Die Leinwand als moralische Schaubühne
Den ballsportfreien Abend genutzt, um noch einmal Das Mädchen aus der Streichholzfabrik zu sehen, Filme, die eher selten großen Zuspruch bei einem Public Viewing finden, dabei heißt es doch, die Wahrheit liege auf dem Platz. Zu diesem Anlaß feierlich den zerschlissenen Anzug angelegt, Vodka, Wasser und ein Notizbuch bereitgelegt, um die Lebensweisheiten alle fein mitzuschreiben. So also verbrachte ich einen wunderbar trübsinnigen Abend unter dem funzligen Schein einer sogenannten Energiesparbirne, die ich extra zu diesem Behufe in die Fassung meiner verrosteten Stehlampe eingeschraubt hatte. Es gibt da diese Szene, in der Kati Outinen aus den Augen heraus spielt, unbeweglich, stumm. Und furchtbar entschlossen, ihr Leben aufzuräumen. Die Momente also, wenn Kino einem ganz nahe kommt, mit so einem unangenehmen, rasselnden Atem und klebrig-klammen Fingern, die einem hinten im Kragen rumwühlen.
Ich habe nicht viele Filme gesehen und erinnere mich an noch weniger, an den aber schon. Die anderen fanden ihn langweilig.
Da haben sie Glück. Ich habe schon ganz viele Filme gesehen und bekomme oft die schlechtesten von denen nicht aus dem Kopf.
Immerzu Bratwurst-Ereignisse, doch Kati zieht einen Flunsch - betitelte Max Goldt eine seiner Kolumnen vor fast 20 Jahren.
Ich muss indes gestehen, dass ich mich trotz der Lobpreisungen meines Lieblingskolumnisten für den Kaurismäki-Film und seine Hauptdarstellerin nicht aufraffen konnte, diese cineastische Bildungslücke endlich einmal zu schließen. Böse Zungen aus meinem Umfeld würden sagen, klar, der Streifen ist nichts für Dich, da explodieren zu wenig Autos...
Da explodiert aber, auf unterkühlte Weise, das, was lange schlief. Die grimmigen Skandinavier (ich glaube, Finnland gehört gar nicht zu Skandinavien, kann das sein?!?) neigen ja mehr zur brutallauten Stille. Fangen Sie doch mit bunterer Kost an wie "Der Mann ohne Vergangenheit" oder "Lichter der Vorstadt".
Sprachlich gehört es nicht zu Skandinavien, aber auch ansonsten ist es wunderbar seltsam. Nur wenn man das ebenfalls ist, wird man diesen grandiosen Film, diese Kultur mögen und verstehen.
Grad mal nachgeschaut:
"...mitunter [wird] sogar die gesamte Kimbrische Halbinsel, also auch Schleswig-Holstein und das nordelbische Hamburg, hinzugerechnet." [
Q]
Dann betrachte ich das mal als echten Heimatfilmabend. Deshalb fühlte ich mich gleich zu Hause.
Fragen Sie mal einen Skandinavisten nach der Eingrenzung von Skandinavien. Ach was, fragen Sie zehn. Sie werden überrascht sein, wie viele legitime Antworten es gibt.
"Tyttö" heißt übrigens Mädchen - eines der zwei Wörter, die ich mir aus meinen zwei Monaten Finnisch-Krampf merken konnte. Das andere ist "sihteri" - Sekretärin. Was auch immer das über mich aussagt.
Ach ja, toller Film. Aber falls Sie mal mehr auf leichte Kost machen wollen,
Kurt blir grusom ist da eine super Sache.
wenn man glück hat, sind es wahrscheinlich
nur zehn.
ansonsten. erstmal kaffee.
"Tyttö" zu einem Mädchen zu sagen, würde sich hier doch niemand trauen. Ein interessantes Land.
Herr Vert, Sie sollen mich nicht immer mit Ihrem Sprachwitz düpieren.
tatsächlich. tyttö! komma bei misch bei! versteht im pott jedeR, wahrscheinlich.
aber sowas macht man nicht mit finninnen.
(was für mich immer schon finnisch klingt.)
dupé? niemals würde ich sie hinters polarlicht führen, jamais!
(jetzt aber finish!)
Interessante Beobachtung. Finninnen, eines der wenigen finnischen Lehnwörter im Deutschen. Wie in Jöküll Finninnen, der berühmte Ski-Biathlet.
natürlich, genau der.
(ich dachte, der sei ralleyfahrer?)
Jetz mach ich mir Gedanken.
Sie haben sicher gedacht, ich sei eher so der Strandtyp.
Nein. Ich dachte, Sie waren schon wieder blau.
"Schon wieder blau"? Das war Wasser mit Schuß. Schüßchen eher.
Zu tief ins Wasserglas schauen bringt garnüscht.
[Ich meinte doch thermografisch (auch thermographisch)!]
Mein Gehirn ist völlig dehydriert. Das ist ja jetzt schon die zweite Pointe, die ich heute vermassel. Ich halte jetzt mal den Kopf unter den Wasserkran.
Zitrone nicht vergessen.
[?=§/)$%?"/$%?; sonst gut.]
Für diesen Film muss man denn doch seelisch gefestigt sein. Oder es wirklich wollen. Ich
erwähnte ja schon, wie identifizierabel ich die Figuren finde.
Ich bin doch der Chuck Norris unter den Deprifilmguckern.
Sie meinen, dass da eher die Filme deprimiert werden?
Mein persönlicher Nordmannspassfilm ist ja der mit dem Vertragskiller. Großes Kino. Und die Kolumne von Onkel Max ist in der Tat umwerfend grandios. Und ja, ich mag die Cocteau Twins auch.
Da hat man mit dem Léaud auch noch den schönen Bezug zurück auf Truffaut, da kann man ja nur melancholisch vergnügt sein. CT waren eine akustische Welt für sich, hermetisch versponnen und entrückt.
Deprifilator?
[/sonderbarer gedanke]
Ich kaufte eines, würde es eines geben. Obwohl, sagen Sie, wäre das dann für oder gegen Melancholie und Depression.
Vermutlich wird sich auf dem Markt eher eins gegen durchsetzen. Ich finde ja auch sonst nie das, was ich suche.
[offtopic]
auf des kollegen schreibtisch gestern: das hermetische café in einer kompakten welt - hamses gesehen?
Herrje. Ausgerechnet heute sitzt mein Krawattenknoten schief. (Und schöne Kollegen habe ich, hier hat das natürlich wieder keiner.)
ja