
Samstag, 19. Oktober 2013
Würde ich mit diesem Blog noch einmal von vorne beginnen, flögen alle Farbfotos raus. Nur noch Schwarzweiß. Oder besser: graugrau. Wäre das nicht toll, ein Blog, in dem es nur regnet?
Gut, aber Bloggen ist, "what you are writing on the internet while you were having other plans", wie John Lennon einmal sagte. (Jetzt aus dem Kopf zitiert.) Es ist wie es ist, und sollte ich einen falschen Eindruck verbreitet haben, so tut es mir leid.
Am kleinen bemoosten Betonhäuschen, in dem die Müllcontainer übernachten, ein Centstück gefunden. Nun wissen wir ja von früher alle, wie das geht mit dem Glückspfennig. Dreimal draufspucken und immer in der Hosentasche mit sich tragen. Das bringt Glück! Man hat nur das Problem, wenn man von der Neigungslage her Shoegazer ist und immer nur die Smiths oder My Bloody Valentine und manchmal auch New Order hört. Das Schuhestarren bringt es nachvollziehbarerweise mit sich, daß man einen gewissen Vorzug beim Pfennigefinden hat. Was wenig Sinn macht, denn als Shoegazer hat man von der Natur her eine herzensoffene Haltung zur Depression, und da macht "Glück" als Konzept keinen Sinn. Aber siehe, auch dies ist bloß scheinbar. Denn die Heimtücke und gleichzeitig ironiegeträntes Schicksal ist, daß man als Shoegazer alsbald die Hosentasche dick gefüllt mit Kupfermünzen hat. Was schnell zu Haltungsschäden, wenn nicht zu blöden Sprüchen ("Is that a gun in your pocket...") führen kann, sorgt man nicht rechtzeitig für gewichtsausgleichende Verteilung. Linke Tasche, rechte Tasche (daher der Spruch), hinten was, bis man einen Gürtel aus Kupfermünzen trägt. Und dann geh mal im besoffenen Kopf nach einem shoegaze-verhangenen Konzert am Hafen nach Hause und rutsch vom glitschigen Kopfsteinpflaster über so einen Kai ins Wasser! Da kann man dann Spucken wie man will, da helfen einem diese Glückstaler wirklich nur wenig.
Aber das ist sozusagen Zukunftsmusik, denn bislang habe ich heute nur einen Cent gefunden. Das geht sich noch wunderbar aus, und es muß sich niemand voreilig eine Sorge machen.
Im Supermarkt, in den mich mein weiterer Weg dann führte, mag ich besonders diesen Drehständer mit Grußkarten an der Kasse. Dort am Point-of-Sale des besonderen Humors verkündet ein Schild: Heute schon gelacht! (Handlungsanweisung!) und ein weiteres: Humorpostkarten 1,10 €. Witzig wäre doch, so dachte ich heute, jetzt 110 Glückscents auf den Kassentresen zu zählen, und dann haben alle mal gelacht. Insbesondere die gut zwanzig Menschen, die in der Schlange hinter mir standen.
Am Stand der Bäckerei jubelte mir die Bäckereifachverkäuferin schon von weiten zu: "Ein Soundsobrot?" Weil ich nämlich alle paar Samstage dort ein Soundsobrot kaufe. (Das heißt natürlich anders, aber ich will den Namen aus gleich erklärten Gründen nicht verraten und auch keine Werbung machen. Nicht, daß ihr beim Bäcker denkt, ach schau, die haben da Soundsobrot, das ißt der Herr Kid doch immer. Dann kaufe ich das auch. Oder: Dann kaufe ich das extra nicht!) So ein Glück, dachte ich. Nach zehn Jahren in diesem Viertel, bin ich endlich aufgenommen im sozialen Netzwerk der Bäckereifachverkäuferin. Ich bin auch nicht unsichtbar, wie neulich gehofft befürchtet, man kennt sich, eine Art Herr Kaiser des Brotekaufens.
