
Montag, 23. August 2010
Eine alte Bauernweisheit besagt: Wenn es mit den Bienen nicht klappt, dann kommen die Wespen. Bei mir sitzen die kessen Ringelsummsen seit neuestem unterm Dach. Warum auch nicht, die Zeiten, in denen ich Fluchtwege über vereiste Dachpfannen suchte, sind ja lange vorüber. Kommt also keiner vorbei, können die Tiere bleiben, bis ihnen die ersten Nachtfröste den langen Schlummer bereiten. Nach etwas unruhiger Nacht döste ich morgens um sieben noch dem Sonntagsgottesdienst entgegen, als ich ein leises Kratzen und Schaben vernahm. Krz, krz, krz ging das, dann kam eine Pause und bald wieder krz, krz, krz. In meinem schläfrigen Hirn suchten klebrige Synapsen nach Zusammenhängen. War es der Geldgott, der mir eng zusammengerollte Euroscheine krz, krz, krz durch das Fliegengitter schob? War es vielleicht das Knarzen der Erinnerung, die mir krz, krz, krz wie mit langen Fingernägeln den verdrehten Rücken hinunterfuhr? Endlich fielen mir Groschen krz, krz, krz in die richtigen Schlitze und lösten die blinkende Joker-Anzeige einer ganz bösen Erkenntnis aus.
Im selben Augenblick, so muß man sich das vorstellen, hockte ich unter der Fensterbank, dort wo die etwas nachlässig verklebte Tapete eine kleine Luftblase bildete. Am oberen Rand ein kreisrundes Loch, daraus tanzten zwei schwarze Fühler hervor, krz, krz, krz knabberte sich eine Wespe in mein Schlafzimmer vor.
Man ist ja verseucht durch schlechte US-amerikanische Filme, in denen digital getrickste Ungeheuer im Auftrage beispielsweise des Sci-Fi-Channels halbnackte College-Girls jagen. Solche waren leider nicht anwesend, die Gefahr einer Attack of the Summing Killer-Wasps aber imminent! Ich also schneller als ein Kollegmädchen ohne Unterwäsche in die Küche geeilt ("ohne Unterwäsche" bezieht sich auf das "Kollegmädchen", bitte, danke), mich mit Essigessenz und einem Schwamm bewaffnet und dem Loch in der Tapete entschlossen zu Leibe gerückt. Essig, das wissen nur die Studierten in den Monsterfilmen beispielsweise des Sci-Fi-Channels nicht, gefällt Wespen so gar nicht, und so waren Fühler und Mandibel schnell verschwunden.
Ich spare jetzt die Stelle aus, an der ich sonntagsfrühmorgens wie sonst nur fischmarktverrückte Touristenschwärmer zum Hauptbahnhof fuhr, um dort im Drogeriemarkt Gift zu kaufen, den mutierten Schlafzimmerspannern Paroli zu bieten. Denn, so viel ist unter allen Umständen klar, Gift ist böse. Sind auch nur Tiere, diese Tiere.
Nutzt auch nichts, wenn so ein Nest erst einmal da ist. Mit einer guten Schicht Spachtelmasse verstärkte ich anschließend die vertrauensarm dünne Tapetenschicht, etwas Abstand zwischen mich und den Summsen bringend, eine Taktik, die als bewährt gelten kann. Nun, nach einer weiteren interessant traumreichen Nacht, heißt es Warten auf die Wespen-Fighter. Es muß leider sein, horrido, jetzt kommt der Herbst, der Nachtfrost ist da.

