Montag, 29. Oktober 2018


Happy Cakes



Ich bin immer ganz beschämt, wenn sich jemand so viel Mühe macht - ein Kuchen! Mit Verzierung, auch wenn die auf dem Weg ein klein wenig gelitten hat. Aber was sage ich, angemackt wie der Jubilar! Bin eben kein Kid mehr. Also passgenau und überaus lecker. Weil ich keine Kerze hatte, habe ich einen Schirm spendiert, darunter soll niemand weinen. Apropos, Kuchen. Christine McConnell, mit der ich gerne verheiratet wäre, weil es dann JEDEN TAG Kuchen gäbe, hat jetzt ihre eigene Gruselgebäck-Serie bei einem bekannten Streaminganbieter. Ich habe keinen Streaminganbieter und keine gebügelten Tischsets, aber einen wunderbaren Kuchen.



Wenn das Jahr rund wird, kommt man auch ins Besinnen. Vor allem, wenn man dazu wegen der Zeitumstellung auch noch 25 Stunden Zeit hat, das ist ja schon mal das erste Geschenk. Jetzt hieß es aus Übersee, ich solle aber nicht gleich wieder losheulen (oder so ähnlich, ich hatte das Wörterbuch nicht am Mann), folglich dachte ich an muntere Momente. So hatte ich als junger T-Shirt-Träger zeitweise ein Faible für die Arbeiten von Adrien Sherwood. Bei dessen Projekt New Age Steppers waren bekanntlich auch Leute von The Slits dabei, deren Doku ich zuletzt mitproduziert gecrowdfunded habe. (Kommt auch ins Kino!) So hängt alles mit allem zusammen!



Als Kind aus der Krachmacherstraße wäre ich wirklich gerne runter ins Studio37 gegangen, dort wo dieses Dub- and Dancehall-Projekt aufnimmt, hätte einfach eine Gitarre vor die voll aufgedrehte Lautprecherbox gestellt - und wäre schnell weggelaufen. Tür zu! Das tolle Feedback hätte dann Adrien Sherwood aufnehmen können. Jetzt macht man heute fast alles am Computer, nur mit dem Feedback ist das schwierig. Nun habe ich mir also so ein Effektgerät zugelegt, das Rückkoppelungsgejaule wie von digitaler Zauberhand erzeugt, so daß ich auch spät abends noch unter Kopfhörer Krach machen kann, ohne daß ein SEK mit der Kündigung kommt. Eine große Freude! Ich habe mit meiner kleinen Taschenreggaeband kurz ansimuliert, wie das klingen könnte. Leute mit Ohren am Kopf werden zurecht die Nachlässigkeiten im Mix bemängeln, betrachten wir es also als Skizze und danken wir alle Gott, daß ich nicht das Karaokegerät gekauft habe. Wirklich.



Ich habe auf der Ausstellung ein Bild von Moki gekauft. Über ein anderes denke ich noch nach. Denn wie ich heute las: "Wer alles verjubelt vor seinem End, der macht das beste Testament." Jetzt einen Kaffee vom Balkan und weiter nachgedacht und Krach gemacht.

>>> Geräusch des Tages: Kid Sherwood, Studio37 #1


 


Freitag, 26. Oktober 2018


Filmabende

Der Künstler Glen Baxter hat sich auf Instagram ein wenig über mich und meine Erzählungen lustig gemacht oder die kleinen Filmabende, wie ich sie auch nenne. Da heißt es immer, ich könne so fesselnd erzählen, da ist das mit einem ganz anderen Zungenschlag gemeint. Glen Baxter, ansonsten ein guter Mann.

Instagram, eine Plattform, von der ich immer dachte, sie sei der Schnutenfotografie vorbehalten, macht mir gerade eine gewisse Freude. Wenn man die Tanga-Girls und Sportstudio-Boys ausfiltert, hat man schnell eine interessengestützte Blase beisammen aus privaten Kontakten und Künstlern aus aller Welt. Patti Smith darunter, die dort ihr kleines fotografisches Unternehmungstagebuch führt.