Schön, daß die sich so eine Kleinigkeit gemerkt hat. Andererseits, dachte ich aber im selben Moment, denn jedes Centstück hat bekanntlich zwei Seiten, was, wenn die sich heimlich (Achtung, ein Wortspiel:) ein Zubrot bei einem Geheimdienst verdient. Der dann weiß, aha, Herr Kid, Soundsobrot ißt der also auch, verdächtig, verdächtig, denn Kunden, die Soundsobrot essen, haben bei Amazon auch Bücher über Münzwesen und Aberglaube bestellt. Oder sie wurde von ihrer Bäckereifilialkette dazu verpflichtet, kundenvertrauliche Informationen an das Marketing weiterzureichen. ("Durchzustecken", wie es im Fußballdeutsch heißt.)
Ich werde das wissen, wenn demnächst Werbemails bei mir eintreffen, die mir nicht nur heiratswillige Damen aus Osteuropa, bischofsstabverlängernde Maßnahmen oder auch einfach bloß sinnlosen Kram andienen wollen, sondern insbesondere Soundsobrot. "Herr Kid, Sie sind ein Glückspilz!" wird die Betreffzeile lauten (weiß ich doch, ich hab einen Cent in der Tasche!). "Drei Tonnen Soundsobrot warten auf Sie! Rufen Sie heute noch an, sonst verfällt Ihre Chance! Telefon Null-TausendMark-666! Damen aus Osteuropa warten auf Sie für eine leckere Brotzeit!"
Sonst habe ich mal wieder nichts erlebt.

Donnerstag, 17. Oktober 2013
I have pulled myself clear.
(PJ Harvey,
"Horses In My Dreams")
Wochenende, Sonne im Herbst. Wozu soll das gut sein? Die tiefstehenden Strahlen enthüllen nur eins: Ich habe die Fenster schon lange nicht mehr geputzt. Guter Anlaß also, sich lieber die dreckigen Fenster anderer Häuser anzuschauen. Die sogenannte "Sachsenburg" in der weiteren Nähe ist ja beim Versuch, sie ordentlich abzureißen, etwas unglücklich in der Mitte durchgebrochen. Das sieht nun aus als hätte ein besonders zorniger Gott mit der Faust aufs Haus geschlagen. Oder ein sehr, sehr großgewachsener Dreijähriger. Jetzt steht sie so da als Trümmermahnmal, die Spitze im Nebel, die bessere Hälfte immerhin schon weggeräumt. Das ist wie bei mancher guten Ehe.
Ab und an mal den Hof fegen, dort wo Erniedrigte und Beleidigte Lieder aus Les Misérables singen oder wie die Jungstudentinnen unten im Haus ausnahmsweise nicht auf ihre Smartphones "phubben", sondern ihre in der Hand getragene Tiefkühlware laut kommentieren (in etwa: "Die werde ich gleich essen!" - "Hm ja, ich auch!" - "Oh, ich freu mich schon so.") statt - jetzt nur als Beispiel - einem älteren Herrn aus der Hausgemeinschaft die Tageszeit zu erbieten oder die Türe offen zu halten. Ich sage jetzt auch nicht, um wen es sich dabei handelte.
Ich schüttel da nur den Kopf oder tippe daran und schweige auch (aber nicht hier) über das frisch zugezogene, offenbar sehr religiös angehauchte Pärchen in der Wohnung unter mir. Zu allerlei obskuren Tageszeiten, heute zum Beispiel noch vor dem Frühstück, gerne aber auch mal mitten in der Nacht, wird dort sehr laut gebetet, wobei sich vor allem die junge Frau mit einer gewissen Inbrunst hervortut. Jaja! ruft es da zum Lob eines hoffentlich nicht ganz so zornigen Gottes, manchmal auch in direkter Ansprache "Oh, Gott!", gefolgt meist von weiteren, in einer gewissen Ekstase hervorgejuchzten Ja! Ja! Ja!
