Freitag, 18. Juni 2010


Alles Eitel

Was itzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden.
Was itzt so pocht und trotzt ist Morgen Asch und Bein
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Itzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

(Andreas Gryphius, "Alles ist eitel". 1663.)



Bei Feinkunst Krüger neulich gab es das beste Public Viewing Hamburgs - Fußballbilder gucken und das Vuvufurza-frei. Man ist ja so dankbar in diesen Tagen: für etwas Ruhe, etwas Sonne, für ehrliches Spiel und kein falsches, für sportliche Abende, mannschaftliches Zusammenrücken und Getränke. Rudi Kargus, ja genau, der Ex-Nationaltorwart, malt heuer expressiv wie ein Titan der Pinsel, und Ulf Harten (ja genau, der von Nillosan) wringt nach herben Verlusten klassische Panini-Alben aus seinem Gedächtnis. Er könnte die Bilder montags tauschen gehen, aber ich würde sie nicht hergeben wollen.

Die Stimmung wie immer prächtig, die Gegengerade bis zur Straße hin gefüllt, ausgelassene Stimmung auf den Rängen, wildfremde Menschen lagen sich in den Armen, tauschten verschwitzte Trikots... aber da wußten wir noch nichts vom Serbien-Spiel. Auch das dauerte seine 90 Minuten, die Ausstellung ist bis zum 3.7. zu sehen.

(Rudi Kargus & Ulf Harten. "Alles Eiteljoerge". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis zum 3.7.2010)


 


Mittwoch, 16. Juni 2010


Um die bunten Häuser




Letzte Woche wurde in Hamburg darüber diskutiert, wie die regelmäßigen und von mir bewunderten Fahrradexkursionen des Herrn Kelly zu beurteilen sind. Mit seiner Gefährtin ist er dann mal eben vier, fünf Stunden unterwegs, besichtigt Gehöfte und Museen, führt Gespräche, liest währenddessen ein, zwei Bücher, macht viele Fotos und hat am Ende 65 km auf dem Tacho und einen ausführlichen Blogbeitrag zusammen. Doch, kann man schaffen, hieß es. Ich wies darauf hin, bislang gerade mal auf 42 Km gekommen und anschließend halb tot die Treppen zu meinem Leuchtturm hinaufgewankt zu sein. Aber gut, mein fliegender Holländer ist aus massivem Eisen und dazu habe ich immer Gegenwind, also ein echtes Radfahrerproblem. Nun gibt es aber nur zwei Dinge, die mir ein begeistertes Flackern in die Augen zaubern können. Über das eine kann ich vor 22.00 Uhr in diesem Internetz nichts schreiben, und das andere sind: Probleme. Man gebe mir etwas Geheimnisvolles, Herausforderndes, ein zickendes Linux-System etwa oder andere Dinge, von denen ich keine Ahnung habe, und sieht mich über Stunden abgetaucht, bis ich am Ende, erschöpft, aber glücklich mit dem Sicherheitscode für die deutschen Goldreserven wieder auftauche. Linux geht dann möglicherweise (aber nicht zwingend!) immer noch nicht, aber ich fühle mich trotzdem wie ein reicher Mann.



Als kleines Trainingslager vor dem Auftaktspiel der deutschen Mannschaft galt es dieser Tage, die magische Grenze zu knacken. Das Ziel war ein mythischer Ort, die Bunthäuser Spitze nämlich, wo sich Norder- und Süderelbe trennen, ein Umstand, der hier in der Gegend leider nur unzulänglich gewürdigt wird. Das Wetter umhüllte den Tag sonnig bis grau, auf den langgezogenen Industriestraßen (dabei immer diesen elenden Kalauer im Ohr, "Heute/fahr'n wir durch die Peute/Ja, wir..." zur Melodie eines bekannten Schlagers von Tony Marshall) natürlich wieder nur Gegenwind, dazu mischten sich Geruchswolken ungeklärter Schadstoffgrenzen, die mich auch gleich so benebelten, daß ich ab und an in die Irre fuhr - Hauptsache aber, der Kilometerzähler addierte fein mit.



