Technik und Gerede



Derzeit packe ich kleine Ideen vorsichtig mit der Pinzette am winzigen Fellkragen und sortiere sie in die freien Mulden von alten Eierkartons. So kommt nichts weg und auch nichts dran. Vielleicht, so lautet eine davon, mache ich ein Magazin. Das wird heißen Technik und Gerede. Vielleicht auch Kultur, Technik & Gerede oder Kulturtechnik und Gerede ("Hiermit beantrage ich Titelschutz in allen Schreibweisen und Variationen"). Man soll da nicht gleich zu Anfang schon alles im Detail zerreden.

Darin geht es zunächst einmal um eine Art Archäologie - "of a past that never was". Vielleicht ein kleiner Essay über Knackser auf Schellackplatten. Oder über die Entfesselung einer statisch gebundenen Performanz von Musik durch den Durchbruch des Grammophons. So wie man heute kein Kino braucht, um einen Film auf dem Mobiltelefon zu sehen. "Spiritismus als vormodernes Speed-Dating" lautet mein erster Beitrag (mit Ektoplasma-Centerfold!). Von der Tonalität her alles - bei aller Schwere der Gedanken - im munteren Plauderton, das Magazin soll schließlich viele Cold-Brew-Coffeetable erreichen und von Menschen gelesen (und gekauft) werden, die sich auch sonst für Hifi-Klumpert und technisches Lebenstilgedöns interessieren. Sich aber auch fragen, was das alles bedeutet für ihr Leben und das der anderen. Im Entertainment-Teil werden nur Stummfilme vorgestellt und Lyrik des Expressionismus, aktuelle Trends in der Plattenkamerafotografie und Stars des Vaudeville.

Ich könnte mir aber auch vorstellen, ein Magazin zu machen, das hieße Affen & Elefanten. Vor ein paar Jahren sah ich auf einer Ausstellung ein brillantes Bild von Gabriel von Max, der vor hundert Jahren gutes Geld mit Gemälden heiliger Frauen, Märtyrerinnen und skeptischer Affen machte. Statt dieses Geld zu sparen, kaufte er, man muß sich die Gesichter vorstellen, obskures altes Zeugs, tote Tiere, Fossilien und Skelette und lebte voller Ekstase wie in einem Museum. Und anstatt mich als Erben einzusetzen, verfiel seine Villa am Starnberger See und soll abgerissen werden (dies ist vielleicht auch schon geschehen), die Sammlung blieb zum Glück erhalten. Von Max hätte ich jedenfalls gerne ein Titelbild für die erste Ausgabe.

Schön und detailreich ist auch der Elefant auf dem Cover (wunderbares Digipack zum Ausklappen, mit Fotos und Texten übrigens) des Albums "Kramuri" der Gebrüder Marx, die hier neulich so nett empfohlen wurden und - Zufall oder nicht - nur ein paar Buchstaben von Gabriel von Max verschoben sind. Die Lebensfreude in deren Texten ist angenehm reduziert ("Als ich das Licht der Welt erblickte/Verließen alle Engel Wien"), die Lieder beklagen den Verfall der Welt ("Mei Gschropp redt wie a Piefke/Und is in Wien geborn/Vü mehr kaunn gor net schiefgeh/I glaub i bin verlorn") und dissen wie in "Scheißnatur" die, äh, Natur ("Du bleda Paradeiser/Warum bist du nur rot?")

Es würde also mehr ein Naturmagazin über das Leben der Tiere und Gewächse, aber alles von unten betrachtet. Nächsten Monat dann Gründer-Gespräch, das muß man ja alles erstmal finanzieren. Mit ohne Geld.

>>> Geräusch des Tages: Gebrüder Marx, Scheissnatur

Ex Libris | 15:11h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
samojede - Sonntag, 18. August 2019, 18:31
- Will auch bei so 1 Magazin mitmachen (als Chefin), ist jawohl m e i n Bereich! Möchte aber von oben betrachten wie eine Krähe, die über den Dingen steht+ fliegt und in die Breite recherchieren, nicht Tiefe. Ist jawohl auch kein Zeichen für Tiefgründigkeit, meine Meinung! Mit dem Magazintitel bin ich nicht einverstanden.
- Gebrüder Marx...schwierig. Aber es ist besinnlicher Sonntag, da sollte nix & niemand bewertet werden
- Wünsch Ihnen einen schönen Monat, klingt ja alles nicht sooo leicht, aber ich sag immer: Wer weiß, dass man brillant ohne i nach l schreibt, geht seinen Weg 🍀

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kid37 - Montag, 19. August 2019, 00:52
Ich kann Sie nicht als Chefin einstellen, wenn Sie schon Titel und Ausrichtung umwerfen wollen, ehe es überhaupt losgeht. Aber ich könnte ein Interview mit Ihnen in der ersten Ausgabe veröffentlichen: "Gerede über Animal-Gedanken". Das wird Leser interessieren!
Bei den Marx-Brothers könnten sie mal das schwungvolle A.R.M. probieren. ("In jedem Frühling schläft ein Herbst")

Ich könnte mein Magazin auch Brillanz und Gerede nennen! Danke!

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fidibus - Montag, 19. August 2019, 00:06
Ein Magazin mit richtigen Gedichten?! Wo kann ich es abonnieren?

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kid37 - Montag, 19. August 2019, 00:55
Na, na. Nur Rezensionen. Also, wenn Georg Heym ein neues Buch veröffentlicht, dann wird es dort besprochen. Dazu Tipps, wie Wachswalzen für den Phonographen länger halten.

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fidibus - Montag, 19. August 2019, 01:42
Bitte - was? Nur Rezensionen? Also dieses sezierende wichtig-wichtig Geschwafel, welches der Lyrik jeden Zauber nimmt. Gehöre offensichtlich nicht zur Zielgruppe Ihrer Zeitschrift. Bin angemessen beleidigt.

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kid37 - Montag, 19. August 2019, 02:11
Ach was. Ein Kulturmagazin für Sonntagnachmittage. Ich könnte Sie mesmerisieren, dann sind Sie dabei.

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fidibus - Montag, 19. August 2019, 03:09
Äh. Lasse mich vielleicht doch lieber durch unterhaltsame Texte mesmerisieren. ;-)

(Ernsthaft: Eine Hypnose vor einigen Jahren war eine krasse Erfahrung. Im Ergebnis okay, muss ich aber nicht noch einmal haben.)

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kid37 - Montag, 19. August 2019, 23:09
Aha? Soso? Ich registriere eine gewisse Skepsis auf meinem selbstgebauten Tele-EEG. (Interessant. Das könnte doch ein Artikel in meinem neuen Magazin Hypnose & Gerede werden!)

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kid37 - Sonntag, 25. August 2019, 22:33
Vielleicht könnte ich Caitlin McCarthy dazu gewinnen, ihr Bild für das Ektoplasma-Centerfold zur Verfügung zu stellen.

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hr.fuenfprozentfrau - Montag, 26. August 2019, 13:16
Ist " Kulturtechnik zerredet" schon vergeben?

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kid37 - Montag, 26. August 2019, 16:02
Ich könnte mir einen schönen, kursorischen Beitrag für die erste Nummer vorstellen mit dem Titel "Zerreden als Kulturtechnik".

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