Adrift



Es sind schon ein paar Minuten nach 12. Es bleiben einige wenige wertvolle Momente, Erinnerungen, kleine Dinge, die man festhält. Das Schweigen für wenigstens eine Minute. Die Traumpfade der eigenen Mythologie nachgehen, am Ende sagen, es ist schon gut, wie es ist. Jeder hält sich an sich selber fest.

In 20000 Days on Earth gibt es eine gruselige Szene, in der Nick Cave bei seinem Therapeuten erzählt, wie er als Kind gefährliche Abenteuer in Australien erlebt hat, vor dem heranrauschenden Zug von einer Brücke in den Fluß gesprungen sei. Und wie er es bedauere, daß seinen eigenen Kinder solche Abenteuer heutzutage verwehrt blieben. Und wie er an einer anderen Stelle erwähnt, daß sich Geschichten und das Leben nur im Nachhinein erschließen. So wie das schockierende Schicksal eines seiner Söhne, das er damals ja nicht erahnen konnte.

Was wir brauchen für das Ende der Welt ist ein Überlebenskit. Selbsterhaltende, autonome Systeme, das vorweggenommene Leben an einer Maschine.

Ende Oktober 2007, das ist meine allernächste Verbindung dazu, wollte ich ein Konzert besuchen im Pariser Bataclan. Es war aber schon ausverkauft und dann unternahm ich nicht einmal diese Reise, wie ich so vieles nicht unternommen hatte in diesem Jahr, weil mir einiges klar wurde, anderes aber ums Verrecken nicht. Wie man durch die eine Tür geht, nicht aber durch die andere und nie weiß, welche Bedeutung es hat.

So wie das Mädchen, das aus Paris erzählte, daß sie nur deshalb überlebte, weil sie sich gerade mit ihrem Freund zerstritten hatte und schon einmal hereingegangen war, um die Rechnung zu bezahlen, als draußen die Gäste beschossen wurden. So muß denn jeder Schritt, jede Entscheidung als richtig betrachtet werden.

Wenn sonst nichts weiter geschieht. Wenn man die Geschichte erzählen kann.

Homestory | 20:15h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
lorilo - Montag, 16. November 2015, 21:11
So muß denn jeder Schritt, jede Entscheidung als richtig betrachtet werden.

Sowieso. Selbst wenn sie in der Kneipe beschossen und er außerhalb nicht. Der Zufall, das Unwägbare ist das, was den Menschen am meisten fertig macht, dünkt mich. Dabei ist das die einzig übergreifende Konstante - somit mithin - tröstlich.

 link  
 
kid37 - Dienstag, 17. November 2015, 01:16
Rückwirkend, wenn man also die Geschichte kennt, weiß man ja immer erst, wie zufällig alles ineinandergreift. Millimeter-Zufälle, linke Tür, rechte Tür, bedrückend ist das schon.

 link  
 
ladys smock - Dienstag, 17. November 2015, 23:59
Wir haben 37 Jahre so überstanden. Wie alle alle unsere Vorfahren - sonst gäbe es uns nicht.
Wunderlich, nicht wahr?!
Und 2005 erst entdeckte ich Ihre Seite.

 link  
 
kid37 - Mittwoch, 18. November 2015, 00:14
Neulich habe ich an Sie gedacht (also wie eigentlich immer), und mir fiel ein: nächstes Jahr zehn Jahre!

 link  
 
ladys smock - Mittwoch, 18. November 2015, 09:27
Wieviele vermeintliche Tode wir in dieser Zeit schon überstanden haben !
Das wäre ein Anlass bald gemeinsam zu feiern, meinen Sie nicht auch? Ich könnte den Mai in Marburg anbieten :)

 link  
 
kid37 - Donnerstag, 19. November 2015, 00:53
Aber ehrlich. Ich für meinen Teil kann ja nur sagen, Kummer schwimmt bekanntlich oben. Und Mai? Um diese Zeit bin ich doch meist in Wien, nicht daß wir uns verpassen!

 link  
 
iii - Freitag, 20. November 2015, 21:01
Also ich wollte hier gestern schon kommentieren, aber da ging es nicht wegen entweder war ich gesperrt oder ich hatte das Passwort falsch (unwahrscheinlich!); jetzt habe ich keine Lust mehr das alles nochmal in die Tastatur zu hämmern, auch, wenn es natürlich sehr wichtige Aspekte waren. Ich fasse es in kurz zusammen:
I like Paris. I luv² Dylan. Und es wird zuviel erzählt.

 link  
 
kid37 - Freitag, 20. November 2015, 21:47
Gesperrt? Das wäre ja absurd! Manchmal muß man hier sein Paßwort iii-mal eingeben, zum Glück aber nicht 37 mal. Aber jetzt hat es ja funktioniert, und wie es beim Geschichtenerzählen so ist, möglicherweise viel konziser und stringenter und auf eine große, bedeutende Pointe zugespitzt. Ich war als junger Mann in Paris und gerne sogar. Damals träumte man dort noch von der Liebe.

 link  
 
iii - Samstag, 21. November 2015, 16:28
Ich habs ja Jahre nicht probiert, hier zu kommentieren, da weiß man am Ende nicht mehr, wo es verrammelt & verriegelt ist. Janun. Jetzt hat es übrigens beim 1.(!) Mal geklappt.
Wie auch immer, schön, dass wir nun auch das geklärt haben. *bussilinksrechtslinksundregenbogenamhimmelindeneineweißetaubefliegt*

Ich war dieses Jahr in Paris und hab von ♥Dylan♥ geträumt.

 link  
 
schneck - Samstag, 21. November 2015, 19:59
Oder wie diese Raucher, die nur überlebten, weil sie rauchten in den ersten zwei Waggons damals im ICE vor Hannover. Man kann sich dem Ganzen nur hingeben, mehr geht nicht, und dann kann man sich ja auch wieder aufgehoben fühlen darin in diesem kosmischen Chaos der Schmetterlingsflügelschläge, zumal man ja oft gar nicht weiss, wie oft man überlebt hat, anstatt das Gegenteil zu tun, unsere Rückspiegel reichen nicht so weit. /Sie sehen, ich komm' ins Plaudern bei dem Thema... : )

 link  
 
kid37 - Sonntag, 22. November 2015, 01:09
Oft wissen wir es nicht und werden es nie erfahren. Und dann gibt es die Leute, die fest an parallel existierende Universen glauben, in denen alle Varianten durchgespielt werden. Interessant - oder bedrückend, je nachdem. Es gibt bestimmt eins, da bin ich ein kleiner dicker Mann mit sieben Kindern. Oder habe wenigstens einen Swimming-Pool.

 link