Die Tage werden also kühler, die Kontakte auch, die Boote sind alle fort ins Winterquartier. Müde bin ich, das ist nicht neu, stoße damit aber neuerdings jahreszeitbedingt auf Verständnis. Neulich suchte ich nach "Resthof mit drei Ziegen", so weit ist es also schon. Demnächst dann wohl: "Kleiner roter Sportwagen". Vielleicht auch erstmal "Winterdecke". Die Heizung hat mich vergessen, die Hausverwaltung auch. Derweil usselt sich das Wetter so runter, der Schokoladeschrank ist leer. Der Fernsehdoktor hat eine wichtige Nachricht gegen 19.20 Uhr: Wenn schon ein Glas Rotwein abends, dann auch "jeden Tag".

Sonst nutzt das alles dem Herzen nicht. Von Herzen nicht.


 


Donnerstag, 11. Oktober 2018


Das Leben, die Kunst



Eine Visite heute im Aktenkeller brachte mir den Namen zurück ins Gedächtnis. Eine Exfreundin von mir hatte nämlich nach dem Ende unserer Bekanntschaft eine Affäre mit einem berühmten Musiker aus Düsseldorf. Musikalisch natürlich ein Abstieg, menschlich vielleicht nicht. Fairerweise muß ich aber einräumen, daß ich musikalisch letztlich wirklich nicht viel erreicht habe, auch wenn ich in meinem Leben immerhin ein, zwei Dinge ganz gut vergeigt habe.

Bekanntlich bin ich daher lieber ein berühmter Maler geworden, und natürlich applaudierter Chansonliterat, auch wenn ich die Entbehrungen eines Lebens als Künstler nur zu gut erfahren habe. Zuletzt habe ich daher das Sammeln von Kunst begonnen, damit es, wenn man nach meinem Tod diese Wohnung aufbricht, ein großes Hallo und raunendes Fragezeichen geben wird in den Feuilletons dieser Welt, in die ich es sonst bloß in haarfeinen Bemerkungen geschafft habe.

Mit großer Begeisterung fand ich daher heute zwei limitierte Drucke von Julia Soboleva in der Post. Frau Soboleva (über)malt ein wenig mysteriös und zeigt ihre Grotesken auf Instagram. Die (auch haptische) Qualität der Gicléedrucke und des Papiers ist beeindruckend, dazu ein nettes Kärtchen, alles toll und akkurat verpackt - da könnte sich manch Händler mal ein Beispiel nehmen.

Jetzt gehe ich nur noch sauber gekämmt in den grünen Salon, in den ich die Bilder vorerst gehängt habe. Man sollte nicht weniger erhaben wirken als die Kunst, die man besitzt.

> Webseite von Julia Soboleva


 


Sonntag, 7. Oktober 2018


Fotografia della Motte



Sonntags sitze ich nach einer kleinen Runde zum Elektroschrottcontainer (anders als früher werfe ich da jetzt Zeug rein und hole nicht einfach nur was da raus, was man sicher noch gut verwenden könnte, wenn man es einfach nur ein wenig reparieren (ist sicher nicht viel dran) und in meiner kleinen Werkstatt modifizieren würde) im Easy chair, wie es weltmännisch heißt, und blättere durch die Wochenlektüre.

Etwas Neues, etwas Altes, etwas Blaues... Ich achte mit einer gewissen Akribie auf die richtigen Zusammenstellung dabei, denn Gestaltung macht auch vor den profansten Dingen im Alltag nicht Halt. Dahinter steckt die noch diffuse Idee, mich irgendwann einmal selbst recht kreativ auszudrücken zu wollen und einen Verlag für außergewöhnliche Fotobücher zu gründen. (Später, bitte keine Anfragen.)

In dieser Edition, so der Plan, werde ich vier Fotobücher (I - IV) veröffentlichen, mit exquisit ausgewählter, schwer verständlicher und noch schwerer aufzufindender Fetischfotografie, die ich - streng limitiert auf 237 Exemplare - an sehr alte, dafür aber sehr reiche Tokioter Fischgroßhändler verkaufen werde für 1500 2500 Euro das Stück. Die Aufmachung ist delikat: Einband aus gegerbten Mottenflügeln, die beim ersten Öffnen zerfallen - als Symbol für nachtbeflügelte Dekadenz und dem Ende von Allem. Wer sich jetzt noch fragte, wozu die Mottenexperimente in meinem geheimen Geheimlabor, der ahnt es jetzt und schweigt für immer.

