Beim ersten Mal dachte ich, hm. Beim zweiten Mal, hm ja. Nun, nach dem dritten Mal bin ich begeistert: Fell (OT: Fur) beschreibt eine Epsiode aus dem Leben der Fotografin Diane Arbus, die am 14. März 85 Jahre alt geworden wäre.
Steven Shainberg, Regisseur des ganz entzückenden Films Secretary, erzählt nicht die Biografie der Arbus, sondern in wunderbar fotografierten Tableaus den entscheidenden (fiktiven) Wendepunkt ihres Lebens. Wie sie die luxuriöse, oberflächliche und hohl glitzernde Welt ihrer pelztragenden High-Society-Eltern verläßt und eine ganz andere findet: Die der "Anderen", der Freaks und Transvestiten, der Artisten und Ausgestoßenen. Manchmal muß man Gehen, um Anzukommen.
Arbus (Nicole Kidman) folgt wie Alice im Wunderland dem weißen Kaninchen und entdeckt Stück für Stück eine neue, bizarre Welt, enträtselt die Geheimnisse des Kellers und das Mysterium des Dachgeschosses. In surreal angehauchten Szenen entwickelt sich die Freundschaft zu Lionel Sweeney (Robert Downey Jr.), einem Mann, der an Hypertrichose, dem sogenannten "Werwolf-Syndrom" leidet. Sein exzessiver Haarwuchs, sein "Fell" ist die Kehrseite der schönen Raubtierpelze, die Arbus' Ehemann in Szene setzt. Je weiter sich Diane in diese traumhafte Welt verliert, desto klarer scheint ihr die neugefundene Realität. Desto wacher wird sie.
Technisch nicht übertrieben versiert, ging Diane Arbus bis zu ihrem frühen Freitod 1971 einen nicht immer unbeirrten, aber traumwandlerisch-wagemutigen Weg dahin, wo Amerika nicht ganz so schön ist. Sie suchte die Ästhetik des Häßlichen, das Abstoßende, das Aufregende - und ihre eigenen Ängste. Die Reaktionen auf ihre Fotos waren ablehnend bis haßerfüllt - sehr zu Arbus' Überraschung, die sich, so vermute ich, nicht immer was dabei dachte. Heute gilt sie als eine der bemerkenswertesten US-Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Ich bin natürlich Fan.
Shainberg spielt geschickt mit Fetischen wie Haar, Masken, Nackheit und Musik, verschönt, wo es der Arbus ums Radikale und Häßliche ging, weidet die sexuellen Aspekte aber nicht aus. Am Ende, am Ende des Films jedenfalls, geht es sowieso um eine ganz andere Liebe. Um einen anderen Atem. Am Ende geht es um Inspiration. Am Ende geht es um das Erwachen.
(Fell. Fur. USA 2006. Regie: Steven Shainberg.)
>>> Trailer
- Kritik zur Arbus-Biografie von Patricia Bosworth (Deutschlandradio)
- Bildersuche
Ich finde es gerade gut, daß der Film den Fehler vermeidet, die Fotografie der Arbus nachzustellen. Daß er im Gegenteil visuelle Opulenz dazu benutzt, das Traumhafte auszumalen, das Symbolische herauszustellen. Es ist ja keine Biografie oder höchstens eine "fiktive" (wie der Vorspann auch geradezu zeigefingerhaft herausstellt). Man sieht eine unsichere, zaghafte Frau, die sich Schritt für Schritt eine neue, höchst andersartige Welt erobert. Effekthascherisch fand ich das gar nicht.
Interessant übrigens, daß Allen Arbus später mit Robert Downey Sr. zusammengearbeitet hat. Darüber hätte ich in den Extras gerne mehr erfahren.
p.s. danke für den freundlichen besuch.