Montag, 4. November 2024
In meinem humoristischen Sammelband mit Erzählungen Ein Vorfall in Aspik gibt es eine Geschichte über eine Nacktschneckenplage, die über die Stadt hereinbrach, nachdem es regnete und regnete und nach kurzer Pause wieder regnete und regnete. Feuchtigkeit kroch in die Wände, die Bücher und in die Seelen, die Nachbarn tropften die hölzernen Stiegen hinauf, aßen in ihren klammen Küchen Wassersuppe und verdünnten Tee, die Fensterscheiben waren von innen und außen mit einem feuchten Film beschlagen und die Schnecken krochen überall auf schleimig-zähen Spuren umher.
Man musste Geräte, Apparate und Tastaturen auf Hochbeete stellen, so schlimm war es. Der Schriftsteller im dritten Stock kam mit seiner Abhandlung über die Küchenschublade kaum voran, weil es ihn, einem überästhetischen Menschen von schwacher Gesundheit, ekelte und Schweiß auf die Stirne trieb, der auf die Manuskripte tropfte und alles noch feuchter machte.
Der Diakon Heinrich F. Werthebrecht gilt gemeinhin als Erfinder der Küchenschublade, in der alle nicht weiter sortierbaren Gegenstände eines Haushalts wandern. Korken, Verschlüsse, eine halb-abgebrannte Kerze, Streichhölzer, Untersetzer, ein paar Münzen und ein Schraubendreher, Batterien für die Küchenuhr, eine Ersatzbirne für den Herd und alte Keramiksicherungen zum Einschrauben, für die es keine Verwendung mehr gibt. Nicht alles war zu Werthebrechts Zeiten schon verbreitet, aber er hatte erkannt, dass... Weiter gelang es ihm nicht, weil eine dicke, schwarze Schnecke von der Decke fiel, auf die Tasten, auf die seine knochigen Finger gerade schlagen wollten.
Man kann froh sein, dass dies alles nur symbolbehaftete Erfindungen sind, schlüpfrige Fieberfantasien wie bei den Surrealisten, denen immerzu Nacktschnecken in Schuhe kriechen. Bei mir dementgegen die Handwerker, die mal eben in die Wohnung wollen, Räume sehen, die nie ein Mensch betrat, jedenfalls selten und jedenfalls länger ein paar Tage schon nicht mit Aufräuminteresse und einem Schrubbgerät. Nicht immer nämlich kommt alles Gute von oben, denn es tropft aus der Decke unter mir. Man rammt die Dornen von Feuchtigkeitsmessern in die Wände, gleitet mit metallischen Kugelsensoren über die Bodenfugen, prüft Rohre und Abflüsse, zeigt mit dem Finger auf meine Spülmaschine. Ich schließe alles aus. Der Handwerker sagt kryptisch: "Ich kenne das. Ich kenne das alles. Ich habe Dinge gesehen."
Umzugspläne schießen durch meinen Kopf, und ich schiebe unauffällig mit dem Fuß eine Nacktschnecke außer Sichtweite. Ein gut gedämmtes Häuschen mit Wärmepumpe, drei Hühnern, einer Ziege und einem Hund in Menschenferne (DSL gerne). Ein alter Turm mit Balkon, auf dem ich mit missmutigem Gesicht ein spätes Frühstück nehme (sofern die Tiere das erlauben) und Wind und Wasser trotze. Missmut nun beim Handwerker, der die Sockelleiste der Küche nicht abbekommt und "erst mal nichts kaputtmachen" möchte. Fühle mich selbst bereits jetzt kaputt. Als gebe es nicht Baustellen genug im Leben! Immerhin, die Nachbarn unter mir sind entspannt, und das Leck mag auch in deren Wohnung sein. Junge Leute, gute Menschen, selten da.
Ob ich auch Schnecken gesehen hätte, fragen sie. Ich lüge freundlich lächelnd "nein" und erwähne eine schöne Geschichte von Patricia Highsmith um einen nicht immer ganz gewissenhaften Privatforscher auf diesem Gebiet. Es führt uns nicht weiter, aber wir bleiben in Kontakt.
