Merz/Bow, #45



Jahresendausfegen. Letzte Kleinreparaturen, kleine letzte Besorgungen, überhaupt, alles klein halten. Dabei eine kleine Pechsträhne entlangrutschen: die Schuhe, die ich zum Besohlen gebracht habe, sind anschließend kaputt. (Ich glaube, ich habe aber noch ein Paar. Oder drei.) Auf der Post, bei der ich zwei Paketsendungen abholen möchte, ist eines nicht auffindbar. Weg. Alles weg. Der neue Rasierpinsel gefällt mir nicht. Die Jacke, die ich mir zwei, drei Tage zu lange habe zurücklegen lassen, ist verkauft. (Ich glaube, ich habe aber noch eine. Oder drei.) Der Drucker, der bunt und schön kann, aber auh nicht so richtig, ist ausgefallen. (Wenn ich überlege, daß der alte HP Deskjet, also früher, jahrelang klaglos seinen beschränkten, dafür aber verläßlichen Dienst vollzogen hat.) Keinen Urlaub auch nicht, dafür Hunger.

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Dazu Bereitschaftsdienst. In der Mittagspause am Freitag lese ich kurz durch die Weihnachtsausgaben der Zeitungen. Der Herr Stadelmaier hatte Kolumnendienst und möglicherweise schon deshalb schlechte Laune. Herr Stadelmaier gilt als Deutschlands profiliertester Theaterkritiker, ein sensibler Mann mit breitem Wissen. Nicht so beim Film und dessen Rezeptionskonventionen. Stellen wir also klar: Gespoilert wird nicht. Auch wenn 99 Leute den Mörder kennen, es könnte einer unter Hundert sein, der ihn (oder sie) noch nicht kennt und dem man völlig unnötig den Spaß verdirbt. Das gilt auch für Genrestücke wie Agatha Christies "Die Mausefalle".

Beim klassischen Theater ist der Stoff meist gut tradiert, jeder kennt das Ende von "Romeo & Julia". Und nein, ich verrate es nicht. Aber gemeinhin enden Tragödien so und Komödien eben anders. Letztere mit einer Hochzeit, erste mit dem Tod. Weil das bekannt ist, interessiert beim Theater in aller Regel die Inszenierung. Niemand sagt: Wow, tolle Handlung. Und am Ende, stell dir vor, war's in Wahrheit die Lady MacBeth! Man sagt: Berührende Inszenierung, ergreifend, aufwühlend, beschwingt oder auch kühl, spröde, von allen guten Geistern verlassen. Oder sogar: einfallslos.

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Zurück zum Film. Stadelmaier, der allen Ernstes Inspector Barnaby zu den "bedeutenderen Kriminalkunstwerken" zählt, zeigt dafür nicht viel Ahnung von Hitchcock. Verriete man den Täter, so der Großkritiker, "könnte man zum Beispiel die großen Filme des großen Hitchcock, wenn man sie einmal gesehen hat, ja nie mehr sehen – weil man dann längst wüsste, wer’s jeweils war." Also mit Verlaub. Als wäre Hitchcock für Who dunnits bekannt. Es sind Thriller, spannend, weil sich dort ein Unschuldiger in einer ausweglosen Situation befindet, als Mordverdächtiger gejagt wird oder selbst einen Mörder jagt. Man weiß bei Frenzy, wer der Krawattenmörder ist, man wird Zeuge bei der mörderischen Verabredung bei Der Fremde im Zug. Überhaupt basiert die Spannung darauf, daß man als Zuschauer immer ein bißchen mehr weiß als der in Gefahr befindliche Held. Das Wie ist das Interessante, nicht das Wer.

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Apropos. Hübscher Tokioter Laden, bei dem man vor lauter Wie, das Was kaum sieht. (via Esther)

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Ich sortiere ein wenig rum, Bücher, Filme, Musik. Lee Ranaldos neues Album, Kim Gordons neues Album. Sehr stoische, unmoderne Alben. Gordon auf der manchmal etwas ratlosen Suche nach einer anderen Art ovn Krach, Ranaldo eher der Erzähler. Immerhin dürfen anders als beim Debüt die Gitarren wieder hübsch quersägen und hin- und herschringern.

