Samstag, 16. Oktober 2021


Von der Lampe



Sitze hier im karierten Hemd und versuche mich als Maschinenbauer. Habe jetzt eine Lampe gebaut, die ich über das Wochenende mit Gedankenkraft zum Leuchten bringen will. Ich hatte dazu ein paar kühle Gedanken, die mir erfolgversprechend schienen, bis mir auffiel, daß die Heizung bereits seit einigen Tagen ausgefallen war. Da kann ja jeder kühl denken! So waren natürlich auch die Gehirnwellen verzerrt und... na ja, ich fasse das kurz, das wird für die meisten Leser eh unverständlich sein. Noch ist es dunkel, aber ich arbeite dran. Transmutation.

"Kalt, aber hell" lautet nun das Ziel fürs Wochenende. ("Mehr Licht", für die Bildungsbeflissenen hier.) Der Herbst ist da, nur leider sind ja alle Jahreszeiten gleich geworden. Gleich gleichtönig, gleich müde, gleich ereignislos. Man könnte sagen: Auch die Jahreszeiten tragen Maske. Wer weiß schon, was darunter ist? Die einzigen Wesen, mit denen ich mich noch unterhalte, sind die Hausgeister. Ich würde sie "Dämonen meiner Vergangenheit" nennen, wären sie nur irgendwie interessanter. So aber mahnen sie nur "mach mal Pause" oder "mach mal Urlaub" oder "mach mal den Staubsauger an", kriechen dann wieder wie Ektoplasma in irgendwelche Ritzen der Wandverkleidung, lachen hinter der Tapete oder werfen ein Buch aus dem Regal. Mehr fällt denen ja auch nicht ein. Selbst Trugbilder kriegen die nicht mehr richtig fokussiert hin, es bleibt ein diffuses Gewaber. Mal eine nackte Brust oder ein wutverzerrter Fahrkartenkontrolleur, mindere Kunst der Geistesprojektion, für die man nicht mal rückwärts sprechen muß.

Habe mich ja ganz gut mit der ersten Staffel von Vienna Blood amüsiert, für das einige Szenen auch in meinem Lieblingsmuseum gedreht wurden. Ein Telefonanruf aus der schönen Stadt bestärkte mich, recht bald mal wieder hinzufahren. Den einen Irrsinn gegen den anderen eintauschen. Lichter ins Fenster stellen.


 


Montag, 11. Oktober 2021


Elan statt Elon



Transformiere nach wie vor vor mich hin (eine der wenigen Satzkonstruktionen im Deutschen mit zwei aufeinanderfolgenden "vor", achtet mal drauf). Was mir bislang fehlte, so meine knochenharte und unerbittliche Analyse, war das Ziel von einer Fabrik der Ideen, ein Powerhouse of Ideas, wie man heute so sagt. Ich werde mich nun in einen dampfenden Kessel verwandeln, aus dem die Visionen und Ideen und sogar fantastischen Ideen nur so herausdampfen, aus Poren und Schornsteinen. Über einen Transmissionsriemen (ist Physik) kann ich dann alles und alles drumherum so dermaßen transformieren, daß die Erdkruste knackt.

Die Ideenfabrik? besteht erstmal nur als Modell im Maßstab 1:1000000, soll aber bald am südlichen Ende der Hamburger Hafen-City - da wo heute schon Kräne und Betonmischer stehen - projektiert werden. Dann grüßt zum Eingang der Stadt demnächst nicht nur der im Volksmund "große Primmel" genannte Megatower vom österreichischen Großgroßinvestor, ein 800-Meter-hohes-Bürogebäude (derzeit noch unerigiert), sondern gewaltige Rauchwolken aus dem ebenso gewaltigen Schornstein meiner Fabrik. Damit man sieht: Hier in dieser Stadt wird groß gedacht!