Die Nachtfalterliteratur liegt eh im Argen. Bücher über Schmetterlinge gibt es in allen Farben des Regenbogens, aber über die in 50 unterschiedlichen Grautönen gefärbten (mein erster Verlegerwitz!) Kameraden der Nacht schweigt sich die Fotografie irgendwie aus. Bis es so weit ist, Dummys müssen gebaut, Gelder lukratiert werden, bleibe ich auf Käuferseite und unterstütze als Crowdfunder die Projekte anderer. Wie das neue Buch von Gilles Berquet Le Fétiche est une Grammaire, das ein bißchen Retrospektive bietet und einen Überblick über neuere Arbeiten, aber ganz wie Nachtfalter natürlich nicht jedermanns Sache ist. Die antiquarische, nicht übermäßig spektakulär aufgemachte Anthologie mit Zeichnungen von Franz von Bayros ist ein hübscher Rückgriff auf längst Vergangenes. Der Mann ist ja in Wien verstorben, wie überall nachzulesen ist, was ich irgendwie sehr angemessen finde in dieser Verbindung von Erotik und Tod und zwischendrin ein paar Girlanden. (Er selbst nannte es wohl, so entnehme ich der Wikipedia, "seine Verbannung". Oida. Aber offenbar war er eh ein bißchen weggetreten, mit Ansichten, mit denen man heute bei mir auch nicht punkten könnte.)

Dazu Kekse und Kaffee, etwas Herbstsonne und gepflegte Müdigkeit. Patti Smith zeigt heute bei Instagram ihre kleine Butze am Rockaway Beach. (Dazu gibt es hier ein hübsches Interview in der New York Times, das zeigt, daß ihr Artaud-Buch schon seit 2015 dort herumliegt. Ein wenig beruhigt mich das, setzt mich dieser Umstand doch in sehr gute Gesellschaft.)


 


Freitag, 5. Oktober 2018


When Mama Was Moth

When mama was moth,
I took bulb form
My body electric will writhe in vain

(Cocteau Twins, "When Mama Was Moth")




Manchmal, wenn ich abends in meinem Geheimlabor sitze und obskure Experimente an armen Seelen durchführe, hoffe ich, Antworten finden zu können. Warum Leute immer so weltumgreifend tolerant sein können, solange sie es nicht selbst betrifft. Warum Menschen nur das Beste wollen, solange sie es nur selbst betrifft. Warum Menschen manchmal nicht hinhören, finden, daß immer nur die anderen zu viel reden, warum immer nur eigene Probleme zählen, man für die anderen nicht verantwortlich ist.

Man kann den Untersuchungsobjekten allerdings mit den gewagtesten Instrumenten zu Leibe rücken, peinliche Befragungen durchführen, die Stimme erheben. Wie tot, schweigen sie still. Sie schweigen still, wie tot. Wenn einer sagt, "Mach mal Herbst!" welke ich ein, wie ein abgefallenes Blatt, stelle mich starr, so daß man meine Knochen knacken hört, will einer mich bewegen.

Mutter schickt ein Paket mit Schokolade. Tiere kauern wie leblos in den Wäldern. Pilze zittern, in den Körben der Jäger liegt kein Kuchen und kein Wein. So sieht es aus, und alles aus den Fugen.

>>> Geräusch des Tages: Cocteau Twins, When Mama Was Moth


 


Sonntag, 30. September 2018


HackeDePicciotto



Herr Hacke war ja schon immer da, Frau Picciotto lernte ich zunächst über ihre Malerei so um 2006 herum in Berlin kennen. Aus Wolfgang Müllers unverzichtbarem Almanach Subkultur Westberlin 1979-1989 aber lernen wir: "Zu Danielles Geburtstag wollte der total verliebte Dr. Motte ihr eine Art öffentliche Parade oder Aufzug schenken. Es wäre jedoch unbezahlbar gewesen, den ganzen Kurfürstendamm absperren zu lassen. Deshalb meldete Dr. Motte das Ganze als politische Demonstration an." (S. 235)

Und deshalb hieß das Love Parade. Alexander Hacke (aka von Borsig), einigen von den Einstürzenden Neubauten her bekannt, wußte also, worauf er sich einließ, als er de Picciotto 2006 heiratete. Seither nämlich ziehen die beiden umher, also reisen um die Welt, in *romantische Klaviermusik ertönt* Liebe vereint und musikalisch aufgeschlossen. Eine Art Love Parade eben. Dazu haben sie (angeblich) "alle ihre Sachen abgestoßen" (sprich: eingelagert, die werden ja nicht doof sein), der Freiheit wegen und des leichten Gepäcks.

