Donnerstag, 15. Oktober 2015


Lowlands



Herbst wird der Herbst erst, wenn Low ein neues Album herausbringen und mit einem Konzert ihre berührend einfach gestrickte, melancholische Decke über deine Stadt legen. Die Vorgruppe, anstrengend dahergeklampfte, von sich selbst ergriffene Küchentischmoritaten (irgendwas um C-Dur und G und D), wird freundlich verabschiedet, ("In Hamburg sagt man Tschüß!"), dann elektrisches Knistern (als wären die nicht geerdet, pah), eine sehr tiefe Bodenfrequenz übers Effektgerät hineinoszilliert und Low schaben los, sanft schwingend, extrem kontrolliert bis in die gelegentlichen Feedback-Ausbrüche hinein.

Das Trio aus Minnesota, quasi das Norddeutschland der USA (in einer kurzen Unterbrechung werden wir über die Wetterlage aufgeklärt), ist nicht da, viele Worte zu machen, sondern die frohe Botschaft zu verkünden. Im Publikum halten einige Herren, die sogar älter sind als ich, vielleicht wollten sie zum Downtown Blues Club oder Landhof Walter, auch hier im Knust tapfer durch. Sie hören Lieder über den sterbenden Affen, Abneigungen und Lügen, wie es ist, sich auf die Zehen zu pissen, allesamt stoisch vorangetrieben vom Standschlagzeug, unaufgeregt zersägt von rostigem Gitarrenkreischen. Wie das so ist, wenn die Dinge kaputtgehen. "Lovers sleep alone".

So ein Regenspaziergang im eisigen Hafenwind wäscht einen schön durch, klappt einem den inneren Mantelkragen hoch, wappnet gegen Erinnerungen und blümchenduftvernebelte Illusionen. Danach dann dämmrig mit der U-Bahn heimrumpeln, vorbei an zittrigen Lichtern. In klamme Laken schlüpfen.

Setlist Hamburg

>>> Geräusch des Tages: Low, Pissing

Radau | von kid37 um 13:37h | 15 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 26. September 2015


It's me!



Das Schöne am Reeperbahn-Festival ist ja, daß man da nicht darauf achten muß, ob man das coolste T-Shirt anhat oder die Schuhe spitz genug sind. Einfach alte Akkreditierungskarten und Backstage-Pässe herausgekramt, alles umgehängt wie winters einem Weihnachtsbaum, und schon erreichen einen auch als älteren Herren eine Menge großäugiges Geklimper und freundliches Geschau. Man ist eben parkettsicher hier in Hamburg, und wenn irgendwo eine Rock'n'Roll-Veranstaltung mit jungen Leuten ist, dann füge ich mich ein, passe ich mich an, ganz als gehörte ich dazu. (Auch bekannt als "Schulze-und-Schultze-Methode" und für exotische Reiseorte sehr empfehlenswert.)

Das nächste Mal nehme ich vielleicht einen abgewetzten Gitarrenkoffer mit, auch um meine Schätzchen von der Flatstock-Poster-Convention, die zeitgleich zum Festival stattfindet, nach Hause zu tragen. Dieses Jahr hatte ich Geld vergessen und wollte mir mit den mitgeführten 25 Euro gleich ein Limit setzen. Das reichte für einen hübschen Druck für Sleater Kinney. Erst ein Kollege mußte ich darauf aufmerksam machen, daß in einer schummrigen Ecke ein Plakat mit hohem Schwarzwertanteil hing. "Mulder, it's me" rief es mir entgegen, als ich erstmal die Brille geputzt hatte. Fast verpaßt, denn wahrlich lange ist es her, daß mir eine schöne Rothaarige hinterhergerufen hat! Alles nur, weil ich so mit VIP-Karten dekoriert war wie ein Weihnachtsbaum!

Derart auf der Reeperbahn willenlos gemacht kam es, daß ich erstmals in meiner Zeit in Hamburg diesen berühmten Geldautomaten an der "sündigen Meile" benutzen mußte, um nachzutanken. (Ich schätze, morgen ist das Online-Konto leergeräumt, an diesem Ort muß man ja mit allem rechnen.) Aber wenn man den Hals voll Backstagepässen gehängt hat wie ein Weihnachtsbaum, kann man schon mal coole Sachen machen. Um ein paar Maak bestückter, konnte ich dann die Nummer 6 von 8-und-unleserlich erwerben. (Wäre es eine "37" gewesen, ich hätte nicht überlebt.) Ich hoffe, ich kann recht bald in ein schönes Schloß umziehen, mir fehlen daheim wirklich die Wände.

