Tadellöser

Die letzten Tage feiern wir einige Ausstandspartys. Man trinkt sein Bier, ißt etwas von der Notration, steht zusammen, wie auf einer Eisscholle, die abdriftet. Ringsum schmilzt das Eis, wir drängen uns weiter zusammen, ab und an fallen welche über den Rand; da muß man eben cool bleiben, meint einer. Ich sage, laßt uns Titanic spielen, und hinten summen ein paar "Nearer My God To Thee".

Es ist aber auch schön, dieser Moment, da alle spüren, wie sich etwas ändert, etwas sich neigt, auch neu beginnt dann irgendwann. Alte Kollegen schauen herein, es gibt viel Hallo, stummes in-den-Arm-nehmen, manche küsst man, die vielen Jahre, sieben, elf oder achtzehn. Menschen, die man lieb gewonnen hat, auf ihre Art oder auch eigene Art, Menschen, mit denen man mehr Zeit verbringt als mit den Liebsten daheim oder denen, die man am Wochenende trifft.

Ich denke, wie oft man strukturiert und umstrukturiert, Menschen neu zusammensetzt und sich dabei selber neu zusammensetzt. Wie Leichtigkeit verlangt wird, die Fähigkeit nämlich, Bindungen zu lösen, zu vergessen, und groß zu bejubeln, was neu erscheint. Wir aber sagen, fuck you, good night, danke, und mit uns zieht die neue Zeit, und die wird bekanntlich super.

Wir wippen zur Musik, Robbie singt was von Abschied, so ein Scheiß, einer erzählt noch vom Setbesuch. Wir tauschen Namen, ich lache (nach innen), es sind doch immer dieselben Gestalten. Und dann noch die, die ihre Lügen per Anwalt deckt.

>>> Emotional Landscapes

Homestory | 12:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
mark793 - Freitag, 14. November 2008, 13:08
Herr Kid, warum so gedämpft? Die Fabrik hat doch gerade einen Megadeal festgeklopft: mehr Arbeit für das verbleibende Humankapital - ein (nicht mehr ganz so) global agierender Logistikdienstleister will eine gelbe Gartenzwergserie unters Volk bringen, hörte ich. Und die Prinzessin ist freiwillig von der Eisscholle zurück ins Polarmeer gehüpft. Man muss halt auch immer das Gute sehen (so schwer das zu Zeiten auch zu erspähen sein mag).

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kid37 - Freitag, 14. November 2008, 13:30
Ich weiß, ich habs normalerweise ja nicht so mit Befindlichkeiten (Moment, mir ist da gerade was unter den Tisch gefallen... so, da bin ich wieder), aber aus der Sicht der Zahnrädchen... wenn Tag um Tag die Menschen ihre berühmten zwei Kartons aus den Büros holen... Die Zukunft ist immerhin tatsächlich so hell, wir können die Sonnenbrillen nicht absetzen.

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frl.deville - Freitag, 14. November 2008, 16:28
Ich habe Vorarbeit geleistet.
Meine Kartons sind schon zuhaus.
Muss nur noch meine Jacke nehmen.
Es ist Herbst. Es wird stürmischer.

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kid37 - Freitag, 14. November 2008, 17:10
Mich wird man ja nicht so leicht los, ich neige zum Klammern. Ich komme mir manchmal vor wie ein One-Night-Stand, der einfach zu lange geblieben ist. Ein Gefühl, das ich privat schon mal hatte.

Ein Jahr mit Zorn, mit Wehmut und natürlich auch vielen schönen Dingen: Gehen kann ich wohl immer nur sehr langsam. Mal sehen, ob 2009 der Finger auch auf mich zeigt. Ich halte schon mal eine Aldi-Tüte für meine Sachen bereit.

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frl.deville - Freitag, 14. November 2008, 17:34
Ein OneNightStand, der zu lange geblieben ist.... kann schon mal passieren. Privat ja noch viel eher.

Aber man muss auch mal loslassen.
Und sich selbst den Rücken decken.
Man darf sich nicht verschenken.

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kid37 - Freitag, 14. November 2008, 18:44
In einem Telefonat sagte ich heute: Ich war ohne Zweifel, und das war ein großes Geschenk. Ich wollte keine Schleife, aber dieses achtlose... Nun ja, irgendwann nahm ich mich wieder mit.

