Radio - Live Transmission

Well I could call out when the going gets tough.
The things that we’ve learnt are no longer enough.
No language, just sound, that’s all we need know,
To synchronise love to the beat of the show.
And we could dance.

(Joy Division, "Transmission")

Heimwerkblogger wären entzückt: Im hermetischen Café waren Basteltage angesagt. Mein einst günstig erworbener alter Radiowecker von Toshiba, sozusagen meine graue Verbeugung vor dem Pantone- Design, hatte durch Alter und mehrere Umzüge schlapp gemacht.

Nun waren einer meiner Vorsätze für das neue Jahr, endlich wieder zeitiger in der Gartenzwergfabrik zu erscheinen, um nicht länger den Spott der Kollegen ertragen zu müssen, die immer wieder einmal mit kaum verstellter Häme fragen, ob ich nun halbtags arbeiten würde.

Da der kleine Motor des Klick-Klack-Uhrwerks sich nicht mehr zum Leben erwecken ließ, besorgte mir Väterchen Kid aus dem schier unendlichen Fundus eines alten Radiosammlers ein komplettes Uhrwerk mit passenden Digitalklappziffern als Ersatz. Den ein derart gesuchtes Stück gibt man nicht so einfach auf. Und seit meinen ersten Operationen, habe ich viel dazugelernt.

Heute nun war der große Tag. Mit ordentlichem Werkzeug, Aortaklemmen, Zange, Lötkolben und Nervenstärke bestückt machte ich mich gleich Christian Barnaard vor seiner ersten Herztransplantation ans frohe Werk. Der Korpus wurde mit mutigen und kräftigen Handgriffen geöffnet. Schon lag das fragile Innenleben vor mir: das ehemals pochende Herz Uhrwerk tot und still, die Lebensadern schlaff herabhängendend. Mit der Zange löste ich sie nach und nach, bis ich zum Schluß die Aterien das Hauptkabel trennte. Die heikle Frage Roter Draht? Grüner Draht? war schnell gelöst: Natürlich der gelbe, das lernt man schließlich in Actionthrillern.

Das Ersatzherz lag steril verpackt parat, bereit zur Transplantation. Exakt passte es in den hohlen Brustkorb meines Radios. Schnell verlötete ich die Drähte (ich hatte die Reste extra stehenlassen, um die unterschiedlichen Farben später zuordnen zu können) mit heißem Schmelz und kühnem Mut, später wurde alles ordentlich isoliert. Denn Sicherheit ist Bastlerpflicht.

Alles brummt, alles summt. Dr. Frankenkid hat gute Arbeit geleistet. Dieser Wecker säuselt mich nun mit den letzten Kulturnachrichten auf DLF in den Schlaf - und weckt morgens Tote.

Homestory | 00:14h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
kid37 - Freitag, 20. Januar 2006, 00:41


Leider habe ich mich selbst verletzt beim Rumfuchteln mit dem uber-soliden Werkzeug. Seither trage ich eine böse, böse Narbe auf der Stirn. Schwester, Tupfer, bitte.

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blue sky - Freitag, 20. Januar 2006, 01:35
Nein, ich frage nicht, wie Sie ausgerechnet Ihre Stirn... Kennen Sie schon diese Adresse?

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kid37 - Freitag, 20. Januar 2006, 01:39
Heureka!
Man soll sich nicht vor die Stirn schlagen, wenn man noch GERÄT in der Hand hält.

Toller Link, vielen Dank. Da ist er ja, in sehr gutem Zustand. Bei meinem mußte ich vor Jahren bereits den Wählschalter austauschen. Und nun die Uhr. Aber, mein Gott, die Sachen hier werden halt benutzt und nicht nur angebetet.

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novesia - Freitag, 20. Januar 2006, 10:37
Ich bin schwer beeindruckt.
Aber das haben Sie doch bestimmt nur für Frau Brittbee geschrieben, die gestern nach einem Heimwerker mit Narbe verlangte.

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brittbee - Freitag, 20. Januar 2006, 11:00
Ach,novesia, Herr Kid muß sich doch bei einer unbedeutenden twoday-Bloggerin wie mir nicht anbiedern. Der hat genug Ringelstrumpf-Mädchen in der Pipeline. Reiner Zufall, diese Synchronizität. Stimmt´s, Herr Kid?

Aber wenn wir schon mal dabei sind...haben Sie ne Bohrmaschine?

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kid37 - Freitag, 20. Januar 2006, 12:05
@ Novesia: So 'ne Piratenbraut fiele doch nicht auf billige Tricks eines verkrachten Artisten rein. Und Frauen, die sich selbst durch die Hand bohren, lassen sich durch so eine kleine, wenn auch brandgefährliche, Narbe nicht beeindrucken.

