Samstag, 2. April 2016


Angkor Wat



Das ist mein Angkor Wat, sage ich und hole in einer zeigenden Bewegung weit mit den Armen aus. Eine Tempelanlage des industrialisierten Menschen, von Zeit und Patina angegriffen und überwuchert. Tiere und staunende Menschen wandern zwischen den Gebäuden umher, ratlos oft, wofür das eine oder andere Behausung und ganz pragmatischer Zweck war. Man wandert über touristisch erschlossene Wege, dringt tiefer vor ins stählerne Gewirr, weg von der Belustigungsbühne des lokalen Senders, dorthin, wo es stiller und rostiger und weniger zurechtgeputzt ist.




Das ist mein Angkor Wat, wiederhole ich, wie so häufig, wenn ich denn mal einen bildgewagten Vergleich gefunden habe. Grünliche Rostschlieren, wie Dschungelmoos, aus der sauren Luft genährte Algen, die über die einzelnen Stahlsegmente wuchern, eine andächtige Atmosphäre angesichts von Höhen und Dimensionen liegt über dem Ort. Vor dem inneren Auge tauchen umfangreiche Umbaumaßnahmen in meinem Zuhause auf. Förderbänder zwischen Ostflügel und Westflügel schweben mir vor, mein Bad einer Waschkaue nachempfunden, mit Seilzugsystem und Körben für die Leibwäsche und Becken aus Zement auf dem Boden für Füße und Stiefel und den Rest. Bergmannsruh im Bloggertagebau.



Man könnte auch sagen, ein Prater, denn es findet sich bei der Kokerei ein Hochrad mit altertümlichen verglasten Gondeln, gleich neben dem Schwimmbad und der Eislaufbahn. Auch hier spüre ich ein großes Begehren, mein Dach zu entfernen und dieses Riesenrad auf mein Haus zu flanschen, damit ich abends, lange nachdem die Fabriksirene verklungen ist, noch eine mild erleuchtete Runde drehen kann, vielleicht nehme ich jemanden von euch mit oder lasse es bleiben. In einer Gondel ist eine Zapfanlage, in einer anderen eine Eisbar.



Eine ist sicher voll mit Kuchen, denn was wäre ein Ausflug ohne gemütliche Pause. Getrunken wird ein Pott Kaffee aus schwarzer Kohle, frisch von einem rußverschmierten Barista mit Helmlampe gepresst. Ergriffen malen wir uns ein Aschekreuz auf eine nachdenkliche Stirn, buchstabieren "Industriekultur" und schütteln den Kopf über Menschen, die solches nicht schätzen. In Hamburg, sage ich, hätte man einfach alles abgerissen. Auf dem Gelände hätte schließlich auch ein Musical gepaßt.

>>> Zollverein


 


Donnerstag, 31. März 2016


Alle mal auslüften



Nanü, hier bricht sich Sonne durch den Hafennebel. Komm, sag ich, ich kauf dir unten am Büdchen ein Sodawasser mit Sprudel. Wir sitzen eine Weile am Rand, scharren mit den Absätzen gegen die Mauer. Trinken was auf Hamburger Art. Ich übe dabei ein wenig Rheinisch.

Zeit, mal die engen Jacken aufzumachen, den Mief auszuschütteln und die Krümel, die dieser und jene in die Falten und Falze und Taschen gedrückt haben. Kopf anlehnen wie so Pferde, die einen heimlich nach Karotten durchsuchen. Es gibt da draußen so viele Grautöne zu entdecken. Beschränkt euch nicht mit Schwarz und Weiß.


 


Montag, 21. März 2016


Dorfbesuche




Es ist anderen schwer verständlich zu machen. Aber vier Stunden mit dem Zug, das ist für mich tatsächlich ein kleiner Meilenstein in Sachen Mobilität und Radiuserweiterung. Stand ich doch in den letzten Jahren bei solchen Dingen eher wie ein Kindergartenkind mit umgehängter Brotbeuteltasche, auf der vorne ein lustiger Elefant aufgestickt ist, in Türkis aber, an einer geräuschvoll befahrenen Straßenkreuzung. Im kleinen Kopf und mit engerem Herzen und gut gefüllter Buxe durchrechnend, ob ich die Überquerung durch reißende Automobilstromschnellen wagen solle oder nicht.



