Should I crawl defeated and gifted?
Should I go the length of a river?
Oh, I'm pissing in a river.
(Patti Smith, "Pissing In A River")
Auf diesem Bild hat Herr Kid einen Arzt versteckt. Könnt ihr ihn finden?
Am Samstag mal Anflug von Sommer in der Stadt, eine schnelle, schwitzige Runde auf dem Rad, dann aber los zum Familienausflug in den Stadtpark. Die "Großmutter des Punk", wie sie mittlerweile genannt wird in einer leicht frechen Verschiebung von Godmother zu Grandmother, spielt dort. Und zwar pünktlich. Ich bin leicht spät dran, weil ich vorher noch schnell wohin mußte und dabei - irgendwie verfolgt mich das gerade - von einem jungen Mann, zurecht aber diesmal, ermahnt wurde. Wißt ihr das auch, too much information, ich weiß.
Frau Smith spielte bereits "Ask The Angels", bemerkte aber kurz darauf zwischen zwei Liedern, daß sie Adleraugen besäße und alle genau erkennen könne, auch wenn einer grad "taking a piss" wär. Na toll, das hat gesessen, und ich will auch gar keine höheren Umstände anmelden. Könnte ich aber!
Wie um mich zu foppen, gab es später eine ganz großartige Version von Pissing In A River, einer von Smiths schönsten Songs. Man ist ja schon ergriffen, wenn die Anfangsakkorde auf dem Klavier durch das Stadtparkrund klingen, sich durch die Hecken und Bäume winden und alles einweben, dieses so ganz geradeaus gewundene Liebeslied, die unverhohlene und eindeutige Hingabe. Um beim Thema zu bleiben: Piss Factory hat sie aber nicht gespielt und nun ist auch schon gut damit. Meine Güte.
You bore me already, Baby. - No, no - just joking. You are one of the most exciting persons I've met in my life.
Erst dachte ich, Mensch, die spielt ja schon am Anfang alle Hits. Bis mir einfiel, daß sie ja auch kaum andere Stücke hat. 35 Jahre Hochkraftrock, auch die Stücke vom letzten Album fügen sich ein mit Feedback und Energie. Bei Patti Smith herrscht immer auch eine gesellige Familienparty. Sie wandert herum, spricht mit dem Publikum, nutzt eine Verschnaufpause, als die Band um Lenny Kaye alte Rock'n'Roll-Kracher zu einem Medley mischt, und läuft raus zu den Leuten weit links und rechts der Bühne. Mich würde auch nicht wundern, wenn sie zwischendurch belegte Stullen und Würstchen vom Grill reichen würde. Ein vorlauter Schreihals wird von ihr lachend aufgezogen, das ist alles ein friedlicher "Ghost Dance" hier. Ein in Hamburg weltberühmter Regisseur macht eifrig Fotos, ein bekannter Punkrockschlagzeuger bewegt im Takt den Kopf, während die Smith in "Banga" (liturgisches Beispiel) die Hunde beschwört. Whoo-hoo.
Dann geht es zurück zu den ernsten Dingen. Smith mahnt den Abrißwahn an, so als wüßte sie um die Hamburger Gentrifizierungs- und Verwüstungstendenzen. Man solle darauf achten, die Welt und die Städte nicht eine einzige große "Tourist trap" zu verwandeln, sondern auch die abgeranzten Ecken erhalten. (Heute abend trinkt sie noch einen im Gängeviertel, schätze ich). Ein Neil-Young-Cover, eine gesungene Protestnote für Edward Snowden. "Thank you for giving the secrets of my country - to me", ruft sie unter Applaus, viele sind jetzt einer Meinung und zwar der richtigen. G-L-O-R-I-A.
Und das muß man ja mal sagen: Es gibt nicht viele Künstler, die bei ihren Konzerten deutlich machen, wie sehr sie mit ihrer Musik in der Zeit stehen. Nicht eine gut marinierte Vergangenheit beschwören, die Musical-Version ihrer Karriere und größten Erfolge spielen. Die rotzige Haltung, das dezidiert Politische bei der Smith: Da ist überhaupt kein Nachlassen von Energie oder Konzentriertheit zu spüren. Da tanzt eine kleine alte Frau über die Bühne mit einer Stimme, die ein erstaunliches Volumen besitzt und das Rund füllt, dabei gurgelt und röchelt, ächzt und stöhnt, und sich eher gewaltiger anhört als vor 30 Jahren. Wie ein Ozean.