Sonntag, 29. September 2024
Wenn ich morgens nach dem Erwachen mein Tagewerk beginne, rufe ich mir gut zu "Immer in den Schmerz reingehen" und meine damit nicht die conditio humana oder die gesellschaftliche Gesamtsituation, sondern ganz profan mein Schultergelenk, das seit einiger Zeit (Sehnenverkürzung, Werkbankarbeit, sog. Fehlhaltung) Probleme macht auf einer Skala von eins bis zehn. Sport soll da helfen, Medizinbälle hochstemmen, am Türrahmen dehnen, Gegenläufigkeit bis ins Stichhaltige des Gelenkaufschreis, das mich mittlerweile nachts aus wohligen Albträumen reißt und nach Salbung oder Kühlpacks verlangt. Nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen kann.
Dabei wollte ich an meinem Debütroman Graupelschauer der Liebe schreiben, ein Stadtroman über das Liebesauf und -ab und -hin und her, bis der Protagonist ausruft: "Ach, Fuck. Ich hab' Schulter." (Schlusssatz.) Denn - Interpretationshilfe für spätere Mittelstufenschüler:innen - irgendwann sollte der in der Schulter der einzige Schmerz sein. Das Schreiben musste heute aber ruhen.
Ruhe ist sowieso gut für die inneren und äußeren Gelenke. Schonen, sich nicht überheben.
Dienstag, 24. September 2024
Fluffig und gut erzogen: Artbooks im Park
Ich bin ja in dem Alter, wo man sich gemeinhin einen Hund anschafft, und sei es einen imaginären. Man kommt raus bei Wind und Wetter, heißt es, spricht mit anderen und bleibt in Bewegung. Mir ist das zuviel Verantwortung und Erziehungsmühe, aber ich gehe dafür schon mal mit einem Karton voller Kunstbücher rüber in den kleinen Park, sitze gemütlich auf einer Bank und mache ein Päuschen. Regelmäßig treffen sich dort auch kleine informelle Gruppen wie "Die lauschigen Fünf e.V." oder "Die lustigen Alkopopser". Die haben entweder Hunde mit Erziehungsrückstand zwischen sich oder auch einen oder zwei Kasten Bier und lassen alle einen guten Tag haben. Außer es gibt Stress. So ging neulich ein aufgeregter und offenbar schwer einzuhegender Hund der Huskybauart einem kleineren ans Fell, das verschob die Harmonie in der Gruppendynamik und so zog der Besitzer samt aufbockendem Schlittenhund grummelnd in meine Richtung. Nun war aber kurz zuvor ein, ich sage mal laienhaft, "Problemhund" mit Maulkorb und seinem symapthischem Gassigeher entspannt an mir vorbeigezogen und hatte ein paar Bänke weiter im Schatten zum Wasserpäuschen Quartier bezogen.
Ich also weitgehend ungefragt dem Huskymann geraten, vielleicht besser "außenrum" zu gehen, weil dort ein Problemhund mit Maulkorbpause getränkt würde... aber das Grummeln am vorderen Ende der Leine veränderte sich nur minimal in der Tonhöhe - Schritt und Richtung blieben unbeirrt. "Das gibt bestimmt Ärger", sagte ich zu meinen Artbooks und tätschelte beruhigend den Karton. Und, ich kürze mal ab, Problemhund zeigte Territorialverhalten, Mann und Husky schlugen sich in de Büsche, alle hatten Stress, Stimmung dahin.
"Muss ja nicht", heißt es in Kapitel zwei meines großen Hamburgromans Gern., der eigentlich Dafür nich heißen sollte, aber der Verlag wollte es (gern) knackiger.
