Dienstag, 25. Juni 2024
Henri Cartier-Bresson war ein Meister der Schwarzweißfotografie. Die Ausstellung bildet das ab
In einem entscheidenden Augenblick entkam ich heute gerade noch so dem glühenden Asphalt in der Innenstadt und schlüpfte in die Ausstellung "Watch! Watch! Watch! Henri Cartier-Bresson", die derzeit im Bucerius Kunstforum läuft. Über 200 Originalabzüge sind zu sehen, dazu Filme und Seiten seiner in Zeitschriften erschienenen Reportagen aus Indien, der Sowjetunion, China, den USA - und Hamburg, wo er nach dem Krieg ein paar Wochen verbrachte.
Hamburg ist viel kleiner als New York, das bereits damals eine große Stadt in den USA war. Aber das wussten zu dieser Zeit nicht viele
Im etwas labyrinthisch angelegten, mit vielen Winkeln und Nischen gestalteten Rundgang hat man sich schnell verlaufen, immerhin aber geben groß geletterte Schlagwörter wie "Mensch und Maschine" etwas Orientierung. Ansonsten heißt es, treiben lassen und ein Auge haben für den Moment, wo man merkt, he, das Foto kenne ich doch! Ich bin gar nicht mal ein großer Fan von Henri Cartier-Bresson (1908-2004) oder "HCB", wie ihn echte Fans und Freunde nennen. Aber man spürt rasch, wie das Bildergedächtnis angetickt wird, visuell dort Eingebranntes aufblitzt und man anerkennen muss, dass ungefähr jedes bedeutende, kanonisierte Foto aus den 30ern bis 60er-Jahren von diesem Franzosen mit der Leica stammt.
Steampunk in Hamburg, 50er Jahre
Menschen, die über Pfützen springen, Männer, die durch einen Bauzaun luschern, der junge Truman Capote im Gebüsch, Alberto Giacometti mit über dem Kopf gezogenem Mantel im Regen, im Grunde füllte er ganze Jahrgänge der einstmals berühmten Zeitschrift Life mit seinen Fotos, die dadurch selbst berühmt wurden. Als Mitbegründer der Agentur Magnum (ebenfalls weltberühmt) war HCB "erste Adresse", sein Stil und sein berühmter Ausspruch vom "entscheidenden Augenblick" gebar Generationen von Epigonen und eifrigen Schülern. Dabei weiß man heute, dass manche seiner Mantras nicht ganz ernst zu nehmen sind. So entstand auch bei Cartier-Bresson das Bild nicht ausschließlich in der Kamera. Sein berühmter Pfützensprung etwa, durch einen Baustellenzaun fotografiert, musste in der Dunkelkammer am linken und rechten Rand¹ beschnitten werden, um Gerümpel und störende Elemente zu entfernen. Hier hat ihre Fotoheiligkeit geschummelt.
Was man in der Ausstellung gut lernt und auch begreifen kann, ist, dass der "entscheidende Augenblick" nicht nur als Zeitmoment zu verstehen ist. Seine Reportagen fingen dann außergewöhnliche Situationen ein, wenn er die Kamera in "uninteressante" Ecke wendete. Wie bei der Krönungsfeier für George VI in London, wo er nicht wie wohl alle seine Kollegen um ihn herum die Linse auf Mächtige und Monarchen hielt, sondern auf begeisterte und entrückte Zuschauer. Leute wie du und ich. Einfach mal die Laufrichtung ändern! und in die angeblich langweiligen Ecken schauen, und zwar genau. Sag ich doch.
>>> "Watch! Watch! Watch! Henric Cartier-Bresson". Bucerius Kunst Forum, Hamburg. Bis 22.9.2024
Dienstag, 11. Juni 2024
"Träumender". Aquarell auf Papier, 2024. 1000,- Mark.
Musste unruhig träumen, wachte dann in den Nachwehen einer Wahl auf und fand Europa zu einem riesigen Ungeziefer verwandelt.
Zur Beruhigung einer Idee von @dasnuf auf Mastodon gefolgt und mir von der KI ein Lied für mein Blog komponieren lassen. Muss sagen, die Maschine und ihre Zahlenkolonnen kennen mich offenbar sehr & erstaunlich gut:
"Blogger kid37
With his pen made of gold
Spreads wisdom and poetry
For the hearts to behold"
Dabei habe ich als Prompt nur ein paar Schlüsselbegriffe wie "Blogger Kid37" und "Hermetic Café" eingegeben - und schon kam dieser zauberhafte Indiehit heraus.
