Dienstag, 18. April 2017


Wie ausgeschnitten

Meine Idee vom Leben als Brautkleiddesigner auf Home-Shopping-TV schlug fehl, meine Entwürfe stießen auf wenig Gegenliebe, wurden verlacht oder bestenfalls ignoriert, was mir leichte Grauschleier aufs innere weiße Fest warf.

So machten ein guter Freund und ich also wohltemperiertes Geld mit einer kleinen Möbelmanufaktur, in der wir Kommoden mit raffinierten Oberflächen wie Farben aus echtem Perlmutt und Rochenhaut versahen. Die sahen ein wenig so aus als hätte Francis Bacon Möbel entworfen, war aber alles solide verarbeitet mit Schwalbenschwanzverbindungen und Farbholzschnittintarsien. Die puristischen, schwarz-weißen 80er waren gerade vorbei, man entdeckte wieder ein Gefühl für Stil und komponierte Wohnwelten. Unser Motto lautete, jedem Projekt eine passende, individuelle Geschichte einzuhauchen nach dem an der Hochschule für Visuelle Kommunikation gelehrtem Prinzip "Eine rote Säule belebt jede Inszenierung". Manchmal nahmen wir die rauhen Betonwände eines Duschraums, um sie dunkel zu pigmentieren und auf Hochglanz zu polieren. Dann blieb nur noch die Frage, wie man eine balinesische Trommel als Kosmetikablage in den Raum stellt und daneben einen Vintage-Stuhl aus grünem Samt unter ein marrokanisches Posament rückt. Wir wollten uns mit unseren Konzepten abheben von der altmeisterlichen Opulenz eines Länderpavillons. Mit Kreativität und gutem Willem. Wir schlossen den Laden, als eine italienische Designerin, die exklusive Art-déco-Stücke sammelte, eine Rattan-Chaiselounge für ihren einjährigen Sohn anfragte und ihr die Pirogue von Eileen Gray, die wir gerade als Daybed für gehobene Einrichtungen in der Werkstatt hatten, nicht zusagte. Nach einem bühnenreifen Auftritt meines Freundes ("Wir mögen die Spannung zwischen Messing und Beton!") konnten wir unsere unterschiedlichen Positionen am Markt nicht mehr als spirituelle Souvenirs ausgeben und bedeuteten ihr, sich einen schlichten Steckstuhl... na ja.

(Cut-ups aus: "Places of Spirit - Home, Style, Art". Ausgabe August/September 2016.)


 


Freitag, 14. April 2017


Kargedanken



Die letzten Tage der Karwoche mußte ich mich mit einer technischen Hotline herumschlagen. Von einem Tag auf den anderen war nämlich mein Lieblings-Homeshoppingsender 3sat HD ausgefallen. Auch ein neues Kabel aus Weltraumgeflecht brachte mein Fenster zur Welt nicht zurück, so daß ich den über 12 Stationen laufenden Kreuzweg des Kundensupports antreten mußte. Wenn ich nun aber eines nicht gut kann, dann ist es, mit Roboterstimmen zu diskutieren, die mich auffordern, wechselweise die 1 oder 3 oder die 4 oder die Rautetaste zu drücken. Als mich dann noch eine MP3-Damenstimme belehrend anflötete, doch einfach mal mein Gerät aus- und wieder einzuschalten, erlebte ich den ersten Zusammenbruch.

Vom tief verwurzelten inneren Glauben an das Gutwerden von Dingen gestärkt, wagte ich aber Tage später einen weiteren Anlauf und geriet diesmal in eine Musikwarteschleife, in der allen Ernstes ein Soulstück lief, in dem es hieß: "Some people got a real problem..." Solche sanfte Ironie war natürlich genau nach meinem Geschmack und geradezu begeistert wartete ich stundenlang minutenlang auf den nächsten freien Mitarbeiter. Mir war es bislang nur theoretisch klar, aber die Arbeit in Callcentern muß wirklich... besonders ein. Mein heiter-begeistertes Lob ob der Musikauswahl wurde stumm ertragen, dann meine Meldung und technischen Vermutungen streng nach Liste abgearbeitet, mir das weitere Prozedere erläutert und sich zwischendrin ein halbes Dutzend Mal entschuldigt, wenn er mal was in einer Tabelle nachsehen mußte. Was für eine verängstigend demütigende Situation.

