Mittwoch, 1. Juni 2016


Merz/Bow, #51



Die krachromantische US-Band Xiu Xiu hat sich (letztes Jahr bereits, aber nun denn) an der Musik von Twin Peaks versucht. Exklusiv für den "Record Store Day" 2016 wurde dazu ein Vinyl-Album veröffentlicht, auf Youtube gibt es den oben verlinkten Extrakt, aber auch komplette Live-Shows ihrer Rußland-Tournee im letzten Jahr zu sehen. Das sage ich ganz nüchtern, die Emotionen sind ja in der Musik.

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Wlanlos in Wien entdeckte ich diesen alten Thorens-Plattenspieler und hätte dort neben meiner immer im Handgepäck bei mir geführten Häkelschallplatte natürlich auch das "Twin Peaks"-Album von Xiu Xiu hören können, hätte ich es denn am "Record Store Day" ergattert. Der Plattenspieler für sich genommen würde auch bella figura in meinem Leuchtturm machen, darüber denke ich maschenweise nach.

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Sigríður Níelsdóttir kennt ihr nicht. Bekannt wird die über 77-jährige Dame aus dem schönen, wenn auch abgelegenen Island nun als "Grandma Lo-Fi". Weil Björk dort nicht die ganze Zeit Musik machen kann, sprang Frau Níelsdóttir ein und spielte einen ganzen Strickkorb selbstgemachter Alben mit Casio-Keyboard und Spielzeuginstrumenten ein. 59 waren es Stand 2014, diese Zahl sollte dem ein oder anderen faul gewordenen Musikanten unter uns ein Ansporn sein. Passend zum unaufgeregten Ansatz ihrer Heimproduktionen, wurde ihr Schaffen auf Schmalfilm und Video dokumentiert. Einen Trailer zu der vergnüglichen Doku gibt es hier.

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Schwerter zu Querflöten, oder: Es liegt ein Klang in allen Dingen. Der Künstler Pedro Reyes aus Mexiko hat sich 6700 (nicht verifizierte Zahl) im Kampf gegen Drogendealer konfiszierte Waffen besorgt und diese zu verschiedenen Musikinstrumenten umgebaut.

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Die "Stalinorgel" muß also kein geschmackloser Scherz bleiben, da ginge was, liebe Flöten von den GRÜNEN, die ihr neuerdings die Waffenindustrie weißwäscht.


>>> Geräusch des Tages: Xiu Xiu mit "Twin Peaks" live in Moskau

MerzBow | von kid37 um 23:19h | noch kein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 29. Mai 2016


Tage der Entbehrung

Natürlich muß man, will man nicht als Geschichtenerfinder und Rosarotmaler dastehen, auch von den traurigen Seiten einer solchen Reise schreiben. Da hatte ich mich doch vorab bei der Vermieterin versichert, daß es gemeingebräuchliches, fernempfangbares Internet in der Ferienwohnung gibt. Auch hielt sie mir beim Empfang freudestrahlend einen blauleuchtenden Zauberwürfel ("Hier ist das internet drinnen") unter die Nase. Doch die Tränen in meinen Augen sah sie nicht. Die sah sie nicht.

Gleichwohl strukturiert wie immer, aber durchaus auch ein wenig spontan war ich in der Früh nämlich aufgebrochen, ohne das Tablet einzustecken, das frischgeladen auf meinem karg dekorierten Nachttisch lag. Mit leichtem Gepäck, aber schwerem Herzen landete ich also in der schönen Stadt, einem modernen Hiob gleich schweren Entsagungsprüfungen unterworfen.



Was will man da noch machen in einer solchen Stadt, abgeschnitten von fernsprachlichen Kontakten, elektronisch übermittelten Bulletins und Telegrammen? Etwa Zeitungen beim Trafikanten kaufen? Na, man könnte um das Geld vielmehr zum Friseur gehen, sich eine Donauwelle legen lassen und anschließend ins Café, wo die gedruckten Journale ausliegen. Hier ist so ein Tag mit mürrischen Kellnern und schönen Damen im Gastraum angenehm verbracht.



