Ich wage mich in die Stadt, esse keinen Kuchen, nehme später aber ein Buch zur Hand

Für einen armen Mann jedoch,
dem es daheim nicht gefällt,
gibt es ein ansprechenderes,
reicheres, strahlender beleuchtetes
und immer gastliches Haus: das Café.

(Albert Camus, Der glückliche Tod.)




Dabei hab' ich gar nix gemacht. Ich schwör! Monatelang Lange Zeit hing mein Theraband ganz unschuldig über der Türklinke (also ungefähr so, wie andere Leute dort zur Raumverschönerung Bortebänder oder Beutelchen mit Lavendel hängen haben). Jetzt war mir kurz nach Sport, fasse es nur einmal an - und gerissen war's. Wie so ein in der Küchenschublade vergessener, völlig verschrumpelter Gummiring. So viel Kraft habe ich schon, nur vom Schauen. Theraband.

Also dachte ich, mach doch einfach einen Stadtbummel zu deiner Kraftübung. Ein neues kaufen. Natürlich habe ich vergessen, daß da jetzt diese Buden sind. Es blinkt und dudelt und steht vor allem im Weg wie sonst nur die mobilen Betonklötze (saisonalbedingt rot-weiß eingehüllt), die entfesselte LKW im bösen Fall des Falles aufhalten sollen. Normal. Es sind Menschen in der Stadt, nicht alle freundlich, manche aber schon. Die Apothekerin lobt meine Brille, und schon sind wir in einem Gespräch - von Brillenträgerin zu Brillenträger - über Gleitsicht und Weitsicht und immer wieder über ihre Ansicht bezüglich meines Exemplars. Wie nett.

Im Café dann großes Gewühle und zu wenig Stühle: kein Platz zu bekommen. Eine kuchenlose Zeit! Und das vor Weihnachten. Enttäuscht kaufe ich ein Theraband.



Zuhause möchte ich weiterlesen in Viv Albertines Memoiren, die ich völlig vergessen habe vorzustellen. Genauso wie die CD von Bruit, auf die ich durch Herrn Fabe aufmerksam wurde. Die hört sich sehr schön an. Also wie ein röchelnder Elefant vielleicht mit Schnupfen oder ein Staubsauger, der gerade das untere Ende des Vorhangs erwischt hat, der vor der Sammlung mit den Boudoirgemälden oder den Fetischstiefeln hängt. Der Musiker ist Saxofonist und macht Geräusche. Auf Anhieb meine zweitliebste Platte dieses Jahr.

Viv Albertine ist eigentlich keine Musikerin, also im klassischen Sinn, hat ihr Leben lang aber viel schräges Zeug gemacht, nachdem sie nach dem Besuch eines Sex-Pistols-Konzerts beschlossen hatte, eben doch eine Musikerin zu sein, gemeinsam mit ihrem damaligem Freund Mick Jones, der gerade The Clash gegründet hatte, eine Gitarre kaufte, eine E-Gitarre, das ist nicht ganz unwichtig, und ohne so recht spielen zu können (als käme es darauf an, ihr Hippies!) bei den famosen Slits landete, deren Single Typical Girls (hier mit Budgie an den Drums) für die deutsche Ausgabe ihres Buches herangezogen wurde. "A Typical Girl", typisch deutscher Begriff. Das Lied meint das natürlich satirisch, und der Text hat - leider - nicht gelitten.

Viv Albertine, die ursprünglich, wie bemerkenswert viele coole Musikerinnen und Künstlerinnen ursprünglich aus Australien stammt, summt ihre Erinnerungen angenehm witzig, lakonisch, tongue-in-cheek und nie eitel daher. Dabei hat man schnell den Mund offen, mit wem die beispielsweise alles zur Schule gegangen ist, damals in den Prä-Punk-Jahren, oder sonst oder später kannte. Oder die alle sie.

Es gibt eine hübsche Folge der britischen TV-Reihe Carpool mit ihr, ich gucke das immer zur Entspannung. Ich glaube, die kann mit einer Hand ein Pferd halten und mit der anderen einen Kuchen backen. Aber die macht ja Musik, oder filmt (sie hat die Hauptrolle als Performancekünstlerin im großartigen "An Exhibition") oder macht Kunst. Und Kuchen, da habe ich einen ganz starken Verdacht und eines Tages, glaubt es mir, werde ich das herausfinden. Alles angenehm bodenständig. So wie ihr Musikunterricht.

Das Buch ist eine schöne Emanzipationsgeschichte, as it is, also auch so zu lesen, nicht nur als Erinnerungsmaschine an die Punk-Ära. Wie man aus einfachsten Verhältnissen kommt, suggeriert bekommt, daß man angeblich nichts könne und dann eben doch ganz schön viel kann. Weihnachtslieder macht sie auch.

>>> Geräusch des Tages: Bruit, Botanik

Ex Libris | 20:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
kid37 - Samstag, 16. Dezember 2017, 22:18
Offenherziger Talk in der British Library mit Viv Albertine.

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iii - Sonntag, 17. Dezember 2017, 20:56
Ginge es nach mir, würde man die Menschen nur noch einteilen und verschubladen in jene, die mit Fleiß & Freude gelernt haben eine Bierflasche mit dem Mund aufzumachen und die, die es nicht können. Denke, Frau Albertine kann das, vielleicht sogar mit dem Auge. (Es gibt noch eine Möglichkeit, aber die darf ich hier ja nicht nennen, sonst werde ich wieder gerügt, zurecht natürlich, immer zurecht - jede Offen♥igkeit hat Grenzen | sollte Grenzen haben.)

+ Was ist denn die erstliebste Platte des Jahres?

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kid37 - Sonntag, 17. Dezember 2017, 23:07


Wir sind hier ja unter uns, da kann ich es schon mal verraten. Das war live schon urschön (volles Ensemble, kein Computergedöns), ich mag's aber auch sehr auf dem Album (nur übers Cover muß man reden). Iris Electrum ist ein Jazzensemble aus Wien, u. a. mit der Sängerin von Schmieds Puls. Ich weiß aber nicht, ob die Bier trinken oder G'spritzten.

Ihren Kommentar übersetze ich für mich als "einfach Dinge auch einfach tun", also ohne Bohei und Gedöns. Menschlich eben, das ist ja ein großes Wort in diesen Tagen, und alles ohne Dekoschleife.

Es gibt ein kurzes Kapitel in Ms Albertines Buch, das sie einleitet mit, also wer ein Auge auf sie geworfen hätte oder sie irgendwann mal Daten möchte, sollte das vielleicht besser überspringen, um dann ganz offen eine etwas peinliche Anekdote zu erzählen, was dann aber auch schon wieder anrührt. Sie hätte damals ein Blog haben sollen.

Um den Bogen zu ganz oben zu schließen, kann ich ganz offen bekunden, daß meine Lieblingsübung mit dem Theraband "Toter Mann" ist.

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