Sonntag, 2. April 2017
Es ist ja nicht gut für den Teint, soll aber ansonsten "ganz gut tun", wie man allerseiten hört. Schon April nämlich, also höchste Eisenbahn, einen vorsichtigen Blick in den Radkeller zu werfen. Sieh da, alles noch da, bis auf den Luftdruck, der ist entwichen. Es heißt also Pumpen wie bei so einem Fitneßmenschen, mal mit dem feuchten Lappen überall den Staub weggewischen, alles kurz mal durchgeschütteln und die beweglichen Teile bewegen.
So eine kurze Inspektionstour für Mensch, Gerät und Landschaft ist dann auch mal Ablenkung vom in sich gekehrten Herumlungern in der Ein-Mann-Debattierstube daheim. Das Rad schnurrt erstaunlich ruhig, die Landschaft ist dieses Jahr ganz schön abgeholzt. Tarkowski-Gedächtnisfelder, brackige Schuttzonen, untem am Hochwasserbecken wurden die Schuppen und Lager plattgemacht, einzig der blaue Kran steht noch am Mini-UrbEx-Gelände. Die lecken hier noch die finsterteste Achselhöhle aus, diese Hamburger. Nichts kann mal in Ruhe vor sich Hinvergammeln.
An den Deichtorhallen steht eine Radermahnung gleich neben meinem und erinnert mich daran, vielleicht endlich mal weiße Reifen aufziehen zu lassen. Sähe doch gleich viel besser aus. Neulich hatte ich ein, zwei Tage frei, habe aber nicht die Hälfte von dem geschafft, was auf dem Zettel stand. Darunter ein Besuch beim Fahrradschrauber, alles mal abklopfen und schön machen lassen. Am Kurbelbefestigungsgewinde entdecke ich ein wenig Rost, weil da die kleine Abdeckplatte verloren gegangen ist. Nachher heißt es wieder, "hätten Sie mal rechtzeitig!" wie sonst nur beim Arzt, beim Standesamt, bei der Kinderkrippe.
Leider sind wieder Menschen unterwegs, das kriegt man denen auch nicht abgewöhnt. Aufpassen, lenken, bremsen. Zeitgleich mit dem bimmelnden Eismann kurve ich ins Kleingartengelände und schaffe es noch vor einer Bande heranstürmender Fünfjähriger ans erste Eis des Jahres.
Samstag, 1. April 2017
Früher machte man das ja mit einer gezähmten Maus. Das konnte sich aber gerade bei der Hauskatzen haltenden Gruppe der Blogger nicht recht durchsetzen. Effizienter arbeitet es sich zudem, wenn viele Hände oder eben Arme anfassen. Ich habe mir nun die gut überlieferte Intelligenz und Neugier von Oktopoden nutzbar gemacht und ein kleines Exemplar namens Otto dazu abgerichtet, meine Tastatur von kleinen Krümeln und Staub freizuhalten. Mit den Saugnäpfen entwickelt der kleine Otto dabei eine erstaunlich schmutzbindende Kraft. Ich überlege daher, größere Exemplare für die Arbeit in Bad und Küche auszubilden. Mit sanftem Plop und dabei völlig natürlich und ökologisch unbedenklich könnte er tagsüber über die Fliesen wandern, während ich auf meiner Arbeitstelle bin.
Schlafen kann Otto in einem Putzeimer oder - wer ihn mit auf Reisen nehmen will - in einem Coffee-to-go-Becher. Mitreisende seien beruhigt, daß das putzige Tier in aller Regel nur spielen will. Anders verhält es sich, wenn er kleine Krümel in Dekolleté oder Ausschnitt findet. Auch Ärmelöffnungen findet er hoch interessant. Solltet ihr an mir einen kleinen Tentakel aus dem Kragen winken sehen, weist mich bitte unauffällig darauf hin.
Mittwoch, 29. März 2017
especially in matters of love and fun,
and you won’t have to wait long to see proof
that Cupid is about to work hard for you.
(Q)
Es wird immer schlimmer mit dem milden Wetter. Die Natur malt Farbe auf die Äcker, aufkeimende Krokusinspirationen. Die Menschen holen die Stifte raus und belästigen ihre Umwelt mit Frühlingstirilli. Die Stadt, notgedrungen, stellt Schilder auf und mahnt mit "Unfallgefahr Liebe", während andere längst schon bei Maximalforderungen sind. Horoskope machen spöttische Witze, wo doch ein jeder weiß, daß am Ende nur ein alter Kaffeelöffel als Erinnerung beibt.