Da trug ich mein Kreuz des dunklen Fernsehbildes gleich viel leichter, denn siehe, es wartet immer noch ein Mann auf dich, dem es schlechter geht als dir. Das auch mal an die Frauen gerichtet. Danach hatte ich mein Mobilfernsprechgerät daheim vergessen, so daß mich die nächste technische Hilfstelle gar nicht erreichen konnte, dann ging es hin, aber auch wieder her, und schießlich hatte ich einen Herren am Apparat, der mit unerschütterlichem Gemüt und väterlicher Ruhe meine Klagen und Vermutungen entgegennahm. "Eli, Eli, lama asabthani" winselte ich, denn nach drei Tagen ohne Heimtrainerwerbesendung Kulturzeit fühlt man sich ja doch ein bißchen verlassen.

Abends erschien ein netter Techniker, aus Polen stammend und so mit der Leidensliturgie seiner katholischen Kunden bestens vertraut. Und ich begriff, je weiter man auf der Himmelsleiter der technischen Unterstützung voranschreitet, um so näher gelangt man an einen Menschen, der zuhört und einen mit warmen Worten umfängt. Erst aber war Bußarbeit zu tun, und so rutschten wir beide auf den Knien zur Antennendose, er zeigte mir seine Meßergebnisse, las aus seinem Tabellenbuch, bemängelte dies, beklagte das, ließ mein Antennenkabel drohend wie eine Geissel vor meinen Augen baumeln, tauschte dann aber die Dose - und siehe da, ein Engelsklang! - die Fanfare des Homeshoppingsenders 3sat HD emanierte auf meinem Bildschirm. Es ward Licht und allgemeine Erlösung.

Nachdem ich erklärte, aus welchem elterlichen Bibelkreis ich meine eigenen technischen Kenntnisse bezogen hatte, fachsimpelten wir noch kurz über diese und jene Details, ehe er lobte und dann erklärte: "Wir hatten früher kein Internet!" Denn unsere Generation wäre früher rausgegangen oder an die Sachen heran, "um Scheiße zu bauen - oder um was zu Lernen". Heute, ein Seufzer zum Himmel, nur noch Computer- und Smartphonedisplays...

Ich bin dafür ein Beispiel. Weil Ostern ist, habe ich der lieben Frau Mutter ein Bildchen gemalt. Das heißt, am Rechner zusammengebastelt. Da sieht man, was für ein Kitsch herauskommt - anstatt, daß ich hingehe und aus irgendeinem Vorgarten echte Blümchen klaue und ihr überreiche. Deshalb, wenn jetzt der Frühling kommt: Geht raus, baut Scheiße und lernt etwas dabei!


 


Montag, 10. April 2017


Ein schneidender Spaß



Eine der Lebensweisheiten, die mir durch meinen Vater überliefert wurden lautet: "Freundlichsein kostet nichts". Viele sind ja selbst dafür zu geizig, und manchmal geht selbst mir so eine gewisse Muffeligkeit durch, die ich wohl anderweitig aus dem Genpool gefischt haben muß. Heute aber grüßte ich beim Heimkommen die neue Nachbarin recht freundlich, die gerade draußen vorm Haus an die Müllcontainern suchte. Sie aber würdigte mich keines Blickes, und so erfuhr sie auch nicht, daß man besser nicht die defekte linke Containeröffnung benutzen sollte, weil sonst nämlich der Schlüssel stecken bleibt. Das aber erfuhr sie dann gleich auch so, ganz ohne meinen Beirat. Besorgt wie ich bin, läuerte ich aber weiterhin freundlich von oben mit meinem Spähauge durch die Gardine und sah sie dort immer noch Rütteln und Zerren. Das kann also noch länger dauern, ich überlege, überaus freundllich gesinnt, gleich eine Thermoskanne Tee aufzusetzen und ihr runterzubringen.

Ich könnte ihr aus meinen neuen Büchern vorlesen, von denen mir mal wieder niemand was erzählt hät. Zum Glück aber komme ich auch so drauf. Da gibt es diesen englischen Grafiker Graham Rawle, der mit feinem Blick und noch feinerem Skalpell ganz bezaubernde Bücher herstellt. In Woman's World erzählt er eine Geschichte, die komplett aus Sätzen collagiert ist, die er fein säuberlich aus mehreren Jahrgängen Frauenzeitschriften seziert hat. Ich habe den Anfang gelesen, und es funktioniert erschreckend gut. Man ahnt recht bald, wieviele stehende Wendungen es aus diesem Themenbereich gibt, und so ist es auch eine kleine amüsante Studie über Stereotypen. Rawles britischer Humor garantiert dabei für einige skurrile Einfälle, ich hoffe, das bleibt bis zum Ende so.