Man kann darüber meditieren, in welchen dieser Weltkurturcafés die Melange mit einem Häubchen Schlagobers oder eben Milchschaum gereicht wird. Wie - außen hui, innen pfui - die Toiletten und Sozialräume im Vergleich zu den plüschigen oder abgeranzten Verzehrstuben gehalten sind, Elias Canettis Die Blendung mag einem einfallen, allein des Titels wegen und weil man in solchen Schänken gleich zum Literaten wird.



Oder, die angebrachte Notiz gab darüber Auskunft, zur frischgeputzten Würstlbude gehen, etws gut Durchgegrilltes mit allerlei Senf zur Stärkung holen und dabei, in einem imitierenden Dialekt und der leichten Muse ja nicht abgeneigt über beispielsweise den großen Wiener Peter Alexander Ferdinand Maximilian Neumayer sprechen, der ja nur zu bald seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte.



Gegen Ende der Woche konnte man sogar draußen sitzen, Schuhwerk und Kostüme, erste opulent geblümte Sommerfetzn und hochgesteckte Frisuren betrachten und überlegen, wo man sich heimlich in der Dämmerung in ein Internetcafé schleichen kann. Sonst hat der Entzug aber gut geklappt.


 


Donnerstag, 26. Mai 2016


Theaterferien



Das war knapp. Nach einer Woche Theater und "No! No!"-Skandieren, kam ich am Sonntag quasi mit der letzten Maschine raus, ehe die Grenzen geschlossen wurden. Jedenfalls stand dies als Drohung im Raum, wenn man die Aussagen des potentiellen despotischen Potentaten nur eindeutig genug zwischen den Zeilen las.

Nach all diesem Geraune, den Duellen auf allen Ebenen waren die Menschen wirklich nur noch zittrige Häuflein. Im Flugzeug Schluchzen und Aufregung. Der Kapitän verkündete, das Boarding sei im Grunde complete, man warte noch auf die Startbahn, mehr aber noch auf Beendigung der Probleme um zwei Sitzplätze. Plötzlich stürmte ein asiatisches Pärchen nach vorne, die Kabinentür mußte extra wieder geöffnet werden, der Schlauch hing zum Glück noch dran, schon waren sie raus, Rollkoffer funkenstiebend hinterher. Die waren tatsächlich - Hamburg oder Mailand - Hauptsache Italien! - in der falschen Maschine. Keine Ahnung, wie das überhaupt gehen kann, aber bitte, ein bildhafteres Bild für die Lage von Nation und Europa hätte man auch nicht erfinden können. Aufgescheucht, mindestens zur Hälfte verwirrt, vielleicht wollten die beiden auch einfach nur schnell noch ins Wahllokal. Oder eben: raus, weiter, bloß weg.



Es ist sich knapp noch mal gut ausgegangen, aber bedenklich lange sah es gar nicht so aus. In Cafés aufgeregtes Zwitschern und Gewisper, begleitet vom nervösen Geklimper hektisch gerührter Kaffeelöffel. Ober malten sich probeweise Schmisse aus Schlagobers in die Gesichter, fremdländische Gäste klammerten sich verängstigt an ihre Personalausweise.



In den Nebenstraßen aber weiter alles urschön, selbst in die schiachen Ecken verlor sich zum Ende der Woche ein wenig Sonne. Zum Salat immer ein wenig Schnitzel, wegen der Gesundheit. Frisch geklopft und zurechtpaniert, man muß sich sein Leben schon selbst recht schön machen. Sonst wird das nix.


 


Dienstag, 10. Mai 2016


Spülklar




Die Menschen auf der Welt lassen sich bekanntlich in zwei Gruppen einteilen. Jene, die Weichspüler benutzen, und die, die von dieser penetrant stinkenden Pestsuppe tunlichst Finger und Wäsche lassen. Damit ich ganz schnell Ort und Stelle verlasse, reicht zuverlässig der Einsatz dieser Plörre obendrein fragwürdigen Nutzens, die unter Kriegsächtung zu stellen, der UN-Konvent bislang einfach nur vergessen hat. Dabei muß man meinetwegen gar nicht zu solch offenduftig völkerrechtswidrigen Vergräm-Mitteln greifen, wenn es doch auch einfach gut dosierte Unfreundlichkeit tut.