Mächtig was los also in letzter Zeit hier in diesem kleinen Leuchtturm, wo ich wie ein weltentrückter, bescheidener Bischof über Dingen schwebe, dabei aber nicht einmal einen Reliquienkeller besitze. Ein weiterer Grund, so mit halb zugekniffenem Auge und folglich unauffällig nach einer neuen Unterkunft zu suchen, ehe mir alles zusammenbricht wie die Sachsenburg. Es gibt da interessante Wohnprojekte, Mehrgenerationenhäuser, Menschen aus unterschiedlichen Richtungen und in unterschiedlichen Verfassungen. Ein federndes Gemeinwesen in nuce. Leider kann ich nicht gut mit Menschen, das könnte ein Problem sein. Ein Haus für mich, ein Axolotl und meinen eingebildeten Hund wäre da mehr nach meinem Geschmack. In Dorset gibt es ganz hübsche, und ich könnte bei PJ Harvey um eine Tasse Milch nachfragen, sollte es mir an solcher mangeln. Zucker hat die wahrscheinlich nicht. Eine Scheibe Brot vielleicht. Nach Kuchen frage ich ja schon gar nicht mehr. Obwohl man sich da nicht täuschen darf: Die schönsten Frauen entpuppen sich mitunter als begnadete Kuchenbäckerinnen!
Dorset ist mir jedenfalls zu weit, ähnlich wie manche vorgelagerte Stadtteile von Hamburg. Vielleicht sollte ich doch erst mal den Rest der Sachsenburg besetzen, äh, spontan ausgedehnt besuchen. Oben, von der Nebel-Etage aus, hat man einen guten Ausblick auf hübschen Wohnraum in der Stadt. Mir gefiele das.

Samstag, 12. Oktober 2013
Ich will nicht sagen, ich sei angefressen. Aber enttäuscht, das ein wenig schon. Auch wenn ich kein wirklicher Freund von Serien bin, hatte ich Hannibal lange erwartet, bin letztlich vorgestern ein wenig zufällig hineingestolpert. Na ja. Ich weiß jetzt gar nicht, was genau ich erwartet habe. Mir war es zu glatt. Zu sehr aus dem Baukasten. Jede Szene zeigt in erster Linie ihre Gemachtheit, da ist kein sinnvoller Fluß. Ein mörderisches Rezept, aber zu kalt serviert.
Das Casting, wie es in den USA halt sein muß. Wir brauchen einen Schwarzen in leitender Position, wir dürfen einen Asiaten nicht vergessen, am besten eine Frau, dann haben wir das auch gleich. Das Ermittlerteam beim FBI spiegelt brav die gesellschaftlichen Verhältnisse. Nicht aber die Vorschriften. Der Mann am Schießstand trägt Hörschutz. Die Frau, die direkt neben ihm und der Waffe steht, aber keinen.
Nur ein Beispiel. Medizinische Details, noch so ein Thema. Hanebüchene Erklärung der Ketoazidose. "Er erhöhte die Insulindosis". Ist klar. Mich wundern diese Schludrigkeiten bei Filmen, die ansonsten so über ihre ausgefeilten production values wirken. Der Kannibale im Schöner-Wohnen-Katalog mit Eileen-Gray-Beistelltischchen. Perfekt getönte Wände, ich habe gleich überlegt, meine eigenen noch einmal anzupassen.
Zeugen und Opfer tauchen auf und sind gleich wieder verschwunden ("ist verstorben"), halten den Plot nur auf oder schieben ihn unmotiviert weiter, vielleicht sollte man da aber bei der ersten Folge nicht zu hart urteilen.
Sowieso versuchte der Kollege mir mildernde Umstände unterzujubeln. Nicht jeder der jüngeren Zielgruppe kenne schließlich die Vorbilder, da könne man die alten Pointen ("Ich lade Sie und ihre Frau zum Essen ein") ruhig noch mal bringen. So wie den Einfall mit der "lebenden Leiche", den man schon aus Sieben kennt. Die Idee mit der Pilzkultur hingegen fand ich ganz originell. Ein schönes Bild, wie eine organische Skulptur. Dafür nervte rasch diese hingetupften, angestrengt auf "surreal" getrimmten Bilder von Hirschen, die durch Krankenhausflure wandern, überhaupt diese Super-Empathie als Behauptung. So als hätten wir nicht alle mal einen bösen Gedanken.