(Wir reden also tatsächlich vom Ende, wenn nun jeder jeder zum Geburtstag einen "persönlichen" Song "komponieren" und "aufnehmen" kann. Der Geist, so dumm er auch ist, ist aus der Flasche. Ein lallendes, kreischbuntes Papageienmonster.)
Apropos Mode. Bin noch ganz entrückt von der wohl besten Schau in diesem Frühjahr. Galliano bat für Maison Margiela in den Pariser Untergrund und sorgte für den most talked about Moment in der diesjährigen Saison der Pariser Modewoche. Fantastische Atmosphäre, spektakuläres Make-up und faszinierende Kleider. Hier ein paar Fotos auf Instagram, das Video (Langversion) vom Laufsteg aus der Kellerkneipe gibt es auf Youtube.
Aber interessiert eh keinen in diesem Wolfstatzenfunktionsland.
Bei wärmeren Temperaturen schwirren auch die Honigbienen wieder geschäftig aus und schaffen - von Ladislav Hanka nur beehutsam unterstützt - erstaunlich zauberhafte Kunstwerke.
Mein neues kleines und weitgehend unschuldiges Interessensgebiet sind japanische Girl-Bands von 50ties-Rock'n'Roll über Sixties-Beat bis Ekstase-Punk oder 5,6,7,8s bis Otoboke Beaver. Die Highmarts fielen zurück in die 60er und zwar ganz munter. I Want You So Bad. (Um Händchen zu halten.)
Dienstag, 21. Mai 2024
Von Ringelhemd zu Ringelhemd - Versuch einer Verschmelzung (Ausstellungsintervention)
Das Wichtigste vorweg: Wer die tolle Doppel-Einzelausstellung von Heiko Müller ("Gris Français") und Eiko Borcherding ("Bad Moon Rising") sehen will, muss sich sputen, der Chronist ließ sich leider arg viel Zeit. Nur noch diese Woche zeigt Feinkunst Krüger dieses wunderbar graugetönte Ereignis.
Nach doppelsinnig gemeinter Kunstpause und Schonzeit, galt es zur Vernissage Anfang Mai die silbernen Ellenbogenschoner überzustreifen (übers Streifenhemd) und mich unauffällig unters Eröffnungspublikum zu mischen. Und ich sag's mal so: Schön, wenn man vermisst wird!
Noch schöner, wenn es schöne Kunst gibt, etwa die grau-grau-grauen Bilder von Heiko Müller, der es nicht nötig hat, mit 50 grellen Schattierungen auf die laute Pauke zu hauen, sondern sich zielgenau und meisterlich auf drei treffgenaue Abstufungen beschränkte (laut Eigenaussage "Französisch Grau, "Warm Grau" und "Scheveningen Warm Grau"). Vortrefflich! Graue Katzen, graue Eichkater und weitere Graugestalten (in Öl und Buntstiftgrau) haben nichts anachronistisch Novembriges an sich, sondern etwas wohltuend Kontrapunktisches zum kessen Mai mit all seinem pubertär bunten Geknospe und Geblühe, das überall ins Auge drängt als gebe es nicht irgendwann auch wieder Herbst. (Die Bilder gibt es hier als PDF.)
Bleistiftvirtuose Eiko Borcherding (Bilder sind hier in einem PDF zu sehen) bleibt da nicht klüngelig zurück. Fein ziselierte Tiere, ein graphitener Mond (angeblich "bad") bilden passende Pendants zu den manchmal verschrobenen oder wenigstens leicht verschobenen Welten Müllers. Bei Krüger hängen sie vis-a-vis (unbedingt auch in den Keller schauen), graue, aber nie grausige Zwiegespräche, die noch mal einen eigenen Reiz entfalten.
Nur noch Donnerstag, Freitag, Samstag. In Hamburg!
Heiko Müller, "Gris Français" und Eiko Borcherding, "Bad Moon Rising". Feinkunst Krüger, Hamburg. Noch bis 25. Mai.