Radau | von kid37 um 20:10h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Freitag, 25. September 2015


Urlaub #I



Endlich Herbst! Dunkle Wolken senken den hochmütigen Menschen wieder das Haupt, Schwermut und Demut schlurfen wie graue Geschwister mit ihren Decken zum nunmehr verlassenen Freibad. Drücken zögernd die Klinke des verschlossenen Tores. Verhallt, verhallt die Schreie und Juchzer der Kinder, die bunten Bälle, alle verweht. Endlich Herbst, sage ich, die Mühsal der sommrigen Urlaubstage vergessend, durchatmen in schöneren Kleidern, kein Schweiß, kein Speiseeis klebt auf meiner Brust. Sommerfähnchen hängen längst in den Schränken, Wespen zucken klamm in dichter gewebten Netzen fetterer Spinnen.



Könnte ich wählen, ich wäre ein Urlaub in Deauville, trüge mit nach innen gekehrter freudiger Empfindsamkeit meinen neuen Strandanzug und genösse kühlere Gischt und die ehrliche Ruhe der Nachsaison. Die Fotografin Kourtney Roy hat das für mich als stilles Glück verfilmt, eine Stimmung zum Mitnehmen, eine Heimat für schön schwere Gedanken, fern von goldenem Flitter und verlogenen Versprechen. Die Hitze zu kosmischem Staub verfallen, wie eine Blase verschrumpelt, als Nachhall nur noch wie giftiger Auswurf einer fernen Explosion. Tiefer atmen jetzt mit volleren Nüstern: Auf Ernte folgt Moder, ein Ende. Wenigstens Wahrheit.


 


Mittwoch, 16. September 2015


Am Ende ist alles schlumpf



In der wie eine durch Wunderkräfte energetisierte Wasserquelle verehrten und von schulpflichtigen Kindern mit im Kanon vorgetragenen lobpreisenden Liedern aus dem Jahreskreis bedachten losen Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr kommen wir hier heute im albernen Café zum Schlumpf (Schlumpfus schlumpfus).

Seine Existenz, obschon durch zahlreiche Schriften und dokumentarische Filme belegt, ist seit Jahrzehnten ein strittiges Thema nicht nur unter franko-belgischen Naturforschern, seine wissenschaftliche Einordnung im Linné-System der unerhörten Phänomene ebenso. Ich als gelehriger Schüler Jean-Henri Fabres zähle den blauen Gesellen zu den sozial lebenden Kleinsäugern, die über gewisse (und in diesem Sinne verblüffende) Kulturtechniken verfügen. Darunter zählen die Verwendung von Kleidung (ähnlich dem Igel, der sich im Herbst Blätter zur Bedeckung zusammenrecht) und einer im stark restringierten Code gehaltenen "Sprache". Der Name des Lebewesens leitete sich aus dem unverständlichem, stark vernuschel ten Lautäußerungen ab, der gleichwohl als ein Verständigungssystem zu werten ist, das den Individuen eines Gruppenverbandes

Ich weiß es doch auch nicht.


 


Freitag, 11. September 2015


The Show must go on



Das war ja früher immer so eine Idee, mit dem Kajak durch den höheren Norden, vorbei an Trotteln, Lümmeln und Robben vorbei in den Sechszehner auf die Suche nach dem Riesenalk. Wobei, mehr als ein Gläschen Aquavit trinke ich ja nicht mehr. Kürzlich beim Twitter gelernt, was es auf Finnisch heißt, daheim zu sitzen und sich in Unterhosen zu betrinken. Jetzt allerdings bereits wieder vergessen, irgendwas mit Kännit, soweit erinnere ich es, weil ich daraus einen Kalauer bastelte. Als hätte ich sonst nichts zu tun.



Nun kommen die Isländer ja nach Frankreich und neulich, als selbst ich mich so in der Sonne aalte, beschloß ich, doch lieber "was Vernünftiges" zu tun. Daher - immer vom Aal her denken! - machte ich mal was mit Tieren. Die sind immer so dankbar. Zunächst brachte ich dem stets zu Scherzen aufgelegten Antifantenbullen Edelgard ein paar Tricks bei. Wenn der jetzt irgendwo braune Kacke sieht, trompetet der wie ein Dreijähriger mit Allmachtsfantasien "Zertreten! Zertreten! Alles zertreten!" Natürlich nur zum Spaß, aber als Leiholifant für Anti-Nazi-Demos (jetzt nur mal als Beispiel) wäre er nun ein sichere Einnahmequelle.



