Koffer Hoffer


Wer in Köln am Hauptbahnhof aussteigt und auf die wahnwitzige Idee verfällt, seinen Koffer für eine bestimmte Zeit deponieren zu wollen, findet sich unvermutet in einem Technikexperiment wieder. An anderen Bahnhöfen der Republik, sei es Hamburg, Berlin oder Wuppertal, begibt man sich dazu ganz entspannt an eine Wand mit Schließfächern, sucht sich ein freies und stellt Koffer und Kleinkram einfach hinein.
Aber doch nit in Kölle! Die Kölner, sonst eher traditionsbehangen, haben bei der Umgestaltung ihres Hauptbahnhofes die Schließfächer kurzerhand ausgebaut und dafür drei große Blechhütten aufgestellt, die von ferne wie überdimensionierte Mülltrennungscontainer anmuten.

Von nahem erkennt man ihren Zweck: Es handelt sich laut in extraterrestrischer Sprache beschrifteter Hinweistafel um automatische Tiefgaragen für Koffer. Ein solches Sci-Fi-Terminal besitzt drei rollobewehrte Eingangsschächte, die wohl auch als Auswurf funktionieren. Dorthinein sollen für den stolzen Preis von 3 Euro Koffer, Mantel, Hut und Stock wandern, vielleicht auch gleich die hilflosen Reisenden. Hinein mit ihnen in eine undurchschaubare Black Box, ein möglicherweise aus Redmond gesteuertes Maschinenmonster, das unaufhörlich Gepäckstücke frißt.

Möglicherweise befindet sich darin auch eine Katze, und wenn man durch dieses Gummirollo hineinschaut, ist sie tot. Möglicherweise lebt sie auch, nicht einmal Schrödinger weiß es. Vielleicht ist also auch der Koffer noch da, vielleicht auch nicht. Ganz abhängig davon, ob im Inneren ein Cäsium-Atom unter den unsicheren Blicken der durchweg überfordert wirkenden Reisenden zerfällt oder eben nicht. Das alte Sprichwort When in doubt, leave it out fällt mir ein, sehr frei übersetzt: im Zweifel steck ihn lieber nicht hinein. Angeblich erhalten Mutige jedoch so eine Magnetkarte wie im Parkhaus, und wenn sie dann noch ganz viel Glück haben, spuckt diese merkwürdige Kiste den eigenen Koffer (Wartezeit: 40 Sekunden) später wieder aus.

Vielleicht auch den Koffer eines Fremden oder alle auf einmal. Wenn jedenfalls eine ganze Reisegruppe geschlossen ihr Gepäck zurückbeordert, dann sind Geduld und Technikvertrauen die Gebote von x mal 40 Sekunden. Aber wie die Bahn aus großflächigen Versuchen mit verpaßten Anschlußzügen weiß, hat der Bahnkunde ja vor allem eins: Zeit.

Homestory | 20:51h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
kid37 - Dienstag, 30. November 2004, 21:09
Im Grunde ist es nur so: Mich treibt die Angst, eines Tages nicht mehr mithalten zu können, diese Technik nicht mehr zu verstehen. Junge Leute, die ohne hinzuschauen MP3-Player und Mobiltelefone bedienen können - das ist doch die Bedrohung, der ich mich tagtäglich ausgesetzt sehe.

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yvonnesonne - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 12:05
herr kid, das ist einfach grotesk. ich will in so einer welt nicht leben, in der all meine daten auf einem implatierten chip gespeichert sind.

ich werde jetzt bald unermesslich reich sein, dann kaufe ich mir eine insel und dann geh ich ins exil. gründe meinen eigenen staat, ganz wie don drüben bei ihm. zu faul zum verlinken. aber dann dürfen sie gern ihren ruhestand bei mir verbringen und natürlich mitnehmen wen sie wollen.

(ich höre morgen damit auf, falsche hoffnungen durch neue illusionen zu wecken. heute brauch ich das noch)

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mykoplasma - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 13:40
Keine Bange, das mit den Chips geht in einer Demokratie nicht. Wenn sie es erzwingen, ist es keine Demokratie mehr, und sie werden auf Widerstand stoßen. Und man frage mich nicht, wer "sie" sind, das werden die dann schon merken. *g*

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yvonnesonne - Montag, 6. Dezember 2004, 00:03
leider haben wir hier in ösiland eine diktatur der vollidioten

ich muss hier weg. ich muss dringend hier raus!


grrrrrrrr

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kid37 - Montag, 6. Dezember 2004, 00:33
Ich fürchte, so viel besser ist es hier nicht. Hier gibt es natürlich nicht die von Ihnen so beschriebene Dikatatur der Vollidioten. Hier wählt man demokratisch-vollidiotisch stark Wirklichkeitsentrückte in hohe Ämter. Die elektronische Patientenkarte steht hier auch zur Debatte. Ich bin sicher, damit dann auch solche Gepäckterminals bedienen zu können.

