
Donnerstag, 12. August 2010
Mein kleiner Bruder hat sich, ich werde das bei Gelegenheit noch ankreiden müssen, nicht an die Reihenfolge gehalten und mich links überholt. Die jungen Leute können eben nicht mehr warten, dafür - hier wird genommen, dort gegeben - habe ich nun eine nette Schwägerin. Für die Zeremonie hat man sich eine sogenannte Kulisse ausgesucht, Wasserburg, schmucke Historie, blauer Himmel und Sonne dazu, ein ausufernd weißes Brautkleid und schwarze Anzüge, dazu ein Spalier kleiner Kinder, die Blumen werfen.
Während der Rede des Standesbeamten zucke ich immer wieder irritiert zusammen, wenn mein Name fällt, Also, Herr K, wenn Sie gleich Ja sagen... heißt es, und ich muß mich beruhigen, daß nicht ich, sondern mein Bruder gemeint ist. Vorsichtshalber aber halte ich mich als Ersatzmann bereit, ganz so wie es die Schwester der Braut tut, Familienehre usw., wer weiß, was ist, sollte den Leuten vorne am Tisch blümerant zu Mute werden. Tapfer aber halten alle durch. Beim Werfen des Brautstraußes sind nur ledige Jungfrauen Frauen zugelassen, mein Versuch, mich getarnt unter die Damengruppe zu mischen, fliegt sofort auf, und ich werde des Feldes verwiesen. Soll keiner sagen, ich hätte nicht alles versucht.

Montag, 9. August 2010
Nach einer weiteren schlafvermangelten Woche, in der selbst die nette Kollegin aus der Nachtbarabteilung Nachbarabteilung schon mitfühlende "mach mal Urlaub"-Mails schickte, ist leider auch so ein Wochenende nicht zum Bummeln da.
Meine liebsten Gerätschaften derzeit. Am Sonntag endlich wieder mal beschauliche 30 Km durch die Landschaft gebummelt, Kontrollfahrt um Deich und Wald und Wasser. Ein idealer Tag, Rücken schonen, Beine bewegen, die Temperatur gerade richtig, der Himmel schön bedeckt. Überhaupt, wie ich am Freitag sah: Die Herbstmode ist da! Hurra, denkt man, der Sommer ist überstanden. Meine kleine B&D auf der anderen Seite hat mich verläßlich wie schon das halbe Leben auch am Wochenende begleitet. Sie kann leider nicht schlagen, ist also nichts für den Beton in unserem Denken. Aber sonst surrt sie beharrlich durch im Weg stehendes Material. Ein abgeliebter Schatz.
Es kam so, daß mich die Weißfläche auf der Türe zu stören begann. Erst wollte ich wie die Damen, die ich neulich vorstellte, einfach alles mit dem Pinsel bemalen. Dann aber entschied ich mich für ein Loch. "A Hole to See the Sky through", heißt ein kleines Kunstwerk von Yoko Ono, bei der sie eine Postkarte mit einem Loch durchlöchert hat. Mein Himmel schien zwar auch blau, entpuppte sich aber als das Treppenhaus. Also habe ich das Loch gefüllt.
Man muß, das lehrt das Leben früher oder später, manchen Dingen rigoros einen Riegel vorschieben. Dem Fluten und Wogen, Pressen und Drücken. Das Ding schließt zu und auch - das könnte sich noch mal nützlich erweisen - wieder auf. Sobald ich meinem alles verbummelnden Keller die Sägeblätter entrungen habe, kann ich auch die Blende passend schneiden. Dann fehlt nur noch außen eine Stahlrosette - fertig. Hat gar nicht weh getan, abgesehen von ein paar unvorhergesehenen Widrigkeiten. So mißtraute ich als notorischer Skeptiker den Maßen der Einbauanleitungen und sägte folglich das Loch in der Tür zu klein. Leider, das ist eine unumstößliche Tatsache, hat man pro Tür nur genau eine Chance, es auf Anhieb richtig zu machen. Danach heißt es dann eben Feilen, Feilen, Feilen, bis die Maße stimmen. Hätte man sich sparen können, aber man kommt gut in Stimmung dabei, arbeitet irgendwie fröhlich fluchend pfeifend aus dem Schultergelenk heraus und denkt an die Tage, an denen man einfach Gott, die Welt und ihre Panzerriegel gute Männer hat sein lassen und am Seeufer lag. Sonntags dann die Schließkästen für alle Zeiten fest im Mauerwerk verankert, die B&D dabei ganz munter wie eine Operndiva Mimiimiii und Uijuijui tremolierend, ich hingegen bereits ein wenig übermüdet. Am Ende aber lobt das Werk: Mit Schlafsack und Notgepäck gewappnet habe ich abends dann das Äußerste gewagt und von außen abgeschlossen - und kam anschließend tatsächlich wieder - klackklack- in die Wohnung hinein.