Für mich noch putziger (und entlarvender) ist das fiktive Diary of an Amateur Photographer, das aus Briefen und kleinen Essays, Teststreifen und Probeaufnahmen, Notizzetteln und Hinweistafeln faksimiliert ist. Das Szenario ist hübsch in eine art Detektivgeschichte gefaßt und spielt Ende der 50er-Jahre, das Buch enthält kleine Schnipsel mit Zeitungsanzeigen für Rolleiflex-Kameras, Ausschnitte aus "Girlie"-Magazinen mit allerlei Nylongedöns und was ein Amateurfotograf halt so alles braucht und sammelt. Ich könnte, so fällt mir dabei ein, die Nachbarin an der Mülltonne auch freundlich fragen, ob ich sie fotografieren darf.

Graham Rawle. Diary of an Amateur Photographer. London: Picador, 1998.
Graham Rawle. Woman's World. London: Atlantic Books, 2005.

Ex Libris | von kid37 um 21:29h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 2. April 2017


Anradeln



Es ist ja nicht gut für den Teint, soll aber ansonsten "ganz gut tun", wie man allerseiten hört. Schon April nämlich, also höchste Eisenbahn, einen vorsichtigen Blick in den Radkeller zu werfen. Sieh da, alles noch da, bis auf den Luftdruck, der ist entwichen. Es heißt also Pumpen wie bei so einem Fitneßmenschen, mal mit dem feuchten Lappen überall den Staub weggewischen, alles kurz mal durchgeschütteln und die beweglichen Teile bewegen.

So eine kurze Inspektionstour für Mensch, Gerät und Landschaft ist dann auch mal Ablenkung vom in sich gekehrten Herumlungern in der Ein-Mann-Debattierstube daheim. Das Rad schnurrt erstaunlich ruhig, die Landschaft ist dieses Jahr ganz schön abgeholzt. Tarkowski-Gedächtnisfelder, brackige Schuttzonen, untem am Hochwasserbecken wurden die Schuppen und Lager plattgemacht, einzig der blaue Kran steht noch am Mini-UrbEx-Gelände. Die lecken hier noch die finsterteste Achselhöhle aus, diese Hamburger. Nichts kann mal in Ruhe vor sich Hinvergammeln.

An den Deichtorhallen steht eine Radermahnung gleich neben meinem und erinnert mich daran, vielleicht endlich mal weiße Reifen aufziehen zu lassen. Sähe doch gleich viel besser aus. Neulich hatte ich ein, zwei Tage frei, habe aber nicht die Hälfte von dem geschafft, was auf dem Zettel stand. Darunter ein Besuch beim Fahrradschrauber, alles mal abklopfen und schön machen lassen. Am Kurbelbefestigungsgewinde entdecke ich ein wenig Rost, weil da die kleine Abdeckplatte verloren gegangen ist. Nachher heißt es wieder, "hätten Sie mal rechtzeitig!" wie sonst nur beim Arzt, beim Standesamt, bei der Kinderkrippe.

Leider sind wieder Menschen unterwegs, das kriegt man denen auch nicht abgewöhnt. Aufpassen, lenken, bremsen. Zeitgleich mit dem bimmelnden Eismann kurve ich ins Kleingartengelände und schaffe es noch vor einer Bande heranstürmender Fünfjähriger ans erste Eis des Jahres.


 


Samstag, 1. April 2017


Befreit den Kraken!



Früher machte man das ja mit einer gezähmten Maus. Das konnte sich aber gerade bei der Hauskatzen haltenden Gruppe der Blogger nicht recht durchsetzen. Effizienter arbeitet es sich zudem, wenn viele Hände oder eben Arme anfassen. Ich habe mir nun die gut überlieferte Intelligenz und Neugier von Oktopoden nutzbar gemacht und ein kleines Exemplar namens Otto dazu abgerichtet, meine Tastatur von kleinen Krümeln und Staub freizuhalten. Mit den Saugnäpfen entwickelt der kleine Otto dabei eine erstaunlich schmutzbindende Kraft. Ich überlege daher, größere Exemplare für die Arbeit in Bad und Küche auszubilden. Mit sanftem Plop und dabei völlig natürlich und ökologisch unbedenklich könnte er tagsüber über die Fliesen wandern, während ich auf meiner Arbeitstelle bin.

