Freitag, 4. Mai 2018


Schau, die Tiere



Manchmal, wenn ich mit meinem alten Fotoapparat in den Zoo gehe, um den Film, der dort seit 50 Jahren einliegt, vollzuknipsen, lasse ich mich von den Tieren inspirieren, um gedankenschwer über philosophische Alltagsphänomene zu meditieren. Wie über Aufplusterung, den anscheinend unglaublich reifen Gedanken, auf Straßen tanzend lauter bunte Sterne zu gebären oder Dinge wie Herdenbildung, Banalapplaus und Spontangegacker.

Wie sehr doch der Mensch zu loben ist, den hier abgebildeten, mit rosafarbenem Kostüm verkleideten Fasanen überlegen zu sein. Also menschlich. Und natürlich sitze ich in erster Linie auf der Bank, weil ich müde bin und nicht etwa mißmutig. Einfach mal ausruhen, weghören, mal wieder mehr richtige Bücher lesen und weniger halbe Gedanken. So wie ich neulich einen japanischen Film gesehen habe, in dem viele Menschen unter auffälligen Umständen (selbst für japanische Verhältnisse) ums Leben kamen, es eigentlich aber um Mesmerismus ging. Darüber könnte man mal einen elektronisch fernsteuernden Vortrag halten. Mesmerismus.

So eine Art Massenbühnenhypnose, während ich dazu muntere Klänge auf meinem Theremin spiele und am Ende alle tanzen, während sie nackt unter ihrem rosafarbenem Federkostüm sind und in Fett gebackene Zuckergußsterne in den Händen halten.

Ich reiche das mal als Vorschlag ein.


 


Sonntag, 29. April 2018


Sich nicht verloren geben



Ich besitze so einen beleuchteten Globus, der bei mir im Studierzimmer steht und den ich abends schon einmal gedankenverloren betrachte und mir denke, wie interessant, wie man so im Halbdunkel sitzt und auf Hamburg starrt, während ich in meinem Zimmer in Hamburg sitze.

Nun lehrt eine höhere Weisheit, daß man die Dinge auch mal von ihrer anderen Seite aus betrachten soll, den ein jedes habe derer zwei, wie Bescheidwisser gerne durch die Gegend trompeten. Oder besser, weil es mir mehr liegt, einfach mal hinter die Dinge schauen, sehen, was dahinter wohl liegt. So drehte ich neulich den Globus einmal herum, und siehe da, Bescheidwisser wußten das wahrscheinlich wieder, tatsächlich ist auf der anderen Seite auch noch was. Ein weiteres Teilstück, noch mehr Informationen und Gewißheiten und Ungewißheiten und Länder und Kulturen, die man betrachten kann, während man aber immer noch in seinem Zimmer in Hamburg sitzt. Wenn diese Erzählung denn stimmt.

A happy love is a single story, a disintegrating one is two or more competing, conflicting versions, and a disintegrated one lies at your feet like a shattered mirror, each shard reflecting a different story... (Rebecca Solnit, A Field Guide To Getting Lost.)

Anfänglich habe ich nur schwer verstanden, worum es in Solnits Buch eigentlich geht, und so wirklich weitergekommen bin ich damit immer noch nicht. Ein wenig verloren bin ich, so scheint mir. Aber es wird mehr und mehr zu einer aufwühlenden Reise, einer interessanten. Durch ineinander verwobene Geschichten hindurch, Erinnerungen an alte Freundschaften und beendete Lieben, einem Haus in der Wüste und das Blau und die Sehnsucht der Ferne. Und wie alte Leben enden und neue beginnen, wie man das eine verliert und sich selbst verliert oder einfach nur für andere verloren ist.

Karten helfen gewöhnlich oder ein Globus, um die Übersicht zu bewahren oder irgendwohin zu finden, wo die Verhältnisse aber keine anderen sind. Sondern gleichsam verloren. Solnit hat einen eigentümlichen Sound, und das ist es, glaube ich, was mir an ihrem Buch gefällt. Man lernt immer was. Von der richtigen Situation oder den wichtigen Menschen, auf die man längs des Weges trifft. Von denen man merkt, sie bringen einem etwas bei, eine Lektion, Wissen über das Überleben in der Wüste, wie man die Angst überwindet oder eine Sprache spricht.


