Super
Ich habe jetzt auch den Supermarkt gewechselt. Der alte hat einen neuen Besitzer, erst bat man um ein wenig Geduld, nun aber sind es schon Monate mit halbvollen Regalen und halbabgelaufenen Sachen, dem Auslisten meiner Lieblingsprodukte und dem nur zögerlichen Adoptieren neuer. Tomatentreu ging ich dennoch immer wieder hin, weil ja alle in den neuen Supermarkt gehen, der in der Nähe vor einiger Zeit eröffnet hat. Einer muß hier Arbeitsplätze retten, dachte ich. Und dann: Wie schön leer es auf einmal immer war, kaum, daß man mal an der Kasse warten muß.
Aber immer häufiger bekam ich nicht alles, was ich wollte. Zuletzt hatten sie keine Spülbürsten, sodaß ich extra für eine simple Spülbürste ins Spülbürstenfachgeschäft hätte gehen müssen, um eine Spülbürste zu kaufen. Das war mir ein wenig zuviel der Aufmerksamkeit für so ein simples Küchenhilfsgerät. Spülbürste, Spülbürste, Spülbürste. Sagt das mal dreimal schnell hintereinander.
Der neue Supermarkt ist groß und sauber und hat sein Licht mittlerweile so eingestellt, daß man kein Augenflimmern mehr bekommt. Also ich. Mir ist es ein wenig zu groß und zu hell und zu schick, und die Spülbürsten, die sie immerhin haben, sind so schäbige aus buntem Kunststoffklump, die ich eigentlich nicht haben möchte, aber wann geht es im Leben da schon drum? Es gibt aber ganz viele biologisch abbaubare Speisen und Milchsorten und auch Gemüse und dies und das für den besonderen Abend.
Und eine nette Fachkraft mit freundlichen Wesen gibt es dort auch. Wir schauen uns manchmal so zwischen den Regalreihen an, zufällig, und sie lächelt dann. Ich lächle dann nicht, sondern denke, Mist, wieder vergessen, mich zu rasieren. Ich sehe aus wie ein zotteliger alter Mann, der hier seinen Einkaufswagen mit rotem Wein (den haben sie dort auch) durch die Gänge schiebt, andekoriert mit einem Brokkoli, diesem Supergemüse, als durchsichtigen Alibieinkauf. Die junge Kollegin sprach neulich auch schon quer über den Labortisch hinweg etwas von "verlottert", so mit Spaß in der Stimme, aber ich verstehe die Zeichen sehr wohl. Ich bin da ein wenig leger geworden. Unangenehm nun, wie abgelaufene Restware am Ende der Woche der netten Supermarktfachkraft zu begegnen, die so freundlich ist und blaue Augen hat. Mir hingegen fehlt nur noch so ein rotes "30 Prozent"-Rabattetikett auf der Stirn.
Letztens habe ich sie beim Abbiegen in den Gängen mit meinem Einkaufswagen fast umgefahren, konnte aber rechtzeitig bremsen, wie so ein Cabrio vor dem Zebrastreifen. "Danke", meinte sie und lächelte mich an. Ich aber konnte vor Schreck gar nichts sagen. Nicht einmal "Spülbürste" zum Glück, dabei hatte ich das die ganze Zeit im Kopf deklamiert. "Spülbürste, Spülbürste, Spülbürste". Um die nicht zu vergessen.
Habe ich dann aber.
Entschuldigung, sind Sie verliebt oder fühlen Sie sich wie ein schlecht geführter Supermarkt? Ich bin verwirrt.
Wie frisch gespült. Aber ohne Bürste.
Fräulein Bürstner.
Aber ja! Da geriet wohl mein Gedanken-Proceß ins Stocken!
Ein anspruchsvoller Job, dieses ständige Arbeitsplätzeretten und Infrastrukturerhalten. Im Internet das richtige Buch raussuchen, samt ISBN in eine freundliche Mail an den Buchladen senden, dann hingehen und abholen; oder auch ganz bewusst den zusätzlichen Spendengroschen für die mangelhaft gekühlte Milch bezahlen, auf dass es immerhin diese auch künftig noch in der unmittelbaren Nachbarschaft gebe. Mir sind die großen, neuen Märkte (mit LC-Displays anstelle von Preisschildern!) oft zu voll, an Menschen und an Auswahl. Trotzdem, ich fahre hin, da bleibt für gegenüber oft nur die vergessene Tube Senf.