Schlafen kann Otto in einem Putzeimer oder - wer ihn mit auf Reisen nehmen will - in einem Coffee-to-go-Becher. Mitreisende seien beruhigt, daß das putzige Tier in aller Regel nur spielen will. Anders verhält es sich, wenn er kleine Krümel in Dekolleté oder Ausschnitt findet. Auch Ärmelöffnungen findet er hoch interessant. Solltet ihr an mir einen kleinen Tentakel aus dem Kragen winken sehen, weist mich bitte unauffällig darauf hin.


 


Mittwoch, 29. März 2017


Aufploppende Hormone

Life is brightening, dear Scorpio,
especially in matters of love and fun,
and you won’t have to wait long to see proof
that Cupid is about to work hard for you.

(Q)






Es wird immer schlimmer mit dem milden Wetter. Die Natur malt Farbe auf die Äcker, aufkeimende Krokusinspirationen. Die Menschen holen die Stifte raus und belästigen ihre Umwelt mit Frühlingstirilli. Die Stadt, notgedrungen, stellt Schilder auf und mahnt mit "Unfallgefahr Liebe", während andere längst schon bei Maximalforderungen sind. Horoskope machen spöttische Witze, wo doch ein jeder weiß, daß am Ende nur ein alter Kaffeelöffel als Erinnerung beibt.

Anfänglich sieht alles ja immer recht gemütlich aus. Man sitzt beisammen brav im Heim, die Frau macht nützliche Dinge mit ihren Händen, der Mann zeigt seine überaus interessante Schallplattensammlung und weiß interessierten Ohren zwei, drei noch interessantere Dinge zu erzählen*. Bald aber drehen Wind und Sternenkonstellationen von Lang und Breit, ein Hauch von Herbst macht uns erzittern, und statt Bereicherung gibt es plötzlich Eindringlinge. Ein kummervolles Laienspiel!

Ich hätte ja gerne mal ein Horoskop, in dem steht, daß selbstgebackene Kuchen mich erreichen. "A cook is about to work hard for you", das wäre doch mal was. Aber dafür interessieren sich Astrologen ja nicht, das habe keinen Markt, heißt es. Vielleicht sollte einer mal "Maximaler Kuchen!" neben einer kleinen Guglhupfform an die Wände malen.

Alle lächelten selig, schnupperten mit leisem "Ach" in die von blauen Tortenbändern durchzogenen Lüfte (was weiß ich, was ein "Tortenband" ist) und hörten das sanfte Klicken ihrer Elektroöfen. Alle elf Minuten, so heißt es, wird ein Kuchen gebacken. Da muß doch für jeden was drin sein.


 


Freitag, 17. März 2017


Blumenbotschaften



Am von milder Luft und etwas Sonne umspielten Wochenende gab es im nahen Park ein sogenanntes Naturschauspiel zu beobachten. Als sich dort nämlich Parkpunks und Kinderwagenschieber, schachspielende Rentner und allerhand bummelndes Volk mit Ah und Oh und Fotografiergerät um ein kleines Krokusfeld versammelten, das über Nacht seine lilafarbenen Hälse aus dem kargen Winterboden gereckt hatte. Na, das war ein großes Hallo, Selfies wurden gemacht und vereinzelt auch gelacht, Menschen zu Dokumentationszwecken für ein Foto erst in die eine, dann in die andere Richtung dirigiert, während kleine Kinder vorsichtig in die Lücken zwischen die Blumen stapften.

Es gibt, wie jeder weiß, nur zwei Dinge, mit denen man Menschen unweigerlich jedes Mal aufs neue verblüffen kann. Das eine ist, sich mit gewinnendem Lächeln auf eine Bühne zu stellen und von heiter beschwingter Musik begleitet langsam und ohne hinzuschauen ein vielfarbiges Endlostaschentuch aus dem Ärmel zu ziehen. Das andere ist, nun, eben ein aufploppendes Krokusfeld, das vom nahen Frühling kündet.

Die Menschen, bis auf zwei oder auch drei, haben gute Laune. Alle passen besser aufeinander auf. "Drei Tage hintereinander Mohnkuchen?" tadelt mich die Bäckerin und weist mich auf zwei andere Sorten zur Auswahl hin. Ich erkenne ihre gute Absicht und wähle was mit Apfel, es ist mittlerweile schon ein Spiel geworden. Hat sie frei, flüstern mir ihre Kollegen und Kolleginnen zu, es sei noch Mohn in der Kühlung, sie könnten gerne was holen, die Gelegenheit sei günstig, die Chefin nicht da. Ich bleibe aber brav, denn dieses Jahr will sie heiraten, habe ich erfahren. Vielleicht lädt sie mich ein.

Aber das ist chit chat.