Ich arbeite weiter am Manuskript meines Hamburgromans. Der sollte zunächst "Dafür nich" heißen, der Verlag drängte aber auf einen kürzeren, prägnanteren Titel. Das mache ich natürlich gern, das sind ja konstruktive Vorschläge. Im Buch verarbeite ich Geschichten über Hunde und Schiffe im Nebel, Görls mit Matjesbrötchen und Rock'n'Roller in Hafenkneipen (letzteres eigentlich nur wegen Erwartungshaltung des erwarteten Publikums). Usw., will nicht geschwätzig werden. In der Schicht darunter entpuppt sich das schmale Werk als empfindsamer Entwicklungsroman über einen Mann im Park mit eingebildetem, also imaginärem Hund. Ach ja, so ein Titelgenerator befindet sich hier.
Rebecca Horn: Katalog zur Ausstellung in Wien, 2022
Rebecca Horn ist gestorben. Mit 80 Jahren, nach langer Erkrankung, dann aber doch irgendwie überraschend. In München im Haus der Kunst hat sie vor Kurzem noch ihre Retrospektive besichtigen können, die dort noch bis zum 13.10. läuft. Elektrisch britzelnde Nashornhörer aus Metall, Videos spektakulär eindringlicher Performances (hier ein Zusammenschnitt auf Youtube), krachende Klaviere über Kopf, die Horn hat menschliche Zustände und Bedingungen oft schmerzhaft hinterfragt und in ihren oft sehr körperlichen Werken und magischen Maschinen Wunder und Wirklichkeit, Gesellschaft, Krisen und Utopien meist ohne soziologische Gedankenanweisung und immer poetisch verschmolzen.
(Rebecca Horn. Katalog zur Ausstellung im Kunstforum Wien. Hatje Cantz, 2021.)
Sonntag, 14. Juli 2024
Im Laden [unleserl.]and, der [unleserl.]hlte bei den Pilzen. Im Laden, jemand ohne Einkaufs [unleserl.]. Ein Mann ohne Jacke, in der Hand eine Mütze[,] hielt die Eingangstüre auf. Ein Sonderangebot wegen begrenzter Haltbarkeit. Im Laden ein Gedanke.
Freitag, 28. Juni 2024
Neulich stand ich im Bad, bloß, brav und nicht nur intellektuell unbewaffnet. Ich hatte nämlich meine Brille nicht auf und die Frage vor mir: Tier oder Flusen, tot oder hinterlistig? Mit Brille und Präparateglas schon etwas bewaffneter, fing ich diesen Kaventsmann von einem Insekt (umgspr. auch "Kawennzmann" oder "Oschi" bzw. "Riesenoschi") und konnte meine Überraschung kaum fassen.
Als ich nämlich noch einmal 37 jahre alt war, da sang der Liedermacher ("Singersongwriter" für die Jüngeren) Reinhard, Achtung, Mey über seinen Namensvetter: "Es gibt keine Maikäfer mehr". (Hier eine Aufnahme der Electrola.) So war die Zeit nämlich: Es gab keine Maikäfer mehr, und auch keine Sommer, wie Rudi Carrell im Jahr darauf feststellte. Man sieht: Wir hatten ja nichts, oft noch nicht einmal ein Bonanzarad.
Und so habe ich im Leben zwar viel gesehen, manches von oben, anderes von unten, aber eben noch NIE einen echten, lebenden Maikäfer! Dabei war ihm das Leben zunächst etwas entwichen. So standen zwei matte Gestalten Auge in Auge, und über ihnen immer die Frage, wer macht zuerst schlapp? Da ich keine Eichen oder andere Bäume auf der Fensterbank züchte, tunkte ich einen Schnipsel Papiertuch in Zuckerwasser - und tatsächlich kam bald Leben ins Glas. (Ich schaute immer wieder, aber nie zu tief hinein.)