Anfänglich sieht alles ja immer recht gemütlich aus. Man sitzt beisammen brav im Heim, die Frau macht nützliche Dinge mit ihren Händen, der Mann zeigt seine überaus interessante Schallplattensammlung und weiß interessierten Ohren zwei, drei noch interessantere Dinge zu erzählen*. Bald aber drehen Wind und Sternenkonstellationen von Lang und Breit, ein Hauch von Herbst macht uns erzittern, und statt Bereicherung gibt es plötzlich Eindringlinge. Ein kummervolles Laienspiel!
Ich hätte ja gerne mal ein Horoskop, in dem steht, daß selbstgebackene Kuchen mich erreichen. "A cook is about to work hard for you", das wäre doch mal was. Aber dafür interessieren sich Astrologen ja nicht, das habe keinen Markt, heißt es. Vielleicht sollte einer mal "Maximaler Kuchen!" neben einer kleinen Guglhupfform an die Wände malen.
Alle lächelten selig, schnupperten mit leisem "Ach" in die von blauen Tortenbändern durchzogenen Lüfte (was weiß ich, was ein "Tortenband" ist) und hörten das sanfte Klicken ihrer Elektroöfen. Alle elf Minuten, so heißt es, wird ein Kuchen gebacken. Da muß doch für jeden was drin sein.
Freitag, 17. März 2017
Am von milder Luft und etwas Sonne umspielten Wochenende gab es im nahen Park ein sogenanntes Naturschauspiel zu beobachten. Als sich dort nämlich Parkpunks und Kinderwagenschieber, schachspielende Rentner und allerhand bummelndes Volk mit Ah und Oh und Fotografiergerät um ein kleines Krokusfeld versammelten, das über Nacht seine lilafarbenen Hälse aus dem kargen Winterboden gereckt hatte. Na, das war ein großes Hallo, Selfies wurden gemacht und vereinzelt auch gelacht, Menschen zu Dokumentationszwecken für ein Foto erst in die eine, dann in die andere Richtung dirigiert, während kleine Kinder vorsichtig in die Lücken zwischen die Blumen stapften.
Es gibt, wie jeder weiß, nur zwei Dinge, mit denen man Menschen unweigerlich jedes Mal aufs neue verblüffen kann. Das eine ist, sich mit gewinnendem Lächeln auf eine Bühne zu stellen und von heiter beschwingter Musik begleitet langsam und ohne hinzuschauen ein vielfarbiges Endlostaschentuch aus dem Ärmel zu ziehen. Das andere ist, nun, eben ein aufploppendes Krokusfeld, das vom nahen Frühling kündet.
Die Menschen, bis auf zwei oder auch drei, haben gute Laune. Alle passen besser aufeinander auf. "Drei Tage hintereinander Mohnkuchen?" tadelt mich die Bäckerin und weist mich auf zwei andere Sorten zur Auswahl hin. Ich erkenne ihre gute Absicht und wähle was mit Apfel, es ist mittlerweile schon ein Spiel geworden. Hat sie frei, flüstern mir ihre Kollegen und Kolleginnen zu, es sei noch Mohn in der Kühlung, sie könnten gerne was holen, die Gelegenheit sei günstig, die Chefin nicht da. Ich bleibe aber brav, denn dieses Jahr will sie heiraten, habe ich erfahren. Vielleicht lädt sie mich ein.
Aber das ist chit chat.
Sonntag, 5. März 2017
Was passiert, wenn man sich den Rücken nicht regelmäßig schrubbt, sieht man hier. Man wird zu Zaratan, die Schildkröte, die die Erde trägt. Eine Rückenbürste hingegen ist wie einen Menschen kennenlernen: Erst ist sie kratzig, danach und je öfter man sich miteinander beschäftigt, wird sie ganz weich und anschmiegsam. Obwohl, bei Menschen ist es, glaube ich, anders herum.