Aber nachdem ich letztes Jahr ein paar mal die Reise in die große Stadt nebenan geschafft hatte, aus wohlmeinenden Gründen meist, Neugier oder zum Geburtstagsuntertauchen, wollte ich 2016 auch einfach mal ins entferntere Dorf. Da steht mittlerweile viel rum, einiges ist auch weg, aber der Rhein ist - neuer Ofen, gleiche Pizza - immer noch da. Schön, wenn sich nicht immer alles ändert.



Düsseldorf kommt ziemlich sauber daher. Es gibt in den inneren Zonen auffällig wenig Getagge und Geschmiere. Auf den Straßen muß man Hundekot schon suchen. Vielleicht stammt aus Düsseldorf die Wendung, man trete "ins Glück", stapft man plump in Hundedreck. Gleich einem vierblättrigen Kleeblatt muß man wirklich suchen. Auch sonst liegt kaum was rum, und wenn sind es Kamellen. Olle Kamellen auch, um diesen Kalauer nicht unerwähnt zu lassen. Hallo Kalauer, willkommen in meinem kleinen Blog. Tritt ein, bring Glück herein! Jedenfalls mag auch Schlagerbarde Gus Backus einst sein Herz in Heidelberg verloren haben, in Düsseldorf geht das offenbar genau so gut.



Modestadt Düsseldorf, für die Dame wie für den Herrn. Wir kommen zu den Textilmitteilungen: Auf der Königsallee blitzen Prada-High-Heels in BVB-Farben, am Büdchen ("Trinkhalle") beugt sich ein in rosa Tüll gehülltes Funkemariesche weit nach vorn. Das Dorf holt den vom Wind verwehten Rosenmontagszug nach, Motto "You say Alaaf, I say Helau!". Schon morgens schieben sich die dekorierten Laster mit Brüllmusik an Bord zu ihrem Sammelplatz durch sonntagsmüde Straßen. Insgesamt wird sich deutlich gekleidet, Düsseldorf reiht auch Friseurgeschäft an Frisörgeschäft. Das kennt Hamburg nicht, würde hier ja auch jede künstlich zurechtgezupfte Frisur sogleich von s-teifen Brisen in Nord-Nord-Oost-Richutng onduliert werden.



Anders als in Hamburg, gibt es in Düsseldorf viel Kunst. K-hier, K-da, Kunstsammlung NRW, Forum Soundso, Kunstakademie, Kunst im Tunnel, Kunst am Trapez und Tingeltangel im Apollo. Im Ständehaus zeigt Alberto Burri flambierte Abstraktionen aus verschmurgeltem Plastikfolien, blutroten Stoffetzen und aufgeplatzten Asphalthäuten. Noch schöner aber die naturnahe Installation von Tomás Saraceno. Bei ihm bauen Kolonien von Opuntienspinnen ihre Terrassennetze. Die üben enge und wohl friedliche Nachbarschaft und schachteln ihre Netze wie in einer Reihenhaussiedlung versetzt übereinander. Nach und nach sind die Gewebe aus ihrem Kasten herausgewachsen, der aber - ja, spinn' ich denn? - gar kein Kasten ist. Unbedarft und atemlos vor Kunstberauschung wie ich manchmal bin, stehe ich nämlich dicht vor der Schauvitrine und habe schwupps die Kunst eingeatmet! Eine uniformierte Aufsichtsdame rauscht tarantelhaft augestachelt heran und erklärt mir was von "Keine Scheibe!" und "Abstand halten". (Die berühmte Armlänge!) Hicks.

Am Trinkertreff gegenüber von Walter Koenigs Buchgeschäft kann man gut ruhen. Wie ein vergessener Karnevalsprinz sitze ich in der Sonne, krame eine Stulle aus meiner Brotbeuteltasche mit dem aufgestickten Elefanten hervor und warte darauf, daß vorm Füchschen die Stühle rausgestellt werden.


 


Freitag, 11. März 2016


Obsolete O-Töne

So schnell noch in Hut und Mantel, etwas Musik zum Wochenende. Gemacht mit der craft, wie es neuerdings heißt. Da haben zum Beispiel irgendwelche Leute, ich muß noch herausfinden, wer mir da genau hineingepfuscht hat, meine Band gegründet, diese Orkestra Obsolete benannt und ganz herzallerliebst eine Version von New Orders "Blue Monday" aufgenommen. Und zwar so, wie das Stück in den 30ern Jahren hätte klingeln können. Ein wenig viel Ukulele, dem togerittensten Instrument der letzten Dekade. Aber sonst sehr hübsch. Die BBC hat den ganzen Schnack.

