Kick Out The Jams



Alle zwei, drei Jahre brauche ich ein neues Notizbuch. Da ich irgendwann, lange bevor die wiederentdeckten vorgeblichen Literatenklassiker in Mode kamen, mit diesen China-Kladden angefangen und nun gerne alles einheitlich habe, bleibe ich bei den altmodischen Billigdingern. Ja, genau. Ich schreibe selbst die 365 Tage rein, das dauert gar nicht so lang, wie man vielleicht meint und ist eine hübsch-stupide Beschäftigung für eine öde Stunde. Hinten schreibe ich ein paar wichtige Telefonnummern rein, und dann ist noch genügend Platz für Notizen, Skizzen und Fundstücke, die ich im Laufe der Jahre zwischen die Seiten presse.



Das schwierigste ist das Finden eines kleinen Votivbildes, eines Mottos oder Emblems, denn ein solch beständiger Begleiter will weiser gewählt sein als... nun, als andere vielleicht, die weniger lang als ein Notizbuch halten. So ein Zwei-Drei-Jahres-Turnus schleppt natürlich manche Altlast an Bord, die Telefonnummer eines Schusters vielleicht, den man längst nicht mehr besucht. Eine Adresse, die keiner mehr kennt oder eine Kinokarte für einen Film, der lange schon nicht mehr... hei! den es jetzt bereits auf DVD gibt. Isnding. Beim Blättern fallen mir manche Termine auf und wie sich später die Fragezeichen häuften. Die mysteriös stillen drei Tage, nie geklärt, der Autounfall, manches schmerzhafte Ausrufezeichen auch, dann aber wieder tolle Begegnungen, Zugverbindungen, die Namen ferner Städte. Ein Besuch am Meer (die Seiten voller Wasserflecke), ein Krankenhaus, Lokale, die Tanzdielen 2008, die vergnügten Ausrufezeichen. Ein paar Zettelchen, mit großen Herzen drauf oder auch sachlich ("Denk bitte an die Fenster!"), eine Aufgabenliste, auf der mir zu wenig durchgestrichen scheint, eine Zahlenreihe, von der ich nicht weiß, was sie bedeutet. Telefon, Kontonummer, die Weltformel. Manchmal ganz einfach bloß Tintenflecken. Manchmal ganz einfach bloß zerfledderte Seiten, geknickte Ecken, Ränder der Erinnerung. Ein Schnelldurchlauf zwischen Seufzen und Yippie-Yeah. (Wobei ich, glaube ich, Worte wie "Yippie-Yeah" gar nicht benutze.)

Das neue Jahr, das neue Buch beginnt jetzt. Ich fühle mich wie mit Kernseife geschrubbt und so wird es sein wie Medizin. Die alten Bücher schmeiße ich natürlich nicht weg. Wie meine Erinnerungen wird vieles bewahrt. Ich bin da nicht so.

Homestory | 13:04h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
sunny5 - Freitag, 9. Januar 2009, 14:00
yippie yeah. *kicher* gibt es überhaupt menschen, die das benutzen? sehr fraglich.

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diagonale - Freitag, 9. Januar 2009, 14:03
Teenies.

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cabman - Freitag, 9. Januar 2009, 14:08
Und ich. Aber nur wenn ich erfolgreich bin. Kommt also auch nicht sooooo oft vor.

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kid37 - Freitag, 9. Januar 2009, 14:15
Sie haben mich alle noch nie mit Cowboy-Hut gesehen.

(Wann ist eigentlich Rosenmontag?)

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cabman - Freitag, 9. Januar 2009, 14:38
Im Zweifel auf jeden Fall an einem Montag.

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fabe - Samstag, 10. Januar 2009, 00:27
moleskine wäre mir viel zu teuer für all diesen halbgaren kram, den ich da immer reinschreibe. allerdings bin ich momentan bei sowas schulheft/notizbuchformatmäßigem, weil sich bei der chinakladde immer die schrift auf der gegenüber-seite abzeichnet.

interressant, oder?

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kid37 - Samstag, 10. Januar 2009, 15:38
Herr Fabe, danke für diese hochinteressante Information! Die mangelnde Papierqualität ist in der Tat ein Problem. Ich lese aber in der Regel so wenig nach (sonst hätte ich ja keine Zeit zum Schreiben), daß ich in diesen durchwabernden Tintenflecken, den Löchern, die die Feder oder ein spitzer Bleistift ab und an reißen, gleich wieder ganz faszinierende, gleichsam organisch wachsende Strukturen und Formen sehen kann.