Dann setzte ich ihn auf einen Pinsel - und im harten Kontrast fiel mir auf, der Bursche hat gar nicht diese charakteristischen Pinselantennen! Und die Schwarzfärbung auf der Brustplatte! Ich also den Kottan gechannelt, eine grelle Schreibtischlampe auf den Burschen gerichtet und verhört. "Sans vielleicht gar nur a Junikäfer?" Weil, I hob da scho a bisserl a Verdacht gehabt. Man liest so viel darüber: Enkeltrick! Telefon läutet, "Du Opa, i bins, da Enkel." Gab sich hier ein Junikäfer als Maikäfer aus, um mich zu foppen und günstig einen Energiedrink abzugreifen? Kurz hatte ich an mein Glück geglaubt! Schon war es zerplatzt.
Ihm blieb die Fensterbank, mir nur Tränen. Vom Zucker genährt und von der Sonne getränkt verlieh ihm meine Hinwendung letztlich Flüüüüügel, und so propellerte er ab, über den Kanal, Kleingärten im Blick. Na dann alles Gute, Servus und Baba.
Sonntag, 21. April 2024
Dieses Jahr scheint das Jahr der Reparaturen. Größter Posten bislang: ein neues Fenster. Durch das alte schaue ich sonntags aus entspannter Rückenlage, betrachte die Schäden, berechne die Kosten und bedenke die Umstände (sog. Komplikationen), Lärm, Dreck, Umräumen, Handwerker im Haus. Aber: Die Sonne scheint durch alle Fenster gleich, wie der Volksmund sagt. Also gemach. Sonst sagt noch jemand, Herr Kid, Sie sind doch aber selbst keine 37 mehr, lohnt sich das noch?
Zum Aufwärmen und zur Ablenkung mal den Abfluss unter der Spüle gereinigt. Siphon auseinandergeschraubt, den Schlonz rausgeholt wie so ein Fischer beim Schöpfen von Bilgewasser. Danach das Rohr freundlich knuffend ermahnt ("Bist du noch ganz dicht?!?") und drei Kreuze gemacht. Erste Tests mit ablaufendem Wasser aus der Spüle geben Zuversicht, die Spülmaschine wird dann die Abschlussprüfung.
Leider ist nun die Waschmaschine kaputt. Also kalt. 30 Jahre alt und dann das. Ein faszinierendes Video auf Youtube erläutert mir die Kniffe, wie man die vordere Blende löst und vor allem den Heizstab, den es für eigentlich kleines Geld noch immer gibt. Ich werde dem Techniker, der das dann für mich macht, also alles genau erklären können. So was bringt ja auch zusammen, wie Jungs, die in einem Biergarten zusammensitzen und plaudern.
Da ich nicht waschen kann, liege ich entspannt und lese weiter in meinem kleinen Katalog zur Retrospektive der Brüder Quay. "On Deciphering the Pharmacist's Prespcription for lip-reading Puppets" hieß die Ausstellung im MoMa in New York (das ist eine große Stadt in den USA). 2012 war das, ist also auch schon was her. Neben der reichen Bebilderung sind hier aber tatsächlich auch die begleitenden Texte sehr aufschlussreich. Da wird noch mal der Werdegang der düsteren Zwillinge und Animationskünstler aufgeschlüsselt, aber auch Vorbilder, Themen und Motive bespiegelt und ihre Position als Radnabe im Wirbel der Einflüsse und Ideen moderner Kunst - quasi von Duchamp bis Janáček - betrachtet.
Apropos Fahrrad. Das war noch immer nicht in der Inspektion. Nächster Punkt auf der Reparaturliste und ebenfalls nichts, was ich - Youtubevideos hin oder her - derzeit selbst anfassen möchte. Ziehe gerade kleine Kreise, drehe entspannt am Rad, spinne mir vom Fenster aus die Welt zusammen. Ein Waschzuber voller Ideen.
Sonntag, 3. März 2024
Taxidermisches Präparat einer Maus, um 1900
Es begab sich ja so, dass ich begonnen hatte, gewohnheitsmäßig Erdnüsse in meiner Manteltasche mitzuführen. Ich wollte mir die große Krähenkolonie am alten Schwimmbad zum Freunde machen. Sachte angefüttert würden sie mich als "duften Typen" in Erinnerung behalten, und das ist ja nicht nichts im Leben.