Abstrakter, aber mindestens so obsolet und vergessen diese Installation aus Gerätschaften, die heute auch keiner mehr kennt. Anders als MP3-Player klangen die aber noch selbst, nachzuhören bei diesem Orchster aus Kassettenrekordern. Klack, klack.

Auch in Schweden sind die Winter lang. Die Schweden aber jammern nicht und schnupfen, sie sitzen in ihren von Walfahrerlampen, die mit Lebertran betrieben werden, erhellten Bastelkellern und schnitzen Musikinstrumente. Oder gleich ganze Maschinen. War schon im Fernsehen zu sehehen, hier aber trotzdem noch mal: Eine Musikmaschine, die mit von mir nicht persönlich nachgezählten 2000 Murmeln Musik macht, wobei mir der elektronische Anteil einen Murmeltick zu groß ist. Als Idee aber sehr hübsch und was für lange Abende.

>>> Geräusch des Tages: Der Klang der Stempeluhr. Erstmal raus.

Radau | von kid37 um 18:32h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 6. März 2016


Währungsrechner



Greif ich ins Portemonnaie, ist da noch Bargeld drin. Bargeld lacht, heißt es, lacht mich aus, blöde Sau, zahl ich dir heim, geb ich dich aus. Bald ist es weg. Bald soll Bargeld überhaupt weg sein, eine Verschwörung wider die Geschäftsfreiheit natürlich, für mehr Überwachung natürlich, dann gibt es aber bald sowieso Essensgutscheine und Bargeld nur noch im Keller. Da lacht es dann.

"Ich liebe den amerikanischen Dollar", sagte Madonna auf einem frühen Höhepunkt ihres Erfolgs. "Jeden einzelnen, den ich verdiene, gebe ich aus." Das klang damals in den Vor-Riester-Zeiten revolutionär hedonistisch, Popstar laß das Scheffeln sein, wirf ne Runde, schmeiß' was ein! und ließ uns irgendwie alle gleich abgebrannt erscheinen. Nur, daß die einen eine Kelly-Clutch besaßen und wir eine Plastiktüte vom Plus (Prima leben und sparen!). Ich selbst bin ja, Leute, die mich ausnutzen lieben, wissen das, ein äußerst friedliebender Mensch. In mir tobt eben kein Krieg, was daran liegen könnte, daß ich Geld nur aus dem Fernsehen kenne. Ein nackter Mann hat schließlich keine Taschen, wie der Volksmund weiß.

Ich bin ja gegen den Krieg. Habe aber nichts gegen Geld. Hätte ich Geld, würde ich nicht Krieg führen, sondern was kaufen. Eine Küche aus grauem Beton vielleicht. Und ein ansprechend großes Appartement drumherum, damit ich von ferne auf den glattpolierten Betonküchenblock zulaufen könnte. Auf Rollerskates, die ich mir dann auch kaufen würde. Oder ein Longboard. Die Szene würde ich dann mit einer teuren Kamera fotografieren oder besser noch, von einem eigens einbestellten Malerfürsten malen lassen. Tobten in mir nicht nur Scharmützel und Gefechte, sondern ein wirklich großer Krieg, hätte ich also zählbar viel Geld, trüge ich einen gelben Samtanzug, also jeden zweiten Tag, denn dazwischen gäbe ich ihn unbekümmert in die Reinigung.

Oft fragt man sich: Krieg ich dafür jetzt Geld oder krieg ich keins? Das also ist dieser Krieg in uns selbst, Kohlekrise, Moneten Wars I - III, Zaster-Zoff. Nächste Woche, man rief mich an, soll ich zur Bank, zur Abrüstungskonferenz.


 


Montag, 29. Februar 2016


Der Rattenkönig

Scully: "Time can't just disappear.
It's a universal invariant!"

