Bastelzeit



Heute morgen zu vorchristlicher Zeit, ich war traumlandschaftlich noch auf der Weihnachtsfeier unterwegs, spürte noch einmal der Situation nach, in der erwachsene Menschen um kindische Dinge "wichteln", als mich zwei junge Schweden aus dem Dämmerschlaf klingelten, mir keuchend Metallbauteile in die obere Etage zu hieven. Ich mußte nämlich letzter Tage links eine für mich gewagte Expedition in den Baumarkt und zum Möbelhaus gleich nebenan unternehmen, eine Frontblende und einen Griff für den neuen Kühlschrank erstehen. Und dann Sachen, wenn man schon mal da ist, die man eigentlich nicht braucht, aber es soll sich ja lohnen, Sachen, von denen man an der Kasse denkt, interessant, da addiert sich ganz schön was auf.

Dafür wurde ich nett beraten von einer Frau Wegschmelza, die offenbar sehr fröhlich aus Schweden kam und aussah, als könne sie Apfelkuchen backen. Zwischendurch geriet ich auch an einen Herrn Muffel, aber mit Ausdauer und Demutsgesten verwickelte ich ihn schließlich in ein Frage-und-Antwort-Spiel und fast wären wir am Ende Freunde geworden, hätte ich mich nicht bereits innerlich der netten Frau Wegschmelza versprochen.

Heute also Metallbaukastengeschraube, es hat ja eine besondere Befriedigung, wenn man nur mit einem archaischen Faustkeil Imbusschlüssel Sachen zusammenbaut, die am Ende Sinnzusammenhang und Nutzwert ergeben. Und so schwer ist das nicht, steht ja alles in der Anleitung. Dort aber auch Frechheiten. So rät der Möbelriese Singles vom Werken ab. Sie sind einfach in den Anleitungen gestrichen, offenbar soll man alleine keine Bretter zu Barrikaden schichten. Möglicherweise bahnt sich hier das nächste Skandalthema der Empörungsgesellschaft an. Also, sobald sich der derzeitige Straßenkrawall in der Stadt gelegt hat.

Da hat sich nämlich ganz schön was zusammengebaut, und ich möchte das nicht schön oder auch nur gelungen nennen. Statt sich gegenseitig zur Hand zu gehen und Türen beim Scharnierausrichten zu halten oder Seitenholme beim Verschrauben, stehen die Gruppen wie verfinsterte Singles gegeneinander und bauen anleitungsfern Gebilde in den Straßen, die sich als Pappkartons entpuppen oder kloppen gleich alles kaputt. Am schlimmsten hat es laut Spiegel-Online-Forum allerdings die getroffen, die "am verkaufsoffenen Samstag" (NDR Info) nicht ungestört zum Shoppen kamen. Eine Art Lampedusa-to-go für Speckgürteltouristen, Entbehrungsterror gegen brave Bürger. Ich hingegen habe jetzt am Kühlschrank alles am Griff, nur die Frontblende fehlt noch. "Du hast da Glück", mein Väterchen Kid. "Du wirst bei solchen Sachen nicht gedrängt." Ja, sage ich. Das habe ich mir schön zurechtgebastelt.

Homestory | 04:14h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
nnier - Sonntag, 22. Dezember 2013, 09:50
Man darf diese Möbel zusammenbauen, das haben die Mitbewerber viel zu spät kapiert: Kostenersparnis plus Bastelstunde gratis. Natürlich kann es einen grausen, wenn man die wackligen Verbindungen sieht, den Blendkram durchschaut: Aber da gibt es auch diese befriedigenden Momente, wenn man die Anleitung begreift und die Teile zueinanderfinden. PAX baue ich inzwischen mit geschlossenen Augen auf und weiß, dass es einen subtilen, aber entscheidenden Unterschied zwischen Boden- und Deckelplatte gibt, den man nicht verstehen, sondern einfach akzeptieren muss. Wenn man ihn dann in einem - abgemessen! - knapp ausreichend hohen Raum liegend aufgebaut hat, kommt man endlich mal wieder dazu, in Ruhe über Pythagoras nachzudenken. Und darf gleich noch mal aufbauen, diesmal stehend, und dann begreift man auch das durchgestrichene Singlemännchen.

