Halberstadt



Im letzten Herbst war ich kurz Gast im Museum für Hamburgische Geschichte, ein charmantes historisches Gebäude am Rande einer großen Parkanlage mitten in der Stadt mit wirklich sehr freundlichen Menschen an der Kasse und bei der Aufsicht. (Ein Aspekt, der in Ausstellungsberichten ja meist sträflich unterschlagen wird.)

Zu sehen war unter anderem eine Ausstellung über das Leben des jüdischen Fotografen Max Halberstadt (1882-1940) in Hamburg. Halberstadt gründete 1907 ein Fotostudio in der Hansestadt, mußte aber 1936 dem Druck der Nazis nachgeben und emigrierte nach Südafrika. Als Fotograf schuf er viele Porträts im Auftrag, heute interessante Dokumente des jüdischen Lebens im Hamburg des frühen 20. Jahrhunderts. Berühmt wurde er auch: Beinahe jeder kennt seine Porträts von Sigmund Freud, dessen Schwiegersohn er war. Die Bilder vom ergrauten Psychoanalytiker und seiner Zigarre sind längst ikonisch geworden.

Der Schwerpunkt der Ausstellung lag allerdings weniger auf den fotografischen Arbeiten denn auf die Rekonstruktion einer Biografie: auf das Leben eines "Lichtbildners", seine Verbindungen zur Hamburger (jüdischen) Gesellschaft und Tempelgemeinde, die Auftrags- und Gebrauchsporträts von Familien, höheren Töchtern, der Nachbarschaft und Handwerkern und seine Korrespondenz mit den Behörden, den Anträgen und Genehmigungen rund um seine beschwerliche Ausreise. Am Ende trägt man aber doch ein Bild nach Hause - vom Leben in der Hansestadt und von dem, was heute fehlt.

Alltagsgeschichten wie diese konstruieren sich oft über Zufallsfunde. So hatte ich vor einiger Zeit eine kleine Unterhaltung auf Instagram mit dem US-Künstler Dave Benz, der unter dem Namen Benz and Chang auftritt. Für seine wunderbar nostalgischen Aquarellbilder bezieht er sich immer wieder auf gefundene Fotos und sogenannten Cartes de Visite vom Anfang des letzten Jahrhunderts. Darunter war eine Werbeaufnahme des jüdischen Kaufhaus Heilbuth in der Steinstraße in der Nähe des Chile-Hauses. Die Brüder Heilbuth hatten 1903 Hamburgs erstes Kaufhaus eröffnet, an der Stelle, wo heute die Mundsburg Towers stehen und ein großes Einkaufszentrum existiert. Sie betrieben drei weitere Filialen in der Stadt, eine davon war die erwähnte in der Steinstraße. Im Fotostudio der Firma entstanden allerlei Ansichts- und Werbepostkarten, von denen eine den Weg über den Atlantik nach Portland gefunden hatte.

So wandern Geschichten durch die Zeiten, tauchen an unterschiedlichen Orten in neuen Zusammenhängen auf, transformiert, verwandelt oder auch bloß nur verdreht.



>>> Website von Benz and Chang

flanieren | 17:07h, von kid37 | Kondolieren | Link