
Freitag, 19. November 2010
Coole Sache, hört man hier und da, und sie beklatschen die nächste Idee von white corporate oppression. Hier singen welche: I don't think so!
>>> I don't wanna <<<
(Immer daran denken: Das könnten eure Eltern sein.)
Knüppel frei: Die zukünftige Kanzlergattin kann "Stil" und "Stiel" nicht voneinander unterscheiden. Das könnte noch brisant werden.
Im New Yorker East Village liegt der ganz richtig so benannte Laden Obscura, Antiques & Oddities (Blog), eine Art Harrys Hafenbasar. Auf dem Discovery-Channel läuft nun eine mehrteilige Dokumentation über das Kuriositätenkabinett, eine wunderbare Idee, von der ich hoffe, daß sie bald nach Deutschland kommt. Noch besser wäre eine deutsche Version, und ich sage schon mal jetzt, die würde dann gerne ich moderieren. (Trailer)
Nie mehr aussehen wie von der Stange, sondern wie frisch aus der Zerreisse gezogen: Gibbous Fashions zeigt, warum viele Fashion-Blogger ihre Kleidersäcke gleich wieder einpacken können.
Holt das Kreppeisen raus. Denn dies hier ist Gothic. Wunderbare Bilderfunde aus den 80er Jahren. Ich könnte irgendwo darunter sein.
Dies wiederum könnte mir nicht passieren: Patti Smith hat den National Book Award bekommen. Ausgerechnet, so möchte man sagen, für Just Kids, ihr zwar schönes, aber doch schwächstes Buch. Aber wie sie einst in der TV-Show Kids are People too (haha) zeigte: man muß an sich glauben, mit einer Naivität und einer Inbrunst. (YT). Sehr schöne Nachricht.

Dienstag, 16. November 2010
Wie der Standard so schön zitiert: "Ohne Katzen - das wäre wie in einer Stadt ohne Bäume zu leben". Man sieht sie in Istanbul wirklich überall: kleine und große, schwarze und bunte, sehr kleine und ganz alte. Nicht die Bäume, sondern Katzen. In meinem Hotel schleicht morgens eine in den Speisesaal. Geduldig sitzt sie neben den Tischen, drängt sich nicht weiter auf, wählt jeden Tag einen anderen, den sie beharrlich von unten herauf hypnotisiert und um kleine Bröckchen angeht. Nie springt sie auf die Tische, nie gibt sie einen Laut. Abends wartet sie vor der Türe, wartet auf einen Hotelgast, um mit ihm zusammen hineinzuschlüpfen. Irgendwo im Haus wird sie ihren Schlafplatz haben. In den Gassen steht auf Treppenstufen und in Hauseingängen in kleinen Schälchen Futter bereit, Turkish Hospitality.
Zu jeder Moschee, so scheint es, gehört eine eigene Hauskatze, das mürrische Exemplar, das auf der Holzbrüstung vor dem Besuchereingang der Blauen Moschee wacht, läßt sich nicht beirren von all den fremden Menschen, sie sitzt dort und starrt in eine imaginäre Katzenferne, sie hat wohl alles schon gesehen: Wanderlatschen, Turnschuhe, schwere Stiefel, Socken mit Ringeln und solche mit Löchern, hat ächzende Touristen gehört, die in allen Sprachen dieser Welt sich im Vorraum schwerfällig ihrer Schuhe entledigen.
Die Hunde leben in Gangs, kleine Rudel vor dem hübschen Sirkeci-Bahnhof, dort wo einst der Orient-Express endete. Sie liegen dort in der Sonne, gähnen, schlafen, manchmal haben sie Streit, der aber nicht lange zu währen scheint. Sie schlurfen übers Trottoir, gehen die Grenzen ihres Reviers ab, aber auch sie drängen sich nicht auf, stehen nicht im Weg und wollen einem keinen Teppich andrehen. Den auf dem kleinen Schrottplatz, vielleicht ist es auch eine Baustoffhandlung, mag ich besonders. Er scheint von sanftem Gemüt, vielleicht ist er auch einfach nur naiv, so wie ich.