Donnerstag, 5. August 2010
Jetzt, da endlich der große Regen eingesetzt hat, jener von dieser Art Landregen, der über Stunden und Tage und Wochen, in manchen Ländern sieben oder sieben mal sieben Jahre anhält, in all diesem Geplästere also mag man den Wunsch empfinden, daheim unter einem schönen Dach sich aufzuhalten. Langeweile gibt es keine, wenn man sich jene alten Damen zum Vorbilde nimmt, die ohne größeren Kunstanspruch und formale Ausbildung dahergehen und über und über ihre Wände bemalen. An diesen Beispielen aus Finnland oder Sardinien kann man schauen, wie es übermorgen auch schon bei euch aussehen könnte. Unbefangenheit und ein innerer Drang nach Ausdruck vorausgesetzt.

Dienstag, 3. August 2010
Er zeigt sich entspannt begeistert. So schön, betonte er, habe er es sich nicht vorgestellt. Fotos erfassten ja nicht alles, meint er, während er aus meinem Fenster lehnt und die Aussicht fotografiert. Ich erzähle ein bißchen von der Entwicklung auf dem Kanal, den jungen Leuten, die seit einiger Zeit in die Gegend ziehen, auf dem Wasser herumpaddeln und bald erste Galerien und Cafés eröffnen, wenn sie erst ihr Studium an den Nagel gehängt haben werden. Ja, sicher, meint er und beklopft die Wände, prüft das Futter in den Zargen, brummelt hm, hm.
Ich lotse ihn aus der Wohnung, wir gehen um die Insel, Schmetterlinge gucken, er stiehlt mit den Augen, beschließt, seinen Garten umzugestalten, fängt ein Gespräch mit einer jungen Gartenfreundin an, nachdem er wissen wollte, ob ich dort jemanden kenne, lobt also die Pracht der Gärtnerin oder vielmehr die ihres Gartens und zwinkert mir zu, als wolle er sagen, so macht man das, min Jong. Ich verdrehe die Augen und sage, jetzt laß uns mal auf den Flohmarkt gehen, um die Gärtnerin kümmere ich mich im Herbst, wenn Erntedank gefeiert wird.
Wir gehen also über den Flohmarkt, ich bemerke, wie er älter wird, schon ein wenig geworden ist, noch liegt keine Mühe darin, man ahnt nur, wie es bald um Augen, Rücken, Beine gehen wird, daß er nicht ewig mehr wird reisen können, daß er betüddelt werden will. Aber wer wünschte das heimlich nicht. Er findet alles groß und die Häuser so alt, und ich sage, keine Ahnung, es sei ja nicht alles weggebombt worden, nur den Osten, den hätte man gleich zweimal zerbombt. Erst die eine Nacht und dann in der zweiten, als die Staffeln sich verflogen, weil ja alles schon brannte, und die Bomben noch mal über dem bereits zerstörten Teil abwarfen, so daß die anderen Stadtgebiete glimpflicher davonkamen und dort, was nun alt ist, überlebte. Aber auch das nur mit Glück und in der Zeit, als die Stadtplaner schliefen. Und dann muß ich Atem holen.
Im Hafen ist ein Ereignis, und Schiffe gehen ja immer, vor allem, wenn sie groß sind. Mein Vater ist jetzt auch Filmemacher und hält mit dem schwächeren Arm eine Digicam hoch. Ich sage, wenn du noch die ruhige Hand hast, gehen wir anschließend zu Mare-TV, ich bringe dich groß raus. Ach, meint er. Die Kamera habe er doch bloß vom Aldi. Aber der sei ja jetzt auch schon tot.
Am nächsten Tag wandern wir die Elbe entlang, auf den Wellen glitzert die Sonne, Containerschiffe fahren ihre Fracht hinaus und liegen viel zu hoch im Wasser. In den Büschen am Wegrand hängen dunkel gefärbte Früchte. Ah, die Brombeeren sind reif, ruft mein Vater begeistert. Dann sei der Sommer ja vorbei. Ja, sage ich. Der Sommer ist wohl vorbei. Aber wir können uns auf einen schönen Herbst freuen.

