Montag, 12. Februar 2024


Merz/Bow #75



Als kleine kreative Schmuckbegleitung kann man sich für die glücklicherweise kaum abreißende Demonstrationswelle gegen Rechtsaußen passende Embleme basteln. Zum Beispiel ruckzuck mit dem Antifascist-Logo-Generator. Es gibt noch weitere solcher Generatoren im Netz. Auf Mastodon konnte man in den letzten beiden Wochen einen ganzen Schwung sehr kreativer Entwürfe bestaunen, sehr hübsche Farbtupfer gegen braune Suppe.

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Apropos Schwung, wir geben weiter zum Sport. Aus einer Reihe von teils auch altersbedingten Gründen habe ich ja ein weiches Herz für Darstellungsformen vitalkraftstrotzender Unbekümmertheit junger Leute. So war ich doch bestimmt auch mal, könnte man rhetorisch fragen (Antwort: Nein.) und sich nostalgisch verklärt erinnern. Schlittschuhe und Rollschuhe hatte ich in meiner Kindheit nicht. Einmal war ich mit einer Rollschuhmeisterin liiert, aber die riet mir dringend ab, so was "in meinem Alter" noch zu probieren. Recht hatte sie, ich kann mir das ja - ohne Helm und Knieschoner - gemütlich vom Internetrand aus anschauen.

Kids, don't do this at home! Geht auf die Skaterbahn. So wie Jamma Lynn, die mit ihren Rollschuhvideos Schwung in die Instagrambude bringt. Dabei immer mal wieder auf haarsträubendem Kollisionskurs mit ihrem munterem Hund, Rampen und Eisengeländern, schreddert sie - wenn die Eltern nicht gucken - ganz frisch auf acht Rädern daher. So wie, hier [IG] im Kalifornientraum. Ziiiiisch! Mein Motto für 2024.

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Mutti macht derweil Punkrock, heißt es bei Arte. Dort läuft eine Doku mit diesem vielleicht nicht ganz glücklich formulierten Titel, der aber andererseits genau beschreibt, um was es geht. Statt Deckchen zu häkeln, haben sich ältere Frauen in Leicester, England ein Projekt ausgedacht, bei dem es heißt: auf die Bühne, drei Akkorde und los. Ganz fantastisch und mutmachend, und man möchte sich sofort eine Gitarre kaufen und mitjammen, aber für irgendwelche Macker ist das gar nicht gedacht - die sollen bitteschön Rollschuhlaufen gehen.

Hier geht's aber erstmal zur Doku [Arte].

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Noch etwas luftige Kunst: Nicole Banowetz konstruiert bunte Sky Machines, amorphe Zeppeline, ausgestellt in dem möglicherweise nach mir benannten Kid's Awesome Children's Museum in Taipai. Alles für hochfliegende Träume, Vorstellungen und Ideen.

MerzBow | von kid37 um 17:15h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 6. Februar 2024


Forscherinnen zwischen Strom und Spannung


Veronika Almut von Nodenfels mit ihrem "Elektron-Akkumulator", ca. 1905

Heute gilt es zwei Pionierinnen der Elektronik zu gedenken. Veronika Almut von Nodenfels (1875-1931) und Wilhelma Gräfin von Kathodenheim (1887-1923) waren zwei bemerkenswerte Amateurwissenschaftlerinnen und Erfinderinnen zum Ende des 19. Jahrhunderts, die fasziniert waren von den technischen Einsatzmöglichkeiten elektrischer Wellen, Strom und Spannung. Beide arbeiteten völlig unabhängig von einander (so weit man weiß) an ähnlichen Projekten in einem von Männern dominierten Feld.Auf dem Weg zur Entwicklung erster Verstärkerröhren für Hoch- und Niederfrequenz suchten sie nach Möglichkeiten, kleinste Ströme und elektrische Wellen so anzusammeln und gezielt in hoher Geschwindigkeit ein- und auszuschalten, um sie so zur Verstärkung (und später) drahtloser Verbreitung zu nutzen.


Wilhelma Gräfin von Kathodenheim mit ihrem "Elektrizikonduktor", ca. 1907

Die beiden Fotos sind die einzigen, die von den beiden Forscherinnen erhalten sind. Stolz sieht man sie neben ihren Apparaturen, Vorgänger für die spätere Vakuumröhre (und letztlich den Transistor, aber bis dahin war ein weiter Weg). Veronika Almut von Nodenfels entwickelte den von ihr sogenannten "Elektron-Akkumulator", der freie Elektronen pulsierend durch ein Gitter schickte und am anderen Ende wieder aufsammelte. Über ihr Leben ist wenig bekannt, weil ihre Geschichte von der männlich geprägten Forschungsgemeinschaft weitgehend unterdrückt und totgeschwiegen wurde.