Für mein Meisterstück irgendwo in Afrika kamen mir meine Erfahrungen als Burlesque-Entrepreneur zugute. Dennoch war es eine Heidenarbeit, eine quirlige Showgirltruppe als Chorus Line unfallfrei und ohne daß die pink gekleideten Federboamädchen über ihre langen Beine fielen, durch den Vordergrund zu schieben. Die eleganten Zebra-Unterhalter vom Schwarzweißen Block dann wie Tick, Trick und Track in die Mitte und als Höhepunkt, bitte eine Lupe herauskramen:



Simba, die Löwendame, ta-daa auf dem Baum. Schlußlied "Gefangenenchor" aus Nabucco, ich strecke den Zylinder in die Höhe, tosender Applaus, wildfremde Menschen fallen sich in die Arme. Anschließend Klingelbeutel.

Und wo sind die Feuerreifen? werden jetzt einige fehlersuchende Korinthenkacker rufen, die das Internet bevölkern. Meine Güte, ja, da fehlen die Feuerreifen, das weiß ich selbst. Eigentlich sollten die Mantelpaviane Pimpo und Limpo die hochhalten, damit die Löwen hindurchspringen können. Aber diese Affen haben die ganze Zeit herumgekaspert, die Proben gestört, den Federboamädchen an die Federn gefasst und auch sonst keine Albernheit ausgelassen. Und wenn ich eines nicht abkann, dann sind es Albernheiten bei der Arbeit. Also habe ich die rausgeschmissen, daraufhin haben sie mir die Freundschaft gekündigt, so als wären nicht genügend andere Tiere da, die liebend gerne einspringen würden, ein Krokodil zum Beispiel, aber nun drück' mal einem Krokodil einen Feuerreifen in die stummeligen Hände, das jedenfalls habe ich in gebotener Zeit auch nicht hinbekommen. Mit Feuer ist auch gefährlich, da spielt man nicht mit, nachher brennt die Bühne ab. Jetzt nur zur Erklärung, ich will da jetzt nicht ausführlich auf Einzelheiten eingehen.


 


Donnerstag, 3. September 2015


Na also, so geht es doch auch



Das war heute nach einer Reihe sehr unschöner Tage (also mental, aber auch von der Laune her) eine freudige Überraschung im Briefkasten. Die junge, charmante Nachbarin von ganz unten sah wohl Grund für mittlere Zerknirschtheit, ich aber von ganz oben eigentlich keine Ursache. Gehört habe ich jedenfalls nichts. (Das ist im Leuchtturm gut verteilt, die jungen Leute könnten hier oben ja auch die Lichter und Linsensysteme zur Orientierung für die Motorboote gar nicht bedienen. Nicht, weil sie dafür mental oder vom Kopf her nicht geeignet wären, sondern weil es dafür keine App gibt. Das läuft alles mit Hebeln und Rädern und Zugseilen und natürlich einem schlichten Baumwolllappen, mit dem ich den Spiegel... jedenfalls bekomme ich hier oben schon einiges mit, aber doch nicht alles.)

Zuletzt aber gab es doch Grund zur Klage, ein munteres Kommen, Gehen und Benehmen jüngerer Leute, die den Stadtteil hier entdecken und noch keinen Einführungskurs bei mir belegt haben. Da wird Müll im Treppenhaus abgestellt, Mädchenbierflaschen (voll, aber geöffnet, am 21.8.2015), To-Go-Becher (leergetrunken, am 15.7.2015), sogar ein Monoblock-Stuhl (pottenhäßlich von Haus aus, dazu noch versifft, am 25.8.2015) und so weiter - nicht, daß es mich großartig oder näher interessieren würde.

Ist halt so, höre ich immer wieder. Auch diese nächtlichen Geräusche, schlimme Musik darunter oder Möbelrücken (als Kid "Sherlock" 37 identifizierte ich es schließlich als Modell "Beddinge Lövås" eines sehr, sehr großen schwedischen, aber ansonsten ungenannt bleiben sollenden Möbelanbieters) müsse man ja auch mal tolerieren können. So jedenfalls schalt mich eine junge Dame, die selbst in einer sehr, sehr großen, hier aber ansonsten ungenannt bleiben sollenden Stadt in Deutschland lebt. "Toleranz!" sei das Zauberwort und Erinnerung an die eigene Jugend, während ich erneut diese nun objektiv wirklich schlimme und zudem wochenendferne Musikdarbietung zu mitternächtlichen Stunde beklagte und über den Begriff "Rücksichtnahme" sinnierte. Da war ich aber bereits wie von der Spitze meines Leuchtturms gefallen, also quasi unten durch. "Ick mach jetze ooch Musike und zwar laut!" grimmte es mir - glücklicherweise nur telefonisch - aus der hier anonym bleiben sollenden Stadt entgegen, und ich dachte, bißchen kindisch jetze gut, dann wird es wohl an mir liegen (gelernt ist gelernt).