Schön wäre doch auch, eine solche Karte als Pfandchip in einen Einkaufswagen schieben zu können, der dann meine Altersleiden ausliest und Signal gibt, sobald ich mich im Supermarktregal den für mich und meine Krankheit geeigneten Produkten nähere. Das ist doch wirklich mal Service, den nur Renitente ablehnen können. Wäre auch eine hübsche Idee für ein Start-Up-Unternehmen, haha.

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yvonnesonne - Montag, 6. Dezember 2004, 12:35
ich neige dazu, wenn ich wütend bin etwas zu übertreiben. natürlich ist das alles demokratisch, aber von dieser form halte ich nicht viel. es gibt keine möglichkeit zur abwahl und das ist ein großes manko, wenn man dann so einen kanzler hat wie wir, der so viel lügt, daß niemand mehr hinterherkommt.

aber nach piefkiniesien geh ich doch nicht. eher so südamerika oder sibirien. dort finden sie mich nie, harharhar.

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ntropie - Dienstag, 30. November 2004, 22:23
Das Ganze gibt's ja auch für Autos schon. Auto reinfahren, Auto verschwindet irgendwie per Fahrstuhl irgendwohin (in eine virtuelle Tiefgarage womöglich), beim Abholen kommt Fahrstuhl samt Auto wieder zum Vorschein.

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kid37 - Dienstag, 30. November 2004, 22:50
Na ja, deshalb schrieb ich ja auch automatische Tiefgaragen für Koffer. Übrigens glaube ich nicht, daß das Auto wieder zum Vorschein kommt. Das ist doch ein alter Bauerntrick, um an einen Neuwagen zu kommen. Das zeigen die immer in Aktenzeichen XY! Seien Sie ja vorsichtig!

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kopfherz - Dienstag, 30. November 2004, 22:51
ich hab mich
gerade schlapp gelacht über Ihre schöne geschichte zu dem koffer-ungetüm.
ich hätt es nicht getan.

taten Sie es??
(versuchsweise hätte ich es schlussendlich doch getan, die neugier hätte gesiegt).

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kid37 - Dienstag, 30. November 2004, 23:32
Bin ich denn jeck! Meinen guten alten 40er-Jahre-Vulkanfiberkoffer dieser, dieser Maschine anvertrauen? Stoisch wie ein alter Rentner hielt ich Hut, Stock und Koffer fest, bis mich junge Leute aus dieser Vorhölle brachten.

(Das heißt, ich könnte noch erzählen, wie ich mich vom Warten ermattet in "Leos Bar" schleppte und dort für einen Cappuccino 3,90 Euro bezahlte. Aber das ist mir jetzt zu peinlich...)

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kopfherz - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 09:31
wenn's ums leben geht ...
... sind 3,90 für einen capuccino gut angelegt.

als ich noch rauchte - also in diesem frühjahr - hab ich in new orleans 7,80 dollar für ein päckchen schlecht schmeckender zigaretten der billigen sorte bezahlt - DAS ist ja noch viel peinlicher!

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kaltmamsell - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 12:02
Oh Gott.
Ihnen ist doch wohl hoffentlich klar, dass das Funktionieren dieses Getüms von Wichteln abhängt, die in Hundertschaften das Untergeschoß des Kölner Bahnhofs bevölkern und tagein, tagaus das Gepäck hoch, runter, in und aus den Regalen befördern. Enge Verwandte der Wichtel, die hier in meiner Firma die Rohrpost-Patronen sortieren und transportieren - aber unsere haben wenigstens noch den Spaß der Hochgeschwindigkeitsreise!

Wir sollten Terre de Wichtels einschalten.

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dondahlmann - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 13:58
Ich durfte vor ungefähr einem Jahr oder so, eine chinesische Großfamilie beobachten, welche versuchte, den Automaten zu bedienen. Nach dem aber ungefähr fünf hilfsbereite Kölner und drei Bahnangestellte mir nach einer halben Stunde das Sichtfeld versperrt haben, bin ich beleidigt gegangen.

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schnatterliese - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 14:28
50% eines testversuches sind am 14.1.2004 vollkommen erfolgreich verlaufen. geld in dafür vorgesehenen schacht, törchen auf, billigschirm rein, magnetkarte raus.
man muss sich bitte beschäftigen, wenn man einen aufenthalt zu überbrücken hat.

ich habe leider vergessen, den schirm abzuholen und kann somit nicht berichten ob die rückgabe einwandfrei von statten geht.

klar ist, die kofferverschwinder sind einfacher zu handhaben als ein fahrscheinautomat.

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sebas - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 17:54
Oh, als ich noch liierte Damen in Köln zum Geschlechtsverkehr und gemeinsamen Hochzeitsbesuch traf, verwehrten mir die Umstände, es nicht auszuprobieren. Wir mussten ja irgendwo die Sachen lassen, die beim Geschlechtsverkehr immer im Weg stehen.