Stand dann aber eines Morgens im Halbdunkel meiner Garderobe (ein weiterer Grund, sich weitgehend uniform anzuziehen) vor einem detektivischen Rätsel. Die Tatortlage zeigte sich zunächst wie folgt: Auf dem Boden merkwürdiges, braun-gelbes "Mehl" unklarer Herkunft. Eine solche Spur führte auch zwischen Mantel A und Mantel B entlang bis zur Seitentasche von Mantel A (Beweisstück anhand). Dortselbst ein kleiner Beutel mit besagten Erdnüssen.
Fotografie einer Krähe, die einem Mann mit Erdnüssen auf der Landstraße folgt, um 1900 [Symbolbild]
Als erfolgreicher Detektiv habe ich natürlich einen einprägsamen Spruch als Erkennungsmerkmal, so wie "Kombiniere!" oder "Elementary!" oder "Is that a mouse in your pocket or are you just happy to see me?" Meiner lautet "Nanu?!" oder so sagte ich "Nanu?!" und begann, die Indizien zusammenzubringen. Zunächst, man soll immer mit dem Wahrscheinlichsten beginnen bei der kriminalistischen Arbeit, schloss ich rasiermesserscharf, dass mich eine Krähe wohl derart als "duften Typ" identifiziert hatte, dass sie mir gefolgt, sich vielleicht in die Manteltasche geschmuggelt und danach im Schutze der Nacht (meine Garderobe ist dann komplett dunkel) den Diebstahl begangen hat.
Fotografie einer Krähe, die Erdnüsse auf einer Anrichte pickt, um 1900 [Symbolbild]
Nun heißt es aber, dass man, ehe man etwas zur Anzeige bringt, die augenscheinlichen Fakten noch einmal ruhig mit dem anderen Auge betrachten soll. ("Wenn du das eine Auge hingehalten hast, so sollst du aber auch das andere hinhalten". Handbuch der Detektive, Bd. II. Um 1900.) So kam ich zu einem anderen Schluss: Eine Maus muss der Täter sein! Es ist ja so, seit die nicht mehr urheberrechtgeschützt ist, findet man sie plötzlich überall. Das Szenario musste sich also folglich, wir beginnen wieder mit dem Wahrscheinlichsten, derart abgespielt haben: Ähnlich wie im berühmten Film Rififi (F 1955. R: Jules Dassin) hat sich eine Maus vom Dachboden aus ein Loch gebohrt und mit einem Regenschirm herabgelassen (fotografische Nachempfindung anbei), die Beute in der Manteltasche verzehrt und "flitzeflink die Biege gemacht", wie man in den 1950ern so sagte.
Fotografie einer Maus, die sich mit einem Regenschirm von der Decke herablässt [nachgestellte Szene]
Eine andere Möglichkeit, denn "I want to believe", wie der Sinnspruch eines anderen berühmten Kriminalermittlers lautete, war natürlich auch folgendes Szenario: Eine extraterrestrische Mausspezies hatte mich mit einem kleinen UFO verfolgt (möglicherweise hatte ich es für eine handelsübliche Spielzeugdrohne gehalten und nicht weiter beachtet) und sich unbemerkt (oder per Teleportation, warum nicht) Einlass in die Wohnung verschafft. Der Rest folgelogisch: Traktorstrahl auf die Erdnüsse, Sofortverzehr, Abflug.
Fotografie einer Maus in einem kleinen UFO, um 1900 [Symbolbild]
Hier aber: Kevin allein mit Maus, Trutzburg Leuchtturm am Rande der Stadt infiltriert, höchster Alarm am Vorratsschrank! Mit Taschenlampe und Vergrößerungsglas begab ich mich auf Inspektion und fand dann auch ein Loch in der Wand unter der Spüle, wo die Abflussrohre in die Abseite führen. Das machte die Theorie mit dem UFO und dem Regenschirm obsolet, übrig blieb die Hypothese vom gewöhnlichen Räuber, der auf vier nackten Pfoten durch die Stube schlich. Statt aber mit Nachtsichtbrille und Schmetterlingsfangnetz auf der Lauer zu liegen (dann auch noch im Dunkeln), entschloss ich mich zur Fallenstellung.
