Samstag spontan festgestellt, ich kann nicht nur bis 37 zehn zählen, sondern fast bis hundert. Dafür entgingen mir, andere Geschichte, dann Sonntagmorgen doch noch Fischli & Weiss, ich weiß auch nicht, warum mir da der innere Antrieb plötzlich fehlte. Jedenfalls hat Hamburg jetzt eine Filiale von Walther König, Kunstbuchhandlung, kann ich alles leerkaufen - obwohl es mit Personalrabatt in der schönen Stadt noch schöner wäre. Hamburg hält Anschluß, die Zeit der Dorfmusik ist vorbei, auch wenn ich erfahren muß, daß Patti Smith heuer nur in der Bundeshauptstadt Bonnberlin spielt. Ach. Bevor sich aber bittere Züge um meine zugenähten Lippen legten, lieber die Gelgenheit genutzt, endlich einmal in The Coral Sea hineinzuhören und im wunderbaren Bildband Land 250 zu blättern. Ein liebevoll aufgemachter Begleitband zur Ausstellung vor zwei Jahren in der Fondation Cartier in Paris, in der die Sängerin ihre Polaroids zeigte. Manches vielleicht banal, vieles aber in seiner manchmal schlichten, dann wieder poetischen Beobachtung sehr fühlbar, reizvoll, witzig. Reiseandenken eines nun auch schon langen und eindrucksreichen Künstlerlebens. "Impressionen" sagte man früher, aber das klingt ein wenig betulich.
Sonntagsruhe: Ein wenig auf dem Teppich liegen, dort wo die Sonne ein Fenster hinmalt, telefonieren, die Enten von draußen hören, die den eisfreien Kanal feiern, die ersten Motorboote begrüßen, die hier elegant die Kurve nehmen. Krantage, wir werden alles frischüberholt zu Wasser lassen.
Herr Kelly hatte ebenfalls einen Patti-Smith-Tag. Die erwähnte CD-Box mit den ersten fünf Alben von Patti Smith kann ich sehr empfehlen. Zwar fehlen die Booklets der Original-LPs, aber selten hat man für zehn Euro (!) so viel gewaltige Musik bekommen. Wie eine Herde Pferde.
Und Patti Smith. Was ist das eigentlich? Rock? Pop mit Sicherheit nicht. Wie ist diese Musik zu bezeichnen? Ich habe sie früher sehr gerne gehört. Vielleicht sollte ich's mal wieder tun.
Interessanterweise stellte ich mir gestern Abend, als ich ein paar MP3s mit den etnsprechenden Genre-Tags versehen wollte, just dieselbe Frage über die Musik Patti Smiths. "Post-Rock", "Urmutter des Punk" - heute ist das doch wirklich schlicht Rock. Assimiliert.
Horses reißt immer noch mit.
Auf die Idee, das als Punk zu bezeichnen oder daß es das mal gewesen sein soll, wäre ich allerdings nicht gekommen. Ich habe mich zu früheren Zeiten von einem ungemein sympathischen Punker ein paar Male auf entsprechende Konzerte schleppen lassen, ziemlich laut war's, aber wohl gefühlt habe ich mich unter denen, weshalb ich zu wissen meine, wie Punk klingt. Aber Pattie Smith? Das war doch sehr viel dezidiert poetischer, selbst das Leisehören bot sich an. Mich hat das seinerzeit beeindruckt, möglicherweise gerade deshalb. Nun ja, es sind Erinnerungen. Ich wühle besser erstmal im Plattenstapel, in dem sich, meine ich, die erste Scheibe von ihr befindet. Vielleicht höre ich heute ja Punk heraus. – Im übrigen scheint mir der Begriff Rock heutzutage überhaupt recht verallgemeinernd zu sein. Alles zu assimiliert möglicherweise.
Respekt.
Aber so erklärt sich vieles, sehr vieles.
Für mich war das damals eine andere Musikwelt, vielleicht tatsächlich: «... das Gefühl, he, eine andere (musikalische) Welt ist möglich!». Ich habe damals ja immer gänzlich anderswo zugehört, Jazz, über den Bebop dann am liebsten in die sehr freie Variante, immer Klassik, viel Léo Ferré mit seiner (auch politischen) Poesie, überhaupt das Chanson, bis hin zu dem, was man hier vermutlich seiner Melodiosität wegen als Kitsch bezeichnen würde. Den von Ihnen erwähnten Bombast mochte ich nie, der existierte für mich nicht. Und auch zu Rock hatte ich keinen sonderlichen Bezug, sehe ich mal von ganz frühen Tanzausflügen in den Rock'n'Roll ab. Pattie Smith kam mir also, möglicherweise in der Ahnung der Poètes maudits, nahe. Verfolgt habe ich es allerdings nicht. Das mag jedoch an der Sprache gelegen haben, die mir immer fremd war und geblieben ist.
Und das amüsiert mich dann doch sehr: «Sie haben Patti Smith mit 4 entdeckt?»
(Ha, heute eingetroffen. U-Bahnfahrten dürfen jetzt länger dauern.)
Herr Stubenzweig, für solche Musik war ich einfach zu unreif. Ich hörte erst WDR, entdeckte dann BFBS und bald glücklicherweise - und das war mein "Pfingsterlebnis", nicht irgendwas mit Twitter - John Peel's Music. Sie waren damals wahrscheinlich schon eingeschult ;-) Jazz z.B. war mir noch sehr fremd, vielleicht auch, weil Wuppertal so einen Ruf als, schauder, Jazzrockstadt hatte. War das eine Erlösung, endlich kein endloses Gitarrengegniedel hören zu müssen, sondern bald die ganz schlichten, reduzierten, dünnen Produktionen rund um die 80er-Dekadenwende. Endlich alles freigefegt, kahle Betonwände, Neonröhre - kein Zierrat mehr. (Patti Smith passte dazu, von der kompromißlosen Attitüde und einem radikalen Künstler- und Kunstverständnis abgesehen, musikalisch nicht mehr ganz rein. Aber ich habe sie immer geliebt.)