 


Samstag, 28. April 2018


Avenidas



Die Straße, in der ich wohne, ist ja eine der vielen ausgesprochen hübschen Hamburger Alleen, für die ich eine mittlerweile nur noch heimlich ausgeprochene Bewunderung hege. Für den Frühling und seine vielen Feste frisch aufgehübscht, sind dort Bäume sauber aufgereiht, spenden schlanke Schatten in der Sonne und Halt für die zahlreichen Hunde, die dort spazierengeführt werden. Die bewundere ich nicht. Nur die Bäume und die Blumen.

Unten am Deich turnen Lämmer, drumherum Radfahrer wie mich und Flanierende, Caféhausbesucher, allesamt noch nicht ganz so sicher über die Wetterlage. Ob es bleibt wie es ist, wer weiß es schon. Ich sah ein Rotkehlchen, ich sah eine Wespenkönigin, die ein Schlupfloch für den Nestbau suchte. Ich sah eine Entenfamilie, die mit sechs Küken aufs Wasser ging. Ich überlege, ob es schlimm ist, daß die Heizung nicht richtig läuft.

Als stiller Bewunderer tippe ich die guten Meldungen in die eigenen Registerkasse und versuche die Angst zu stutzen wie andere Menschen Baumkronen. Die alles ausradieren, die Blumen, die Rotkehlchen meinetwegen. Ich sage einfach, doch, ja, natürlich. Das ist eine Allee. Ihr habt recht. Ist so auch ganz schön.


 


Dienstag, 24. April 2018


Letztes Aufbäumen



Auf einem meiner letzten Spaziergänge durch die nahe Parkanlage fühlte ich mich ein wenig beobachtet. Nur so ein vages Empfinden, in der Regel ist das ja Quatsch, da war ja kaum ein Mensch außer mir. Bis ein Baum mich ansprach, so verrunzelt vertraulich aus der Borke heraus, er hätte da was, das er mir sagen müsse. Er spräche aus meinem Traum zu mir, richtete er aus und bewegte ein paar Zweige. Ob ich denn auch so Wurzeln schlagen wolle so wie er? Oder ob es nicht langsam mal vorwärts ginge.

Ich erwiderte, wach auf, Alter. Während du hier rumgammelst, nämlich, und mit den Kumpels vom Walde her über tief im Boden verwachsene Pilzfäden kommunizierst, wie die Biologie mittlerweile weiß, ein Wald-Weites-Web eines Hyphengeflechts, den Lan-Kabeln der Natur, bin ich ja aus der Welt geworfen. Mein Kommunikationsanbieter sagt "Oh, oh", also zweimal, der angekündige Techniker der Telekom (oder vielleicht auch eine Technikerin) kommt gleich gar nicht, warum auch, man ist ja Fremdkunde. Und zwar ein ziemich angepißter. Das wiederum konnte der Baum in meinem Traum gut nachvollziehen. Der kennt Hunde.

Ich aber wachte auf aus schweren Träumen - und hatte kein Internet mehr. Oder Telefon. Oder irgendwas. Ein Freund tippt diese Zeilen vom Stenoblock. Ich starre auf blinkende grüne Lämpchen mit maliziösem Lächeln. Vielleicht, denke ich, war dieses "Online" auch nur eine Phase. Vielleicht soll das Leben etwas anderes sein.


 


Samstag, 14. April 2018


Samstag. Das Wetterjournal.





Selbstverständlich hatte ich wie ihr alle Viv Albertines neues Buch To Throw Away Unopened lange vorbestellt, falls jemand fragt, weil der Internetriese sagte, er besorgt mir das dann sofort in England. "Sofort" bedeutet aber bei AmazonDE wie wenn ein Heimwerkerehemann sagt, "Schatz, ich kümmere mich darum!" - also "Juni". So daß ich die Vorbestellung sofort nach Erscheinen wieder storniert habe und direkt bei AmazonUK bestellte, die mir das wichtigste Buch der Saison jetzt nach fünf Tagen bereits auf den Tisch legten. Wäre ich im internationalen Storno und Handelsverkehr nur immer so schlau!

Jetzt kann es meinetwegen bis "Juni" durchregnen oder jedermann schnöde Einladungen zum Kaffee ignorieren, denn heute habe ich die Packstation komplett allein befüllt, in Ölzeug gegen den sogenannten "Blutregen", der Hamburg treffen sollte, gepackt den Supermarkt leergeräumt (Vorräte!) und die Haare für den Filmabend mit einer Diva frisch gekämmt.