Fotografie einer Maus auf einer selbstkonstruierten Falle mit komplizierter Auslösemechanik, um 1900 [nachgestelle Szene]
Wie ein Inspektor Murdoch aus der nach ihm benannten Serie (ebenfalls berühmter Detektiv) tüftelte ich eine kleine Konstruktion mit Feder und Mechanik aus, bestückte die Köderbox mit Erdnüssen, selbst angerührtem Schokoladenmus, Grana Padano von Feinkost Luigi (Käse wird zu schnell trocken, das lockt nicht) und wartete auf das Klingeln der kleinen Alarmglocke, die ich an die Falle montiert hatte. Allein: kein Erfolg. Nacht um Nacht lauschte ich mit einem Ohr (das andere schlief), nichts. Tagsüber umwehten mich mittlerweile hypersensibilisiert immer mehr Maus-Anspielungen. Im Fernsehen lief Tom & Jerry, in einer Dokumentation sang ein mittlerweile verstorbener berühmter Schlagersänger von "Speedy Gonzalez" ("die schnellste Maus von Mexiko", wie wir wissen), überall nur Maus! Maus! Maus! überall biss die Maus einen Faden ab - nur bei mir nicht. Ich schien dem Wahnsinn nahe, aber das wäre ja nicht... nicht rational, nicht logisch.
Fotografie einer auffällig dunkel gekleideten Maus [Symbolbild]
Gerade als ich dachte, diese "Maus" existiere vielleicht nur in meinem Kopf und es sind doch die Krähen, die mich "gaslighten" wollen, begegnete ich ihr Auge in Auge und unvorbereitet in der Küche. Ich glotzte, sie glotzte, ich war irritiert von ihrem merkwürdig dunklen Mantel (mittlerweile denke ich, es war wohl doch nur eine dunkle Fellzeichnung) und vergaß darüber, zu einer Waffe zu greifen und eine Ingewahrsamnahme einzuleiten, inklusive Rechtsbelehrung und Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht. Schon war der feige Nager flink wie Speedy Gonzalez unter der Spüle verschwunden.
Nun war Schluss mit lustig: Ganz wie in einer Erzählung des Polizeireporters E.A. Poe griff ich entschlossen zur Spachtelmasse, summte ein Lied, in dem es um ein Faß Amontillado geht, und verschloss Schicht für Schicht, gleichwohl mein linkes Auge dabei merkwürdig zuckte, das Loch in der Wand, lachte dabei wohl auch, sprach "Nanu, nanu, nanu" und lobte mich, dass ich den Fall so rational wie sonst kein anderer gelöst hatte.
Samstag, 17. Februar 2024
Manches Mal liege ich vom Tagewerk erschöpft auf dem mir gegenüber sehr nachgiebigen Sofa und versuche, nur mit der Kraft meiner Gedanken, ektoplasmische Materien und Formen aus dem Äther herbeizuondulieren. Wolken, Spiralen dimensionieren sich dann wie aus dem Nichts (so weit bin ich schon), pulsieren, atmen und lösen sich alsbald wieder auf. Es ist ein mühsames Training auf dem Weg, eine künstliche Kreatur zu schöpfen, mit einem beseelten Korpus, aber möglichst ohne eigenen Willen, sonst wird es wieder anstrengend.
Diese "Nebelwerke", so seien sie im Übergange genannt, mögen von geringerer Natur sein, doch befriedigen sie den Wunsch des Menschen, etwas zu erschaffen, sich gottgleich zu erheben, Leben in tote Materie zu hauchen, sich ein Ebenbild zu geben, eine Kreatur zu wecken, die im Haushalt niedere Dienste erledigen und abends als Freund mit am Tarocktische sitzen mögen. Oder schweigend vor dem Fernseher.