Das Modell habe ich zwar aufwendig, aber doch schnell gebaut. Eine frühere Lebensgefährtin hat so etwas immer für Fotos gebastelt, da habe ich alles Tricks des Gewerbes abgeschaut. Geduldig ein paar Pflastersteine auf dem Tisch verlegt und einen Nachthimmel installiert, mir in der Kita nebenan vom Laternenbasteln eine Pappe mit Transparentpapier besorgt, Papprohr bemalt - zack, war das Foto fertig. Anschließend habe ich es natürlich noch mit dem Computer bearbeitet (dezent), wie man das heute so macht. Dann die Filmkameras aufgebaut, Gimbal, Dolly, Stative, Licht, Best Boy und Gaffer, Script-Girl, wirklich nur kleines Team - und los ging es.



Wegen allerlei Lizenzen und Trara und Geheimniskrämerei durfte ich keine Innenaufnahmen machen, aber bereits jetzt scheinen mir die Generatoren in der Fabrik mehr Saft zu liefern als die bald durchelektrifizierte märkische Heide mit ihrem Mobilitätswendemogul. Ich hoffe, im nächsten Jahr mit dröhnender Lache und gebrochenem Englisch eine Pressekonferenz zur Eröffnung geben zu können. Von Ideen und Arbeitsplätzen werde ich sprechen, von Metropolis, Politiker werden klein neben mir stehen, und dann gibt es frisch geräucherten Elbelachs aus dem Schornstein.


 


Sonntag, 3. Oktober 2021


Le Turk



Wenn ich einmal groß bin, möchte ich gerne das Budget und kreativen Möglichkeiten von Sébastien Salamand haben, der unter dem Namen "Le Turk" als Werbefotograf, Set-Designer und Workshopleiter unter anderem für die Akademie des -Magazins arbeitet. Die beschreiben ihn als "beeinflußt von den Filmen von Jeunet, von Otto Dix und den Gemälden Hieronymus Boschs", und das ist alles nicht falsch beobachtet. jules Verne könnte man noch erwähnen und die franko-belgische Comickunst, jedenfalls sind die zumeist aus Holz, Pappe und Stoffe gezimmerten Requisiten und Bauten sehr grotesk überzogen, quietschbunt und zugleich angenehm unperfekt, wacklig und provisorisch, also so, wie sie bei mir auf ganz unaffektierte, natürliche Weise zustande kämen. Ohne das Quietschbunte vielleicht.

Es gibt auch ein Buch mit seinen Fotos (Opera Mundi, erschienen 2016), das kann man kaufen, und nach dem nächsten bitteren Kassensturz tue ich das auch.

>>> Website von Le Turk


 


Mittwoch, 29. September 2021


Team Zukunft



Ich habe im Lockdown leider keine weitere Fremdsprache gelernt (verstehe die eigene schon nicht), mich aber in meinem kleinen Geheimlabor eingeschlossen, bis ich mit einer aufregenden Erfindung (und einem furchterregendem Bart) wieder herauskam. Ein kleines unscheinbares Gerät mit einem Bildschirm, einem Frequenzabstimmknopf und einem Lautstärkeregler. Wozu man das braucht? Für alles! Mit Hilfe einer ebenfalls schnell erfundenen Yagi-Richtantenne kann dieses Gerät nun Signale aus dem sogenannten Äther auffangen und anzeigen. Schwingende Wellen! Singende Klänge! Laufende Bilder, die durch die Luft übertragen werden!

Daß bislang noch niemand auf diese Idee gekommen ist! Dabei wäre dieses System so nützlich. Nach getaner Hausarbeit einfach einen Film (Fachbegriff für bewegte Bilder) anschauen und dabei entspannen. Apropos Hausarbeit: Bislang haben mich sogenannte Saugroboter nicht überzeugen können (meine Atelierloftwohnung hat dafür zu viele Hindernisse auf dem Boden). Zudem sehen die alle nicht aus, als hätte ich sie erfunden und gestaltet. Allesamt häßlich wie die Nacht! Nun aber fand ich dieses Modell [Youtube], das mir ganz vernünftig ausschaut. (Der Werbeclip zeigt einen vom Bodenfegen ganz erschöpften Mann und schließlich die Rettung: ein autonomer Saugroboter.)

