Freitag, 15. Juli 2016
Für die Arbeit an meinem Fotoband Blumen & Waschbecken war ich letztes Wochenende in der Kunstakademie. Dort gab es die jährliche Absolventenausstellung, ein in der Regel munteres Positionenhüpfen der verschiedenen Klassen. Also Büttner hier, Jutta Koether dort, Demand dazwischen und die anderen auch. Wie immer ist der größte Spaß eigentlich das Entdecken im labyrinthisch verschachtelten treppauf, treppab des Gebäudes, Stiegentürme hinauf und hinunter, lange Gänge entlang, den ausliegenden Faltplan lange schon ignorierend, ist doch wirklich mal der Weg das Ziel.
Weil es frisch noch am Samstag ist, also avant-la-fête, sind die Waschbecken noch nicht gefüllt mit Flaschen und Erinnerungslücken. Frisch wirken Ateliers und Künstler, der Jahrgang schaut hoffnungsfroh. Die Blumen haben Wasser.
Die Qualität der Arbeiten ist erstaunlich unterschiedlich. Ein Raum wagt Kirmeskunst weit unterhalb platter Gebrauchsgrafik, daß man sich fragt, wie hier jemals die Mappenprüfung bestanden wurde. Man nimmt es so hin, nickt mit dem Kopf und meint eigentlich ein Schütteln. Mit allem Respekt.
Schön sind ja die Möglichkeiten des totalen Raums. Einfach mal ein Atelier bespielen mit einer buchstäblich ausgewalzten Idee. Im Styroporkugelzimmer wühlen sich verzückte Kinder durch elektrostatischen Mulch, mit dem der Boden zentimeterhoch ausgelegt ist. Gebilde aus zartem Plastik schweben an der Decke, auf den Tischen eine Laborlandschaft. Präparate, Objekte, in jeder Hinsicht künstliche Artefakte. Sehr hübsch und anhänglich, kleben die kleinen weißen Kugeln noch tagelang an einem. Wie mit einem Haftbefehl.
Verzückend auch das kleine Wunderkammer-Kabinett, in dem in kleinen Einmachgläsern selbstgemachte Schneekugeln wie Säulen übereinandergestapelt sind. Gerade mal zu zweit, aber das reicht ja für vieles im Leben, quetscht man sich hinein in den dunklen Raum, eine von der Künstlerin (deren Namen ich mir leider und schwer verzeihicherweise nicht gemerkt habe) Taschenlampe hilft beim Entdecken von Schnecken und Wesen, die in den Gläsern Unfug treiben. Das Wichtige im Kleinen entdecken, ein meditativer und lehrreicher Exkurs. Und witzig.
Dringend zu erwähnen sind die Gemälde von Inga Kählke. Verschwommene Bilder wie "Pferdeliebhaberin" und sehr pastos aufgetragene Texturen sind auch in der Gesamtschau der Hängung emotional, verstörend und dann doch wieder heiter. Für mich der Höhepunkt dieses Jahrgangs.
Wobei ich wieder nicht alles gesehen habe.
Dienstag, 12. Juli 2016
Steckdosen, in denen kleine, weiße Ladegeräte stecken. Steckdosen. Räume, die bestimmt werden durch ihre Steckdosen. Räume, namenlos oder ganz ohne Zweck, die bestimmt werden durch ihre Steckdosen. Schöne Räume, alte Räume, heruntergekommene Räume. Mit Steckdosen, in denen kleine, weiße Ladegeräte stecken. Räume, die - ganz Steckdose - der Raum werden, in denen das kleine, weiße Ladegerät steckt. Räume, die nur noch die Wand sind, in denen die Steckdose sitzt, in der ein kleines, weißes Ladegerät steckt. Spenderräume, Steckdosenräume, Parkstellen für kleine, weiße Ladegeräte. Ein Raum, ein Haus, eine Welt gebaut als Ort einer Steckdose, in der ein kleines, weißes Ladegerät steckt.
Zerstörte Räume, einstürzende Häuser, implodierende Welten, in denen hinter einer Steckdose, in der ein kleines, weißes Ladegerät steckt, eine weitere Welt wartet. Eine Mutterwelt, eine Tochterwelt, verbunden durch die Nabelschnur eines kleinen, weißen Ladegerätes. Das in einer Steckdose steckt.