In der Werkstatt sitze ich dann bis weit in die Frühstunde an Holzarbeiten, verberge mein Ungeschick durch unbedingten Willen und figurative Freizügigkeit und einem wohlwollendem "das bleibt jetzt so". Bis nach und nach ein Automaton Gestalt annimmt, ein bewegter Holzmensch oder -mannikin. Eine mechanische Alraune, ein Wunderwerk der Technik, der nur ein Funken fehlt, auf dass es lebe.
Durch Ätherkraft beseelt wird mein hölzerner Doppelgänger für mich Einkäufe erledigen können oder Briefe zur Post tragen. Eine Packstation wird ihm zu kompliziert sein, das begreife ich ja selbst nur schwer. Die Spülmaschine ist hingegen sicher schnell erlernt. Ein paar Geselligkeiten abends auch. Ein Spiel mit Karten oder Holzfiguren, ein höfliches Gespräch über gemeinsam geschaute laufende Bilder. Ich werde ihm dazu tausende von Büchern in einen Lochkartenspeicher füttern. Mit der Zeit wird der Holzmensch "wissen", welche Wörter und Sätze aufeinanderfolgen, um wie eine sinnvolle Äußerung zu klingen. Eine Art Grammatik aus Drahtnägeln und passenden Löchern in derart ineinandergreifenden Pappkarten wird die Reihenfolge einzelner Satzglieder bestimmen. Ein großes Projekt, sicher. Und sicher nur für große Geister. Aber am Ende wird es vielleicht eine Armee von Doppelgängern geben, die galant die behandschuhte Hand reichen und artige Komplimente geben können.
Während ich, wie gesagt, auf dem mir wohlmeinend zugewandten Sofa liege, Wolken aus dem Äther emmaniere, flüsternden Stimmen lausche und überlege, wie ich meine Holzkopfarmee in die Parlamente bringe [aufgew.]
Mittwoch, 14. Februar 2024
Heute am Tag der Herzgesundheit fand ich es an der Zeit, mir etwas Gutes ohne Augenrollen und Fremd- und Selbstgeißelung zu gönnen. Seit einiger Zeit vermisse ich ja meine Ausgabe von García Márquez' Hundert Jahre Einsamkeit, die auf bislang ungeklärte Weise abgängig ist. Wie lang schon, hundert Jahre vielleicht, ich weiß es nicht.
Nun gibt es in meiner Nachbarschaft die recht gut sortierte Bücherstube (der Ramsch geht gleich in die Filiale nebenan mit der Aufschrift "Papiercontainer") einer kleinen Kirche, die auch sonst ganz rühriges Veranstaltungsengagement hier im Viertel zeigt. Gemeinsam mit mir war ein freundlicher Herr im Raum, der eifrig und offenkundig kundig das nur grob sortierte, aber sehr preisvernünftig (meist ein, zwei Euro) ausgezeichnete Sortiment durchstöberte. Auch ich suchte eifrig, aber offenkundig unkundig umher, sah viele Volker Kutschers, neuere Sachen wie Gone Girl oder einen Kriminalroman von dieser Zaubererfrau, daneben viele alte und moderne Klassiker (von Washington bis John Irving), aber eben nicht diesen doch sicher hundertfach hin- und herverschenkten Márquez. Normalerweise bitten viele Männer und ihre dreijährigen inneren Kinder ja bei solchen Gelegenheiten nicht um Hilfe ("Kann ich selber!"), aber ich dachte, komm' ist Valentinstag, Freundlichkeit hilft heute weiter. Und tatsächlich war der von mir angesprochene Mitstöberer sofort im Bilde und wies daher beinahe wortlos auf einen Kasten quasi zu meinen Füßen, dortselbst seit hundert Jahren das gesuchte Buch auf Käufer wartete. Gibt es denn so was!