LC-Display! Jetzt zum ersten Mal gesehen. Vermutlich sind die in drei Jahren soweit, anhand von Sensoren und Kameras den Kunden via Big data einzuordnen und in real time die Preise anzupassen, je nachdem, wer draufschaut. So wie heute schon beim Recherchieren im Netz, je nachdem, welches Betriebssystem man nutzt. Ich muß gestehen, ich kaufe immer mehr online. Manchmal bestelle ich zur Abholung in Filialen, wenn es die gibt, vieles, was es im Einzehandel eh nicht gibt, und hier und da, weil ich nicht wegen einer Nichtigkeit quer durch die Stadt expedieren will. Ja, die kleinen Läden. In meinem Viertel gibt es zum Glück quasi keine, das beruhigt das Gewissen.
LC-Display! Jetzt zum ersten Mal gesehen. Vermutlich sind die in drei Jahren soweit, anhand von Sensoren und Kameras den Kunden via Big data einzuordnen und in real time die Preise anzupassen, je nachdem, wer draufschaut
Sie schreiben das hier so leger dahin, aber genau solche Dinge sind geplant. Nicht mit Kamera aber mit RFID auf der Deutschcard + Belohnungsrabatte für Stammkunden, auch Produktbezogen. Kaufen Sie immer denselben billjen roten Wein? wirds auf Dauer günstiger. Weiß ich aus zuverlässiger Quelle, die ich vergessen habe.
Ich sage immer: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten! Außer, das Weinregal spricht mich unvermittelt an mit "Na, du alte Schnapsnase, rate mal, was heute im Angebot ist." Ich gelte bei meinen Kollegen ja immer als spooky kid mit - wie mir mal ein SPD-Mann unterstellte - Verschwörungstheorien, wenn ich mit solchen Szenarien komme. An RFID hatte ich noch nicht gedacht, aber, ja, natürlich.
Wann hat das angefangen mit den Spülbürsten?
Sie tauchten erstmals in schweren Träumen auf. Dann kaufte ich meine erste, und es wurde leichter. Dann kamen sie und gingen, wie das so ist im Leben. Aber richtig losgelassen hat mich das Thema nie.
Habe mich heute Nachmittag dazu fachlich mit dem Kollegen Jung ausgetauscht. Wir kamen überein, dass wir zu
dieser Deutung tendieren:
"Traumsymbol KloSpülbürste: Unannehmlichkeiten, die man unbedingt loswerden möchte.
Von einer KloSpülbürste träumen weist darauf hin, dass man sich nicht in Verlegenheit bringen will. Sie symbolisiert alle Gefühle und Erinnerungen von Unannehmlichkeiten, die man unbedingt loswerden möchte.
Die KloSpülbürste im Traum kann auch für den Wunsch stehen, dass alles perfekt und sauber sein soll, um etwas Schmutziges oder Peinliches im Leben zu kaschieren, oder zu vertuschen.
Hier ebenfalls noch ein Hinweis zum Thema.
Das ist natürlich nur eine erste grobe Einschätzung. In der üblichen grundlegenden, dreistündigen Anamnese in meiner Praxis lässt sich die Problematik besser eingrenzen. Gerne vereinbaren Sie einen Termin bei meiner Assistentin.
Eine Fundgrube tut sich auf! Ich behaupte, ich bin dabei, mein Leben mal gründlich durchzuschrubben. Den Grind der Jahre, soziale Konstrukte, die Plattensammlung. Muß alles auf den Prüfstand. Zur Klobürste komme ich dann noch. Dann aber alles wie frisch.