Sonntag, 22. August 2010
Den Fluß herunterfahren.
Bis sie verschwinden/
Draußen im Ozean.
(Abwärts)
Kein guter Tag. Billige Triumphe werden brühwarm serviert, ich zucke weitgehend still mit den Schultern, es ist nur der kurze Schmerz, wenn bestätigt wird, was man bereits lange ahnt. Was soll man schon sagen, außer eine gute Reise zu wünschen, den Schiffen hinterherzuwinken, zuzuschauen, wie sie den Fluß herunterfahren. Abends lieber Abwärts, Rod Gonzalez bedient dort ja die zweite Gitarre, man betanzt eben gern auch weitere Hochzeiten. Die Punkaltrocker spielen auf dem Rathausmarkt, Witze gen Senatsführung und ehemaliger Senatsführung bleiben naturgemäß nicht aus. Bremer Altpunks, ebenfalls musikbekannt, tummeln sich im Publikum, es ist überhaupt mehr so ein Familientreffen, kleine Schmetterlingstöchter werden geschultert, während Terror, Terror von der Bühne brettert. Überhaupt, nach all diesen miesen Nachrichten, ein schöner lauer Abend.
Nach dem Konzert dann rüber zum Gängeviertel gewandert, man feiert einjähriges Besetzen & Bestehen. Nachmittags schon ein kleines Interview fürs Feuerwehr TV gegeben, so als Mann von der Straße, interessierter Rentner, der mal schaut, was die jungen Leute machen. Ich glaube, ich war, bis auf den Bartschatten und das Krawall-T-Shirt, einigermaßen seriös. Abends also weiter die laue Luft, bunte Lichter, das Stimmengemurmel vieler Menschen und dieser elektrische Hauch von Erwartung, die nicht länger die meine ist.

Samstag, 21. August 2010
Vor fast einem Jahr noch guter Dinge, frisch verheiratet, voller Energie und mit noch mehr Plänen. Ein Schrittmacher, eine Stimme, ein Stachel im trägen Fleisch.49, meine Güte.
Mach's gut.

Donnerstag, 19. August 2010
Wandering man/They call me Sand
(Lee Hazlewood, "Sand")
Langsam ist der Punkt erreicht, wo ich mich ein wenig runtergekommen fühle, ausgelaugt, die Frage, "na, altes Haus?" nur noch schlapp mit "altes Haus, ja" beantworten könnend. Die letzten Wochen auf Reservestrom waren noch einmal besonders anstrengend, Arbeiten, Heimwerken, Familienfeiern und -besuche, Hin- und Herreisen, Projekte & Projekte - die liebe Leier eben, und dazwischen nur selten noch gestohlene Momente für Kino, Picknick, Landpartie. Mal ausschlafen, das wäre schön.
Als ich gestern so ein, zwei Zigaretten auf dem Unterarm ausdrückte über Urlaub nachdachte und den Sand zwischen den Zähnen knirschen spürte, überlegte ich, wie wohl Blixa Bargeld in Badehose aussehen mag. Wie er an einem krausgebürsteten Sandstrand einen lustigen bunten Plastikball mit Werbeaufdruck eine rostige Eisenkugel jongliert, sich in paisleygemusterten Badeshorts und sonst nur seinen Strohhut auf dem Kopf in die Schlange vor dem Eiswagen einreiht oder aus dem Liegestuhl heraus, ein eisgraues Getränk neben sich, den Damen beim Wasserski zuwinkt. Nirgends verliert man ja so rasch seine Würde als an den Gestaden der hochsommerlichen Belustigungsindustrie. Zu meinem Glück allerdings sieht es nach Regenschirmen aus.
Irgendwann dann, wenn ich Zeit habe.
>>> Geräusch des Tages: Einstürzende Neubauten, Sand

Dienstag, 17. August 2010
Das wird er sein, der Tag, an dem die Stopp-Streetview-Initiative Erfolg hatte:
Dabei wollen sie nur spielen, und wenn das Experiment schiefgehen sollte, nun, sie haben noch andere Optionen. So singen sie den body electric, aber sie dichten nicht. Sie verherrlichen die Maschine, sie beten zu der Maschine, sie stürzen sich voll glühendem Eifer in das Räderwerk.
Diejenigen, welche heutzutage Dinge benutzen wie Telephon, Grammophon, Eisenbahn, Fahrrad, Motorrad, Ozeandampfer, Luftschiff, Flugzeug, Kinematograph und große Tageszeitungen, denken nicht daran, daß diese verschiedenen Kommunikations-, Verkehrs- und Informationsformen auch entscheidenden Einfluß auf ihre Psyche ausüben.
(Filippo Tommaso Marinetti. Die drahtlose Einbildungskraft. 1913.)