(Akte X, "Gezeichnet")




In meiner Straße wohnt der Rattenkönig. Das quasi mythische Phänomen kommt in der Natur selten vor, aber hier im unscheinbaren, graugetönten Viertel scheint er ein dreischwänzig verknotetes Unwesen zu treiben. Schön anzusehen ist das nicht, aber authentische Alltagsbeobachtung ist eben kein Zuckergußbloggen, und auch eiternde Wunden brauchen einen zartfühlenden Arzt. Die Schrift an der Wand ist eben überall, mittlerweile aber wirkt selbst Special Agent Fox Mulder sehr, sehr müde und dem mühsamen Deuten all dieser Zeichen überdrüssig. Was soll ich erst sagen? Nachdem ich diesen Monatsanfang ja mit Kopfschütteln (über mich selbst) begann, ließ ich mir zum Monatsende mal schön den Kopf waschen und mich wie ein Pferd vor die sprichwörtliche Apotheke führen (Kotzen muß man freilich selber). Also immer einen einen Schritt weiter gehen und nicht nur bis neun, sondern auch bis zehn zählen. Oder einfach eins und eins zusammen. Paßt schon.

Dabei ist es kompliziert: Menschen pflegen ab und an eine sonderbare Art von Humor (man mag ihn goldig nennen, so als käme er vom Ende des Regenbogens). In anderen Kulturen oder auch Landkreisen pflegen sie unkonventionelle, vielleicht vorgregorianisch angelegte oder nach archaischen Beobachtungssystemen geführte Kalendarien. Vielleicht hat sich Special Agent Dana Scully deshalb einfach geirrt. Vielleicht kann Zeit doch elastisch sein. Zeit, die zeitgleich läuft und zugleich verknotet ist wie ein Rattenkönig. Der 29. Februar beweist, manche Jahre haben mehr Tage, andere dafür möglicherweise mehr Monate, das sollte man mal wissenschaftlich untersuchen. Aber nein, stattdessen bauen sie Dinge wie... Dinge wie... na, Dinge eben, die keiner braucht.

Der größte Rattenkönig, zurück zu den miraculösen Naturerscheinungen, ist in Altenburg zu sehen, auch in Hamburg gibt es einen in der zoologischen Sammlung. Ein böses Omen soll er sein. Ein Gedankenknäuel. Ich muß diesen Fund vor meiner Türe daher als unschön gemeinten Hinweis verstehen. Ich weiß schon, warum ich nur noch Leute hineinlasse, die ich schon seit Jahrzehnten kenne. Und zwar mit Namen und Geburtsdatum. Vorsicht zahlt sich am Ende immer aus, wenn man hinterm Mond lebt so wie ich. Schon aus erholungsschlafschützenden Gründen. Von wegen, nachts schlafen die Ratten doch: Wer kann schon ruhen, wenn irgendwelche Wesen in den ausgehöhlten Wänden scharren oder sich Gedanken unlösbar verknoten wie gordische Rattenschwanzgeflechte?

Zur Zeit schaue ich mit mildem Lächeln die Serie Grimm, weil die so schön schlicht gestrickt ist und nicht verknotet und fabelhaft in Art und innerer Verfaßtheit deformierte Wesen wie du und ich vorstellt. Mit halb zugekniffenen Augen und dem mir bekanntermaßen innewohnenden von unschuldiger Zuneigung geprägtem Wohlwollen erinnern die einzelnen Episoden an die Monster-of-the-Week-Folgen von Akte X, allerdings ohne den Resonanzraum einer bewegenden Liebesgeschichte und einer beklemmenden Regierungsverschwörung. Aber wie ich immer sage, auch Spezialagenten müssen hie und da abschalten und nicht immer alles mühsam auseinanderklamüsern wollen. Sollte ich bis Staffel 5 durchhalten, erwartet mich also die Folge "Rattenkönig". So wird sich dann letztlich alles ineinanderfügen. Ich erhoffe mir dann weitere Märchen grimmige Erkenntnisse und halte bis dahin Augen und Ohren offen. Die Türe aber geschlossen.

>>> Geräusch des Tages: Einstürzende Neubauten, "Der Rattenkönig".


 


Montag, 22. Februar 2016


Merz/Bow, #50



Vor ein paar Tagen kamen mir meine ungeputzten Fenster noch ein wenig ungeputzter vor. Aber es war nur der Winter, der in Hamburg noch einmal die Muckis spielen lassen wollte, den Starken mimen, kurz mal die Backen aufblasen wie ein lange vernachlässigtes kleines Kind, das sich krähend präsentiert und dabei doch in die Hosen macht. Winter, geh ins Bett. Du bist müde!