Hannibal scheint mir was für Leute, die, sagen wir mal, auch Coldplay gut finden. Rundgefeilte Ecken, Darsteller statt echter Charaktere, gutgekleidete Modemenschen, die tun als kennten sie sich in der Küche aus - und natürlich Klassik zum Essen hören, damit man als Zuschauer weiß: Da ißt ein Kannibale! Hopkins war schon etwas kippelig in seiner leicht affektierten Schauspielkunst, Mikkelsen sieht so gefährlich aus wie ein Männermodel auf den Einstiegseiten der Vogue. Bei The Fall beeindruckte mich, wie das Töten als umständliche, schweißtreibende-langwierige und abstoßende Handwerksarbeit gezeigt wurde. Nicht als eitle "Kunstform" für Menschen, die auch überdesigntes Küchengedöns im Hause haben, weil es sonst nicht mit dem Kochen geht. Lecter, der Manufactum-Killer mit der Klassik-CD-Sammlung von Zweitausendeins.
Ich hoffe, wenn Scully dazustößt, heizt sie ihm ordentlich ein.

Donnerstag, 10. Oktober 2013
Aus Gründen in den letzten Tagen viele Kurzfilme gesichtet. Über Fahrräder, Longboards, Jugendkultur. Es fehlt immer noch die große Billstedt-Saga, dabei wandern die Bagger und Kräne in Hamburg immer weiter nach Südosten, fressen sich durch Brachen, Grüngürtel und das Betongewölle der 70er-Jahre-Schlafnester.
Palais Schaumburg spielen am am Freitag. Keine Ahnung, ob ich das schaffe. Ob die mithelfen, eine neue Stadt bauen?
Brutal youth from the Stadtrand: Gewalt, Sexualität, Pubertätsplemplem - eindrucksvolles, teils verstörendes Video von Kid Wise. (Nicht sicher uff Arbeit.)
Wunderbarer Kurzfilm über Fastboy und wie er in der Stadt Räder baut. Die Liebe zu den Dingen, das Handwerk. Plus die ganze große Scheiße. Schöne Lehrstunde in Demut.
The Girls are alright: Gegründet in Madrid, gibt es die Szene mittlerweile weltweit: Longboard Girls Crew. Skatermädchen, die - so wie andere Silvester "ohne Jungs" feiern - ihr, wie heißt es?, "eigenes Ding" machen und zum Teil beachtliche Abschußfahrten unternehmen oder Stunts (würde ich als Vater sofort verbieten, falls ich nicht das Geld für eine Zahnzusatzversicherung hätte) oder einfach ganz gemütlich Plätze in der Stadt oder auf Landstraßen zum Cruisen erobern. Der kurze Film vermittelt die Atmosphäre. Es gibt viele Videos davon, und ja, es stimmt - die könnten auch alle Werbung für irgendwelche Modelabel sein. Zum Teil sieht man Sequenzen mit VW-Bulli, erst Surfen, dann Skaten, Sonne, Jugend, Lebensfreude, angerissene Jeans und bedruckte T-Shirts. Als einstudiertes Mißtrauensvotum würde ich nicht ausschließen, daß die Sache auch "ein wenig" gesteuert ist (womöglich von einem Mann). Ich selbst gebe aber mein Ehrenwort usw. Und man soll auch nicht alles kaputtreden.
Wäre ich schlau, würde ich sofort ein eigenes Longboard-Girls-Crew-Team sponsern. Kid-37-Skaters, so wie diese hier in Taiwan mit Frankie-Valli-Sound und Tanzchoreographie. Dann Ladengeschäfte in der Innenstadt, wo ich signierte Boards verkaufe. Ist trotzdem cool, vielleicht gerade weil Verbissenheit fehlt. Dafür, Tempo, Schrammen, Rock'n'Roll.
Tonnen davon.

Sonntag, 6. Oktober 2013

So. Während ihr alle wieder an den Buffets von Filmempfängen und Vernissagen rumhängt, die Nächte mit innerlich und äußerlich schönen Menschen durchtanzt, willkommen im Hort der banalen Geschichten und belehrenden Sonntagspredigten. Aber getanzt mit einem Twist!
