Secret Volume





Die ersten Abende mit milden Temperaturen locken auch in Hamburg die Menschen heraus, junge Menschen zumeist, die nun aus der Winterruhe erwachen und den Bienen gleich, sich aus ihren Stöcken heraus und auf erste Erkundungsflüge begeben. Gleich bildet sich wieder das Phänomen der Teenagertrauben auf den Gehsteigen, Unterhakmädchen, die mindestens zu dritt oder manchmal auch zu viert, den Gehweg blockieren, miteinander über die dünnen Kabel ihrer MP3-Player verbunden, ein symbiotisches Wesen, das auch gut in Türen träumen könnte. Die Mädchen zeigen ihre winters erworbenen Beinbekleidungen, wildgemusterte Lurex-(Alb-)Träume, enganliegende Stiefel aus buntglänzenden Satinstoff, zurechtzerrupfte Wickel über raubtiergefleckte Strümpfen.

Das aber bloß Wegbetrachtungen auf der Fahrt vom Rande des Sozialabseits in die Nähe der Reeperbahn. Hier, bei der Linda - die es leider nicht mehr lange geben wird, weil dem Kunstverein der Mietvertrag gekündigt wurde - eröffnete Judith Mall ihre Ausstellung "Secret Volume". Herr Kelly war so freundlich, mich darauf aufmerksam zu machen, zum Glück, denn während ich anfänglich regelmäßig chez Linda war, sind mir die Eröffnungstermine am Freitag am Ende einer Arbeitswoche meistens irgendwie zu frühspät.

Die atmosphärischen Schwarzweißzeichnungen der Hamburger Illustratorin gewinnen ihren Reiz aus ruhigen, lakonisch beobachteten Szenen. Arbeitswelten, Büro- und Hotelzimmer, in denen scheinbar unauffällige Details wie Radiatoren, Steckdosen, Mikrofone und Überwachungskameras hervorgehoben sind. Eine diffus mysteriöse Stimmung liegt über den (hier ohne Text präsentieren) Bildgeschichten, etwas geheimnisvoll Bedrohliches scheint hier vorzugehen. Vielleicht ist es auch bloß Einsamkeit. Sie fügen sich ansatzlos in die leicht runtergerockten Räumlichkeiten der Galerie, nach kurzer Zeit schon ist man selbst ein Teil dieser filmischen Szenarien geworden, eingesogen, als stünde man vor halbdurchlässigen Spiegeln.

Mit Judith Mall, die ich sehr sympathisch finde, kann ich ein paar Worte wechseln. Ein wenig bin ich aber abgelenkt von ihrem kleinen Tattoo auf dem Oberarm. Ich kann es hier nicht näher beschreiben, aber es ist das coolste Tattoo, das ich seit langem gesehen habe. Ganz große Begeisterung. Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. März.

(Judith Mall. "Secret Volume"". Kunstverein Linda, Hamburg. Bis zum 28. März 2010.)

>>> Webseite von Judith Mall

Flanieren | 21:07h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
kaltmamsell - Samstag, 20. März 2010, 22:25
Sie sind mir noch nicht geheuer, diese Frühlingsmenschen, mit ihren freien Bewegungen, ihrem lauten Lachen und Sprechen. Noch haben sie etwas von Fata Morganas - beim nächsten Regen sind sie wieder weg.

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kid37 - Sonntag, 21. März 2010, 23:54
Die strahlende Sonne in Hamburg heute ließen mich auch erst an Luftspiegelungen denken. Aber diese Menschen werfen Schatten auf dem freigeeisten Trottoir. Das muß wirklich Frühling sein.

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rollinger - Montag, 22. März 2010, 00:00
Da stimme ich zu
der Frau kaltmamsell

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kelly mg - Sonntag, 21. März 2010, 12:20
Sie sind meine Auge und Ohr zur großen, weiten Welt, Herr Kid.

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kid37 - Sonntag, 21. März 2010, 23:55
Ganz im Gegenteil. Ohne Sie bekäme ich ja gar nichts mit.

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novesia - Sonntag, 21. März 2010, 15:29
die tattoo-neugier treibt jetzt natürlich in den wahnsinn. nichtmal gugeln erlöst mich. danke. pfft.

(dafür hat das steckdosenbild mit der stromleiste unten eine seltsam befreiende wirkung auf mich - wie ein blick auf zwei universen gleichzeitig. hm.)

(sie sehen, mein sonntagsgehirn ist aus der bahn.)

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kid37 - Sonntag, 21. März 2010, 23:52
Ich sag ja, man wußte nicht, wo die Bilder aufhören und die Wirklichkeit anfängt oder umgekehrt. Jetzt bin ich aber, glaube ich, hier.

(Das Tattoo näher zu beschreiben hieße seine lässige Nebenbeiigkeit nehmen. Versuche ich mal bei meinem nächsten Besuch in Ihrer Stadt.)

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novesia - Montag, 22. März 2010, 15:29
"nebenbeiigkeit" - schönes wort! ich freue mich auf ihren live-report :)

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kid37 - Montag, 22. März 2010, 18:42
Ich muß langsam mal ein wenig planen.

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doloris - Montag, 22. März 2010, 00:03
(Alb)Traumbilder, dachte ich so beim Betrachten der Webseite; ob mir wet rug und heavy guest nicht ein paar Beklemmungen beim Einschlafen verursachen werden, weiß ich erst hinterher. Man findet sich in diesen gespentischen Szenerien so gut wieder, in Teilen.
[Edit: Ich hatte keine Albträume und finde die Bilder immer noch soghaft. Gut.]

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kid37 - Montag, 22. März 2010, 11:45
Diese Arbeitsweltszenen machten sich sicher auch gut an der Wand eines Großraumbüros. Suggestiver jedenfalls als blonde TV-Sternchen.

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doloris - Montag, 22. März 2010, 13:13
Allein bei dem Wort "Großraumbüro" bekomme ich Beklemmungen. Man erhalte mir gefälligst mein Eckbüro mit 5 Fenstern. Da hängte ich dann ganz viele der feinen Bilder auf.

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kid37 - Montag, 22. März 2010, 18:45
Hier in der Werkhalle inmitten von 30 staubigen Kollegen, zischender Hydraulik, stampfenden Pressen und knisternden Brennöfen kommt mir das wie eine ganz fremde Welt vor.

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doloris - Montag, 22. März 2010, 20:50
Das muss ja auch so: Männer im/mit Dreck, Bauarbeitercharme.
Schwitzend ist übrigens besser als staubig.

Allerdings stehen die ja dann wieder auf blonde TV-Sternchen und nicht auf feine Fräulein, es ist gehupft wie ...

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fishy_ - Montag, 22. März 2010, 10:11
Wie sich alles wieder fügt. Manchmal meint es das Schicksal ja auch gut mit einem :) Ist notiert.

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kid37 - Montag, 22. März 2010, 11:42
Das Wetter hoffentlich auch. Plötzlich gerät alles in Bewegung.

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