Die Sommerschul-Files



Unterm Dach unerbittliche 30 Grad, ohne Schwanken, ohne Wanken. Es ist so heiß, daß sich selbst die Libellen, die zu Besuch kommen, auf den Rücken legen und das Salz von meinen Lautsprechern lecken. Eigentlich habe ich Urlaub, aber zu viel zu tun, um verreisen zu können. Dazu ist mir bei der Hitze nicht nach Hin und Her, Termine, die sich nicht koordinieren lassen, andere, die unbestimmt bleiben. Ich muß Gutachten besorgen und Unterlagen beibringen, dazu Ideen jonglieren und beruflich Bilanz ziehen.

Weiterbildung ist ein Thema, weshalb ich lieber in der Sommerschule wäre. Entspannt und konzentriert zugleich, tagsüber das Wesentliche zusammenmalen, abends Protestlieder am Lagerfeuer singen.

Lotto war auch nicht, 90 Millionen lagen im Jackpot, bei solchen Summen ist die Währung fast egal. Von dem Geld würde ich ganz viele Rentenpunkte nachkaufen, damit ich später als Lottomillionär nicht zum Amt muß. Dort würde man mich womöglich zwingen, meine Wohnung in New York (die ich mir von den Lottomillionen als Alterssicherung kaufen würde) zu veräußern. Und dann wäre ich im Grunde keinen Schritt weiter als jetzt, wo ich auch keine Wohnung in New York habe.

So weitgreifend und selbstbeleuchtend analysiere ich die Lage und entspanne mich zur Guten Nacht mit den Fällen von Murdoch Mysteries. Die kanadische Serie geht im Heimatland schon in die 13. Staffel (dazu gibt es ein paar "Christmas-Specials" und frühere, zum Teil anders besetzte TV-Filme). "Sleuthing in the Age of Invention" heißt die Tag-Line, die Serie spielt im Toronto von 1899 und ist durchsetzt mit gesellschaftlichen, emanzipatorischen Umbrüchen wie Frauenbewegung, Arbeiterbewegung, Royalismus und Anarchismus, einer Vielzahl weiterer neuer Denkweisen wie Spiritismus, aber auch (anachronistischer) moderner Malerei wie den Kubismus, und eben den vielen technischen Erfindungen der viktorianischen Zeit. Da fährt ein frühes Elektrofahrzeug ein Rennen gegen einen Wagen von Henry Ford, gibt es den Phonographen zur Stimmaufzeichnung, das Telefon, den Kampf zwischen Tesla und dem finsteren Edison und dem zwischen dem Pferd und dem Fahrrad.

Detective Murdoch fährt Fahrrad und ist auf seiner Dienststelle (Obacht!) schräg angesehen, weil er seine Zeit damit "vertrödelt", Bluttest einzuführen, Fingerabdrücke zu sammeln, UV-Leuchten (um Blutspuren sichtbar zu machen) und Photoapparate zur Beweissicherung einzusetzen - als ginge klassische Polizeiarbeit nicht auch ohne dieses ganze obskure Zeugs (so sein Chef).

An seiner Seite (herzseitig links) arbeitet eine fesche, sehr emanzipierte (Obacht!) brünette Gerichtsmedizinerin (gespielt von einer australischen Schauspielerin), die Kugeln in Leichen sucht und Organe wiegt und dabei in ihrer Pathologie Schellackplatten mit klassischer Musik auf dem Grammophon spielt. Trotz "big love in the air" kommen die beiden (Obacht!) nicht recht zusammen, auch wenn alle anderen in der Umgebung darüber mit den Augen rollen.

Ab der zweiten Staffel, wenn sich Team und Macher und Schauspieler freigespielt haben, wird es richtig munter, auch wenn es eine B-Serie bleibt, hübsches TV-Niveau halt, nicht so ambitioniert wie Ripper Street oder Coppers. Aber eben vollgepackt mit Anspielungen auf Filme, Romane und populären Mythen (etwa, wenn Murdoch in Klondyke einem Mann namens Jack London den Begriff "call of the wild" vermittelt) und witzigem foreshadowing technologischer Entwicklungen wie etwa der "iMail". In einer frühen, sehr amüsanten Folge wird ein ermordeter Hobbyastroom entdeckt, dessen Studierzimmer voller mysteriöser Zeichnungen von Planetenbahnen und Marsoberflächen ist. Als Murdoch und sein Constable Crabtree nachts die Umgebung untersuchen (ein Bauer hat nämlich Kornkreise auf einen Feldern entdeckt!), gleiten plötzlich (Obacht!) unerklärliche Lichter über den Himmel. Während Crabtree vermutet, es seien (Obacht!) Aliens gelandet, folgt Murdoch der Spur zu einer Scheune und (Achtung, Spoiler!) und entdeckt Männer, die an einem russischen Zeppelin werkeln. Die Emittler werden dabei entdeckt und betäubt - und als sie am nächsten Morgen erwachen, sind (Obacht!) in der Scheune keinerlei Spuren mehr zu entdecken, und ihre Geschichte wird von niemandem geglaubt.