@BB: Einst vermachte mir mein Vater seine alte Bosch aus den 70ern. "Hier Jung', nimm erstmal die", waren seine Worte. Ich werde sie dereinst meinen Söhnen den Wohnungsentrümplern vermachen. Übrigens besitze ich auch einen Akkuschrauber und - jetzt kommt's - ein Multifunktions... Dremel mit - jetzt kommt's noch besser - biegsamer Welle.

In Wuppertal sind aber alle Werkzeugfabrikanten, das liegt in den Genen.

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brittbee - Freitag, 20. Januar 2006, 12:41
Diese Piratin ist schon auf plumpere Tricks reingefallen, Herr Kid.
Ihre Narbe ist sehr schön. Ich bin entzückt. Streuen Sie ein wenig Salz drauf. Oder Asche.

Ich werde jetzt Baldrian einnehmen und mich dem hermetischen Café bis auf weiteres nicht mehr nähern. Wecker, Narbe, Dremel und Bohrmaschine in einem Beitrag, das übersteigt meine Kräfte.

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mark793 - Freitag, 20. Januar 2006, 13:00
Wenn mich mein trübes Auge
nicht trügt, dann sind Sie den Herzkranzgefäßen mit einer echten Knipex zu Leibe gerückt, Herr Kid. Sehr gut. Spätestens wenn man mal eines der billigen Imitate aus dem Westfalia-Katalog versehentlich an die Kontakte im Verteilerkasten punktgeschweißt hat, besinnt man sich darauf, doch mit ordentlichen Seitenschneidern mit VDE-Siegel zu arbeiten...

Wäre es indiskret zu fragen, welcher Aktion Sie ihre beeindruckende Narbe verdanken?

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novesia - Freitag, 20. Januar 2006, 15:14
Wuppertaler Werkzeugaffinität...
...halte ich für ein Gerücht. Hier kokettiert doch jemand?

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frau klugscheisser - Freitag, 20. Januar 2006, 16:08
Ich würde ja pusten, befürchte aber, dass meine Puste nicht bis Hamburg reicht.

[vorsicht, sie spielen mit den Mutterinstinkten...!]

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kid37 - Freitag, 20. Januar 2006, 16:34
@ Novesia: Nix da. Meine Heimatregion war mit Belzer-Dowidat, Meister, Knipex und Dutzenden kleineren Schmieden berühmt für seine Werkzeugindustrie. So wie "Solinger Klinge". Eine Exfreundin von mir hat übrigens während des Studiums bei Knipex in der Zangenproduktion gearbeitet, fällt mir gerade ein. Die öligen Teile zum Galvanisieren auf Hänger sortieren. Mein Vater hat auch in der Branche angefangen, aus der Zeit besitze ich noch ein paar Stücke... jaaaa, so war das damals bei Eisenbiegers daheim.

Radiobasteln ist sowieso ein Riesenthema, hier wurde bislang viel zu wenig über Langdrähte und Resonanzkreise fabuliert.

@ Mark: Meinen schönsten Seitenschneider, einer von Belzer, habe ich tatsächlich mal an eine Stromleitung geschweißt. Da war er hin, nach 30 Jahren treuen Diensten. War aber so oder so reichlich dumm unvorsichtig von mir... seither ist mein Haar grau.

@ Frau Klugscheisser: Ach, danke. Die ersten mitfühlenden Worte heute. Auf mütterliche Instinkte hatte ich gehofft. Ich kann hier doch nicht immer nur die inneren Schmerzen zeigen.

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mark793 - Freitag, 20. Januar 2006, 16:55
@Radiobasteln:
Ich würde einer Erweiterung des Themenschwingkreises in diese Richtung keinen kapazitativen Blindwiderstand entgegensetzen. Als stolzer Besitzer des "Rechenbuchs der Radio- und Fernsehtechnik" von Peter Zastrow habe ich sozusagen auch eine Lizenz zum Löten - wenn auch nur aus dem Theoretiker-Baumarkt...

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wise.up - Freitag, 20. Januar 2006, 10:46
Hui! Sie können aber schöne Sachen machen!

Da kann man mal sehen, wie das Bemalen von Gartenzwergen das handwerkliche Geschick und die Feinmotorik trainiert. Das einizge was mich an an diesen wirkclih schönen Weckermodellen stört ist das minütliche "klack", das mich um den Schlaf brächte.

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kid37 - Freitag, 20. Januar 2006, 12:08
Der ist recht leise, das Ziffernblatt fällt beinahe geräuschlos. Dafür ist der Weckton noch in halb Schleswig-Holstein unten auf der Straße zu hören.

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diagonale - Freitag, 20. Januar 2006, 13:02
Ach wie nett! Dann können Ihre Nachbarn ja Strom sparen.

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engl - Freitag, 20. Januar 2006, 12:59
ich bin begeistert. in jeglicher hinsicht. (oder richtung?)

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l9 - Freitag, 20. Januar 2006, 13:46
Hoffentlich war das kein Uhrwerk, welches zuvor in einer mörderischen Zeitbombe getickt hat. Nicht auszudenken, wozu der Radiowecker dann fähig ist.