Also zwei große Taschen reingestellt, dichtgemacht, es rumpeln und pumpeln hören und am Abend kam alles wieder genauso ans Tageslicht. Sogar die Wasserflasche lag noch so auf der Reisetasche wie beim Reinstellen. Ich war begeistert.

Im Gegensatz zu Ihnen, geschätzter Herr Kid, geht mir bei derlei Experimenten so richtig einer ab. Das ist der kindliche Trieb in mir. Oder beginnende Altersdemenz.

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kid37 - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 18:03
Herr Sebas, was sind denn das für Geschichten! Liierte Damen! Geschlechtsverkehr! Wenn Sie auf solch karnevaleskes Treiben stehen, ist mir schon klar, daß Ihnen auch zwielichtige Technikexperimente gefallen. Ich hoffe, es hat nichts mit der Frau mit dem Regenschirm zu tun, der seit dem 14.1. in diesem Kofferkomposter umherkreist.

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sebas - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 19:03
Karneval, das muss ich richtigstellen, ist mir recht zuwider. Damen zum Zwecke des Geschlechtsverkehrs zu treffen, dafür um so lieber.

(Ich bitte den Reim ohne Beachtung der Versmaßes zu würdigen!)

Und an einen Regenschirm kann ich micht nicht erinnern, wiewohl die Dame, die mir ihrerzeit das Herz vorübergehend brach, auch eine rechte Schnatterliese war.

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schnatterliese - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 20:39
niemand kann sich an den regenschirm erinnern. dazu war ja noch nicht mal die besitzerin in der lage. die hätte, nur für den fall, selbstverständlich eine rückholaktion in erwägung gezogen. zu demonstrationszwecken.

omi's 90-ster ist eine ernste angelegenheit und herzbrecherei und so ein zeugs ist mir fremd.

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kid37 - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 23:26
Sie haben noch nie jemanden das Herz gebrochen? Aha. Und wie sagen Sie "nein"?

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kopfherz - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 20:24
also wirklich, herr kid!
jetzt musste ich den ganzen tag im hamsterrad immer wieder anfallsartig grinsen und kichern bei der vorstellung, wie Sie wie ein rentner koffer, schirm und hut an sich haltend auf die errettung durch jungmenschen warteten.

also wirklich, herr kid! das können Sie doch nicht machen, jemanden sooo zum giggeln zu bringen in einem fort - am ende denken die hier noch, ich hab den stress hier gern ;-)

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kid37 - Mittwoch, 1. Dezember 2004, 23:29
Sie müssten sich dann noch einen schäbigen beige-grauen Regenmantel dazudenken. Also so ein bißchen wie ein Staatsratsvorsitzender, der verbissen mit seinem Stock die herumwölfendeln Klaukids von seinem Koffer verscheucht.

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kopfherz - Donnerstag, 2. Dezember 2004, 23:22
meine güte
... mti dem leisen pesthauch von kukident-haftcreme???
*gnicker*

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danysahnemuc - Mittwoch, 18. Mai 2005, 06:03
Hätte man sich doch mit der Maus weitergebildet ...
Frühling 2005: Die "Sendung mit der Maus" erklärt ihren Kleinen Zuschauern - und auch den Großen - wie die modernen Gepäckautomaten am Kölner Hauptbahnhof funktionieren.

Gepäck rein - Container drüber - im Fahrstuhl runter - in ein leeres Fach - Computer merkt sich Fach - Computer gibt Kärtchen aus.

Abholen dauert zu lange? Ja klar! Computer liest das Kärtchen - sucht Fach - nimmt Container - bringt Container zum Fahrstuhl - Fahrstuhl bringt es hoch - Container wird entfernt - Fach geht auf - Oma hat ihr Gebiss wieder.

Fernsehen bildet, und auch die Erwachsenen sollten sich vor der sympathischen Maus aus Köln nicht verstecken.

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kid37 - Mittwoch, 18. Mai 2005, 14:51
Gestern sagte mir eine sympathische junge Frau: "Sie, Herr Kid, können auch nichts bedienen, was nicht mindestens 50 Jahre alt ist!"

Und da ging es nur um eine dieser micki-schnicki Lifestyle-Stehlampen, deren Schalter an irgendwelchen "putzigen" Stellen untergebracht sind. Ich als Vertreter der Form follows function-Schule muß da jedesmal passen. Neulich war ich aber am Wallrafplatz, ich hätte also gleich bei der Maus nachfragen können.

Der Nachteil dieser Besitztums-Blackbox zeigt sich immer dann, wenn eine Reisegruppe ihr Gepäck auf einmal abholen möchte. Wo man früher 20 Schließfächer simultan öffnen konnte, werden die Menschen nun in ein serielles Abarbeiten gezwungen. Für so was bin ich zu ungeduldig. Wenn es nichts wirklich Wertvolles ist, empfehle ich die Schließfächer im Museum Ludwig gleich um die Ecke. Billiger sind die auch.

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