Als ich gestern im Ankleidezimer stand, um mich für die Nacht fertig zu machen, riß mein Lieblingspullover beim Ausziehen am Ärmel ein, kurz hinter dem unterem Saum. Er ist offenbar mürbe geworden über die Jahre, da ich ihn trug. So ähnlich also sind wir uns geworden, wie Herr und Hund, ein brüchiges Paar. Es ist, wie bei den Menschen, alles so vergänglich geworden.
Die Musik von Steve Reich macht mich ganz ruhig. Endlose Repetitionen, Schleifen und Variationen, alles sehr präzise, strukturiert. Es gibt eine schöne Ausgabe drei seiner Alben, mit einem Booklet mit Fotografien von Barbara Klemm, die dort Musikarbeiter bei der Arbeit zeigt. Dabei entspannt durch Zeitschriften blättern oder Politur auf Möbel auftragen, die Blumen gießen. Stille halten.
Lange kann man die Sonntagsnachmittage nicht mehr unschuldig daheim verbringen. Die Sonne drängt hervor, es regnet nur noch nachts, die Vögel haben schon Konzertanfälle. Man klebt dann wie ein Gecko an der Scheibe und wird das Haus verlassen müssen, hinaus zu anderen Menschen, von denen nicht alle eine Rückenbürste benutzt haben werden.
Zum Glück kann man jetzt schon die neue Herbstmode vorabbetrachten. Herr Yamamoto hat wie ein Steve Reich der Mode in vielen Variationen des Themas "Schwarz ist das neue Schwarz" etwas zusammengestellt fürs augenberuhigte Friedhofspicknick. Wo Pullover reißen, ist ja auch Platz für Neues. Noch heißt es, sechs Monate warten. Aber dann kommt wieder die schöne Zeit.
>>> Geräusch des Tages: Steve Reich, Music for 18 Musicians
Sonntag, 26. Februar 2017
Das Wetter verzaubert. So als würde man sich ausgehungert nackt in eine klamme alte Pferdedecke hüllen und selbst auf dem Friedhof aussetzen. Renitent bleibe ich aber trotz dieser Verlockung daheim und miste Mist aus. Nicht auszudenken, ich wäre Sammler und hätte richtig Zeugs. So habe ich aber genug Zeugs, und da muß man auch mal sagen, Zeugs, war schön, die Zeit, die wir hatten, das ein oder andere Versprechen lag ich in euch, Collagen, Assemblagen, Tischdekoration hättet ihr werden können, siehet, all dies lag in euch. Aber euren größten Feind, den Wandel, den konntet ihr nicht niederzwingen.
Ich höre ein bißchen Besinnliches von Max Richter, während ich ein, zwei, drei Mülltüten mit alten Papieren, für später beiseite gelegte Zeitungsartikel und Altkram fülle. Apropos Altkram: Neulich war ich ein bißchen angezickt, weil ich bei einem Hamburger Secondhand-Händler auf eBay die Jacke eines ganz angesagten Londoner Labels entdeckt habe, die ich selber ein paar Wochen zuvor erst zur Wohlfahrt gebracht hatte. Selbes Modell, und zwingender noch, derselbe lose Knopf unten. Ein sehr hübsches, fast neues Teil, ganz toller Stoff, aber von einem Designer so geschnitten, daß die Knopfleiste wie die Y-Naht eines lustlosen Pathologen nach außen sprang, sobald ein durchtrainierter Mann wie ich die trug. Das geht in meinem Alter leider gar nicht mehr, das fällt auf einen selbst zurück, so als sei ich wahllos oder achtlos oder blind.
Jedenfalls dachte ich noch, schade, schade, aber nutzt ja nichts. Vielleicht kannst du jemandem eine Freude machen, der sich so ein Modeteil nicht leisten kann oder dem einfach kalt ist und der gern mal über den tollen Stoff streichen möchte. Und fast wollte ich noch den losen Knopf festnähen, damit der nächste Besitzer gleich loslegen kann. So mit Freude. Und die Damen von der Wohlfahrtsstelle waren auch spontan entzückt und streichelten den tollen Stoff und murmelten, so eine schöne Jacke... und jetzt könnte ich sie für teures Geld beim eBay-Höker zurückkaufen, vielleicht um endlich diesen Knopf anzunähen. Und wieder zur Wohlfahrt zu bringen. Um es dem Höker heimzuzahlen!