Mit diesen Zukunftsideen für unser Land möchte ich gerne in die Politik als Minister für Technik, Kommunikation und Digitales. Etwas bewegen, das Leben der Menschen leichter machen und ein Motor sein für Ideen, Zukunft, Stabilität, Sicherheit, Solidarität und Fortschritt.


 


Sonntag, 26. September 2021


Wolkengesänge



Heute morgen konnte ich aussschlafen, lag also schwer auf der Matratze und fühlte daran noch schwerer, da blitzte in mir der Gedanke: "Auch Wolken haben ein Eigengewicht". Von der, wie soll ich sagen, Gravitas dieser Erkenntnis noch tiefer ins Laken gedrückt, faßte ich aber einen sogenannten Entschluß, stand auf, trank Kaffee, brachte einen Brief zum Postkasten und holte ein paar essentielle Ding ein. (sog. Tagesbericht)

Eine Erkältung umschwirrt mich wie der Teufel die Fliegen, ich sage nur Schwitzen im Übergangswetter (was auch der Titel eines ungelesenen Romans sein könnte), und so heißt es, Vitamin C statt Vodka-Tequila. Früher war ja Samstagabend mehr Rock'nRoll, aber die vielfältigen Arzttermine diese Woche haben mir diagnostiziert, daß dieses sogenannte Altern auch vor Bloggern nicht Halt macht. Müde bin ich, geh zur Ruh'.

Von wegen nächtliches Rumschlurfen durch elektrisch geladene Großstadtneonlichterpfützen. Man sitzt stattdessen von der inneren Schiebermütze beschirmt daheim auf dem Sofa, blättert durch Prospekte voller Discounterangebote, findet es lustig, daß Aldi (das ist ein großer Discountanbieter) ein Handtücher- und Bettwäscheangebot mit einem Wolfgang-Joop-Look-a-Like bewirbt, bis man feststellt, das ist tatsächlich Wolfang Joop. Was kommt als nächstes?!? hallt es verzweifelt durch mein angelehntes Fenster. Abgewrackte Ringelpulliblogger mit Schiebermütze, die einen Sonderposten Handyladegeräte bewerben?

Morgen ab 18.00 Uhr dann Ruck oder Tiefschlaf, ich schaue schon seit Wochen den Stand der Wolken, der Sterne und den Zug der Vögel. Ich verstehe die Zeichen aber nicht, wie so viele viele andere nicht verstehen und deuten und mißdeuten, zuhören und nicht zuhören, spüren und nicht spüren, die Risse in den Wänden nicht sehen, das Röcheln in den Leitungen nicht hören, das Piepsen hungriger Vögel im Nest.

Ab Montag nur durchschlafen, gar nichts mehr hören, alle Stecker raus, leben nur mit Partyhütchen statt Schiebermütze, noch mal Geld raushauen für Gutes oder Hochprozentiges oder einen neuen warmen Mantel wg. Gutesgefühl. Danach Emo-Bloggen für einen Rheumadeckenhersteller oder einen Anbieter für Heimlichtorgeln. Die tollsten Pläne, Samstagabend, 23:03 Uhr.

>>> Geräusch des Tages: Richard Hell, Blank Generation


 


Freitag, 17. September 2021


Bartbrand und Ruflosigkeit - ein Krimi


Expl. I: veringwerter Axolotl

Habe mich jetzt ein paar Tage nicht rasiert, und würde ich mir den Bart anzünden, könnte ich quasi aus einem brennenden Dornbusch sprechen, aber so richtig klug wäre das nicht. Also, um einen Witz zu machen und mächtig Eindruck zu schinden, wäre der Preis zu hoch. Ich könnte aber.

Darf mir nur nichts auf die Ohren schlagen, weil ich auf den Ruf warte, der mich noch nicht ereilt hat. Ich halte tagsüber die Fenster geöffnet, damit ich es besser höre, sollte der Ruf erklingen, der meinen Ruf begründen soll. Bislang aber gilt: Es ist alles ruflose Kunst in diesem Haus!