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Bruce Davidson hat Ende der 50er jugendliche Gangs in New York (das ist eine Stadt in den USA) fotografiert. Coney Island Rocker und Rumlungerer. Wirkt sehr modern. Eine Jugend ohne Smartphones und couldn't care less-Attitüde.

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Bei mir auch. Die Fenster sind immer noch nicht geputzt.

MerzBow | 16:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
gaga - Samstag, 28. Dezember 2013, 17:37
Die Coney Island Rocker sehen alle aus wie James Dean. Hat wahrscheinlich auch noch vier Jahre nach seinem Tod Spuren hinterlassen.

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kid37 - Samstag, 28. Dezember 2013, 21:01
Ich behaupte sogar, auch James Dean hat seine Fenster nicht geputzt.

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gaga - Sonntag, 29. Dezember 2013, 00:14
"Da er wegen seiner starken Kurzsichtigkeit stets eine Brille benötigte, trug er auch bei den Basketballspielen immer eine Sportbrille."

Ich finde, das kann als Entschuldigung durchgehen. Wenn man Fenster putzt, spritzt es ja auch immer ein bißchen. Mit den Tropfen auf den Brillengläsern sieht man dann wieder nicht richtig, so wird das einfach nichts. Das können andere besser. Er hatte dafür andere Talente. Deswegen hat er ja auch, wo er schon zwei Jahre tot war, 1957 den Goldenen Bravo-Otto gekriegt. Das soll erst mal einer nachmachen!

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kid37 - Sonntag, 29. Dezember 2013, 03:05
Auch als Kurzsichtiger kann man Erfolg haben. Ich weiß das.

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gaga - Sonntag, 29. Dezember 2013, 17:50
Wobei ich mir beim Studieren der Szene nicht sicher bin, ob Kurzsichtigkeit zusätzlich das Rhythmusgefühl beeinträchtigt. Dass der kleine Sam bei seiner Brieffreundin Suzy trotzdem so erfolgreich war, lag sicher an der altersbedingten Neugier von Suzy. Und an der Spitzenmusik.

Und äh - an seinem tollen Schreibstil. Und seinem guten Charakter!

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kid37 - Sonntag, 29. Dezember 2013, 22:34
Und an seiner vorausschauenden Vorratshaltung! (Werden Sie sehen, wenn Sie den Film schauen.) Da bleibt keine Frau unergriffen.

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gaga - Sonntag, 29. Dezember 2013, 23:39
"un-er-griffen"

So so. Verstehe.

Wenn jetzt nur noch ein Filmtheater in Berlin gebaut werden würde, das den Film aufführt, könnte ich meine psychoanalytischen Schlussfolgerungen demnächst noch qualifizierter darlegen! Aber ich will nicht klagen - so habe ich immerhin schon einen ersten kleinen Plan für das Jahr 2014!

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kid37 - Montag, 30. Dezember 2013, 22:50
Vielleicht könnte ich Sie 2014 mit meiner Pfadfinderausrüstung und kleinen umständlichen Orts- und Richtungsbeschreibungen zu einem Kino lotsen, wo ich Sie dann mit Kleid und Kniestrümpfen treffe. (In Kostüm müssen wir keinen Eintritt zahlen.)

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gaga - Montag, 30. Dezember 2013, 23:19
Das klingt sehr vernünftig!
Ich spare doch so gern!

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novesia - Sonntag, 29. Dezember 2013, 16:51
* (und nachträglich spacelametta zum 10jährigen!)

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kid37 - Sonntag, 29. Dezember 2013, 22:31
Rock, aber auch Roll!

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burnster - Sonntag, 29. Dezember 2013, 19:56
Ach Kimsi. Als (Beinahe)Solokünstlerin weiß weder ich noch sie selbst was mit sich anzufangen. Aber kann ja noch werden, Trennungen hinterlassen ja nicht nur Spuren sondern oft auch komische Alben. Da bläst Ranaldo schon eher in mein Horn. Oh, das klingt jetzt komisch.
Guten Rutsch!
(und irgendwie klingt auch das jetzt komisch)

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kid37 - Sonntag, 29. Dezember 2013, 22:33
Ja, das ist noch sehr die Such-, Finde- und Selbstbestätigungsphase. Das wird schon noch. Ranaldo hlt sich bedeckt und putzt gemütlich seine Stiefel.