Sind im Soziallimbo die Schranken erst einmal nach unten durchbrochen, bleibt in aller Regel nur der unter Restwürde zu wahrende schnelle Schuh, das Putzen der Platte, das sich gnädigst kratzfüßig Empfehlen, ergebenster Diener usw., ehe man Rollen in Filmen übernehmen muß, an deren Drehbücher man nur als Stichwortgeber beteiligt war.

So geriet ich neulich etwas vor der Zeit in den Intercityzug Heile Haut, der aber überfüllt war mit Reisenden mit "Jetzt bloß raus!"-Ticket, so daß ein internetbekannter älterer Herr die Fahrt stehend bewältigen mußte. (Da könnt ihr mal 'nen Sozialplattformsturm der Empörung machen!) Organisationsmängel hasse ich ja ungefähr so sehr wie den Geruch und den flutschigen Griff von Weichspüler, nun aber fuhr mein selbstverständlich vorabreservierter Sitz auf einem anderen Zug, und mir blieb der letzte verbliebene Stehplatz direkt an der Türe zur Bordtoilette.

Situation! Wir haben eine Situation! Die olfaktorische Gesamtlage aus einem shitstormigen Toilettendisaster, Reisenden mit schlecht verarbeitenden Schweißstellen und Waggonkupplungsschmiere ließ mich noch mal frisch & neu über den Einsatz von Weichspüler nachdenken. Was, wenn man damit auch vergrimmte Menschen weicher spülen könnte? Flutschig und elastisch machen? Und auch noch ganze Züge und Toiletten beduften? Ach! Hier die Pest, dort die Cholera.

Ich hingegen mags ja verhältnisklar und rein und nehme lieber Essig.


 


Donnerstag, 5. Mai 2016


Paraphernalia



Ich bin jetzt in dem Alter, wo mich vorzugsweise junge weibliche Verkaufsangestellte ganz putzig finden. Ich stehe dann etwas tatterig vor denen, irgendwelche hochpreisigeren Tand- und Altmannbeschmückungsgegenstände oder Sammlerkram auf der Theke, wie diese sehr hübsch aufgemachte Box Die große Untergangsshow zum Festival der "Genialen Dilletanten" im Berliner Tempodrom 1981, krame umständlich nach so einer Elektrogeldkarte und warte dann lange auf die ersten Synapsenergebnisse meine Geheimzahl betreffend. Manchmal sehr lange. Früher®, doziere ich dann, wäre man ja mit dem Krempel unter dem Arm stilecht abgehauen, was ihr aber angesichts des Gesamtzustands® nur ein müdes, mit einem leisen Anflug von Nachsicht untermaltes Lächeln entlockt.

"Noch lachen Sie", lege ich freundlich nach und erkläre jovial und mit nicht nur einem Hauch von Grandezza widerlicher Großspurigkeit, daß im Alter immerhin das Konto gedeckt sei, während das Maschinchen freudig zu piepsen und kein bißchen rabattig zu rattern beginnt. "Am Monatsanfang vielleicht schon", gibt sie sich nicht geschlagen, und beide singen wir den Seufzergesang.

Früher haste organisisiert, heute wird nur musealisiert. Auch ein wenig zwiespältig, liegt darin auch immer eine Art Grablegung. Die kunsthistorische Festschreibung in einen Kanon, Schilder wie "Bitte nicht berühren", "Die Wiese nicht betreten", "Musik nach zehn bitte nicht so laut". Wobei ich letzteres sehr unterstütze, seit feierfreudige Nachbarn zu allen Uhrzeiten ihren mainstreamscheißgequirlten R&B-Mist vom Balkon rüberdudeln. Wird Zeit vielleicht für die Altmann-Resistance. Ein Panik-Orchester.

Radau | von kid37 um 19:20h | 4 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 30. April 2016


Atomtellheart



Durch @FrauDiener wurde ich ursprünglich auf diese hübsche Serie aufmerksam, dann konnte ich mich lange nicht für ein Motiv entscheiden, aber nun sieht man mich mit buchstäblich strahlendem Gesicht: Mein erster Atomteller!