Ehrlich bin ich ein bißchen enttäuscht. Die Idee, wie es oft im Leben so ist, war eine andere. Für Ideen kann sich auch der Chef begeistern. Mehr davon und ruhig ab vom vielbefahrenen Wege. Ich hebe an, von der Sammlung Virchow zu berichten, merke aber an der Höhe der Augenbrauen gegenüber, ganz so war es nun auch nicht gemeint. Wir bewegen uns also im Nebel des Wünschens und Begehrens, dabei finde ich Begehrungslosigkeit auch mal ganz erholsam. Immer dieses Begehren all überall. Hier will einer was, da will eine was. Und man selber mittendrin. Die Wasserwerke wollen den Stand der Wasseruhr, meine Schuhe wollen neue Sohlen, und alle wollen Liebe. Als käme nicht das Unglück in die Welt, wie dieses Zitat von Pascal besagt, daß keiner ruhig im Zimmer zu sitzen vermag. Meinetwegen in eine klamme alte Wolldecke gehüllt.
>>> Geräusch des Tages: Max Richter, From Sleep
Sonntag, 19. Februar 2017
In meinem Debütroman Die Tatzen eines sehr großen Tieres schrieb ich bekanntlich über die Bedeutung des Mysteriums im Alltag. Wie erstaunt war ich, meine eigenen Gedanken in The Secret History of Twin Peaks wiederzufinden, in dem ich heute ein wenig blätterte (dazu: ein verdammt guter Kaffee, leider keinen Kirschkuchen). Da heißt es nämlich: "A wise old man once told me that mystery is the most essential ingredient of life, for the following reason: mystery creates wonder, which leads to curiosity, which in turn provides the ground for our desire to understand who and what we truly are."
Ich las dies mit geheimen Erstaunen, während ich Musik aus meinen neuen Lautsprechern wie neu hörte. Erstmals in meinem akustisch weitgehend schlicht geführten Leben habe ich mir letzten Jahr sogenannte "Lautsprecherboxen" gekauft, also "was Vernünftiges" im für Enthusiasten immer noch unterem Segment. Aber: eine Offenbarung für die Ohren bereits jetzt, schälen sich doch nun plötzlich aus meinen Musikträgern Mysterienklänge heraus, die bislang noch ungehört waren. Auch so ein Wunder im Alltag. Ich könnte nun also im frisch gestärkten weißen und durch silberne Manschettenknöpfe beschlossenem Hemd dasitzen, ein Glas mit Hochprozentigem (gemeint ist natürlich Sauerkrautsaft oder ähnlich gesundes) in der Hand und dufte-dezentem Hifi-Sound lauschen.
Ich tat es für die Wirtschaft, denn das letzte Hemd hat keine Taschen. Die Woche über habe ich überlegt, was eigentlich auf meinem Grabstein stehen soll, denn über alles denkt man nach, nur nie über letzte Dinge. "Da wäre mehr drin gewesen" fand ich am Ende recht passend. Das klingt nach Bilanz, ohne zu pathetisch zu wirken. "Wohltäter", "Er liebte die Menschen" oder "Auch schon tot" hatte ich verworfen. Dazu müßte man mich ein bißchen kennen und vor allem einen Sinn für Humor haben. "Da wäre mehr drin gewesen" hingegen eckt nicht an und beklatscht nicht nur den Stifter, sondern ist auch Moral und Mahnung für die an meinem Grab Vorüberschreitenden. Ist das also auch erledigt.
In unseren nostalgischen Zeiten bin ich gerührt über das kolorierte Leben, wie das früher einmal war. Jacques Henri Lartigue war ja Autodidakt, überraschte aber mit einem reichhaltigen, sehr hübschen Werk von Alltags-, Motorrennen- und Modefotos, die meist in Schwarzweiß gehalten waren. Weniger bekannt sind seine Farbfotos, die von einem entspannten Leben berichten, wie es früher jeder hatte. Warum meine Blumen da den Kopf hängen lassen, weiß ich nicht. Aus Österreich erreichte mich der Rat, die mal über Nacht an der Decke aushängen zu lassen. So eine Art Blumen-Bondage vielleicht. Für die Gelenke ist das ja auch gut, was man deshalb weiß, weil man noch nie eine Fledermaus mit Rückenproblemen entdeckt hat.
Die Kollegin hat meine Schuhe gelobt.