Montag, 29. April 2024
Des Forschers wichtigster Freund: Das Notizbuch
Angeregt durch die wunderbare Sammlung Kosmos großer Entdecker verlasse auch ich mein Haus höchst selten ohne Feldforschungsnotizbuch. Meine Wege führen natürlich nie so weit wie die der erwähnten "großen Entdecker", aber man könnte mich den Jean-Henri Fabre meines kleinen Viertels nennen. Von der Eingangstreppe aus (manchmal auch nur beim Blick aus dem Fenster) notiere ich besondere Naturereignisse in meinem kleinen Buch, halte Augenscheinlichkeiten in akribisch ausgeführten Zeichungen fest und sinniere über Zusammenhänge, Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, Sinn und Zweck, Ernst und Unsinn der scheinbar unscheinbaren Natur in meinem Umfeld. Denn nicht alles findet man in Büchern. Man muss hinaus in die Natur, in die Wälder, um das Leben zu verstehen. Denn erneut sei an Ralph Waldo Emerson erinnert, der mahnte: "Books are for the scholar's idle times. When he can read God directly, the hour is too precious to be wasted in other men's transcripts of their readings."
Ein seltener Gast: Die Brotspinne
Insekten, Spinnentiere, Pflanzen und geologische Besonderheiten zeichne ich zur Erinnerung und späteren Forschung auf, manchmal nur in feingliedrigen Bleistiftzeichnungen, manchmal delikat ausgeführt in Aquarellkolorationen, man sieht mich oft mit einem zugekniffenen Auge auf einem großen Stein oder Baumstumpf sitzen, den Fluchtpunkt meiner Perspektive mit dem Bleistift anpeilen und rasch ein paar Punkte auf den Punkt und aufs Papier bringend.
Das Blatt, das sein Grün verlor: Naturprozesse gerichtsfest dokumentiert
Auch Ableitungen aus Naturgesetzen und anschauliche Demonstrationsbeispiele füge ich hinzu. So wie dieses einstmals grüne Blatt von einem Baum, der in der Nähe des ehemaligen Freibades stand. Dieses ist nun abgerissen, das Wasser aus dem 50-Meter-Olympiabecken folglich weg - und wir sehen anschaulich, wie die Veränderung in der Feuchtigkeit im Mikroklima des Viertels die Pflanzen verändert: Keine zwei Jahre später ist das ehemals saftige Blatt ganz braun und brüchig geworden. Ich werde diesen Fund und diese beachtenswerten Vorgänge auf der nächsten Sitzung der naturhistorischen Vereinung zu Hamburg in einem kleinen Vortrag erläutern und so meinen Beitrag für die wissenschaftliche Forschung leisten.
Auch kleine Krabbler können wichtige Spurenträger sein: eine detailliert erfasste Ameisenfußspur
Wie sonst nur ein Entomologe in der Rechtsmedizin beobachte ich auch die vielfältigen stummen Zeichen und Signale der Tierwelt. Wie diese Fußspuren einer Ameise (Abb. 4), die ich im feinen Sand fand und exakt nachzeichnete. Für eine Sicherung als Gipsaabdruck zu fein, zeigt hier das Notizbuch und eine spitze Tuschefeder ihre Stärken. Punkt für Punkt tupfe ich den Verlauf der Spur nach, mache sie stellenweise überhaupt erst sichtbar und erhalte sie so für weitere Analysen und Forschungen am heimischen Labortisch. Die Ameise: Wo kam sie her, wo ging sie hin - Fragen, die auch uns Menschen beschäftigen, im realen wie im übertragenen, philosophischen Sinn.
Sonntag, 21. April 2024
Dieses Jahr scheint das Jahr der Reparaturen. Größter Posten bislang: ein neues Fenster. Durch das alte schaue ich sonntags aus entspannter Rückenlage, betrachte die Schäden, berechne die Kosten und bedenke die Umstände (sog. Komplikationen), Lärm, Dreck, Umräumen, Handwerker im Haus. Aber: Die Sonne scheint durch alle Fenster gleich, wie der Volksmund sagt. Also gemach. Sonst sagt noch jemand, Herr Kid, Sie sind doch aber selbst keine 37 mehr, lohnt sich das noch?
Zum Aufwärmen und zur Ablenkung mal den Abfluss unter der Spüle gereinigt. Siphon auseinandergeschraubt, den Schlonz rausgeholt wie so ein Fischer beim Schöpfen von Bilgewasser. Danach das Rohr freundlich knuffend ermahnt ("Bist du noch ganz dicht?!?") und drei Kreuze gemacht. Erste Tests mit ablaufendem Wasser aus der Spüle geben Zuversicht, die Spülmaschine wird dann die Abschlussprüfung.
Leider ist nun die Waschmaschine kaputt. Also kalt. 30 Jahre alt und dann das. Ein faszinierendes Video auf Youtube erläutert mir die Kniffe, wie man die vordere Blende löst und vor allem den Heizstab, den es für eigentlich kleines Geld noch immer gibt. Ich werde dem Techniker, der das dann für mich macht, also alles genau erklären können. So was bringt ja auch zusammen, wie Jungs, die in einem Biergarten zusammensitzen und plaudern.