Wilhelma Gräfin von Kathodenheim, Tochter aus wohlhabendem Hause, wurde hingegen durch ihre Abenteuerlust und eine gewisse Exzentrizität bekannt. Sie starb 1923 bei einem Stromunfall bei der Arbeit mit ihrem "Elektrizikonduktor", einer Apparatur, die ebenfalls geeignet war, Elektronen so zu steuern, dass sie verstärkt am Ausgang des Geräts anlagen. (Beide tragen auf den Fotografien auffällige Schutzkleidung gegen Elektrizität aus Leder. Man darf vermuten, dass die arme Wilhelma diese zu einem unpassenden Zeitpunkt abgelegt hatte.)


 


Sonntag, 4. Februar 2024


Röhre


"Technische Zeichnung III". Kreide, Papier. 1000,- Mark

In meinem Werkzyklus "Technische Zeichnungen I-VII" nehmen die sog. "Röhrenzeichnungen" einen breiten Raum ein (III-V). Aus dem Alltagsgebrauch fast völlig verschwunden, sind solche Röhren nur noch metaphorische Behältnisse für das Wechselspiel freier Elektronen und Abwärme, charakteristischem akustischen Brumm und optischem Glühen. Ein Tausendsassa zum Betrachten und Reinschauen ("in die Röhre..."), der manchmal auch zurückschaut (Magisches Auge). ().


 


Mittwoch, 24. Januar 2024


Gerade machen



Nach sieben mal sieben Wochen andauernden Regenfällen, hatte irgendeine höhere Macht ein Einsehen und hielt am Freitag die Brause an. Von vereisten Gehwegen abgesehen also beste Voraussetzungen, auf die Demo gegen Rechts in Hamburg zu gehen. Im Vorfeld war der Ortsabteilung der AfD noch eingefallen, zeitgleich eine Fraktionssitzung im Rathaus abhalten zu wollen, so dass wegen der Bannmeile keine Demonstration auf dem dafür eigentlich eingeplanten Rathausplatz durchgeführt werden durfte. Die wich dann unbeeindruckt auf den Jungfernstieg gleich nebenan aus.

Besser so, denn die Schätzungen haben sich am Ende auf rund 80.000 Teilnehmende geeinigt (ich vermute, es waren locker mehr). Die Menschen standen vom Jungfernstieg aus um die ganze Binnenalster herum, bis zum Gänsemarkt und in zahlreichen Nebenstraßen. Sehr erfreulich und durch die vielen Leiber gut fürs Mikroklima - zwei, drei Grad mehr dürften es dort gewesen sein. Nähe schafft schließlich Wärme.

Es ist auch ein schönes Gefühl, wenn es nicht nur vermutet, sondern wirklich erlebt wird, wie so mannig viele Menschen in aller Selbstverständlichkeit, entspannt, aber bestimmt, ganz unaufgeregt, aber mit festem Plan sich alle zum selben Ziel aufmachen, ein Zeichen setzen, eine Fahne hissen gegen politisches Plemplem und rechtsextreme Erektionsfantasien. Hanseatisch unbeeindruckt von kecken Rechtswinden und Blitzeschleuderei, alles ohne großes Geschrei und frei von Krawall, dafür mit handlungsabschließendem "So" und "Ham wir das jetzt auch klar gemacht".

Für den Rückweg aus der Menge strömten Hunderte von Demonstranten sogar durchs noble Alsterhaus, das die Türen geöffnet hielt, Security und Personal zwar sichtlich angespannt und mit den Augen überall, doch professionell und freundlich. Antifa am Gucci-Stand, auch so ein Bild für die Erinnerung, ganz wie die vielen ironischen Plakate, deutlichen Schmähungen und dem nicht zu überhörenden und schon gar nicht zu übersehenden Bekenntnis "Wir sind mehr!"


 


Freitag, 5. Januar 2024


Ist es wieder geschafft


Mein kleiner Beitrag zum Lichterfest am 31.12.2023

"Ist es wieder geschafft", sagte man früher in meiner Gegend. "Another year over" (John Lennon) geht natürlich auch. 2023 war etwas schwierig, strapaziös auch. Vieles zog sich, sperrte sich, ging nicht so richtig auf. Immerhin, der "Marder", der Ende des Jahres zu mir unters Dach zog, blieb nicht lange (*klopf auf Holz*). Meine Musik oder meine Schlafenszeiten machten ihn wohl nervös. Oder aber mein perfekt imitiertes Alpha-Marder-Geräusch, mit dem ich sein Scharren in der Wand zu nachtschlafender Zeit entgegnete.