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kid37 - Sonntag, 22. Dezember 2013, 13:20
Barrikade Pax. Das wäre mal ein Bausatz. Und dann nicht im engen Schlafzimmer, sondern im fröhlichen Miteinander mit vielen anderen auf der Straße. Damit es auch hält und keiner verletzt wird. Vielleicht auf Kommando: Imbusschlüssel frei! - und dann wird losgeschraubt.

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kid37 - Sonntag, 22. Dezember 2013, 13:40
Ach so: Ich habe mich sozusagen unter notarieller Aufsicht vom ordnungsgemäßen Zustand des Objets du désir überzeugt. Alles Metall, keine augentäuschenden Frontblenden hinter denen sich Billigstscharniere verstecken (was einem allerdings auch im Hochpreissegment passieren kann, moderne Schränke sind, finde ich, generell ein Horror). Schrauben, Fächerscheiben, Metall = fest. Die werden das nicht lange im Programm haben.

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montez - Sonntag, 22. Dezember 2013, 11:50
Passen Sie bloß auf, dass Sie nicht zwischen die Fronten verfinsterter Shopper geraten. Diesen Hamburg wird ja zunehmend zu einem gefährlichen Pflaster (was haben die bloß?). Lieber drin bleiben und besinnlich Zeug zusammenbauen.

Ich denke immer mal in Anflügen unangebrachten Hochmuts, ich kann das, genau, im Schlaf, ohne die diskriminierende Betriebsunterlage Handlungsanweisung montieren, und am Ende hab ich dann lauter Sachen übrig. Sowas passiert Ihnen bestimmt nicht. Ist auch stabiler. Für die Ewigkeit sozusagen.

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kid37 - Sonntag, 22. Dezember 2013, 13:24
Im Herzen Frau Wehschmelza, baue ich alles, was ich baue für immer. Ich mag ja strukturiertes Vorgehen, räume aber ein, diesmal eines dieser Metallstreben auf der Hälfte des Weges noch mal andersherum eingeschraubt haben zu müssen. (eingeschraubt haben zu müssen - ist das noch eine Sprache?) Aber nur aus optischen Gründen. Wie ich immer sage, auch ein schwacher Arm kann Halt bieten.

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montez - Sonntag, 22. Dezember 2013, 17:02
Meine Rede, mein Herr.

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hora sexta - Sonntag, 22. Dezember 2013, 11:59
Sie kennen sicherlich die Hybridanwendung. Für den wütenden Bleikristallterrier in Ihnen.

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kid37 - Sonntag, 22. Dezember 2013, 13:26
Ah, verstehe! Das sieht nicht so kompliziert aus. Ich habe gar nicht geschaut, ob die noch das Erzbischofsbesteck im Angebot haben.

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herzbruch - Sonntag, 22. Dezember 2013, 12:28
ich teile die pax-aufbaugeschichte (liegend und allein) mit herrn nnier. damals, als man im studium dachte "single und frau? kein problem, ich kann das trotzdem." das hat mich allerdings - und vielleicht beruhigt sie das im hinblick auf ihren beziehungsstatus - gelehrt, dass es durchaus möglich ist, auch 2,40m hohe pressspanmöbel alleine aufzubauen, und mir schien, dass das als 2m-mann noch viel einfacher gehen sollte. somit werden auch in dieser ehe möbel konsequent alleine aufgebaut, allerdings nicht mehr von mir, sondern vom mann. für sie würde sich also gar nix ändern. in der hinsicht.