Da ich nicht waschen kann, liege ich entspannt und lese weiter in meinem kleinen Katalog zur Retrospektive der Brüder Quay. "On Deciphering the Pharmacist's Prespcription for lip-reading Puppets" hieß die Ausstellung im MoMa in New York (das ist eine große Stadt in den USA). 2012 war das, ist also auch schon was her. Neben der reichen Bebilderung sind hier aber tatsächlich auch die begleitenden Texte sehr aufschlussreich. Da wird noch mal der Werdegang der düsteren Zwillinge und Animationskünstler aufgeschlüsselt, aber auch Vorbilder, Themen und Motive bespiegelt und ihre Position als Radnabe im Wirbel der Einflüsse und Ideen moderner Kunst - quasi von Duchamp bis Janáček - betrachtet.
Apropos Fahrrad. Das war noch immer nicht in der Inspektion. Nächster Punkt auf der Reparaturliste und ebenfalls nichts, was ich - Youtubevideos hin oder her - derzeit selbst anfassen möchte. Ziehe gerade kleine Kreise, drehe entspannt am Rad, spinne mir vom Fenster aus die Welt zusammen. Ein Waschzuber voller Ideen.
Montag, 8. April 2024
Just mit dem Postboot überbracht: nachempfundene Fotografie einer Sonnenfinsternis im 19. Jahrhundert [Symbolbild]
Helle Aufregung in den USA (das ist ein großer Staatenbund in Nordamerika) über eine finstere Sache: Die Total Eclipse of the Sun lockt Sonnenhungrige in den mittleren Westen und Anrainerstaaten. "The Great American eclipse" sagt Susan Miller und wagt einen Ausblick in die Sterne. Wer es wissenschaftlicher haben möchte, kann den Verlauf der schwarzen Sonne auch auf der Seite der NASA verfolgen.
"Ersatzzüglein": Im Aufzuchtgehege der großen Bahn
Hin und her in der kleinen Stadt. Ostern in Wuppertal, mit Muttern im Museum, kleine Speise, Familienrundfahrt, dann wieder heim vor der großen Rückreisewelle ("vor die Welle kommen"). Der Nachtzug aus der Schweiz hat Verspätung, Warten in der zugigen Halle am Hauptbahnhof. Dort spielt ein Obdachloser, genervt von seinem labernden Sitznachbarn ("Ich geh' jetzt mal ans Klavier"), Klavier. Große, vom Alkohol aufgedunsene Hände und Finger bei einstudierter, filigraner Musterarbeit. Kein rumpeliger Boogie-Woogie, sondern ziselierter Frühlingswalzer im verlorenen Hall des großen Wartesaals, I Like Chopin sozusagen als Überbrückungshilfe. Wir hatten alle mal ein Leben vor diesem Leben. Dann mit dem federnden Eurocity in die Nacht, schlummernde junge Leute, erschöpft von irgendeinem Festival, draußen Gewitter, Starkregen, zuletzt wieder verschlierte Lichter der aufgereihten Städte. Nocturne.
Hilde & Gretl. Ein Haus voller Geschichten.
Einem Hinweis im wunderbaren Wieselblog folgend, habe ich kürzlich das ebenfalls wunderbare Buch Hilde & Gretl von Tarek Leitner und Peter Coeln erworben. Zwei Cousinen, eben diese Hilde und Gretl, bewohnen ein Haus, musealisieren es entlang ihres Weges, hinterlassen das, was eben so hinterlassen wird: flüchtige Spuren einer alten Republik, Profanes und Banales, Kitsch und Krempel zwischen Nachtschrank und Wohnzimmertisch. Archäologisch aufgearbeitet, aus dem Abfall erhoben und in klugen Texten in Beziehungen und Deutungen gebracht, ist das Buch ein Katalog einer Zeitreise in die Welt der Tanten und (Groß-)Eltern, in die Provinz und Wendehammer-Siedlungen. Ganz toll.