In Asien, Fernreisende wissen darüber zu berichten, sind auch die Insekten bekanntlich größer: Käfer, Schmetterlinge, man ist beeindruckt, welche Dimensionen solche Geschöpfe im wärmeren Klima annehmen können, und wie hart so ein Chitinpanzer werden kann. Ernst Jünger, der alte Faunist, wäre begeistert, er könnte die bizarren Geschöpfe in sein Notizbuch zeichnen, eine präzise Skizze fertigen. Aber der ist ja nun auch schon tot.

Sonntag, 14. November 2010
In dem Schuppen wurde das Rauchverbot sehr selektiv ausgelegt, und ich merke wieder: Ich brauche einfach länger zum Regenerieren. Das Nikotin vom Passivrauchen jedenfalls reicht wohl bis zum nächsten Jahr. Obwohl der Kollege tief in der Nacht einen famosen Sixties-Soul-Schrabbel-Ska-Schweineorgel-Set auflegt, tanzt leider niemand auf dem Tisch, und ich habe nicht das richtige T-Shirt dafür an. Macht aber nichts, zumal ich zuvor eine Imkerin kennengelernt habe. Ich nutze die Gelegenheit, Näheres über Aufwand und Gewinn, praktische Abläufe und, es geht ja nicht ohne, bürokratische Hürden zu erfahren. Versicherung, Steuern, Anmeldung, man glaube nicht, man könne es einfach so Summen lassen. Man muß sich kümmern, auch um das Kleinste noch.
Allgemeines Rumpeln und Pumpeln, Wiederentdecken und Aufstöbern, ein, zwei trinken sich selbst unter den Tisch, proklamieren das Ende vom Anfang, dann hinaus und zur Lumpensammler-S-Bahn, stotternd nach Haus. Halb fünf, Licht aus.

Donnerstag, 11. November 2010
Es war eigentlich erst am letzten Tag, nachdem das touristische Hauptprogramm erledigt war, beim Spaziergang hinter die Ausläufer des ägyptischen Basars, den Hügel hinauf durch enge Gassen bis zur Uni, die tatsächlich LaLeLi-Universität heißt, daß ich ein Gefühl für die Details bekam: Unten am Wasser in Eminönü stehen ehemals prunkvolle Bankgebäude, dahinter reiehen sich Bürgerhäuser, die seit hundert Jahren einsam leer zu stehen scheinen, das Moos wächst senkrecht an den reichverzierten Fassaden empor, unten haben Händler ihre verwinkelten Läden. Es wird ein Spaziergang gegen die Zeit, gegen das schwindende Licht in den letzten Abend hinein. Die Stadt ist reich an Texturen, meist meint man damit die Mosaiken im Inneren der Moscheen, hier ist es Rost und bröckelnder Putz in Ockertönen und Resten von Pastell, ähnlich wie in den ausufernden Gassen unterhalb des Galata-Turms, dort wo auch dieses trutzige Teutonia-Gebäude steht und die Dogan-Apartments, die in einem altem Komplex einer belgischen Bankiersfamilie entstanden sind. Filmsets für britische Geheimagenten und untote Blutsauger, ich könnte mir dort auch ein Zimmer mit Aussicht zum Nachdenken vorstellen.
Hier in diesen steilen Gassen sind nur wenige Touristen unterwegs, vielen ist der Fußmarsch den Hügel hinauf zu anstrengend, dabei wird man ja hinaufgezogen, folgt neugierig jeder nächsten engen Kurve, hinter der neues Staunen liegt, überraschende Kontraste, ein verwaschener Reichtum von Farben und Gerüchen.
>>> Istanbul through my eyes, ein tägliches Fotoblog

Dienstag, 9. November 2010
Nach dem langen Blick auf zerklüftete Plateaus und gewundene Flüsse legt sich das Flugzeug im Anflug auf Istanbul mit schönem Schwung in die Kurve, dippt erst die eine, dann die andere Tragfläche, ein Fliegergruß, wie das Links-Rechts-Blinken der Brummis auf der Autobahn. Alles, was ich übers Fliegen weiß, habe ich hier gelernt: Kontrolliertes Trudeln, Steil- und Sinkflüge, Navigation auf Sicht - wir hatten ja nichts. Sicherlich, so mußte ich mich schon des öfteren Belehren lassen, hat sich die Technik mittlerweile weiterentwickelt. Aber wenn die Maschine stalled ist es egal, wie alt sie ist. Im schönen Schwung also über die Vorstadt, die gestaffelten Hochhäuser der Wohngebiete sehen aus wie bei Sim City, ich klebe mit der Nase am Fenster, die Stadt scheint sich endlos weit zu erstrecken und irgendwo, mittendrin, wird die Landebahn sein.
