzeilen. Selbstmord oder Dematerialisierung lautete die Frage, die bis nach Berlin drang - wo Crowley allerdings mit der schwankend gewordenen Liebsten bereits sexualmagische Versöhnung feierte. Teuflisch.

So. Damit weiß man das jetzt also auch. Wie das so ist mit den Nationaldichtern. In Deutschland künden in zahlreichen Städten und Flecken noch zahlreichere Tafeln davon, daß sich der alte Geheimrat just hier ein Mägdelein genommen habe. Zur Nacht und zu manchem Zauber.

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¹ John Symonds. Aleister Crowley: Das Tier 666. München 1996.

Ausfallschritt | 13:11h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
mark793 - Montag, 18. September 2006, 13:56
Tja, Reisen bildet eben doch.
Sie werden sich sicher auch etwas dabei gedacht haben, als Sie diesen Beitrag um 11 Uhr 11 gepostet haben. An manchen Tagen nimmt das ja fast schon überhand mit den beziehungsreichen Zahlenspielereien in Blogs...

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kid37 - Montag, 18. September 2006, 14:06
Das Gefühl, sich plötzlich auf solch geschichtsträchtigem Boden zu befinden. Da wirbeln die Zahlen und Konstellationen nur so herum, man braucht sie nur auffangen.

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ana - Montag, 18. September 2006, 17:34
Wird hier eigentlich mittlerweile im Geheimen Magie betrieben? Nach dem Lesen des Beitrags und der Kommentare war ich einkaufen und habe an der Kasse exakt 11.11 Euro bezahlt. Den Kassenbon habe ich gegen meine Gewohnheit mitgenommen, aber verlinken kann ich ihn leider nicht.

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kid37 - Montag, 18. September 2006, 19:00
Oha. Was tickt die Welt doch manchmal synchron. Vielleicht ein verfrühter Karnevalsscherz. Sicher nicht mehr.

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louis xiv - Dienstag, 19. September 2006, 08:42
Ihre Bilder von Lissabon...
... sind ganz klasse. Ich bin tatsächlich unsäglich ein wenig neidisch. Und:Wenn Sie die mal gesammelt bei Flickr oder wo einstellen wollen? Ich wollte da nächstes Jahr mal hin, da muss man ja wissen was einen erwartet...

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kid37 - Dienstag, 19. September 2006, 12:20
Solche Bildersammelplattformen sehe ich derzeit für mich nicht. Ich werde hier aber noch das ein oder andere über Lissabon schreiben und bebildern. Und natürlich drüben bei MKS.

Zu einem Besuch kann ich nur ermuntern - für Freunde des stilvollen Verfalls hat Lissabon viel zu bieten. Und sonst auch.

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der toby - Dienstag, 19. September 2006, 15:07
Lust
Warum mir nun die Tarotkarte "Lust" nicht mehr aus dem Sinn geht. Im Sternbild Löwe.

Lady Harris und ihm sei dank, kann ich mit dem Deck nun Schabernack treiben.

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kid37 - Dienstag, 19. September 2006, 15:21
Tu was du willst...

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der toby - Mittwoch, 20. September 2006, 09:37
Liebe unter Willen

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mark793 - Mittwoch, 20. September 2006, 11:04
Jeder Mann und jede Frau
ist ein Stern.

(Jeder nur ein Stern.)

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kid37 - Mittwoch, 20. September 2006, 13:20
Das soll sein das ganze Gesetz.

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