Mir, der ich im Leben quasi nie etwas verloren habe - gut, mein Herz natürlich schon, die Liebe auch oder Zuneigung und das Vertrauen anderer, selbstverständlich. Aber was die dinglichen Dinge angeht, halte ich meine Siebensachen gerne und meist erfolgreich bei mir. Soll kein Angeben sein. Ist so. Andere können dafür gut... na ja, irgendwas können andere meist auch. Jedenfalls ließ mir der Verlust des Objektivdeckels keine Ruhe. Um eine persönliche Niederlage zu vermeiden, fuhr ich heute die Strecke nach, die Augen sozusagen wie die Nase eines Spürhundes auf die Straßenränder gerichtet auf der Suche nach einem schwarzen runden Plastikding. Alles nur, weil ich es zu nachlässig locker in die Hosentasche gesteckt hatte.
Ich fand aber nichts. Das heißt doch. Ganz in der Nähe, wo ich meinen Objektivdeckel vermutete, lag plötzlich ein offenbar nachlässig locker in die Hosentasche gesteckter, dann aber herausgefallener zusammengeknüllter Fünfeuroschein. Dasjanding, dachte ich. Und: Das kommt davon, wenn man Dinge nachlässig in die Hosen stopft! Dann fällt's raus. (Notiert euch das.) Auch dachte ich, Gott nimmt, Gott gibt aber auch und nahm selbst den Schein in vorläufige Sicherheitsverwahrung. (Wer kürzlich dort in der Nähe einen verloren hat und nun meint, ihn wiederzuerkennen, bitte dienliche Hinweise unter Glaubhaftmachung einer exakten Beschreibung an mich.)
Eine Zustoßung von Glück! Dennoch, der Deckel blieb verloren. Am Kanal hielt ich innere Einkehr, beobachtete den einsamen Schwan, der seit ein paar Wochen dort seine Solokreise zieht und dachte über die Bedeutung dieses offenkundigen Fingerzeiges nach. Was man verliert, so schloß ich, verliert man nur halb. Denn niemals geht man so ganz, auch wenn man weg ist. Zehn Euro kostet so ein Deckel, die Hälfte hatte ich also schon mal wieder drin. Man darf den Glauben nicht verlieren, muß aber auch etwas dafür tun und darf nicht zu Hause sitzen und meinen, das Glück oder auch nur ein Objektivdeckel klopften an die Tür!
Ein wenig ist es manchmal aber doch so. Denn was liegt bei meiner Rückkehr vor der Türe des Fahrradkellers? Ja, ruft es ruhig im Chor: der Objektivdeckel! Seit einer Woche treu ausharrend und nur wenig verängstigt hielt er sich zwischen Herbstlaub gepreßt, sicher nur flach atmend, aber wohlbehalten. Da heißt es immer, es lohne sich nicht, alte Wege nachzugehen. Mein Leben ist so reich! Fünf Euro im Plus, um genau zu sein.
>>> Geräusch des Tages: Sparklehorse with PJ Harvey, Eyepennies

Donnerstag, 3. Oktober 2013



Als Eleanor Rigby des Blogwesens gilt es, vom Feiertag zu berichten. Tilda Swinton ist in der Stadt, einen Preis entgegennehmen, aber man kann bei Frauen nicht immer auf Nein oder Nein, Ja oder Ja warten, also besser schnell den imaginären Hund angeleint und raus ins Freie. Sonnenschirm dabei nicht vergessen, es sind ja nicht einmal Wolken zu sehen. Ankreuzen gegen den Wind, und wenn einem der Wind entgegenbläst, herrscht ja eh die beste Stimmung. Nicht so auf dem Rad, kleine Pause daher unten am Kraftwerk, dort wo sich allerlei Vögel am Wasser sammeln. Auch die kauzigen.