Vom Flughafen aus geht es wenig kompliziert mit der U-Bahn weiter, wenn man mal kleinlaut unterschlägt, wie unbeholfen ich mich mit Koffer und Tasche und wenig Orientierung am Drehkreuz angestellt habe. Ein nochmaliger Dank an den Bediensteten des Istanbuler ÖPNV, der ohne weiteren Kommentar für mich die Sperre öffnete. Schweigen wir bitte, alles gut. Anders als in einer Doku bei Arte gesehen, in der der Korrespondent der Süddeutschen ein Bild des Schreckens über den Umsteigepunkt in die Straßenbahn malte, ist das Umsteigen in die Straßenbahn so einfach und bequem, daß selbst ich es schaffte. Man steigt natürlich, ein Blick auf die Karte erklärt das von selbst, zudem weist eine Durchsage darauf hin, in Zeytinburnu um und eher nicht in Aksaray - aber dann macht es in einer Doku über die wuselige Rush Hour natürlich nicht so viel her.
Die Tram hält praktischerweise fast in meinem Hotelzimmer, was aber kein großes Problem darstellt, denn sie fährt nur die halbe Nacht. Man lebt, der Orient ist nah, hier nach der Sonne. In dem Zimmer war zuvor David Lynch zu Gast, jedenfalls erinnert es mich an Lost Highway. Der Schrank ist so klein, es wohnt garantiert ein Zwerg darin.
Ich folge dem Geruch des Wassers zu den Fähren hinunter. Restmilde liegt noch in der Luft, so eine Art Katzenwärme, man streckt sich, atmet, dreht die Gelenke nach außen und in die herbstlichen Sonnenstrahlen, die vom Wasser reflektiert werden, das selbst hier vom Ufer her aussieht wie ein Paar sehr grüne Augen. Die Geräusche schreibt man sich besser schnell in eine Partitur, das Hupen der Autos, das Tuten der Fähren, das Rufen des Muezzins, dem von den sieben Hügeln der Stadt herunter geantwortet wird. Da bin ich also, denke ich, während ich aber schon angesprochen werde, keine halbe Stunde in der Stadt. Man wird dort, das weiß ich nun, eigentlich ständig angesprochen, von jungen Leuten oft, manche sind auch geschäftlich unterwegs, dann gibt es die Koberer, die vor den Restaurants warten, die alten Männer, die Schuhe putzen oder wertvolle, handgeknüpfte Dinge für den Haushalt verkaufen. Am Anfang aber habe ich noch keine Kamera um den Hals hängen, sondern mich wie Schulze & Schultze in Landestracht geworfen.
Ein junger Mann möchte von mir mit seinem Mobiltelefon fotografiert werden, er spricht mich auf Türkisch an, erklärt mir, welche Tasten ich drücken muß, wir kontrollieren das Bild, ich mache gleich noch eins, dann stellen wir lachend fest, daß ich gar kein Türkisch spreche. Er feiert gerade seinen Ausstand, wir reden nun Englisch, er hat seinen Militärdienst beendet und verbringt ein paar Tage in Istanbul. Ich auch, meine ich, während er ein wenig erschrocken fragt, was mit meinem Haar geschehen sei. Es ist grau, sage ich. Ich sei ein alter Mann. Er tut so - und diese Freundlichkeit muß man den Türken lassen - als glaube er mir kein Wort und lädt mich ein, ihn und seinen Freund ins Kneipenviertel am Galata-Turm zu begleiten, was ich ebenso freundlich - so viel muss man mir lassen - ablehne.
Ich muß jetzt nämlich erst einmal eines dieser Fischbrötchen essen, Balik Ekmek, die von gefährlich schwankenden, bunt beleuchteten Booten herunter verkauft werden. Bratfisch, Salat, Zwiebeln zwischen zwei Brothälften, dazu Salz und Zitrone und schon könnte man glatt sein Käsebrot vergessen. Man geht dort also nicht unter und verhungert auch nicht. Das zuallerletzt.