Samstag, 2. Juli 2016
Wenn die Mannschaft baden geht. Wenn das jetzt baden geht. Wenn das einer ausbaden muß. Wenn die uns naß machen. Wenn das ins Wasser fällt. Wenn wir da absaufen. Wenn einzelne wieder abtauchen. Wenn da einer durchtaucht. Wenn wir da ins Schwimmen kommen. Wenn da Welle um Welle anrollt. Wenn da einer 'ne Bauchlandung macht. Wenn da einer ins kalte Wasser springen muß.
Nicht, daß die Luft raus ist.
Samstag, 2. Juli 2016
Ich ärgere mich immer noch über die verquaste Berichterstattung im DLF über das Konzert in Berlin. Ist das bei Berichten in "Fazit" über Bayreuth oder irgendwelche Theaterpremieren auch so? Das Gemaule über den Aufritt von Ms Harvey in Berlin stimmte hinten und vorne nicht, bereits in der uninformierten Anmoderation, dann auch in der eigentlichen Kritik ("kopflastig", "keine Hits"). Das habe ich gleich vermutet, und jetzt, da immer mehr Clips auf Youtube auftauchen, weiß ich es auch sicher. Leider war es ein Montag, sonst hätte ich es mir selbstverständlich dortselbst persönlich angeschaut, aber einer muß hierbleiben und die Steuerlast für die Elbphilharmonie zusammenarbeiten.
Sehr entzückend die Ansage in Paris. Und PJ Harvey hat immer noch die bestgekleidete Band (Ann Demeulemeester!), macht sich aber wirklich zu rar.
Sonntag, 26. Juni 2016
In diesen europäischen Entscheidungswettkampftagen, man kann dies in Fußballfelder umrechnen, werden wieder viele Grenzen gezogen, geschlossen und neu eingerichtet. Man braucht wieder Paßwörter, Losungswörter, Visa oder einfach gutes Benehmen. Oder eine Pinnummer, so wie sie per SMS übermittelt wird, um Sendungen aus Packstation zu holen.
Mittlerweile habe ich allerlei Eselsbrücken, aber auch gewiefte mathematische Systeme entwickelt, die jeweilige Pinnummer zu memorieren. Gestern lautete die beispielsweise "4376". Das kann man sich sehr einfach merken, weil diese Zahl sich verkürzen läßt auf 4 minus 1 und 7 minus 1. Man muß sich nur 4 und 7 merken, und dann jeweils den Faktor minus 1 als zweite Ziffer. Man kann beide Teile der Gleichung auch aufaddieren, um es noch einfacher zu gestalten. Dann hat man 4 plus 7 gleich 11. Und auf der anderen Seite minus 1 und minus 1 also minus 2. Das sind dann 11 minus 2 gleich 9. Zum selben Ergebnis in der Gegenprobe kommt man natürlich auch, wenn man gleich 4 minus 1 gleich 3 rechnet und dies mit 7 minus 1 gleich 6 addiert. Das sind ebenfalls 9. In diesem konkreten Beispiel also jeweils die zweite Ziffer der Pin-Nummer, also 3 und 6.
Das Prinzip ist klar, statt mir 4376 merken zu müssen, reicht es, einfach auf den 200 Metern (diese Zahl tut jetzt nichts zur Sache) bis zur Packstation immer nur "9" zu denken. Neun, neun, neun... oder wie wir auf Englisch sagen Nein, nein, nein... das ist nicht schwer, das ist eine einfache Antwort auf komplexe Fragen. Am Terminal reicht dies natürlich nicht, hier also nicht Neineingeben, hier ist die komplette Pin-Nummer verlangt. Dafür nehme ich dann mein Mobiltelefon, und lasse mir von einem jungen Menschen in der Nähe die Zahl noch einmal vorlesen. Und voilà: Sesam, öffne dich! Moderner Warenverkehr.
Wäre es im Leben doch immer so einfach, denke ich. Man könnte komplexe Strukturen und Probleme mittels einer ausgeklügelten Formel herunterbrechen, so daß sie am Ende beispielsweise auf eine JA/NEIN-Frage hinauslaufen. Wem ist im Leben nicht schon einmal etwas, und sei es symbolisch, zu Bruch gegangen, weil zum Beispiel ein Unbekannter sich unziemlich eingemischt hat. Durch simple Rechenoperationen lassen sich Brüche bekanntlich umformen und zum unbekannten X hin auflösen. Und zwar so, daß dieses X ganz isoliert allein auf einer Seite steht. Und dann zeigt man mit dem Finger drauf und lacht. Simpel. Ein ganz mathematisch schöner Tag.