Dienstag, 26. März 2024
Mein neues kleines Motto: Über dem ZNIT
Als ich das Bahnticket buchte, war mir klar, dass es Streik (oder eine Naturkatastrophe) geben würde. Es blieb zum Glück beim Streik, so konnte ich einen dieser verflixten Alternativzüge nutzen, was - sitzt man tatsächlich im richtigen Wagen - ganz unkompliziert ist. Zuvor hatte mir noch ein jüngerer Herr geholfen, meinen Koffer in die Ablage zu wuchten. Aber, der Lohn der guten Tat war keiner, falscher Platz, weil bedenkenswerte Wagenreihung, und schon wurde ich weiter gescheucht.
Dann aber da, Schnellkurs Berlin, weitergescheucht in einen dieser Stadtteile. Wedding mit Deutschlandticket aber entspanntes Navigieren. Einfach in eine Tram, eine U-Bahn, ja sogar mit einem Bus bin ich gefahren. (Bus nur nach Anweisung.) Ringe, Zonen, Sprach- und Sachgebiete völlig egal. Kleine Pension ("looks a bit shady" - man spricht viel Englisch in Berlin) überm Orchideengarten, Blick in den Hinterhof auf Mülltonnen und Altflaschen, dafür aber ruhig. (Irgendwann fand ich auch das warme Wasser, das war aber reine & eigene Begriffsstutzigkeit. Härtet ab, und andere bezahlen für so eine unerbittlich eiskalte Wellnesstour viel Geld. Mein Haar formt sich zu Eiszapfen.)
Lust for Life: ein Berlinbild
Das Programm: Kurzes Hallo und long Welcome, Kaffeehaussitzerei unter Wiedersehensbedingungen (macht bekanntlich Freude) und Kaffeehaussitzerei unter Kennenlernbedingungen (macht bekanntlich Freunde), Absagen, Hinwendungen, dazwischen immer wieder Erschöpfungsnickerchen vorm Mini-TV-Gerät, daher auch rasch die Hälfte des Tourneeplans gestrichen. Nicht nur der Koffer war schwer, die Füße waren es auch.
Kleine Party in Charlottenburg. Von Kunst umhüllte Hausmusik, es spielen Geige, Klavier, Gitarre, es singt eine Dame aus Übersee. Um 23:00 Uhr klopft keine Polizei, man fängt ja gerade erst an, nimmt sich die Nacht und künstlerische Freiheiten und fordert mich nebenbei auf, das Gitarrespielen dringend wieder aufzugreifen. Fingermotorik, neuronale Verbindungen, alles muss trainiert werden. Wieder einmal stelle ich fest, dass Ermunterung sich viel erfreulicher anfühlt als Eingrenzung. Verzichte dennoch darauf, zum Ausgleich eines meiner beliebten Zwölfton-Kunstlieder zum Besten zu geben. Der Abend ist zu schön, und die U-Bahn fährt noch lange.
Verlockung mit dem Unterton einer Gefahr: Essen nicht vergessen!
Meine Idee, die Imbisswelt der Großstadt auszutesten, endet nach höchst unterschiedlichen Erlebnissen in teils auffällig obszön benannten Stuben an einer historischen Wurstbude an einem berühmten Platz. Vor der isst eine Familie am Stehtisch, bis sich die Teenagertochter abrupt abwendet und überraschend projektil die Blumenrabatte gelb-rosa färbt. Gleichwohl ich die Braterei nicht anklagen will und stattdessen die Möglichkeit einer Morgenübelkeit in den Raum stelle, waren damit Lust und Appetit vergangen. Auch hier aber, wie ich recherchierte, gilt wie an anderen solcher Plätze: Die Google-Rezensionen lesen sich höchst unterschiedlich, von hui bis pfui. Mahatma Glück, mahatma Pech, Mahatma Gandhi, wie es in einem Karnevalslied heißt.
Frühlingsanklang im Tierparkgarten: Auslüften an Berliner Luft
Kurbadqualität haben vielfach die Kaffeehauspreise. Offenbar zahlt man - wie all überall - die während der Lockdowns nicht konsumierten Kuchenstücke nun mit jedem Backwerk zurück. Zu loben ist da der Schleusenkrug, ein für mich fast mythischer Ort, den ich nach jahrzehntealten, verschlungenen Geschichten um Irrungen und Versprechen endlich mal besuche. Man reagiert belustigt, als ich erkläre, wir seien jetzt in einem Stage Play. Besser, man holt sich klugerweise Kuchenstück für Kuchenstück im Leben alles auf angenehme Weise zurück. Ein fantastischer Tag also auch ohne Orchideengarten: Schwäne auf dem Landwehrkanal, freundliche Berliner erklären mir den Weg, der Schrittzähler auf dem Telefon spendet beständig frühlingshafte Herzchen.