Genau, guten Rutsch!

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sid - Sonntag, 29. Dezember 2013, 20:51
Meine Fenster sind mittlerweile geputzt - allerdings sollte ich mal bei Tageslicht betrachten, was ich weit nach Mitternacht gemacht hab.

Barnaby und Lewis find ich beide nicht schlecht, würde sie aber nun nicht mit Hitchcock vergleichen.
Zudem kann das erwähnte Who dunnits kein Grund sein, sonst gäbe es ja nicht derart viele Columbo-Folgen (weit über 50), die ja auch auf manchen Sendern quasi im Dauerlauf über den Bildschrim flimmern.

Was Ihre Verluste angeht, besser zu Jahresende und dann neu begonnen, als andersrum - auch wenn das kein Trost ist.
Ich glaube dennoch fest daran, daß Sie sowohl eine neue Jacke, als auch Schuhe und einen besseren Drucker im nächsten Jahr finden werden. Soweit meine Jahreswünsche für Sie : )
Neben sehr viel Gesundheit und andrem Glück - versteh sich.

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kid37 - Sonntag, 29. Dezember 2013, 22:30
Nacktputzen Nachtputzen ist super! Da gibt es am anderen Tag wirklich oft Überraschungen wie sonst nur am Weihnachtsmorgen. Bei den Fenstern mache ich das auch schon mal. Heute aber lieber den Druckkopf ausgebaut und in Isoprop eingeweicht. Mal sehen, vielleicht ist ihm noch zu helfen.

Das ist ja Stadelmaiers These, daß die Auflösung egal sei. So gesehen ja - aber doch bitte trotzdem nicht verraten. In "Die Mausefalle" gehe ich jetzt jedenfalls nicht mehr. Columbo wäre jedenfalls das bessere Beispiel statt Hitchcock gewesen. Gestern daraufhin quasi aus Trotz gesehen: Der unsichtbare Dritte. Man versteht, wieso der immer noch die Schablone für viele moderne Actionthriller ist.

Ich wünsche Ihnen auch was. Schuhe, gedruckt und gedrückt werden und alle anderen guten Dinge!

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maphisti - Sonntag, 29. Dezember 2013, 22:52
"... zum traurigen Jadehasen" macht mich etwas traurig und passt doch wirklich gar nicht zu Ihnen! Warum nicht: "... zum fröhlichen Fensterputzer"? Na ja, in diesem Zusammenhang mag ich noch nicht "Guten Rutsch!" wünschen.

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d.martini - Montag, 30. Dezember 2013, 12:45
Vampire, Mondaufgang und Jadehasen...
wenn wir jetzt schon am ENDE sind ( des Jahres :)) ) noch ein Gemütskracher von mir :

http://www.youtube.com/watch?v=qjUafiO7UGE

Daniel Darc 28.02.2013 R.I.P sehr schade...

...aber schöne Homage an ALLE

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kid37 - Montag, 30. Dezember 2013, 22:48
Ein Fensterputzer machte hier *platsch* beim Rutschen - und dann ist der Jadehase erst recht traurig.

Sieh an, der Herr Darc. Dieses Jahr, ist mir ganz entgangen. Sollte eigentlich nicht passieren, hier im Aufzug zum Schafott-Café.

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sid - Donnerstag, 2. Januar 2014, 00:27
@kid
Vielen Dank - reiht sich ganz vorne in meine Bestenliste der für 2014 bekommenen Wünsche ein : )

Der unsichtbare Dritte gehört zu meinen "all time" Favoriten. Das ist für mich quasi der Vorläufer zu James Bond (insofern auch, da ich James Bond erst später so richtig wahrgenommen habe, aber diesen Hitchcock durfte ich mit meiner Oma schauen. Auch deswegen so geschätzt).

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