Es gibt es aber auch gute Nachrichten. ONE hat meinen Ruf gehört, und meine heimliche Lieblingsserie, die ich hier in den letzten Jahren immer und immer wieder berufen habe, endlich ins deutsche TV geholt. Murdoch Mysteries laufen nun mittwochs abends und sollen angeblich auch in der Mediathek auftauchen (davon ist allerdings bislang, ein rätselhafter Kriminalfall für sich selbst, trotz Ankündigung noch nichts zu merken). Die mit Auftritten zahlreicher zeitgenössischer Persönlichkeiten wie Literaten und Politiker und Anspielungen auf Literatur und Fim gespickte viktorianische Polizeiserie zeigt die Fälle eines Detective der Torontoer Polizei Ende des 19. Jahrhunderts. Sein (auch im Büro ausgeübtes) Hobby: wahnwitzige technische Erfindungen, die rasch die Geschichte der Forensik voranschreiben und dabei augenzwinkernd in unsere Gegenwart vorausdeuten. Als Gegengewicht steht ihm eine engagierte, zum Widerspruch neigende Gerichtsmedizinerin zur Seite ("Akte X" lässt grüßen). Ich selbst bin bereits in Staffel 12, die deutschen Synchronstimmen hören sich folglich merkwürdig an. Was stört: offenbar hat man sich für die deutsche Schnittfassung dazu entschlossen, die entspannte Reihe aufzupeppen und mit Tempo zu versehen. Jetzt nerven in regelmäßigen Abständen mit "Zuuuuusch"-Geräusch unterlegte Inserts einer Edison-Glühbirne bei Szenenübergängen. Ein alberner Gimmick. Unnötig.

Bin gespannt, wie sich die doch sehr kanadisch und z.b. vom ewigen Duell mit dem großen Nachbarland USA geprägte Serie in Deutschland schlägt. Ist ja schließlich nicht jeder Experimentalwissenschaftler wie ich. Ich habe jetzt in dieser Tätigkeit ein Phänomen entdeckt, daß bedeutsam für die Medizin werden könnte. Der Axolotl, ein mangels Metamorphose ewiger "Kid" unter den Lurchen, zeigt neben vielen anderen bemerkenswerten Eigenschaften eine weitere erstaunliche: Bei längerer emotionaler Vernachlässigung (mad scientist voice: Details über mein Experiment will niemand wissen! /mad scientist voice) verwandelt es sich in eine Ingwerknolle! (s. Belegexemplar oben) Auch anschließendes sogenanntes "gutes Zureden" holen es nicht zurück aus seinem schrumpeligen Stadium. Es besitzt aber augenscheinlich heilende und vor allem anti-entzündliche Eigenschaften, die es weiter zu untersuchen gilt.
[pre-print Studie]

Super 8 | von kid37 um 16:37h | 11 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 9. September 2021


Can't Get You Out of My Head


(Wegen der Altersbeschränkung derzeit nur direkt auf Youtube zu sehen)

Ein dringlicher Tipp aus Übersee brachte mich zur sechsteiligen Dokureihe Can't Get You Out of My Head. Der britische Dokumentarfilmer Adam Curtis (The Power of Nightmares) collagiert hier Szenen, popkulturelle und politische Ereignisse der letzten Jahrzehnte zu einer assoziativen Wanderung durch wiederkehrende Motive und Refrains, Attentate, Algorithmen und Agendas, Brüche und Überraschungen, eruptive Gewalt und gezielte Schmeichelei und schaut, wie sich unsere westliche Gesellschaft verändert hat. Und verändert wurde. Durch Informationen und Überzeugungen, geheime Operationen und offene Meinungspenetration, Verschwörungen und brachialen politischen und kulturellen Spins.

Das Ganze windet sich selbst wie ein Gedankenwurm ins Hirn, hinterläßt ein Gefühl von "unheimlich", weil man immer wieder nickt, manchmal lacht, oft aber erschrocken ist und am meisten über sich selbst. Eine schöne, beklemmende Scheiße, produziert von der BBC und in allen sechs Folgen auf Youtube zu finden. (Das "gelöscht"-und- "gefunden"-Spiel kann man als Teil des Informationskrieges sehen. Also, wer will.)

Tentakel | von kid37 um 02:23h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link