Montag, 16. August 2010
Und todgeladner Drähte Kreuz und Quer
Sieht man die Spatzen flattern, nisten,
brüten, mausern, picken,
Als ob die Welt ein Schutzpark war!
(Carl Zuckmayer, "Lob der Spatzen")
Die Geschäftsauslagen zeigen es, die Wetterkarte auch, in den nächsten zwei Wochen wird im Supermarkt Spekulatius in die leer gewordenen Brutregale der nun gen Süden ziehenden Sommersaisonartikel rücken. Die Spatzen indes fallen bereits von den Dächern - kurz: der Herbst ist da. In der bei jungen Damen wie griesgrämigen Herren gleichsam wie die wöchentliche Prospektbeigabe beliebten und für zahlreiche Schmunzler sorgenden, ebenso fröhlichen wie lockeren Reihe Mit toten Tieren durch das Jahr kommen wir diesmal zum Sperling (Passeridae).
Ich habe da mal etwas mitgebracht, was man heute leider in vielen Gärten finden kann. Dieses Exemplar der verbreiteten Vogelfamilie mit 37 Arten nun kam auf eine Weise zum vorzeitigen Ableben, die wir dem Allroundgenie Thomas Alva Edison zu verdanken haben, dem Mann, der uns auch die Glühbirne schenkte. Dieser Spatz ist starr: Er landete sozusagen auf dem elektrischen Stuhl. Er flog, so meine akribische Tatortanalyse, gegen einen stromführenden Weidezaun und hat darüber wohl wie ein Flugzeug im Gewittersturm die Kontrolle über seine Bordinstrumente verloren. Man sieht daran, wie wichtig der Überspannungsschutz für Aviatoren im modernen Luftverkehr ist! An diesem Simulator kann man übrigens die kritischen Phasen nachvollziehen - ich komme in meinem mehrseitigen Untersuchungsbericht aber vorab zu dem Schluß, der muntere Geselle aus Avion Avignon hatte keine Chance. Man kennt das Problem der kurzzeitigen Bewußtlosigkeit des Piloten aus anderen Extremflugsituationen, die Verantwortung für diesen Flugunfall an höherer Stelle wird also nicht von der Hand, in die der Spatz ja bekanntlich besser gehört, zu weisen sein. Darüber wird also nüchtern noch zu sprechen sein, denn wie sagte Monaco Franze weiland so treffend? "Geh, Spatzl, ich tät mich doch niemals über ein so ernstes Thema lustig machen."

Freitag, 13. August 2010
ist wie der Weg durch eine Dornenhecke;
die Dornen sind die Erinnerungen,
die sich mir ins Herz bohren.
(August Strindberg. Inferno. 1897)
Die Rundreisen durch die alte Heimat zwischen Ruhr, Rhein und Wupper: Bochum ist immer noch die Stadt der asymmetrischen Haarschnitte. Dortmund ein pulsierendes U. Konsonantenträume: Man fährt durch Wupp und Witt und Wett und Hatt. Die Freundlichkeit der Leute. Der Busfahrer, der die psychisch auffällige Frau beruhigt, die atemlos eine wirre Geschichte erzählt, den Mitfahrern, wie eine von ihnen ins Handy kommentiert, bereits bekannt. Wie der Fahrer die Frau also sanft beruhigt, ihr einen guten Heimweg wünscht und versichert, daß bestimmt alles in Ordnung käme. Oder die Zugbegleiterin, die sich mit mir zuzwinkert und still amüsiert über das lautstarke "Yo brother, was geht ab?"-iPhone-Gerede auf dem Nachbarsitz, während sie stoisch ihr Gerät bedient. "Das Leben ist wie eine Bühne", meint sie und wünscht mir eine gute Reise.