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kid37 - Sonntag, 22. Dezember 2013, 13:35
Ich habe da ja keine Ahnung und muß mich vom ehekompetenteren Väterchen Kid (er liegt 2:0 in Führung) belehren lassen. Mein entspannungsfördernder Plan, die nicht komplizierte, gleichwohl etwas frickelige Sache mit der Frontblende (ich müßte ja auch den Akkuschrauber aufladen) auf nächstes Jahr zu verschieben. Da drängt mich ja keiner! Bossiness kann den liebsten Menschen zum Problem werden, auch der Herr Burton, Tim und Gattin Bonham Carter, Helena können ein Lied davon singen und leben nun in benachbarten Wohnungen. Ich jedenfalls habe das gestern jedenfalls ganz gut geschafft und weder Glück noch Glas zerbrochen.

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herzbruch - Sonntag, 22. Dezember 2013, 14:25
somit sind sie vollumfänglich ehetauglich. verschieben ist ja das geheimkonzept so manchen ehemannes, und so kommt es zb, dass ich in monat 13 nach umzug zwar 4 meter (vom umzugsunternehmen) aufgebauten schrank habe, allerdings ohne türen, da die an der längswand des schlafzimmers lehnen, wodurch man die kommode mitten im raum stehen haben muss, wodurch keine lampe angebracht werden konnte. und was soll ich sagen? mein mann ist auch sehr entspannt. und das kann nicht daran liegen, dass ich ihn nicht dränge.

das mit den getrennten wohnungen ist ein hier für die zukunft durchaus angedachter plan. nicht umsonst sind wir in ein haus gezogen, in dessen nachbarschaft alle über 90 sind.

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hora sexta - Sonntag, 22. Dezember 2013, 15:11
Aber die Kommode MUSS doch mitten in den Raum, damit man eine Lampe anbringen kann?

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herzbruch - Sonntag, 22. Dezember 2013, 20:37
mein mann meint nicht... ach egal, ehe ist ein geben und nehmen.

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akrabke - Sonntag, 22. Dezember 2013, 14:03
"Schwules Paar freut sich über einen Stapel Bretter."
Allein geht das ja nicht.

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kid37 - Sonntag, 22. Dezember 2013, 14:06
Latten! Frau Krabke. Latten. Würde jetzt dieser berühmte, stadionfüllende sogenannte Komiker sagen.

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akrabke - Sonntag, 22. Dezember 2013, 14:09
Da hätten zwei auch gereicht.

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kid37 - Sonntag, 22. Dezember 2013, 14:04
Hier z. B. sieht man, daß man sich ohne Anleitung schnell verheddern kann. Das gehört doch ganz bestimmt nicht so.

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nnier - Sonntag, 22. Dezember 2013, 14:08
Das ist ein traditioneller Wettkampf, Team A baut ohne Anleitung, Team B ohne Werkzeug.

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akrabke - Sonntag, 22. Dezember 2013, 14:08
Nach dem Satzende immer eine Leerstelle.

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kid37 - Montag, 23. Dezember 2013, 16:39
Der Mut zur Lücke fehlte.

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gaga - Sonntag, 22. Dezember 2013, 16:28
"17 mal Zuspruch"

ich kann ja leider Gottes anhand der Pseudonyme nicht identifizieren, ob es sich überwiegend um potenzielle Gattinen handelt, die Zuspruch geben. Es ist freilich nie verkehrt, wenn der Mann im Haus nicht weniger geschickt in diesen Dingen ist, als man selber (muss wieder in die Küche, die eine Gummidichtung vom Syphon gefällt mir gar nicht, und der Hauptabflussstrang scheint doch nur mit der Spirale in Bewegung zu kommen. Wenigstens die Spülmaschine endlich abgeklemmt, wird hier nicht gebraucht, immerhin kein Rückstau mehr in die Wassertasche... Verstopfung im Hauptrohr lokalisert - Spirale ist leider nicht hier vor Ort, sondern wahrscheinlich in meinem anderen Kabuff in Neukölln - - - blöd! Muss mich zwecks Entspannung mit Kommentar 18 ablenken).

