Out of the (B)rain



So, liebe Tinky-Winkys. Das Schöne an Urlaubstagen in Hamburg ist ja die Nähe zum Wasser. Vorne Wasser, hinten Wasser und von oben kommt meist noch mehr Wasser. Nah am Wasser, wie ich, also mein Haus, nun mal gebaut bin, fühle ich mich gleich in dem mir ureigenen Aggregatzustand. Sitze gedankenverloren und auch sonst am Wegesrand, inmitten eines urwüchsigen Parkplatzgrüns und denke zwei Meter nach links und ungefähr dieselbe Strecke nach rechts. Links, rechts. Links, rechts. Wie einer dieser brüchigen Scheibenwischerblätter bewegen sich die Gedanken quietschend von einer Ecke des Erkenntnisspektrums zur anderen. Ach, sagen wir einsfuffzig, ich will hier nicht angeben. Ist Hamburg hier.

Eher abgeschlagen als vor einem neuen Abschlag stehend, passiert ansonsten nicht viel. Die Krankenkasse drängelt zur neuen Gesundheitskarte und schreibt Briefe mit unsinnigen Verunsicherungsbehauptungen. Handwerker kommen und gehen, schrauben Dinge an die Wand. Eine neue Gegensprechanlage, an der sich dieses, aber auch jenes einstellen läßt. Lustige Klingeltöne, blinkende Lichter. Der gute Mann drückt mir einen Zettel in die Hand, hier aber, so unsere einhellige Meinung, das Wichtigste: einmal lang, einmal kurz - und schon ist sie aus. Könnt ihr also auf dem kleinen Mäuseklavier unten an der Türe die von Schokolade und anderen Genußmitteln verklebten Fingerchen wund drücken. Ich hör' auf nix, höchstens auf die Stimme meiner Altvorderen.

So kann ich mch auf mein neues Hobby konzentrieren, dem Malen von Heiligenbildchen. Herr Schneck war unlängst so gütig, mich mit entsprechenden lexikalischen Hintergrundinformationen zu versorgen. Die protestantischen Marschlande sozusagen aus dem grauwolkigen Inneren ans Licht zu führen, sei mir eine neue sonntägliche Aufgabe. Sonst wieder Radfahren, sobald usw.

Bis dahin genieße ich das stille Glück, nicht länger einer schwitzigen Sommeridiotie ausgesetzt zu sein, sondern mit hochgeschlagenem Jackenkragen unter korrodiertem, gelbgefärbtem und gewelltem Kunststoffvordach zu stehen, gütige Feuchtigkeit aufzusaugen einer sinnlichen Taufe gleich. Kennt ihr gar nicht, ihr im sonnigen Lala-Land verdorrten Hula-Görls und Surfer-Beuys. Am Ende aber doch entsetztes Entzücken (wahlweise andersherum). Da blogge ich mir seit acht Jahren einen sehnenverkürzenden Schreibtischwolf, und nun kommt mir ein Kurzfilm aus dem Vice-Umfeld daher, der im Grunde alles in zehn Roadmovie-Minuten zusammenfaßt. Beyond Mountains, more Mountains. Gut, die Ringelstrümpfe und die toten Tiere fehlen, dafür hat man an die Rickenbacker gedacht.

Jetzt noch zwei, drei Jahre im Widerstand im Morgenpost-Forum. Dann ausschalten. Wie eine Gegensprechanlage.

>>> Geräusch des Tages: John Fogerty, Who'll Stop The Rain

Homestory | 00:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
novesia - Donnerstag, 27. September 2012, 08:59
Ooh, der Film ist wirklich fantastisch, danke!

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kid37 - Donnerstag, 27. September 2012, 20:52
Ich habe das noch nicht ganz recherchiert. Er wirkt selbst in der 10-Minuten-Fassung wie ein Trailer zu einem Langfilm. Wie eine atmosphärische Collage.

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montez - Donnerstag, 27. September 2012, 12:55
Oh.

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kid37 - Donnerstag, 27. September 2012, 20:52
Nicht wahr?

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schneck - Donnerstag, 27. September 2012, 13:00
Oh dieser Film. Geschichten, wie die von Heiligen. Man möchte sofort losfahren, ich hab' nur immer keine Ahnung, wohin.

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saxana - Donnerstag, 27. September 2012, 13:27
Das hat was. Passt! Passt zu meinen Herbstträumen.

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kid37 - Donnerstag, 27. September 2012, 20:53
Durch herbstliche Berge am besten. Reliquien suchen, Stiefel, Hunde, geliebte Menschen. Irgendwas.

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ana - Donnerstag, 27. September 2012, 22:05
Das Internet hat ja noch keinen offiziellen Schutzpatron. Der heilige Isidor war dafür aber zumindest lange im Gespräch. Mutig, noch Andachtsbildchen selber zu malen - aber das ist bestimmt so meditativ wie das populärere Ausmalen von Zen-Mandalas und bringt sicher die selben Karmapunkte. Animierte Heiligenbildchen gibt es inzwischen übrigens schon als WAP-Downloads für das Handy mit Sprüchen. (" Hab`Sonne im Herzen" ... , beispielsweise ) Ich bedauere es ja, dass die Tage kürzer werden.

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kid37 - Freitag, 28. September 2012, 20:17
Aber nein, jetzt beginnt die schönste Zeit des Jahres. Bunte Blätter, milde Luft, ein Hauch von Verfall, wie es bei Trakl heißt - dazu lange Abende, wo einem Morticia Addams selbstkomponierte japanische Musik vorsingt, während man ganz kontemplativ Heiligenbilder oder Schnittzeichungen aus medizinischen Lehrbüchern ausmalt. Diesen "Sommer" mit all seinem Unternehmungszwang und obskuren Ideen wie "Urlaub", mußte ich ja eh abhaken.

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ana - Samstag, 29. September 2012, 22:21
Trakl-tragisch. Mein Freund Hans ( auch schon über siebzig ) hat über Trakl und dessen Liebe zu seiner Schwester eine Kurzoper komponiert. Darin heißt es im Libretto. ( Brief an Ludwig von Ficker, November 1913 ) Meine Angelegenheiten sind ganz ungeklärt. Ich habe jetzt zwei Tage und zwei Nächte geschlafen und habe heute noch eine arge Veronalvergiftung. In meiner Wirniss und all`meiner Verzweiflung weiß ich nicht, wie ich leben soll. Ich habe hier wohl hilfsbereite Menschen getroffen; aber es will mir scheinen, jene können mir nicht helfen und es wird alles im Dunklen enden.
Bei fröhlichem, tröstlichem Herbst denke ich daher eher an Volkslieder. Beispielsweise: Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder und der Herbst beginnt. ... Schöne Winzerinnen winken und beginnen frohen Erntetanz.

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kid37 - Sonntag, 30. September 2012, 00:03
Schöne Winzerinnen waren hier schon länger nicht mehr zu Gast. Trakl wird wohl recht haben: Ich habe hier wohl hilfsbereite Menschen getroffen; aber es will mir scheinen, jene können mir nicht helfen und es wird alles im Dunklen enden. Aber bis dahin noch ein bißchen Rock'n'Roll.

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