"Denkmäler des Irrtums - Hoffnung von Gestern - Folklore von Morgen" heißt es auf der Webseite der Schöpfer. Immer wieder werde ich gescholten, die Vergangenheit zu sehr in den Vordergrund zu schieben, mich mit alten Dingen und noch älteren Emotionen zu umgeben. Nun aber zieht die Folklore von morgen in mein Haus, getreu dem alten Lied "Nostalgia For An Age Yet To Come". Idylllische Atomschleudern statt Delfter Windmühlen, lange wußte ich nicht, ob ich die drei hier aus dem Norden wegen der Nähe zu Hamburg nehmen sollte oder nach Motiv entscheiden - am Ende entschieden Heimatgefühle. Auch wenn der Forschungsreaktor in Jülich schöner gewesen wäre, habe ich diesen doch schließlich mal als Schüler besucht. Damals war dies nuklearer Bestandteil des Curriculums, bedauernswerte Physiker in Hawaiihemden zeigten uns die ausgebrannten Kugeln, mit denen man Boccia hätte spielen können, so die Versicherung. War ja alles ungefährlich!

Das schmiere ich denen noch aufs Brot, wenn erst eins auf meinem Teller liegt.

>>> Geräusch des Tages: Buzzcocks, Nostalgia For An Age Yet To Come


 


Mittwoch, 27. April 2016


Urban/Spationierung



Mit meinem aktuellen Roman Fahren Sie raus? Ah, super! schließe ich nach den Vorläufern Alles muß raus! und Warten Sie, ich hab's passend meine 2008 begonnene Stadttrilogie ab. Großstadttrilogie, Entschuldigung, ist ja Hamburg hier.

Wie immer geht es um das Leben ohne Kundenkarte, dafür mit Prepaid-Gefühlen und alles rund um die notorisch erfolglose Punk-Band "Nieten am Rubbellostisch". Geradeaus erzählt ohne literarisches Tam-tam, aber immer mit einer gehörigen Portion Schmäh und dem nötigen Maß an Augenzwinkern und Platz für ernsthafte, durchaus auch mal traurige Zwischentöne.

Das aber nur nebenbei.

Derzeit arbeite ich an einem Projekt über die soziale Beziehung zu Außenterrasssenkultur. Sitzen lernen soll der nächste Band meines Autobiografie-Zyklus heißen. Die Kapitel "Im Kuchen stochern" und "Wer denkt, darf auch mal Pause machen" sind bereits fertig, so nach und nach sammelt sich weiteres Material. Von Übereifrigkeit befreite Yolo-Prinzessinnen, S-Bahnen, die wie schlafende Drachen irgendwo rumliegen und nicht fahren oder vielleicht später, nur nach einem komplizierten Ritual. Regenschirme, die von Touristen wie Excaliburs geschwungen werden - man ahnt es, ich orientiere mich zum Fantasy-Bereich. Darin liege viel Geld, sagt meine Agentin. Und manchmal auch Ruhm. Nun habe ich von letzterem ja die Taschen quasi voll und einiges noch unterm Kopfkissen. Geld aber ist mir ein wenig fremd, wir sehen uns nur selten, was ich bedaure, denn ich finde es voll schön.

Mit Geld könnte ich den Regen vertreiben und auf einer luftigen Terrasse sitzen, Kuchen mümmeln und Kaffee trinken. Mir einen Titel beim schönen Konsul kaufen und ein sausbraus zurechtgeföntes Leben leben. Denken würde ich natürlich auch an euch und in Fotoapparate winken. Eine eigene Briefmarke ließ ich mir widmen (37 Cts.), und mein Blog und meinen Regenschirm ließe ich mit Blattgold ausschlagen.

Mein Leben sieht anders aus. Regen immerhin tropft auf alle Häupter gleich. Die Terrassen aber liegen verlassen, Leute. Die Terrassen liegen verlassen.

>>> Geräusch des Tages: Heavy Rain and Wind Sounds For Sleeping / Relaxation