Man muß die Vorstellungen, die man hat und die andere haben, immer wieder überprüfen. Ich habe gelernt, beruflich wie privat, daß "ganz sicher" häufig "ganz sicher nicht" bedeutet. Ich habe gelernt, beruflich wie privat, daß manche das Schauspielern auch nach Drehschluß nicht lassen. Ich mag es nicht, beruflich und privat, wenn mich jemand ausbremsen will. So schnell fahre ich ja nicht. Ich habe faszinierende Menschen kennengelernt und auch viel Positives gelernt. Und das nehme ich irgendwann mit.

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iii - Freitag, 14. November 2008, 14:40
Zumindest wurde nicht zu Amy gewippt. Man sollte auch beim Abschied
( ) geschmackvoll
( ) fair
( ) dylanesk

bleiben. ..*(|;-)

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kid37 - Freitag, 14. November 2008, 14:47
Immer fair. Selbstverständlich.

Und wie das immer ist, wenn jemand von neuen Herzen Projekten berichtet. Und dabei einen Tick zu laut lacht.

Seit heute weiß ich, warum ich so lange Zeit den Text von It Ain't Me, Babe im Kopf hatte.

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iii - Freitag, 14. November 2008, 15:10
I ♥ Idiot wind.
Vielleicht nicht immer fair, aber großartiger³ Text.

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suna - Freitag, 14. November 2008, 16:13
vielen dank für den ohrwurm, herr kid...

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kid37 - Freitag, 14. November 2008, 17:21
Gern. Manchmal frage ich mich, ob ich es nicht besser mit leichterer Musik probieren sollte. Ich denke über zu vieles nach, auch nicht so gut.

Ach Blödsinn. Grübeln ist das. Denken geht anders.

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lac - Freitag, 14. November 2008, 14:56
seufzen und lesen.
lesen und seufzen.
(nach innen lachen kann man endlos)
es grüsst das lebende beispiel für unverhofft/absurde kehrtwendungen der strasse-des-lebens:
frau lac
in begleitung von solomon burkes flesh and blood

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kid37 - Freitag, 14. November 2008, 15:08
Es sind viele Abschiede dieses Jahr. Liebe, Freunde, Kollegen. Todesfälle. Es ist alles schmaler geworden.

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lac - Freitag, 14. November 2008, 15:30
ja. ich umarme sie ganz vorsichtig.

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derherold - Freitag, 14. November 2008, 20:17
Herr @kid, in unserem Alter kommen die Einschläge näher.

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kid37 - Freitag, 14. November 2008, 21:52
Ja, das ist wohl so. Deshalb kann ich mit Oberflächlichkeit oder Versuchen, mich auf eine unbestimmte Zukunft zu vertrösten, immer weniger anfangen.

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sunny5 - Freitag, 14. November 2008, 20:36
lieber herr kid. bin mal wieder außerordentlich inspired by ihrer musikwahl. treffer versenkt. ich muss diese idee einfach für mein blog klauen. das muss sein! :-)

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kid37 - Freitag, 14. November 2008, 21:52
Schön. Ich zeige ja auch manchmal wenig stilvolle Seiten, aber Musik immer 1a!

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sunny5 - Freitag, 14. November 2008, 21:57
neinnein, dass verwechseln sie. ihr stil ist unverkennbar und gut - immer! ich nehme seit jahren heftige medikamente, um diesen punk-virus abzutöten, den ich mir mit 13 eingefangen habe. aber es wird, es wird ...

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kaethe feinstrick - Samstag, 15. November 2008, 00:30
Abschiednehmen...ach ja...das Thema meines Lebens. Grausam. Grauenvoll. Und ständig diese Spannung zwischen sich verändern wollen, aber nicht loslassen mögen. Das ist manchmal fast noch schlimmer, als sitzengelassen zu werden.

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kid37 - Samstag, 15. November 2008, 14:08
Beruflich wie privat. Wobei ich lieber aufarbeite, statt allzu leicht loszulassen. Das zahlt sich am Ende aus, ich werde ruhiger dabei.

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