Einiges gibt es noch nachzutragen. Darunter ein paar Ausstellungen vielleicht, über die ich noch berichten werde. Etwa die "Femme Fatale"-Ausstellung im Frühjahr, die mich gar nicht so sehr begeistert hat. Oder noch eine abschließende Betrachtung zu meiner sonnigen Woche in Brüssel. Wenn ich mich mal nicht so erschöpft fühle. So hat manches überraschend gar nicht oder nicht mehr stattgefunden. Es sind ja genau zwei hohe Feste im Jahr, die ich nie auslasse. Aber mit "Rock'n'Wrestling" ist es für mich vielleicht einfach auch vorbei, nachdem ich vorletztes Jahr schon im letzten Moment passen musste. Ich bin 2023 nicht jünger geworden, und vielleicht könnte ich dort als Kommentar zum Älterwerden der Gesellschaft als rüstiger Rentner im Ring antreten, aber als Zuschauer ist es mir etwas anstrengend geworden. Man muss wissen, wann gut ist, sagt man in meiner Gegend. Und nicht wie ein alternder Boxer einfach nicht aufhören können.

Seit 2007 besuche ich auch die Ausstellungsreihe "Don't Wake Daddy" (hier bei der zweiten Ausgabe), man könnte sagen, es sei über die Zeit mein zweites Wohnzimmer geworden. Wenigstens einmal im Jahr etwas Freude, wie man in meiner Gegend sagt. Natürlich stand ich auch dieses Jahr gestiefelt und gespornt und im Mannschaftstrikot zum Ausritt bereit, aber dann wurde ich tatsächlich überraschend an der
Außenlinie weggegrätscht. Der Schiri sah wieder nix, ich musste mich auswechseln lassen, und die Partie stieg ohne mich. Will nicht sagen, das Ende einer Sportkarriere, aber zurück im Mannschaftstraining bin ich noch nicht. Vielleicht mit - lass uns die lahme Metapher ruhig noch ausreizen -Ellenbogenschonern dann im nächsten Jahr. Nachrichten über eine möglicherweise neue Spielstätte müssen auch noch erst verdaut werden.

Apropos, was ist mit Berlin? Falls irgendwann mal wieder Züge fahren, sage ich immer. Und vielleicht nicht jetzt im grimmen Binnenklimawinter. Letztens träumte ich, ich sei dorthingeozgen, bekam aber keinen Termin beim Bürgeramt, war sozusagen ein Illegaler und konnte mein schickes Altbauloft (150 qm mit Parkett und Klavier, 350 Mark Miete, Altvertrag) kaum noch verlassen. Wie Kafkas Maus denke ich ja ab und an, "was ist Hamburg doch klein und eng geworden". Aber das bleibt unter uns.

Apropos, unter uns. Weihnachten war auch das kleine Jubiläum "20 Jahre Das hermetische Café". Wer von meinen drei Lesern im Jahr 2003 hätte das gedacht? Eben.


 


Mittwoch, 27. Dezember 2023


Weihnachtsvertigo



Ende des 19. Jahrhunderts gab es in New York (das ist eine große Stadt in den USA) die ehrbare Tradition, in den Tagen nach Weihnachten überall in der Stadt große Metallbehälter aufzustellen, in denen man überzählige oder unpassende Geschenke abstellen konnte. Eine hässliche Vase etwa oder einen Weihnachtspullover vom Verlobten, mit dem man über die Festtage auseinandergefallen war . Kram oder Krempel oder auch Dinge, die keinen Joy mehr sparkten.



Das alles wurde wie von einer unsichtbaren Hand gesammelt für die Bedürftigen, die noch keine hässliche Vase besaßen oder einen schief gestrickten Weihnachtspullover, Kram oder Krempel oder schlicht Dinge, die bei ihnen vielleicht Joy sparken konnten. Eine gute Sache also, wohltätig und nachhaltig und ein Beitrag zum drängenden Problem des 19. Jahrhunderts: die soziale Frage. (Bis sich allerdings der Einzelhandel beschwerte, weil man Umsatzeinbußen fürchtete, wenn Sachen und Kram einfach so verteilt würden.)



