In Schauwerte investieren



Mit diesen vielen jungen Leuten hier auf einmal wird es langsam unheimlich im Viertel. Diesmal strömten sie zum Kunstveranstaltungsraum (so was gibt es hier auch schon) gleich bei mir ums Eck. Der Giger Hans-Ruedi zeigte dort eine Retrospektive. Von wegen passé also, andererseits - sind nicht gerade junge Leute häufig ganz besonders konservativ? Übermäßig neugierig war ich nicht, hatte ich letztes Jahr erst eine Werkschau in Wien gesehen. Aber wenn schon mal was hier im Stadtteil passiert...

Interessanterweise war es doch nicht die Übernahme der Wiener Ausstellung, die Auswahl in Hamburg war eine andere und zeigte deutlich mehr Skulpturen. Die allerdings wirkten ein wenig fremd, weil sie zum Teil aus ihrem Kontext gerissen waren. So war das patinabesetzte Rückteil eines Müllwagens (Passagen) wenig bedrohlich, aber immerhin für Rostfreunde beeindruckend. Gigers Weiterverarbeitung des Motivs ins Obszöne aber fehlte, ebenso wie bei vielen Bildserien. Kein Hinweis auf indizierte Plattencover, befremdliche biomorph-assoziative Formen und Penisparaden. Definitiv undersexed und ein wenig domestiziert wirkte folglich diese Hamburger Werkschau eines großen Verstörungskünstlers. Auch die tragische Geschichte um die einstige Lebensgefährtin, Muse und Model Li Tobler blieb ausgeklammert. Die Schauspielerin hatte sich 1975 mit gerade einmal 27 Jahren erschossen und ließ einen erschütterten Giger zurück. Dieser deutliche Wendepunkt ist immerhin ein weiterer möglicher Schlüssel für Teile seines Werkes, der einer "Retrospektive" gut angestanden hätte. Überhaupt kam die Frühzeit etwas kurz. Die "Atomkinder", Gigers Schülerarbeiten, waren (in Teilen) zu sehen, in Wien gab es darüberhinaus aber auch Dokumente aus frühen Galerie-Zeiten, wo Giger mit aus harten Brotlaiben ausgehölten Schuhen zu Ausstellungen erschien. Dafür gab es das Alien und ein paar andere Monstren, besagte Möbel und viel zu viel hinter Glas. Nicht, daß man bei Airbrushbildern großartig auf Strukturen und Haptik hofft, aber so hermetisch gegen den Alienatem der Besucher geschützt, hätten es auch Posterdrucke sein können.

Die Schau läuft noch bis zum 3. März, wer sie sehen will, muß sich sputen.



Anschließend zur HfBK, diplomierte Kunst anschauen. Im labyrinthischen Gebäude verteilt, zeigte sich großteils ebenso gezähmtes, ganz anders als auf den Jahresaustellungen, wo die Pferdchen freier laufen. Ein, zwei chinesische Malerinnen fielen mir auf, Christin Kaiser bekam darüber hinaus von mir den "Mutpreis", sie hatte gleich das ganze Atelier mit ein paar tausend Litern Wasser geflutet, das teuflische Duo Simon Hehemann und Stefan Vogel, verbrauchten den von ihrer letzten Ausstellung bei Feinkunst Krüger übriggebliebenen Gips und gestalteten einen begehbaren Stalakmitenwald in ihrem Atelierraum. Interessant auch Carsten Bengers Arbeit, weil er dabei die Aktion von The KLF zitierte, die 1994 ihre künstlerischen Einkünfte (eine Million Pfund) auf einer schottischen Insel verbrannten. Heute verbrennen nur noch Nichtkünstler Geld. Das sind dann aber gleich Milliarden.

(H.R. Giger. "Retrospektive". Fabrik der Künste, Hamburg. Bis 3. März 2012; "Absolventenausstellung 2012". HfbK, Hamburg. 23.-26.2.2012)

Flanieren | 14:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
nnier - Dienstag, 28. Februar 2012, 17:03
Aber waren das echte Scheine, frage ich mich seit damals?

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kid37 - Dienstag, 28. Februar 2012, 23:56
Ich denke doch. Angeblich hat es Drummond später auch mal leise bedauert. Aber was soll's, die haben ja das Handbuch geschrieben. Die können immer wieder eine neue Karriere hinlegen.

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kreuzbube - Dienstag, 28. Februar 2012, 17:17
Hätten die mich mal nach einer Leihgabe gefragt.

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kid37 - Dienstag, 28. Februar 2012, 23:56
Oh. Sie könnten aus ihrer Scheune einen Showroom machen!

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carodame - Mittwoch, 29. Februar 2012, 13:48
Die ist schon für japanisches Bogenschießen reserviert.
Nagut, zwischen den Abschüssen ein paar Wernisaaschn, Chorus line, Wettbügeln, Dachstuhlclimbing u.v.a.m.