Dann aber hohe Zeit für meine kleine schrullige Rippenprellung und mich fürs Sofa, gegen das usselige Temperatureinknicken in Bücher gehüllt, der abgeschabte Wintermantel ist, falls jemand fragt, mittlerweile ins Sommerlager verräumt. Übrigens, falls auch hier jemand fragt, kommt die David-Lynch-Biografie mit vernünftiger Bibliografie und Stichwortverzeichnis daher, etwas, was deutsche Verlage ja auch nicht mehr so recht auf die Bucheditionskette bekommen. Es wäre so viel Klage zu führen! Stattdessen habe ich Wäsche gewaschen und die Spülmaschine ausgeräumt. Einfach mal was Gutes tun!

Karl Hubbuch, falls jemand fragt, ist ein Maler und Chronist meiner Jugendtage, aber immer noch auf der Höhe der Zeit. Hier sein Bild "Twitter" und hier sein Bild "Tinder".

War eben alles immer schon da.


 


Mittwoch, 11. April 2018


Straßenbetrachtung




Das Aufklaren des Wetters schwemmt derzeit viele Touristen an meinen Notruf Hafenkante. Mittags sitze ich mit Herren und Damen aller Länder an Draußen-Tischen, so wie neulich mit den zwei Mlles aus Frankreich, denen ich galant erklären konnte, was das Schild bedeuten soll, das jeden Tag dort hängt: "Heute Selbstbedienung".

Bedeutung liegt ja häufig im Auge des Betrachters, und wenn man von dort aus mit affektiver Aufmerksamkeit schaut, so lasse ich mich von einer ganz und gar nicht weiß getünchten Wand herab belehren, sehen Dinge anders aus als sonst. Es muß also nicht gleich ein exotischer Schnaps sein, mit dem man sich zum Schauen (oder Reden) Mut antrinkt. Einfach mal so, locker und vor allem: Freundlich ist ja auch ein Weg.

Wenn ich, halbwach, mich so umschaue, ploppen gerade überall die winterverhärteten Knospen auf. Frauen zerren ihre bunten Kleider aus den Schränken, man möchte sie bewundern, allein die Vorsicht lehrt, dies lieber auf Blumen und Alleen zu beschränken. Aber sie sehen gut aus darin, aufblühende Menschen mit Hoffnung im Gesicht.

Vor den Türen letzte rabenschwarze Nachtgewächse. Sie rucken und gurren, scharren mit dem kranken Krüppelfuß. Sie wissen nicht, sie wollen nicht, sie spüren Hunger und malen mit der Asche auf dem Finger ihre Zeichen. Nur immer heraus, mein Schatten, mein Bläßchen. Man muß ja nicht gleich fressen, was man liebt.

Ein jeder sieht, was er sieht.


 


Samstag, 7. April 2018


Wochenendrekreation



Bei aller Offenheit: Nur wenige wissen, daß man mich mit einem gewissen Recht auch den Bob Ross der Käfermalerei nennt. Mit dieser verblüffend akribischen, aber sympathisch lässigen Sonntagsmalerei von happy little bugs will ich zugleich auf das Insektensterben aufmerksam machen, denn heutzutage kann man ja nicht einmal mehr unschuldig am Urinal stehen, ohne bedeutungsvoll zu Pinkeln.

Der Erhalt seltener und wenig bekannter Arten (wir sehen hier ein prachtvolles männliches Exemplar des Bogus Ocolus) ist mir dabei ein besonderes Anliegen. Wer mich also im Hamburger Raum mit Strohhut, meiner Garderobe von John Skelton und Fieldkit auf der Frühlingswiese sitzen sieht, den Skizzenblock vor mir ausgebreitet, nicke mir ruhig freundlich nachsichtig anerkennend zu. Es geht um die gute Sache. Und ich möchte wie nebenbei ermuntern, mir nachzutun. Denn auch wenn es verständlicherweise zunächst so nicht aussieht - es kann im Grunde jeder!

Man kann sich allerdings auch das frei erhältliche Bee Keepers Guidebook auf sein elektrisches Lesegerät herunterladen und bedrohten Insekten ganz tatkräftig und zugleich scheinheilig helfen, was diese spätestens dann merken, wenn man ihnen im Herbst an den Honig will. Menschlich eben.