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bartleby - Freitag, 20. Januar 2006, 19:51
Eben war's noch eins nach eins
Klapp
Zwei nach eins
Klapp
Drei nach eins
Klapp
Vier nach eins
Klapp
Fünf nach eins
Klapp
Sechs & eins
Klapp
Sieben
Und endlich steh'n geblieben.

So schien die Zeit mit einem Mal
Nicht fließend sondern digital
Als Konjunktion des Seins.

Doch wieder ist ES eins nach eins
Klapp
Zwei nach eins
Klapp
Drei nach eins
Klapp
Vier nach eins
Klapp
Fünf nach eins
Klapp
Sechs nach eins … der Rhythmus
Scheint zerrissen.

Und alle wissen
Geht's so weiter,
Ob fließend oder digital
Ein Ende gibt es einfach keins.

Dem Wecker war's wohl nicht egal
Drum wollt als Ding er auch nicht mehr
Doch das Subjekt macht da nicht mit
Denn das diskrete Eins & Eins
Braucht um zu fließen …..
MenschensKid.

Hab keine KlappZahlenZeit mehr - Ich hör' getz' ma' auf hier, ne??

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kid37 - Freitag, 20. Januar 2006, 21:11
Sehr schön, man sollte überhaupt mehr dichten. Ab und an haben das die Kommentatoren ja schon gemacht. Da waren begeisternde Sachen darunter. [*]

Zeit ist immer so wenig. Und es stimmt, weil ich so schwer analog bin und eher fließe wie eine Amöbe oder die Zeit bei Dalí, ist mir manchmal so ein klack-klack-klack ganz recht. Eine Grenze, von der es nicht zurückgeht. Erst wenn alles einmal rum ist.

[*] Auch wenn ich gerade sehe, daß einer der lyrischen Beiträge, in dem es um Füchse, Hybris usw. ging, gelöscht wurde. Schade. Da hat die Autorin wohl einen Rückzieher gemacht.

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burnster - Montag, 23. Januar 2006, 14:32
Ich habe mir ja vorgenommen, hier nicht mehr so auf Linie zu loben und jetzt kommen sie mir schon wieder mit so einem verflixt originellen Beitrag. Verkrachter Artistenfilz.

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lady grey - Montag, 23. Januar 2006, 19:55
ach!
der herr kid kann radios wieder heilemachen? herr doktor, ich hab da nämlich ein problem, mein autoradio spricht nicht, und ich weiß nicht, liegt's am radio oder am auto -- ob sie da vielleicht mal nachschauen könnten? ich kann sowas nämlich nicht, und alle, die ich bisher deswegen angehaun hab, auch nicht. allerdings ist das radio, um das es geht, nicht so schön alt wie das oben genannte (das auto drumrum allerdings sehr wohl). ich tät auch nen kaffee oder ein bier dazu reichen?!

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burnster - Montag, 23. Januar 2006, 20:05
Netter Versuch.

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ladys smock - Montag, 23. Januar 2006, 21:46
Noch netterer Versuch:
Könnte vielleicht auch jemand meine zwanzig Jahre alten Autoteile, die sich an meinem noch bestens funktionierenden Radio festhalten, wieder ordentlich zusammenfügen??

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kid37 - Dienstag, 24. Januar 2006, 00:23
Netter Versuch, muß ich auch sagen ;-) Autoradios bekomme ich ja noch nicht mal ausgebaut, selbst wenn ich die Erlaubnis dazu habe. Außerdem, werte Frau Grey, ahnen Sie ja nicht, wie lange diese Radioreparatur gedauert hat. Mit Organisation des Ersatzteils (Weihnachten 2004), stete Du mußt dich mal um dieses Radio kümmern-Selbstermahnung, erstem halbherzigem Versuch ("Oh, soviele Drähte zu verlöten...") und der endgültigen Lösung.

Bis dahin kommt Ihr Auto nicht mehr über den TÜV.

@ Ladys Smock: Ich habe in der Silvesternacht, als in meiner Umgebung gerade alle so hübsch harmonisch verschweißt waren, überlegt, einen Schweiß-Kurs zu besuchen. Als rostaffiner Metallarbeiter sollte ich sowas können, finde ich. Dann wäre Ihr Auto vielleicht mein erstes Trainingsobjekt?!? (Sie wollen doch anschließend nicht mehr damit fahren oder? Ich meine, ist ja alles für die Kunst. H.A. Schult und seine Epigonen usw.)

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lady grey - Dienstag, 24. Januar 2006, 12:00
na gut
dann fahre ich wohl doch in eine RICHTIGE werkstatt. oder ich übernehme ladys smocks autoradio, wenn das auto dann kunst geworden ist.
(und: mein auto schafft den tüv immer. es ist ja gerade erstmal 37.)

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