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kid37 - Mittwoch, 29. Februar 2012, 15:44
Verstehe. Ein Meditationsraum, in dem ab und an halbnackte Männer in Gummistiefeln irische Steptänze aufführen. Eine Alien-Skulptur machte sich darin dennoch ganz gut.

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carodame - Mittwoch, 29. Februar 2012, 21:39
!
Wie Sie sich auskennen.

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novesia - Dienstag, 28. Februar 2012, 18:44
Ach mensch, die HH-Giger-Retrospektive scheint viel interessanter zu sein als die Wienerische (Rostfreundin). Hoffentlich geht das mit dem Beamen endlich mal voran.

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kid37 - Dienstag, 28. Februar 2012, 23:57
Ja/Nein. Ich war von beiden nicht restlos begeistert. Die Wiener war insgesamt bildender, die Hamburger punktet mit den Skulpturen. 1:1, sagen wir mal.

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kreuzbube - Mittwoch, 29. Februar 2012, 08:28
Vielleicht reist man am besten ins Giger Museum und nimmt einen Absacker in der Giger Bar ein. Hat aber was von Universal Fimstudios meets Hard Rock Café, wie ich meine.

Schweizer Freunde von mir haben übrigens (trotz signiertem Werk von ihm an der Wand) gar nicht so viel von Giger gehalten. Da fiel das Wort vom Dekorationsmaler. Möglicherweise ist eine gewisse Ermattung aber zwangsläufig, wenn man so inflationär mit dem Werk eines Künstlers konfrontiert wird.

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kid37 - Mittwoch, 29. Februar 2012, 15:47
Wer wäre ich, den Schweizern zu widersprechen. Immerhin, nehmen wir nur Miss Wurzeltod, sind die mitunter sehr kunstaffin. Leider sind Giger'sche Motive mittlerweile wirklich ein Fall für Tankverkleidungen, Motorhauben und Rückentattoos. Also eher als, sagen wir mal, Gerhard Richter. Und gerade deshalb hätte es mir gefallen, man hätte nicht nur die eher gefälligen Sachen gezeigt.

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carodame - Dienstag, 28. Februar 2012, 23:08
Och schade, das schaff ich nicht, bis zum 3.3. Trotz Schaltjahr.
Alien zum Anfassen und rostveredelte Müllwagenhinterteile...
Neugierig wäre ich schon;diese Skulpturen haben was Prägendes.
So ein kleines Alien als Haustier hätte ich schon immer gern gehabt.

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kid37 - Mittwoch, 29. Februar 2012, 00:02
Haben Sie kein Boot? Schnell die Elbe runter? Anfassen ist übrigens nicht, da schnappt das Alien die Saalaufsicht zu.

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carodame - Mittwoch, 29. Februar 2012, 13:36
Das Problem ist der fehlende Durchstich in unserem Hafen zum Kanal, der mich mit der Elbe nach Hamburg verbindet.
Mist, wo ich doch im heimlichen Anfassen so geübt bin.

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kid37 - Mittwoch, 29. Februar 2012, 15:47
Herr Ramsauer, bitte übernehmen Sie! (Die Regierung liest hier mit.)

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au lait - Freitag, 2. März 2012, 00:16
Ich werd' auch mal schauen, ob ich das neue Schiff der Meyer-Werft kapern und damit über die Deutsche Bucht nach Hamburg schippern kann, um's noch sehen zu können. Müsste nur noch lernen, wie man ein Kreuzfahrtschiff lenkt. Und jemanden finden, der für mich den Umzug vorbereitet und die Räume streicht.

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kid37 - Freitag, 2. März 2012, 11:39
Ungestrichene Räume wirken doch viel künstlerischer. Kapern Sie kein zu großes Schiff. Sie könnten nämlich das letzte Stück zum Austelllungsgebäude auf dem Kanal zurücklegen.

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sid - Mittwoch, 29. Februar 2012, 00:14
Haben Sie Giger in Wien auch 2006 gesehen? Fand ich gefälliger, als letztes Jahr.

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kid37 - Mittwoch, 29. Februar 2012, 15:49
Nein, die habe ich damals leider nicht gesehen.

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c17h19no3 - Mittwoch, 29. Februar 2012, 01:21
ein grüner raum. da müssen sie sich ja wohlfühlen. :)
nur den ku-klux-clan würde ich rausschmeißen.

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kid37 - Mittwoch, 29. Februar 2012, 15:50
Geisterbahn. Grüne Räume sollen entspannen, weshalb ich mich tatsächlich gerne in solchen aufhalte.

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nuss - Mittwoch, 29. Februar 2012, 15:01
Also die Schweizersatire im dritten Satz haben Sie genagelt und erheitert mich ungemein.

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kid37 - Mittwoch, 29. Februar 2012, 15:52
Dabei aber immer zärtlich.

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fishy_ - Mittwoch, 14. März 2012, 21:22
Ja schade, wieder was verpasst. Und da war sie wieder. Die 27. Muss doch noch mal nachforschen, wie es mir in dem Alter so ging und wie es mir gelungen ist zu überleben.

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