Nun gibt es sie aber noch, die guten Dinge. Erst sprachen mich junge Nachbarn an, ob ich auch diesen Lärm in letzter Zeit mitbekommen hätte, worauf ich schallend lachen mußte und sagte, bitte nicht falsch verstehen, aber das freue mich sehr, daß sie so genervt seien. Denn wie meistens im Leben geht es doch nur darum, verstanden zu werden. Ich hingegen, schob ich ausgebufft und quasi großstädtisch hinterher, hätte selbstverständlich das Motto: "Leben und leben lassen!" (Da schauten die aber!)

Und nun diese rührende, buchstäblich herzige Geste der Entschuldigung, Einsicht, Rücksichtnahme und - jawohl! - Toleranz. Man möchte gleich eine knallelaute Party mit dieser Nachbarin all den Nachbarn machen. Mit Musik sogar! Ich such' aus! Nächste Woche übe ich mit den jungen Leuten "Mülltrennung" - es wird der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.


 


Samstag, 29. August 2015


Pendeln



Heute morgen, ich trug Kopfhörer und hörte gerade auf meinem MP3-Player die schönsten Walgesänge der 80er, 90er und die Besten von heute, kam die Durchsage Weichenstörungfeuerwehreinsatz oder auch gar keine, wie das bei der Bahn so ist, mal so, mal so. Jedenfalls fuhr die S-Bahn mal so wieder nicht. Nun sagen mir ja Menschen, die morgens eigentlich gar nicht die öffentlichen Nahverkehrsmittel für den Weg zur Arbeit nutzen, sondern die zehn Minuten mit dem ToGo-Becher unterm Arm lässig zu Fuß gehen, mit der linken Hand den persönlichen Feinkostmann grüßend, mit der rechten frisch gepflückte und von sauber gekämmten, in ökologische Wolle vom korrekten Naturschaf hineingestrickte Kinder gereichte Blümchen sammelnd, ich sollemichmalnichtsohaben, das bißchen quergestellte Nahverkehrerlebnisse immer, schlecht beduftete Menschen, verstockte Züge, exkrementierte Sitzplätze. So schlimm könne das gar nicht sein und mit ein wenig Tole...

Tollerei! Denke ich, aber nur sehr still bei mir. Ich schluckte daher, solcherart ja quasi sanft ermahnt, drei, vier an mich selbst und ein paar imaginierte Zuhörer gerichtete Kommentare herunter, öffnete meinen Strukturnotfallkoffer und zog spontan wie ich bin einen alternativen Reiseplan in Betracht. Wenn in Hamburg, so das S-prichwort, mach es wie die Hamburger. Fahr mit dem Schiff zur Arbeitstelle! Kann man machen, weil ich auch dort nah am Wasser gebaut habe, im Grunde genommen könnte ich sogar gleich von meinem Heim aus in zehn Minuten, ohne daß ich noch einchecken müßte, über ein, zwei Kanäle und zwei, drei Schleusen, also in zehn Minuten quasi, mit dem eigenen Boot - und wäre schon beim Einsteigen irgendwie in London Calling - I live by the River!

So also lautet nämlich das Hafenstadtschicksal, das es matrosenhaft zu ertragen gilt. Mit dem Schiff zur Arbeit fahren! Man trifft auf dem Sonnendeck nun immerhin gut belüftete Menschen, hält ein Schwätzchen, erklärt die Szenerie, wenigstens gut ausgedacht mit ökologisch korrektem, selbstgesponnenem Garn. Manchmal stehe ich sogar vorne am Bug und tanze zur milden Gaudi der Touristen und noch nachsichtigeren Verwunderung der hüfts-teifen Hamburger zur extra laut gedrehten Musik. Warum? Na, weil ich es kann. "What's for you, will not pass you by."

Daher auch entdeckte ich mit gerade einmal nur knapp zehn Jahren Verspätung die fröhlichen Jungs von Working For A Nuclear Free City. Deren Album "Businessmen & Ghosts" läuft nun bei mir auf dem Traumschiff über die Bordanlage, darunter Gute-Morgen-Lieder wie das begnadet betitelte Get A Fucking Haircut oder auch das eher zwiespältig betitelte Eighty Eight. Wer noch Auto fährt, hat da auch gleich prima Untermalung für über die Autobahn bei Nacht, es ist sogar so, daß man, um diese Musik zu hören, tatsächlich extra nachts über die Autobahn fahren möchte, wäre das nicht aus allerlei, auch ökologischen, Gründen quasi von Innen, vom inneren Naturschaf her verboten.

So hatte ich also recht seemännisch der S-Bahn ein Weichenstörungfeuerwehreinsatz-Schnippchen geschlagen. Ich stand an der Reeling, nicht mehr tanzend, dachte an diese Schauspielerin, was ich immer noch tue. Manchmal. Ist aber alles schon lange her.

Radau | von kid37 um 04:37h | 4 mal Zuspruch | Kondolieren | Link