Dabei dann den Objektivdeckel verloren. Ein Geschehnis mit Ansage, weil ich schon dachte, als ich den locker in die Hosentasche steckte, na, nicht daß der nachher weg ist. Schalt mich aber gleich selbst der durchstrukturiert denkenden Spießigkeit, also locker den Deckel in die Hosentasche gesteckt. Und nun ist der weg. Seltsames Phänomen, wie ich daheim nun schon fünf Mal in die Hosentasche griff, gleich einem nackten Mann im Angesicht der Steuerbehörde dort aber nichts finden kann. Jedenfalls keinen Objektivdeckel. Ein altes Taschentuch hilft hier nicht weiter. Immerhin habe ich den imaginären Hund nicht vergessen. Nicht, daß mir jetzt einer mit dem Tierschutz kommt.
Mehr Aufregung ist aber nicht passiert, das sind so die Tage, an denen ich im Anschluß ein wenig Schlaf finde. Ich komme jetzt in das Alter, so stellte ich an mir selber fest, als ich später im Fernsehen eine Landschaftsbesichtigungssendung vom Sofa aus verfolgte, in dem sich Männer für die Rosenzucht begeistern können. Das kommt nun auf meine Liste. Vor dem Löffelabgeben noch eine eigene Rosensorte züchten. Rosa triginta septimus, beliebt auch als Reisemitbringsel. Der NDR-Gartenmann verriet heute, daß man Mehltau mit einem Gemisch aus Milch (muß nicht laktosefrei sein) und Wasser vorbeugen kann. Das immerhin habe ich bereits gelernt, der Rest kann so schwer nicht sein.
Man braucht Pferdeäpfel dazu, jedenfalls gab es da mal einen Film mit Jean Gabin, so meine ich, der brauchte das immer für seine Rosen. Ich komme übrigens auch in das Alter, in dem Männer ein altes Gestüt übernehmen, das böte sich an, weil sich das eine mit dem anderen verbinden ließe. Dort könnte - jetzt nur als Beispiel - ab und an Tilda Swinton vorbeischauen, ungezwungen Ausreiten in eng anliegender Kluft, ein wenig Plaudern und anschließend mit einem Bund schöner Rosen zum Filmfestival fahren, weitere Preise entgegennehmen.

Dienstag, 1. Oktober 2013
zwischen Medizinbällen aus braunem Leder.
Wir tranken unser Soja noch aus Genen/
hielten Hunde aus dem Bauhauskatalog.
(Don Pascal, "Dein Liebster war ein Hipster")
Bei mir liegt ja alles immer nur so rum. In meinem Kopf, in meinem Zimmer, in meinem Viertel. Plunder und Zeugs, Plastikreste und durchweichte Kaffeefiltertüten, zerbröselte Eierschalen, Dinge, die wir nicht wissen, Dinge, die ich nur ahne, der Rest ist aus Polyester und Acryl. Ein Versagen an Lebensführung, so heißt es. Wie das oft so ist: Der eine verbettelt sich, der andere verbittet es sich.
Wie schöner ist doch der Dreck der Straße in den aufgeweckten Vierteln, wo die schönen Menschen wohnen. Hier wird nachhaltig gemüllt, hier zeigt man was die Tonne hat und leisten will. Hier wird biologisch verklappt, hier riecht Hipstermüll nach Oleander und Jasmin.
Seit ich auf den Lilienweg gelockt wurde, riecht es schwer und dunkel wie ein Mausoleum. Abends sitze ich mit einem Glas Getränk vor den harten Knospen, warte auf den Moment, da sie aufgehen, sich auffächern zur obszönen Größe, die Sinne vernebeln. Tage später dann der langsame Blumentod. Klagendes Altern, ich rede gut zu, tröste, belehre, halte einen aufmunternden Vortrag. Der Erde warst du entrissen, predige ich. Zur Erde wirst du gehen. Was Blüten halt so hören möchten, geht es ans röchelnde Adieu. Blütenstaub rieselt auf die Flächen, schwere Linnen, Gedanken hängen schwer wie ein Frachtflugzeug an herbstlichen Himmeln. Dann der Bescheid, das war wohl nichts, das kommt nicht wieder. Zusammenwringen also das Blumengestrüpp, einen Knoten machen, zum Müll bringen, leere Olivenölflaschen schmücken, vielleicht Kerzen ausbringen aus echtem Wachs. Schön, schön, schön der letzte Genuß.