Angemessen leicht bepackt nahmen denn HackeDePicciotto am Samstag den Bus, um in Hamburg vor Publikum (53 Personen) aus den letzten Alben vorzutragen. Übrigens sehr ohrenfreundlich (geraucht wurde auch nicht, und angenehm kurz war's!), also leise. (Vor allem, wenn man die Einstürzenden Neubauten mal live gehört hat. Häh?!?) Hamburgs wichtigste Musiker (also ich und der andere) standen derweil ganz hinten (oder saßen, weil geschwächelt) im Westwerk, ganz entspannt eben.



Reduzierte Hausmusik neuerer Art hören wir da, düsterer angelegt als die Vorgänger, was vor allem an Herrn Hackes feedbackondulierter E-Gitarre liegt, mit der er (unterstützt von Loop-Effekten, was ihm Gelegenheit gibt, hier mal zu Trommeln oder dort eine kleine Reiseespressomaschine... na ja, das ist jetzt erfunden) quer zu Frau de Picciottos Geigen- und Drehleierspiel dazwischensägt. (Ich erinnere mich an einen Auftritt vor ziemlich genau zwanzig Jahren, wo er auf diese Weise die Singende Säge seiner damaligen Gattin Fr. Becker im Zaum hielt.) Das schwankt (die beiden sind für den Abend in Rot gekleidet, sie: Vintage, er: Stylists own) zwischen Baghwan-Pärchen in der Fußgängerzone (hier will wohl einer frech werden!) und angenehm schunkelndem Kaputt-Chanson Berliner Schule. Besser als erwartet, vor allem gegen Ende, als die Betriebstemperatur so ein bißchen angeschnuckelt war.

Draußen war es schon genauso dunkel wie die Musik, also angenehm. Singende Pärchen unter den Laternen.

>>> Geräusch des Tages: HackeDePicciotto, All Are Welcome

Radau | von kid37 um 19:19h | 22 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 26. September 2018


Sweet Ruin



Große Ereignisse brauchen ja meist eine bestimmte Zeit, ehe sie verarbeitet sind, sich ins Unbewußte eingenistet haben und als Erinnerungssplitter und Resonanzböden zur Verfügung stehen. Beim wöchentlichen Milchpackungs-Yenga in der Fabrikkantine rutschen mir mittlerweile Skulpturen wie diese Milchskyline heraus, die eine fast fotografische Ähnlichkeit zu der einer gewissen großen Stadt in den USA aufweist. Sogar in 3D. Da habe ich mich selbst ertappt!



Die Domino-Zuckerfabrik in Williamsburg hatte es mir ja besonders angetan. Bis 2004 galt sie als größte der Welt (Make Sugar great again!), seither stand sie so rum und verfiel zu einer Filmkulisse. Zu schade, daß sie nun "entwickelt" wird, man ahnt schon das Ergebnis. Da sich die Fassade der alten Fabrik nicht so leicht mit Milchtüten nachbilden läßt, habe ich mir nun ein Fotobuch gekauft.

Fotograf Paul Raphaelson hat das gemacht und für sein Kickstarter-Projekt dazu einen kleinen Film. Man sieht schöne Bildstrecken von den alten Innenräumen, Schaltern und Kontrollräumen, Silos und Förderanlagen - und alles, das ist das zuckergestärkte Sahnehäubchen, ganz ohne übertrieben kitschige HDR-Effekte. (Hier ein Artikel aus dem Brooklyn Daily Eagle.)

Manchmal wenn ich traurig bin, weil ich keinen candy-bar abbekommen habe, schaue ich mir die Bilder der Zuckerfabrik an, Heimat vielleicht eines schaurigen Willy Wonka, der mich mit grellbuntgefärbten Bonbons in den Wahnsinn treiben will.

(Paul Raphaelson: Brooklyn's Sweet Ruin. New York: Schiffer Publishing, 2014.)