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maphisti - Sonntag, 22. Dezember 2013, 18:13
Oje.oje, wo ist da die Besinnlichkeit? Besinnt Euch doch ein bisschen! "Es ist für uns eine Zeit angekommen ..." Erinnert Ihr Euch? Lasst doch einfach Bretter Bretter sein! Gab es da noch was ..!?

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kid37 - Montag, 23. Dezember 2013, 16:40
Frau Gaga, auf Sie ist Verlaß. Dichtung ist einfach Ihr Ding!

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gaga - Montag, 23. Dezember 2013, 21:52
Herrgott ja, erhebende Dichtung liegt mir am Herzen.
[ Siphon [ˈziːfɔ̃, ziˈfɔ̃ː, ziˈfoːn] (von griech. σίφων [ˈsipʰɔːn] „Heber“ ]

Was wäre die besinnliche Zeit demzufolge ohne ein besonderes Augenmerk auf die Kunst der Dichtung. Ich sehe mich da unbedingt in nahtloser Tradition mit Trakl, Heym und Stadler.

"(...) So schaut der Dichter, wo er weilen mag,
Die ewge Schönheit. Ihm erglänzt der Tag,
Und dämmert hin die Nacht, und rauscht das Meer,
Und zieht der abertausend Sterne Heer
Stets neuer Wunder, neuer Schönheit schwer."

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kid37 - Montag, 23. Dezember 2013, 22:39
Willkommen im Neopathetischen Cabaret. Was gibt es schöneres als ein paar heiser gereimte Klagen am Weihnachtsabend?

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gaga - Montag, 23. Dezember 2013, 23:33
"(...) rührt her aus dem Neopathetischen Cabaret, das wiederum ursprünglich eine Veranstaltung des Neuen Clubs gewesen ist, den Gaga Nielsens Groß0nkel Kurt Hiller 1909 nahe dem Hackeschen Markt in Berlin gegründet hatte, wohin es auch die Großnichte, von magischer Kraft getrieben, neunzig Jahre später zog. Der Neue Club bedeutete den Beginn des Expressionismus, in dem sich zum ersten Mal späterhin so berühmt gewordene Dichter wie Georg Heym, Ernst Blass und Jakob van Hoddis zu Wort meldeten."

Wahnsinnig interessant, der Wikipedia-Eintrag!
Man möchte es gleichtun und sich ebenfalls zu Wort melden!

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kid37 - Montag, 23. Dezember 2013, 23:51
So hängt alles mit allem zusammen. Sage noch mal einer, ein Blog habe keinen kulturellen Wert.

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cut - Dienstag, 24. Dezember 2013, 00:55
Total OT (Entschuldigung)
Wenn ich mich nicht täusche, ist die Jade durch die "Fee der Warnung vor Illusionen" aus dem "Wahnreich der Leere" in die Welt gekommen. Und nur, weil sich der dortige Diener der heiligen Jade nach dem dem irdischen Leben sehnte, stieg er zur Erde hinab. Mit fatalen Konsequenzen:

Sein wird Schein, und Schein wird Sein,
Eins wird Keins, und Keins wird Eins.

Alles sehr kompliziert. Und die lange Geschichte habe ich vor zwanzig Jahren gelesen. Daher bin ich unsicher, ob meine Erinnerung daran auch stimmt. Habe das Buch aber gerade wieder rausgesucht. Muss dringend noch zwei oder drei weitere Sachen klären. Hilft ja alles nix. Das wird allerdings ein paar Monate dauern. Aber vielleicht habe ich Glück. Dann hilft mir die "Fee des schreckhaften Erwachens" und es geht schneller.

Der traurige Jadehase ist daran natürlich schuld!

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kid37 - Dienstag, 24. Dezember 2013, 01:40
Interessant, ganz wie ein Orakel zum Jahreswechsel. Mal angenommen dieses Blog sei mehr Schein als Sein, dann wird es jetzt also sein. Mit diesem Schein. Ich denke morgen beim Baumschmücken darüber nach.

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