Ich könnte natürlich, gleich manchen dekadenten Rockstars, die sich 300-Dollar-Jeans kaufen, um sie erstmal mit Löchern und Rissen zu versehen, damit sie authentisch wirken, ein Moleskine kaufen, den Einband entfernen und den Block in eine entkernte Chinakladde binden. ;-)

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jean stubenzweig - Samstag, 10. Januar 2009, 06:41
Haben's momentan alle mit Zetteln, deren Kästen oder Schubladen, mit Notizbüchern, seien sie nun moleskinär oder chinesisch? Wahrscheinlich liegt's am Jahresanfang. Aber wer Zettel benutzt, muß darüber glücklicherweise nicht nachdenken. Auch nicht, wo er sie hingelegt hat, die Notizen.

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kid37 - Samstag, 10. Januar 2009, 15:32
Sie haben bestimmt einen Zettelkasten, für all die Träume, die man darum herumwebt ;-)

Neues Jahr, neues Buch. Nur bei mir dauert - wie alles - auch diese Phase länger. Ich habe dann meist aber auch einen guten Überblick über Werden & Vergehen. Man könnte auch was Hübsches mit den Büchern machen. Vielleicht ähnlich wie Niki de Saint Phalle mit 'ner Knarre durchschießen. Und anschließend in die Löcher Kresse säen.

(Hm. Platt, aber nicht schlecht. Ich geh mal in die Waffenkammer den Bastelkeller.)

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jean stubenzweig - Montag, 12. Januar 2009, 02:19
Ach ja, man zettelt sich so durchs Leben.

Und: Aus Niki de Saint Phalle ist ja sowas ähnliches wie Kunst mit Kresse geworden. Ich bin mir nicht so sicher, ob die viele Menschen die Nanas noch so lieben würden, wüßten sie, daß die Dame gerne scharf geschossen und überhaupt manchmal etwas zügellos gedacht hat.

Ein Hinweis: Lesen Sie mal rein bei EurOpa, ach EurOma. Es könnte Sie eventuell interessieren.

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kid37 - Montag, 12. Januar 2009, 22:11
Da haben Sie ja ein schönes Stück abgeliefert. Dafür muß ich mir aber ein wenig Zeit nehmen. Angeblich ist Fluxus ja u. a. in meiner Heimatstadt entstanden, Vostell hat da manchen Bierdeckel gestaltet.

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lel - Samstag, 10. Januar 2009, 16:44
Ich hätt' das ja gerne umgekehrt. Eine vollgerammelte Chinakladde, aus der ich jeden Tag was rauslesen kann, sei es Ausrufezeichen oder Kinokarte. Reinschreiben...ichweißnicht. Weder meine Gedanken noch die Erlebnisse reichen mittlerweile schon für die Chinakladden-Onlineversion aus. Da auch noch eine Maulwurfhaut? Puh, ne.

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kid37 - Samstag, 10. Januar 2009, 17:30
Aber Termine? Wie verwalten Sie die? Ausstellungen, Verabredungen, Konzerte, Geburtstage, Ärzte, Heizungsableser... ich bin sehr vergeßlich geworden, ich muß alles notieren.

(Mein Ding heute: Käse, Quark, Brot, Gemüse, Milch. Das kann ich mir aber gerade noch merken. Rosmarin, das schreibe ich mir besser auf.)

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lel - Samstag, 10. Januar 2009, 17:59
Termine verwalte ich insofern, als dass ich keine habe. Extreme-Cocooning, Verschnaufpause nach den fetten Jahren, Pärchenigelei deluxe - da passiert nicht viel. Wenn doch mal was ist (Zahnarzt, Beine rasieren, Gaskassier) reicht dafür auch der Weihnachtswerbegeschenkkalender von der Apotheke.

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kid37 - Samstag, 10. Januar 2009, 18:21
Cocooning finde ich schön, wenn es beide machen. Bei mir wechselt das alle paar Jahre. Phasen wie Jahreszeiten. Jetzt muß ich wieder raus, die Schiffe stehen unter Segel. (Die Seekarten waren ebenfalls ein Werbegeschenk. Das macht es spannender, wer weiß, welche Meere die in Wahrheit zeigen ;-))

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lel - Samstag, 10. Januar 2009, 19:53
Schön, dass das kein seltenes Phänomen ist! Die letzten Jahre war das vielleicht mal ganz toll, immer mit geblähten Segeln volle Fahrt zu halten, die Masten sich biegen zu lassen und über schaumige Wellen zu tanzen. Aber jede alte Fregatte braucht einmal den wohlverdienten Besuch im Trockendock, umso mehr, wenn sie dort liebevoll überholt und neu mit Bienenwachs eingestrichen wird (Ja, ich weiß schon, aber Teer wäre mir jetzt doch zu prosaisch. :o) )...
Genießen sie!

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vert - Sonntag, 11. Januar 2009, 01:56
oh.
und ich dachte schon, ich sei retro!

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