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Letztes Jahr, ich hatte im Kopf wohl Winter, blies ich kurz die Backen auf und dachte über Berlin nach. Viele Menschen finden das ja schön dort, ich immerhin interessant und kam auf diesem Wege, aber besseren Wissens zu der Idee, nicht immer so stur zu sein, Dingen auch eine Chance zu geben, Städten zum Beispiel. Überraschend schnell hatte ich sogar eine Wohnung zur Hand, ein niedliches kleines "Single-Nest", wie mir der Makler versicherte, hübsch gelegen, ein einmaliges Angebot und unsaniert, für den Fall, daß ich selbst noch Hammer und Leiter und Maurerzeugs bereitstellen wolle, sogar für die Hälfte billiger. Die Hälfte! Da war ich gleich ganz hibbelig, 'ne jünstige Jelegenheit. Ein Zimmer für mich allein.

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Dabei könnte Berlin fleißige Hände vertragen, es hat ja quasi keinen Flughafen. Man kann dort aber, gleich vom Bahnhof aus, gut zweigleisig fahren. Das wußte ich aber schon. Dieses Jahr war ich noch nicht da, der Kollege hingegen war auf der Berlinale und hat Selfies mit einer von mir sehr geliebten geschätzten Schauspielerin gemacht. Mann, Mann, Mann! Zwiespältige Gefühle waren das, als mir das Grinsefoto zum Gruß geschickt wurde. Mitten in der Nacht auch noch von einer dieser angeblichen Partys, ein Trick natürlich, mit dem Berlin so tut, als gebe es dort ein Nachtleben. Ich kann aber nun sagen, die Frau Dings, die lächelt für mich schon sehr schön in die kleine Telefonkamera. Ist auch wichtig.

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Berlin liegt auch in einer anderen Zeitzone. Moskauer Zeit, da verschieben sich ganze Kalender, Feiertage, Geburtstage - man müßte alles neu denken, gerade, wo ich mich in den hiesigen Tidenkalender eingegroovt habe. Der geht minutengenau, mit Vorhersage.

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Wie selbst frisch verputzt, habe ich ganz in der Nähe einen Laden entdeckt, der tatsächlich noch textilummantelte Kabel in vielen Farben als Meterware führt. Was es alles noch gibt! Der Geruch dieser Elektroläden, die nur über Hintertreppen zu erreichen sind, halb Lager, halb Verkaufsraum, halb Restekiste mit überquellenden Pappkartons. Eine Jugenderinnerung, die Werkstatt der Väter, das Knistern der Transformatoren und Summen der Röhren. Großes Glück, dieser Laden führt tatsächlich auch noch kleine Isolatoren aus Porzellan, perfekt für Langdrahtantennen aus Klingeldraht, sogenannte "Hühnerleiter" und Dipolkonstruktionen.

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Denn abends wollen die Schauspielerin und ich Radio hören. Ferne Sender auf der kurzen Welle, aus dem knisternden Äther gefischte Signale, den rhythmischen Klang der Telegrafen, der Musik aus Sumatra und Hilversum. Beleuchtet vom Glimmen der Kathode und dem schwachen, grünlichen Puls des magischen Auges schrecken wir vielleicht bald mit angehaltenem Atem und eng zusammengedrückt wie auf einem Selfie nervös zusammen, wenn das gemorste "V" ertönt: Di di di daa, Beethovens V., wenn das Schicksal anklopft, gefolgt vom sonoren: Hier ist England.

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Die Französin Isa Marcelli macht schöne Schwarzweißfotos: entschleunigt, gar nicht grell, aber traumhaft erhellend. Bei all dem visuellen Geschrei all überall, empfinde ich das auch in aller den Zeitläuften entzogenen Blümchenhaftigkeit gerade als angenehm.

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Ich bin sehr naiv, auch was diese Schauspielerin angeht. Ich mag mich aber trotzdem. Vielleicht schreibt die mir.

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Ich muß ins Bett. Ich bin müde.

>>> Geräusch des Tages: The Passions, I'm In Love With A German Film Star

MerzBow | von kid37 um 02:01h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link