So was gibt es, sogar mit freundlicher Widmung, vielleicht zum Valentinstag, ein paar Zeilen mit "Topf" und "Deckel" an eine Person mit männlichem Vornamen, die/der sich jetzt aber mal schämen darf (nicht nur an diesem Tag). War doch 2005 sicher lieb gemeint! Jetzt sind - ebenfalls offenbar - wohl Betten und Bücher getrennt und auf den lieben S. warten, wenn er Pech hat, na?, genau, hundert Jahre EINSAMKEIT! (Letzter Narrhalla-Marsch, jetzt aber Aschermittwoch.)
Bei den DVDs wie meistens weder irgendwas von Lanthimos oder Kurosawa oder Bergman, dafür aber viel Romantika mit Hugh Grant oder was von Garry Marshall wie Valentinstag, in dem jeder mitspielt, nur nicht Hugh Grant. Da hätte heute aber manch einer ein schönes Mitbringsel gefunden! Nun bleibt es bei Tulpen von der Tanke. Ich fand hingegen beim Rausgehen im CD-Stapel Rosen aus Athen - die damals sehr wohlwollend aufgenommene Veröffentlichung von Nana Mouskouris musikalischem Ausflug nach New York (das ist eine große Stadt in den USA). Die Sängerin, die man hier nur im Schallplattenfach "Schlager" findet, war ja in ihrer Musikkarriere sehr versatil und eben zunächst eine Jazzerin. Produziert von Quincy Jones nahm sie 1962 eine Reihe von Jazz-Standards auf, darunter Titel wie "Love Me Or Leave Me", "Hold Me, Thrill Me, Kiss Me" oder "Smoke Gets In Your Eyes". Nur "My Funny Valentine", das fehlt.
>>> Geräusch des Tages: Nana Mouskouri, I Get A Kick Out Of You
Mittwoch, 24. Januar 2024
Nach sieben mal sieben Wochen andauernden Regenfällen, hatte irgendeine höhere Macht ein Einsehen und hielt am Freitag die Brause an. Von vereisten Gehwegen abgesehen also beste Voraussetzungen, auf die Demo gegen Rechts in Hamburg zu gehen. Im Vorfeld war der Ortsabteilung der AfD noch eingefallen, zeitgleich eine Fraktionssitzung im Rathaus abhalten zu wollen, so dass wegen der Bannmeile keine Demonstration auf dem dafür eigentlich eingeplanten Rathausplatz durchgeführt werden durfte. Die wich dann unbeeindruckt auf den Jungfernstieg gleich nebenan aus.
Besser so, denn die Schätzungen haben sich am Ende auf rund 80.000 Teilnehmende geeinigt (ich vermute, es waren locker mehr). Die Menschen standen vom Jungfernstieg aus um die ganze Binnenalster herum, bis zum Gänsemarkt und in zahlreichen Nebenstraßen. Sehr erfreulich und durch die vielen Leiber gut fürs Mikroklima - zwei, drei Grad mehr dürften es dort gewesen sein. Nähe schafft schließlich Wärme.
Es ist auch ein schönes Gefühl, wenn es nicht nur vermutet, sondern wirklich erlebt wird, wie so mannig viele Menschen in aller Selbstverständlichkeit, entspannt, aber bestimmt, ganz unaufgeregt, aber mit festem Plan sich alle zum selben Ziel aufmachen, ein Zeichen setzen, eine Fahne hissen gegen politisches Plemplem und rechtsextreme Erektionsfantasien. Hanseatisch unbeeindruckt von kecken Rechtswinden und Blitzeschleuderei, alles ohne großes Geschrei und frei von Krawall, dafür mit handlungsabschließendem "So" und "Ham wir das jetzt auch klar gemacht".
Für den Rückweg aus der Menge strömten Hunderte von Demonstranten sogar durchs noble Alsterhaus, das die Türen geöffnet hielt, Security und Personal zwar sichtlich angespannt und mit den Augen überall, doch professionell und freundlich. Antifa am Gucci-Stand, auch so ein Bild für die Erinnerung, ganz wie die vielen ironischen Plakate, deutlichen Schmähungen und dem nicht zu überhörenden und schon gar nicht zu übersehenden Bekenntnis "Wir sind mehr!"