Ich vermute hier eine Anspielung auf eine bekannte US-amerikanische (die aber in Kanada gedreht wurde) TV-Serie, die manche für "soooo 90er" halten. Ich möchte daher ergänzen: "Soooo 1890er!"

>>> Murdoch Mysteries, Trailer

Super 8 | 00:28h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
nnier - Mittwoch, 28. August 2019, 09:54
Auf die Punchline habe ich mich die ganze Zeit gefreut. Und jetzt freue ich mich über sie!

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 28. August 2019, 13:13
Die Welt besteht aus Refrains. Andere singen immer dieselben Weihnachtslieder. Freuen Sie sich für mich, bitte.

 link  
 
nnier - Mittwoch, 28. August 2019, 14:45
Wem sagen Sie das, oder andere Lieder. Dieser Tage erscheint immerhin etwas Neues, das Album heißt Abbey Road und soll sehr gut sein.

 link  
 
kid37 - Donnerstag, 29. August 2019, 13:46
Wunderbar. Allein das Cover ist ja Anlaß allerlei mysteriöser Theorien und voller versteckter Hinwese. Dieser Murdoch z.B. achtet sehr auf "tiny, little details".

 link  
 
fidibus - Mittwoch, 28. August 2019, 11:39
Libelle & Co. raunen sich vor Ihrem Fenster ganz beseelt von den Abenteuerausflügen in Ihr Zauberreich zu: "Da gibt's eine Flimmerkiste, in der sich unheimliche Dinge zutragen. Und manchmal sieht man einen riesigen Menschen dort sitzen, der verschlungene Buchstabengebilde ins Internetz knüpft und bisweilen gutmütig mahnend 'Obacht!' ruft, wobei nicht ganz klar ist, ob er sich oder uns meint. Und wenn du Glück hast, knipst der Herr mit so einem komischen Apparat ein Erinnerungfoto, das dich berühmt macht. Hach."

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 28. August 2019, 13:19
Haha. Die Wahrheit ist, die war doch recht desinteressiert an mir und hat mich, kaum war sie weg, sicher vergessen. Vielleicht noch irgendwo zum Tanzen verabredet, man kann heutzutage ja nur hinterwinken. Aber besser vieleicht so als der Besuch von heute morgen. Die Spinne, die ich vom Boden aufhob, war nämlich keinesfalls tot von der Decke gefallen. Die Kraft reichte noch für einen überraschenden Kniff in den Daumen, das Luder.(Wäre Scully oder der Pathologin Julia Ogden in Murdoch nicht passiert - die fühlen ERST den Puls.)

 link  
 
frau eff - Mittwoch, 28. August 2019, 13:24
Hm, dachte ich mir, eine Detective Murdoch DVD-Box wäre vielleicht genau das Richtige für die kommenden zwei Wochen Ferien, wo wir doch auch Fahrrad fahren wollen. Aber Schock-schwere-Not: 166 Euro!
Ansonsten hatte ich ob des Bildes gehofft, dass die Serie "Mit toten Tieren durchs Jahr" endlich mal fortgesetzt würde. Aber nein. Hat noch Puls.

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 28. August 2019, 14:17
Ja, das ist selbst auf Staffeln umgerechnet nicht wenig. Jetzt kaufe ich die nach und nach staffelweise (für natürlich noch mehr Geld). Vielleicht ist auch irgendwann die Luft raus - bin erst in der fünften. Das ist schon alles sehr brav.

Wenn das so weitergeht, wie mit der toten Spinne, die gar nicht tot war, haben die bald den Spieß umgedreht. (Zum Glück sind wir hier nicht in Australien, ich bin sicher, die haben Spinnen, da fällt einem sofort der Arm ab, wenn man von denen gebissen wird.)

 link  
 
frau klugscheisser - Donnerstag, 29. August 2019, 23:42
Wenn ich was nicht verstehe, warte ich immer erst mal ein paar Kommentare ab. (Obacht!) Verstehe ich aber immer noch nicht.

 link  
 
kid37 - Freitag, 30. August 2019, 00:33
Ich habe hier einmal (möglicherweise auch zwei Mal) was über eine US-amerikanische TV-Serie über zwei Bundesagenten aus den 90ern, also 1990ern, geschrieben, die ich ganz gut leiden mag, wie man hier im Norden sagt. (Die gilt heute bei manchen popkulturellen Auskennern, die selbst maximal zweieinhalb Staffeln gesehen haben, aber als uncool.) Jedenfalls, Obacht jedenfalls, die beiden Serien haben so ihre Parallelen. Zum Beispiel bei der Romance:

1990er vs. 1890er

 link  
 
frau klugscheisser - Freitag, 30. August 2019, 01:29
!
Aha (obacht)

 link