Und zu welchem Preis? Es ist der Alltag der uns... ach, Sie wissen schon. Die Details machen das Gesammtbild. Und wenn die nicht stimmen... aber man bleibt ja auch beweglich, heißt es da immer wieder. Mal die ausgetretenen Pfade verlassen. Oder man wird auf neue Pfade gestoßen, wie die Sache mit dem Supermarkt. Übrigens, Spühlbürsten aus Kunststoff haben einen entscheidenden Vorteil: Man kann sie prima in den Geschirrspüler packen. Sind hinterher sauber wie noch nie. Mit Toilettenbürsten mache ich das nicht... Man mag sich denken warum.
Tatsächlich, und das ist wenig bekannt, versuche ich, kunststoffrei zu leben - Schallplatten und Gegenstände aus Bakelit ausgenommen. Ansonsten werfe ich tatsächlich so gut wie alles aus der Küche in die Spülmaschine, Sperenzchen und Sonderwünsche liegen außerhalb meines Zeitrahmens. Vorratsdosen aus Melanin mögen das z.B. auf Dauer nicht so.
1 verwegener Mann, der mit Brokoli & Wein durch die Gänge brettert kann doch nicht verkehrt sein, würd ich denken. Packung Hundefutter + Hafermilch noch dazu und ich würde Hallo rüber rufen(also theoretisch).
Mit Hafer fängt man
Mäuse Männer, das stimmt. Ich bin da tatsächlich gut versorgt. Milch aber nur vollfett echt! Wenn ich freitags unrasiert da rumlunger, sehe ich bestimmt selber aus, wie ein geprügelter Hund - vielleicht hilft das schon.
Früher, bei supatyp hat man noch gelernt: Never ungestyled aus dem Haus gehen!
Ja, wie in Norditalien.... auch bekannt als Südtirol. Selbst beim schlichten Gang vor die Türe gilt: Nie lotterig. Das treibt bisweilen Blüten die immer wieder erstaunen. Ohne Bling läuft gar nichts.
Apropos: Hölzerne Spühlbürste mit Naturborsten und ein bisschen Bling. Vielleicht der Hit?
@Bubo: Supatyps Regeln für den Supamarkt - so eine Broschüre hätte er mal rausgeben sollen. Mir zur Mahnung.
Ich verzichte immer öfter auf die Kombi Unterrrock+Kittelschürze, wenn ich mich stadtfein mache.
Ohne Unterrock? Das gibt's nur in der großen Stadt. Aber Vorsicht, der Winter kommt!
Das erinnert mich an die schöne Geschichte meines afroamerikanischen Kollegen, der bei der netten Dame der Staubsauger-Hotline "
Turbo-Brüste" bestellen wollte.
haha, da kann man mal sehen: Ich las tatsächlich Bürste... bin wohl noch nicht ganz bei mir... oder die neue Brille spielte mir einen Streich.
Es drängen sich mir mit Macht alberne Wortspiele auf.
@Kristof: Eine Turbospülbürste fände ich ganz gut. Zeit ist ein knappes Gut. Es hat doch bestimmt schon jemand eine ausreichend dimensionierte Ultraschallspülbürste erfunden. Sonst muß ich das tun.
Erfinden Sie doch lieber einen kontaktlosen Ultraschallrasierer, der seine Arbeit allein durch sekundenlanges Beschallen erledigt.
Call me Daniel Ultraschall! Ich mache mich sofort an die Skizzen!
Ich müßte dann auch nicht mehr so lotterhaft nachlässig rasiert freitags zum Einkaufen. Verliere andererseits vielleicht aber auch wieder an mildtätiger Fürsorge. Neulich, ich mußte fast weinen, überließ mir eine junge Frau einfach so ihren Einkaufswagen. Mit einem Lächeln!
Vielleicht hielt sie mich, unrasiert und abgearbeitet, einfach für bedürftig. Es weiß ja keiner, daß ich - wegen der Raubverbrecher überall - in den Säumen meiner Hosen eine Anzahl Bitcoins (links) und Chips für meine Einkaufswagen (rechts) eingenäht habe.
El Kid-O steigt ins SEO ein mit dem umkämpften Keyword Spülbürste. Respekt!
Ich werde Spülbürsten-Influencer und vielleicht eines Tages so berühmt wie die
Joanalistin.
Die kennt sich aus. Wienerin eben.