Eine Urlaubswoche rum, und was habe ich geschafft? Eine kleine Reise kurzfristig abgesagt, weil Berlin damit drohte, mir wie so oft kalten Regen ins Gesicht zu schlagen, und das kenne ich schon, das brauche ich nicht. Das wird so nichts, und ich habe da mittlerweile auch keine Geduld mehr für. Daheim allerdings läuft die Heizung auch nicht so, wie ich es kuschelig gewohnt bin. Ich fürchte, die Firma hat schon wieder gewechselt, und die neue kennt halt das diffizile, sensible, labyrinthisch gewachsene, mit zahlreichen unübersichtlichen warmen Armen durchs Gebäude mäandernde System nicht. DIE MASCHINE. Ich würde gern ein Sabbatical machen, etwas Heizungstechnik lernen und mich fortan nur noch dieser MASCHINE in einer symbiotischen Freundschaft widmen. Ich habe ein Faible für komplizierte Menschen Sachverhalte, das verleiht meinem eigenen schlichten Leben mehr Tiefe.
Wenig tiefenentspannt habe ich in meinem stattdessen angetretenen Kultururlaub die Memoiren von Cosey Fanni Tutti, bekannt von Throbbing Gristle, nach knapp einem Drittel zugeschlagen. Wenn man noch erfüllt ist von Viv Albertines großartigem Erinnerungsbuch (die Fortsetzung liegt hier noch), liegt die Latte natürlich auch hoch. Die Mitbegründerin der "Christel" hingegen, wie Industrielle zärtlich sagen, zeigt in Art Sex Music leider keinen rechten Zugriff auf ihren Stoff. Wo Albertine mit Witz und Reflektion spannende, berührende oder (selbst-)ironische Anekdoten einstreut, die sehr bildlich und immer wieder auch sehr grafisch sind und ein Verständnis verraten für das, was da gerade abgeht und welche Bedeutung es auf persönlicher und (musik-)historischer Ebene hat, leiert CFT in einem monotonen Listenton endlose Banalitäten herunter. Dann passierte dies, dann passierte das. Alles abstrakt, alles bloße Erwähnung, keine bildliche Beschreibung, kein foreshadowing, was das alles bedeuten oder andeuten könnte, keine Analyse auch, was ihr Selbstverständnis als Person und als Künstlerin eigentlich ist oder anfänglich eben noch nicht ist. Im Vergleich wirkt Viv Albertine wie eine brillant analysierende, reflektierte Karriereplanerin mit einem glasklaren Konzept über sich selbst und die Kunst, die sie machen will.
Als Forschungslektüre ist Art Sex Music leider auch wenig hilfreich, so fehlt dem Buch ein Personenregister. Kurz, ich bin von diesem Buch genervt. Manchen geht es ja mit der Musik von Throbbing Gristle so.
Positiv überrascht bin ich allerdings von We Are Gypsies Now. Danielle De Picciottos hübscher Bilderbuchbericht (ihre naiven, ornamentverzierten, zweidimensionalen Zeichnungen erinnern an Linolschnitte nd vor allem an die US-amerikanische Tradition der Legendenbilder) über Lebensentscheidungen, große und kleine Suchen und das Touren durch alle Welt ist kein happy-go-lucky-Hippie-Bericht, sondern eine teilweise erstaunlich offene und ehrliche Erlebniserzählung und Reflektion, die Erfahrungen von unterwegs immer wieder einzuordnen sucht. Stichwort: Künstlersozialkasse. Grundsympathisches Buch.
Sehr angetan bin ich seit einiger Zeit auch von der Arbeit Olga Neuwirths. Kennt ihr alle, ich weiß, aber ich habe eben lange unter einem Stein geschlafen. Die Grazer Komponistin hat sich regelmäßig mit dem Medium Film (u.a. mit David Lynchs Lost Highway) auseinandergesetzt, und ein Auszug ihrer Arbeiten gibt es in einer Doppel-DVD-Ausgabe. Die ersetzt natürlich nicht die teilweise für mehrere Monitore/Leinwände konzipierten Installationen/Screenings, aber je nun. Für trübe Tage, es regnet ja nicht mehr. Neben komplett eigenen Projekten oder solchen nach literarischen Texten (u.a. Leonora Carrington) gibt es auch Vertonungen von Stummfilmen oder Animationen der Brothers Quay zu sehen/zu hören. Reizvolle Klangexperimente für unbefangen naiv gebildete wie mich.
Kommen wir doch mal zu den Männern, die machen ja auch Kunst. L'Imbalsamatore (zum Glück mit englischen Untertiteln) vom Gomorrha- und Dogman-Regisseur Matteo Garrone ist ein hübsch fotografiertes Noir-Dreiecksdrama um einen kleinwüchsigen Tierpräparator mit Mafiaverbindungen und seiner unerfüllten Liebe zu seinem neuen schönen Assistenten, der sich wiederum in eine ebenso schöne Autowerkstattangestellte verknallt. Aufgestaute Leidenschaften, Eifersucht und ein grau-tristes Italien wie aus dem Vorstadtbilderbuch. Manchmal skurril, nicht ohne Humor, meist aber einfach nur traurig, vor allem, wenn man an die von Blödheit gekennzeichneten Lebensentscheidungen dieses bello ragazzo denkt. Super zum Sonntagskaffeeundkuchen.
Ansonsten habe ich für die Recherche zu meinem demnächst erscheinenden Debütroman Vom Schlafen in gepflegten Kleidern ein paar lose Knöpfe angenäht, viel geschlafen, um korrumpierende Erwerbsarbeit zu vergessen und rhythmische Haushaltsgymnastik (Wäsche, Böden, Fensterdichtung) betrieben, um in wohl präparierter Form zu bleiben. Nach dem Motto: Erst war dies, dann war das.
Auch auf die Gefahr hin, des subkulturellen Banausentums bezichtigt zu werden: Ich konnte mit dieser Art der Geräuscherzeugung (den Begriff "Musik" möchte ich dafür nicht strapazieren) eher wenig anfangen. Es ist damit wie mit irgendwelchen rostigen Skulpturen in öffentlichen Grünflächen. Deren Allgegenwart mag irgendwelchen kulturhistorischen Notwendigkeiten folgen, aber schöner wird ihr Anblick davon auch nicht.
(Rede mir meinen Job seit Jahren toll & wichtig. Warte sehnsüchtig auf den Tag, an dem ich es selbst glaube. So ein Sabbatical würde mich aber dermaßen unter Druck setzen, diese einmalige Chance zu nutzen, dass ich vermutlich vollkommen gelähmt auf dem Sofa versackte.)
Ein Ortswechsel ist bei so einer Auszeit wahrscheinlich das Entscheidende. Drücke die Daumen für Ihre Pläne!
(Hab mir ein Buchkaufverbot auferlegt. Für einen Roman oder ein anderes Werk von Ihnen würde das selbstverständlich nicht gelten.)
o einfach
o wichtig
o leicht
o ernst
o warm
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