Montag, 2. August 2010
Schiff-o-Gramm für die Lu.

Freitag, 30. Juli 2010
Gemütlichkeit und leise Melancholie, die Tiere wissen, wie man mit Stress umgeht
So also werden Jagdflieger aufgetankt
Die gefährliche Tüpfelhyäne lauert in der Dämmerung
Das letzte Einhorn wird Publikumsstar
Herr Kid läßt sich das mit den Bienen noch einmal genau erklären
Um den Mitternachtsradau in verqualmten Schuppen zu verarbeiten, lohnt sich ein Besuch in domestizierter Natur, aber nichts Spektakuläres bitte, keine verrückten Hummer oder Kampftentakelwesen. Bei frischer Luft nämlich platzt der Körper energisch wie ein grüner Hulk durch die ihn ummauernde Nikotinkruste vom Vortag. Es gibt allerhand zu sehen, während man sich von Kindern in Bollerwagen über den Haufen fahren lassen kann (bekanntlich aber überstehe ich wie ein grüner Hulk sogar aufprallende Autos ohne größere Nachfrage): graue Tiere, dicke Tiere, gestreifte Tiere, geschuppte Tiere, gerupfte Tiere, hoppelnde Tiere und harrende Tiere, Kopfübertiere und tauchende Tiere, abwesende Tiere und hospitalistische Tiere, freilaufende Tiere und elektrozaungesicherte Tiere, Hirsche-Tiere und unwirsche Tiere, bettelnde Tiere und akrobatische Tiere, Tiere, die gar nicht dazugehören und sogar ein totes Tier.
Wenn man aufpaßt wie ein Luchs, kann man sogar deren Nachwuchs beobachten, wie sie Premium-Content produzieren, Störche stelzen gewichtig am Ufersaum entlang, im Fledermaushaus riecht es wie im Hafenklang um vier Uhr morgens, irgendwo kreischt ein Kind, das an großen gelben Warnschildern vorbei an den Elektrozaun packte und nun nur noch vom Kreischen der Mütter und Großmütter übertönt wird, während sich die Tiere bedeutungsschwer an die Stirne tippen. Ein Bär macht Männchen, soviel hat er gelernt, ich mache ein Foto, soviel habe ich gelernt. Ein Mann erklärt mir, was ich hätte richtig machen müssen, und eine Schneeule versucht mich zu hypnotisieren, wendet dann aber lieber den Kopf um 180 Grad, als ich anfange zurückzustarren. Wölfe liegen desinteressiert und ein wenig faul wie mir scheint in der Sonne, man möchte sich gleich ein wenig dazukuscheln, wüßte man nicht, man stünde mit Flöhen wieder auf. Oder gar nicht.

Donnerstag, 29. Juli 2010
Den Vater anrufen, um ihm mitzuteilen, daß man ihm eine Mail geschickt habe, die er sich bitte ausdrucken möge, weil darin die Informationen stehen, die er benötigen wird, wenn er ohne Internet unterwegs sei. Wie man eine neue Art von Demut lernt.
"Hab ich längst gemacht", sagt er.