Ich habe dieses Jahr bescheiden gefeiert, weil ich mich auf die frugale Zeit in meinem Leben vorbereite, in der es außer Nachdenken nichts mehr im Überschuss geben wird. Tradionellerweise spiele ich dann nach einem einfachen Weihnachtskäsebrot ein Quizspiel, bei dem nicht Joy, sondern ein Licht sparkt, wenn ich eine Frage richtig beantworte. Da wird nach "Sixtinische Kapelle" gefragt oder "George Washington", durchaus Bereiche also, mit denen man auf Partys glänzen kann, wenn einer dort etwas nicht weiß. Ganz ermunternd, man darf nur die Batterie nicht vergessen. (Mittlerweile sind auch ein paar Kontakte auf dem Spielbrett verschlissen. Dachte zunächst, ich wäre nun völlig dumm geworden oder die Fakten um mich herum, aber it's the elektrische Schaltkreis, baby!)



Dann ruhige Stunden im Lesesessel (im Fernsehen nur Mist mit zwei Ausnahmen: auf eine vor Jahren von mir depeschierte Beschwerde, weil Ist das Leben nicht schön? allen Ernstes erst um zwei Uhr irgendwas gesendet wurde, kam dieser wichtige Programmpunkt nun nachmittags und einmal um 20.15 Uhr. Sonst half gegen Helene-Show und TV-Konserve ausgerechnet Servus TV, die den Weihnachtsklassiker Wir sind keine Engel mit den drei ganz besonderen Weisen aus dem Morgenland brachten). Erste Erkenntnis: Ich brauche eine Lesebrille, so führte mir offenbar der Ghost of Chistmas yet to come wenn auch etwas neblig vor Augen. Daher griff ich mit zusammengekniffenem Blick zu einem von Lynd Wards textlosen Romanen aus Holzschnitten, wie die Bücher von Frans Masereel eine Art Vorläufer der Graphic Novel. Hier also Vertigo als schöner expressiver Schwindel zwischen Lebenstragik und Aufbegehren, alles Schwarz oder Weiß. Ganz frugal und ungeschwätzig, aber voller sparkling Joy. Ganz schön.


 


Montag, 18. Dezember 2023


Werkstattbericht #3: Assistenzsystem


Studie für ein menschlich gestaltetes Assistenzsystem, das emotionale Bindung erlaubt

Da ich darauf angesprochen wurde, ruhig mehr aus meiner Werkstatt zu zeigen und meine Projekte ruhig auch in einem frühen Stadium vorzustellen, um aufstrebenden Industriedesignern den ein oder anderen Anstoß zu geben, will ich mir zum Ende des Jahres einen Ausblick auf 2024 erlauben. Ein großes Handelsunternehmen aus den USA (das ist eine Staatengemeinschaft auf dem nordamerikanischen Kontinent) wurde durch mein Blog auf mich aufmerksam und lud mich ein zu einer Studie für ein neugestaltetes Assistenzsystem für zu Hause. Ziel ist eine Abkehr von unpersönlichen, eher abstrakten Gerätschaften, mit denen man kommunizieren soll, um Licht ein- und TV-Geräte anzuschalten, zu humanoiden Devices, die KI-System "natürlicher" erscheinen lassen sollen und emotionale Bindungen erlauben.

Unter strikter Umgehung des berüchtigen Uncanny Valley gestaltete ich eine Box mit menschlichem, aber eben nicht zu realistischem und unbehaglich wirkendem menschlichem Antlitz (im Bild als ein erster, noch grober Entwurf). "Fröhlich" soll das elektronische Gegenüber wirken, ein eher kindlicher Partner im Alltagsgeschäft zwischen gängigen Kleinproblemen wie "Mach mal Musik" und "Wie wird das Wetter morgen sein?" So wurde die Kamera zur Raumüberwachung wie ein Auge gestaltet, der Lautsprecher zum Mund geformt. Ein lustiger Spitzkegel (hier nicht ganz auf dem Bild) beherbergt die Wlan-Antenne mit leistungsstarkem Repeater. Es fehlen noch die "Ohren", in denen Mikrofone sitzen (zwei, damit eine stereophone Ortung möglich ist). Erste Akzeptanztests stehen noch aus, aber ich bin jetzt schon sicher, dass die "Human Box" (Arbeitstitel) auf Begeisterung treffen wird. Sie macht einfach jeden Raum zu einem behaglicheren Ort.

Im Januar ist Präsentation, und dann kann alles sehr schnell gehen. Im Gespräch ist auch eine Verwendung als Beifahrersystem in digitalisierten PKW, zudem sind bei der Gestaltung auch unterschiedliche Brandings mit unterschiedlicher Mimik für unterschiedliche Anbieter denkbar. Vielleicht wird es ein Modell mit Haaren geben. Ich bin sehr aufgeregt.