Ein bißchen beschämend auch, wenn man selbst so vergeht. Die Botschaft aber bleibt: "People Have The Power", und die Zukunft ist jetzt.
Genau so nämlich sieht es aus.
>>> Rock'n'Roll Nigger, Hamburg
Ich glaube, ich würde so einen Bau nicht verteidigen wollen, wenn ich nicht sehen würde, wie man gleich in der Nähe architektonische Chancen nach Abriss vielfach verspielt.
Orginale wären natürlich besser.
Die Wohnung, die er verlässt, wird renoviert werden, um sie hochpreisiger vermieten zu können. Sinnlos werden hellgelbe Kacheln in der Küche und hellblaue im Bad, wie sie einmal Mode waren, durch modernere ersetzt. "Aber Hauptsache, "das olle Zeug" ist weg." In Amsterdam wollte ich mir übrigens mal in einem Kachelladen eine einzige orginale alte kaufen, aber als ich nach dem Preis fragte, war ich abgeschreckt.
Andererseits, wenn man das Pech hat und fiese 70er-Jahre-Wandverkleidungen vorfindet... da nutzt nichts, das muß weg. Blümchen und Ornamentik.
'Jesus died for somebody's sins but not mine.'
She's still just inimitable great after all these years.
Dann waren Sie das sicher da ganz vorne, für die Patti Smith extra Ohrstöpsel holte? Ich habe es nicht genau mitbekommen, aber man muß sich das vorstellen, wie goldig das ist: Patti Smith plaudert mit einer jungen Mutter am Bühnenrand, läuft hinter die Bühne und kommt mit Ohrstöpseln für das Kind zurück.
Puh. Ich muss beschämt gestehen, dass ich drei Stunden Rock'n Roll auch nur noch mit größter Willensanstrengung und nah am Wadenkrampf durchstehe.
(Ich bin noch fix und alle, dass einer mit über 60 mehr Energie aus jeder einzelnen Muskelfaser versprüht, als ich im ganzen Bündel habe. Und dann singt der mir auch noch zu:
"So you're scared and you're thinking
that maybe we ain't that young anymore")
Beim Rest bin ich unsicher. Es gibt für jede Generation andere Prägungsphasen. Erstaunlicherweise waren viele junge Leute bei Smith, andererseits kennen viele die nicht. Ich wurde halt Ende der 70er angefixt als sowohl sie als insbesondere auch ich jung waren. Spätere Generationen haben dann halt Dinosaur Jr. oder meinetwegen Billy Corgan und finden, es gebe nicht Größeres. Das ist natürlich Quatsch. Aber woher sollen die das wissen, wenn ich nicht auf die einrede?
Thurston Moore wird übrigens auch beim Kampnagel-Sommerfestival auftreten, gemeinsam mit Yoko Ono.
@Kelly: Vermutlich liegt es an der Zersplitterung der vielen Szenen, wie es seit Ende 80er/90er eintrat. Die wichtigen Leute der einzelnen Szenen erreichen einfach nicht mehr so ein Gesamtpublikum wie noch BeatlesStonesDylanYoung und andere. Vielleicht wird Distelmeyer in zwanzig Jahren auch (noch) gefeiert. Oder The Fall. Aber eben "nur" von ein paar tausend und nicht tausend Mal mehr. PJ fällt mir ansonsten noch ein, die zähle ich zur großen Ausnahme.
Mit diesen ganzen Postpunk-Revival- und Neo-Gothic-Bands habe ich meine Probleme. Anna Calvi, Esben and the Witch usw. fallen mir sogar extrem auf die Nerven. Bei den Savageswar ich erst unsicher. Die EP fand ich super, aber das Album hat mich dann wieder gelangweilt. Von jungen Leuten erwarte ich einfach mehr. Warpaint waren andererseits eine positive Überraschung. Vor allem, weil die auf so eine erstaunliche, "männliche" Art Gniedeln und Frickeln auf ihren Instrumenten. Vor allem live. Das ist offenbar nicht nur Pose, die können richtig was und haben Bock, Musik zu machen.