Das ist ein alter Beitrag, der vor längerer Zeit seinen Weg zu Flokati fand. Dort passiert aber leider schon lange nichts mehr. Und weil er gerade hierzu paßt, hole ich ihn heim.
Als Kind war ich in den "großen Ferien" immer bei meiner Großmutter, die in einer schleswig-holsteinischen Backstein-Kate direkt neben einem Bauernhof wohnte. "Hausen" würde man heute wohl sagen, denn es gab nur ein Plumpsklo, das sich in einem gemauerten Schuppen gegenüber des Häuschens befand. Wasser gab es nur aus einer Pumpe auf dem Hof. Morgens wurden zwei Eimer geholt - einer für Trinkwasser, der andere für Brauchwasser zum Waschen. Die Eimer wurden in der Küche auf zwei alte Stühle platziert, und dann nahm man sich zum Waschen etwas davon in eine Schüssel. Vor dem Häuschen gab es eine kleine Rasenfläche und einen kleinen Weg, der aus grobem Kopfsteinpflaster bestand. Hinter dem Haus befand sich der Nutzgarten. Dort standen ein paar alte Kirsch- und Apfelbäume und Beete, in denen Mohrrüben und Kartoffeln wuchsen.
Ich fürchte, das Ganze war alles ein wenig schäbig. Aber als Kind was es das Größte. An der Kate befand sich noch ein alter Kuhstall, der aber nicht mehr genutzt wurde und voller Gerümpel stand. Hier, fürchte ich, haben noch richtige alte, antike Schätzchen gelegen. Perdu.
Das aufregendste aber war der Bauernhof nebenan. Dort wurde die Milch gekauft. Ein gefährlicher, großer Hund lag an einer langen, klirrenden Kette, von der man nie genau wußte, wie weit genau sie reichen würde. Vorsichtshalber sind wir Kinder immer ganz flink an ihm vorbei und haben uns in die Ställe geschlichen. Hier haben wir nach den Kälbern geschaut oder die Fütterung der Schweine beobachtet. Manchmal waren wir auch häßlich zu den Hühnern oder spielten mit der einäugigen Katze. Ein wenig unheimlich war auch der "Verrückte". Die Bauern hatten einen behinderten Sohn unbestimmten Alters, der sich in unartikulierter Sprache mit uns zu verständigen versuchte und ansonsten seinen geheimnisvollen Geschäften nachging. Als Kinder waren wir grausam genug, ihn hinter seinem Rücken zu hänseln - auch wenn ich immerhin zugeben kann, daß mir das als nicht "ganz richtig" vorkam. Aber die Dorfkinder neigten auch dazu, sich vor mir als "Städter" als besonders abgebrüht und weltläufig zu produzieren.
Mit Vorliebe wurden mir auch die grausamen Geschichten erzählt. Wie sich Kinder im Getreidefeld versteckten, um ihren Vater zu überraschen, der mit seiner riesigen Erntemaschine das Getreide mähte. Die meterlange Messertrommel glänzte böse im Sonnenlicht. Und natürlich hat er im infernalen Lärm seiner Maschine die eigenen Kinder nicht gehört und ihnen mit der Mähmaschine die Arme abgeschnitten.
Dann spielten wir immer Verstecken im Stroh. Im Nachhinein war das wohl gefährlicher als sich während der Ernte im Getreide aufzuhalten. In der Scheune lagerte das Stroh meterhoch. Wir sprangen von wackeligen, gepressten Ballen hinunter ins Heu und wühlten uns durch labyrinthische, enge Tunnel, die manchmal zwei, drei Meter steil nach unten führten. Es war heiß und stickig in der Tenne und die Strohhalme pieksten uns in die Arme und bohrten sich durch unsere Hemden. Wir wären wahrscheinlich jämmerlich erstickt, wenn die Strohballen über uns zusammengefallen wären. Aber daran haben wir nie gedacht.
Einmal habe ich einen verdorrten Hühnerfuß im Stroh gefunden. Ich habe nie herausbekommen, ob den die einäugige Katze oder der verrückte Sohn dort hineingelegt hatte. Oder ob das dumme Huhn während der Ernte im Getreide herummarschierte.
Das erinnert mich daran, daß meine Großmutter als gutgläubige Katholikin dort oben in Holstein in der Diaspora lebte und jeden Sonntag einen kilometerlangen Fußweg zur nächsten konformen Kirche auf sich nahm. Sie hat ein trauriges Ende gefunden, aber das kann ich nicht in einem Nebensatz erzählen.