Montag, 8. November 2010
Gerade Alain Delon meinem Vater zum Geburtstag gratuliert. Er war gerade beschäftigt, weil er irgendein Gerät ausbauen mußte ("wart' mal, ich stell' dich auf laut"), und brummelte dann ein wenig jojo und neinnein. 2:28 Minuten, sagte das Display. Ich gebe zu, ich habe es durch Nachfragen etwas in die Länge gezogen. Die Wetterdaten haben wir noch getauscht.

Sonntag, 7. November 2010
Die angenehm kalte, aber sonnige Luft nutzte ich für einen meiner regelmäßigen Spaziergänge durch die von Gott und Welt verlassenen Gewerbegebiete, um tüchtig Auszuhusten und ein wenig zu Fotografieren. Erstmals nun wurde ich von am heiligen Sonntag dort Gewerbe Treibenden mißtrauisch aufgehalten, einer fuhr mir gar mit seinem Auto hinterher, um mich einer Befragung zu unterziehen. Nun ist es ja so: Gibt man zu Protokoll, man fotografiere gerne rostige Eingangstüren oder Dinge dieser Art, könnte man auch gleich behaupten, man nähe sich abends zum Schlafen in einen Pferdekadaver ein. Die Wirkung auf manche Menschen ist dieselbe. Man wird also ungläubig und eher noch eine Spur mißtrauischer beäugt, die Blicke wandern von meinem Gesicht hinab zur Kamera, dann wieder zurück. "Papparazzi?" fragt man.
Wer also gestern noch griente und dachte, jaja, Anger-Management, was soll das denn wieder geben, sieht nun die praktischen Anwendungsmöglichkeiten. Statt bissig zu kontern mit "die jagen nur Prominente, sind Sie prominent?", reicht ein knappes "Nein", (nie etwas erklären!), das läßt das Gegenüber ins Leere laufen. Und selbst wenn man sich für solche Fälle einen dieser Streetview-Apologeten im Kleinformat in der Fototasche wünschte, der nun wortreich etwas über Gesetze, den freien Fluß von Information, Zensur durch Unterlassung, globale Vernetzung und Gedankendurchfall in Echtzeit vortragen könnte - die Wirkung auf einem kopfsteinbepflasterten, müllübersäten Gehweg im trostlosen Nirgendwo scheint mir ungewiß. An der Türe, also an der Front, so heißt es in der praktischen Philosophie für Türsteher, diskutiert man nicht bereits geführte Diskussionen.
Ich hatte also dieses Schild, das sich vielleicht gegen Erwerbslose wendet, vielleicht aber auch anders gemeint ist - darüber lohnte es zu diskutieren - fotografiert, natürlich vom Bürgersteig aus. Ich trete doch nicht auf den Rasen. Nun aber blicke ich freundlich zurück ins Gesicht dieses Import-Export-Menschen, hinunter auf sein Mobiltelefon, das er griffbereit hält, und wieder hinauf. "Das ist so erlaubt", sage ich. "Privat?" fragt er. Ich huste dir was, krank wie ich bin. Ist eigentlich egal, denke ich, ich bin ja kein Suchmaschinenkonzern, sage aber nur knapp "Ja", schon allein, um ihn wieder ins Leere laufen zu lassen. Wichtig ist, erkläre ich dann doch, daß man auf öffentlichem Grund bleibt. Und ich öffne ihm ein gedankliches Panorama: "Wenn Sie ein Schiff auf der Elbe fotografieren, fragen Sie auch nicht den Kapitän." Er scheint nicht wirklich überzeugt und flüchtet sich in ein "Ich will halt mal nachfragen". Aber gerne doch. Man wünscht sich ein schönes Wochenende, ist ins Gespräch gekommen und geht weiter seiner öffentlichen Wege. Es geht um Details.
Zum Schluß noch die Einnahmen-/Ausgaben-Überschußrechnung:
[x] verloren (im Osten Hamburgs): 1 Okularmuschel DK-21 (Nikon)
[x] gefunden (im Straßengraben, öffentlicher Grund): 1 Gegenlichtblende HB35 (Nikon)
Der Tag nimmt was, der Tag gibt was. Die Blende paßt leider auf keins meiner Objektive, ist also gerne im Tausch gegen die verlorene Augenmuschel abzugeben.