Hier in Hamburg kann man sich nicht nur sinnbildlich durch übertriebenes Trallala selbst aus dem Raucherclub ausgrenzen, da hilft auch nicht Schmidt Schnauze oder eine Pinnummer am Eingang. "Nein", heißt es dann. Bitte, Danke, Wiedersehen. Kann man sich alles ausrechnen.
>>>Geräusch des Tages: PJ Harvey liest John Donnes No Man Is An Island zum #Brexit
Dienstag, 21. Juni 2016
Obwohl eine Märchenkaiserin darin wohnte, sieht Schloß Schönbrunn ja vergleichsweise fast bürgerlich frisiert aus. Die Größe der Anlage, der Park und die Brunnen, der Ausblick von der Gloriette auf die Stadt machen da viel wett. Aber ein Neuschwanstein ist es nicht. Wer auf Türme und Schnörkel steht, muß trotzdem nicht darben: Zwischen Schwechat und Wien liegt die große Kathedrale, eine Sagrada Família für Freunde imposanter Industriearchitektur. Rohre und Schornsteine, ewig brennende Fackeln machen die Raffinerie zum einem weithin sichtbaren Wahrzeichen der Stadt. Nachts eingetunkt in ein Lichtermeer, verzückt die Anlage wie eine Kultstätte die ankommenden Besucher oder erfüllt die Abreisenden mit Wehmut. "Die Raffinerie in Schwechat bei Wien zählt zu den größten und komplexesten Binnenraffinerien Europas", sagt die Webseite der Betreiberfirma. Sie hat, umgerechnet in aktuelle EM-Zahlen, eine Größe von 200 Fußballfeldern, das ist sehr groß.
Solche Sakralbauten sind denn auch zum Staunen gedacht. In meiner Heimatstadt irgendwo im Bergischen kann man mit der Schwebebahn durch eine der Betriebsstätten eines bekannten Chemie- und Pharmakonzerns fahren, über dampfende Ventile und glänzende Rohre hinweg, Betriebsfahrradwege und farbig lackierte Steigleitungen. Man kann das Ding riechen, den Geschmack von den Zähnen puhlen und sich überlegen wie es wäre, dort nachts von einem Alien gejagt zu werden. Einem dampfenden Maschinenwesen. Das ist die Ehrfurcht, das beklemmende Gefühl, hier nicht nur Idylle zu sehen, sondern Architektur, vor der man sehr, sehr klein wird.
Wenn also derzeit in Frankreich Sportler beim Ballspiel etwas verzagt wirken, sollten sie sich fragen, wie sie fühlten, wäre ihr Spielplatz 200 Fußballfelder groß. Ein Monster in meinem Wandschrank.
Samstag, 4. Juni 2016
Kein Wienbesuch ist komplett, ohne einen Spaziergang durch mein Lieblingsmuseum dort. Man sollte es aber nachts machen, wenn nicht Schulkklassen dort herumtollen, natürlich achtlos an der Venus vorbei, aber mit großen Aah! und Ooh! vor Mammuts und Dinosauriern Faxen machend. Das Gebäude selbst ist eine Pracht, die Schätze dort noch mehr. Wer will, trinkt eben einfach einen Kaffee dort.
Lauter tote Tiere, das Bambi aus den österreichischen Wäldern findet man hier, Fische und exotische Säuger, sogar echte Krokodile - wohl dem, der seinen Platz im Tierkreis schon gefunden hat. Irgendwo darunter auch mein Wappentier: der sympathische Dodo.
Rustikale Taxidermie und Rekonstruktionen, empfindliche Nasspräparate und buntschillernde Insekten, ein kontemplativer Ort, an die Häupter seiner Liebsten, die Verflossennen und wie in verwaschenen Fotos noch Bewahrten zu denken. Unruhig wipfelnder Vogel - einst ruhest auch du! Als noch unverstandener, aber insgeheim begnadeter Tierporträtmaler halte ich alles in einem kleinen Skizzenbuch fest.
Wer schon öfter dort war, fndet auch einen Blick für Details abseits der holzgefaßten Schaukästen. Einfach mal hinsetzen, ein bißchen ausruhen. Auch die Bänke und Sitze und Hocker sind hier eine dekorative Wucht.
(Dienstags geschlossen - wo gibt es denn sowas?)