Irgendwann fährt man aber gemütlich am Deich lang, dazu der Geruch von frischgemähtem Gras in der Nase, ein Versprechen auf Sommer also, links und rechts ducken sich an kleinen Anliegerwegen hübsche alte Bauernhäuser, kauern dort unter reetgedeckten Dächern, blinzeln mit einzelnen Fenstern zum Deichweg herüber, der weiterführt - an Kaffee und Kuchen vorbei - bis die Spitze erreicht ist. Der Ort selber ist eher unspektakulär: Der Leuchtturm hat die Höhe einer ordentlichen Bibliotheksleiter, von dort aus sieht man das Wasser, wie es linksheröm und rechtsheröm vorbeiströmt. Wo anderswo ein Deutsches Eck gebaut oder sich eine leichtbekleidete Blondine das Haar kämmen würde, um Schiffer und Radler zu verwirren, hält der protestantische Norden nur schlichte Binsen bereit (es mag sich auch um Schilf handeln), dahinter dann Wasser. Mehr aber nicht.



"Ich weiß nicht, was soll es bedeuten", wispert der Heine in mir, aber weiter geht's, Ausflugsgruppen grüßend Richtung Stillhorn und der A1, die Autobahn, die Wilhelmsburg fast unüberwindbar entzweischneidet. Fast unsicher ob der richtigen Richtung geworden, radelt auf einmal ein Mädchen auf einem schicken Elektra an mir vorbei. Wo so ein Rad hinfährt, kann es falsch gar nicht sein, denke ich mir, und fahre entspannt hinterher (Mit "Im Wagen vor mir" einen weiteren doofen Schlager im Ohr), habe sie aber bald verloren, bloß, weil ich mal kurz auf die Karte gucken wollte. Story of my life. Irgendwo nach Neuland führt der Weg, ein sprechender Name womöglich, entdeckt habe ich dort aber nur Wasserski auf einem Baggersee. Auch so ein Sport.


Im Moment, als die Anzeige umsprang, erschallten Engelstrompeten, die sich, es wird niemanden wundern, als südafrikanische Kulturplastiktröten herausstellten.

Der Rückweg dann mehr ein Kampf gegen die Uhr. Efeuumrankte Backsteinhäuschen, mißtrauische Stiere auf einer Weide, der Singsang der Vögel als letzter Gruß, eine Mehlschwalbe eilt mir voran, wie dem Ancient Mariner ein Albatroß, winkt mich weiter nach Wilhelmsburg über die alte Harburger Elbbrücke, ein erstaunlicherweise erhaltenes, über hundert Jahre altes Bauwerk. Die Luft füllt sich wieder mit den Ausdünstungen von Baustoffen, Gewürzen, Recyclinghöfen, die bemerkenswerte Mischung des Hafengebiets, über die - anders als über die Berliner Luft - noch kein Schlager verfaßt wurde. Die 50 Km nehme ich achselzuckend zur Kenntnis, denn längst tritt es sich wie von selbst. Bei 58 indes hätte ich zu Hause sein können und sehr, sehr gerne auch wollen, aber ein letzter... kleiner... Umweg... mußte noch sein. Die 60 springt um, olé, olé, olé olééé´, ich könnte jetzt locker noch... Aber nach fast fünf Stunden kann man es gut sein lassen. Ich halte fest: Es ist tatsächlich machbar, auch mit dem Holländer, der sich nicht als verflucht erwies - das Kap der 60 ist umrundet. Eine nette Tour, auf der ich mit erstaunlich vielen Menschen sprach, mit welchen, die nach dem Weg fragten, mit anderen, die irgendwo an ihren Booten schmirgelten und zuletzt auf der Elbbrücke mit zwei jungen Damen in schwarzrotgoldener Fanmontur, die vorbeirasende Autofahrer animierten und auf das große Spiel einstimmten. Doch ich muß weiter, ich lege nur alle sieben Jahre an.


 


Montag, 14. Juni 2010


Eine Watschn vielleicht



Jetzt im Angebot: Das Züchtigungsset. Für den kleinen Klaps für junges Gemüse. Nur 49 Cents. Und das beste: Haften bleibt nichts!


 


Samstag, 12. Juni 2010


Tröööööööööööööt!

Mich macht das irre.

Abhilfe: Ton aus und Atmo hören. Wer Kommentare braucht, kann sich hier welche rauspicken.


 


Freitag, 11. Juni 2010


Merz/Bow #23

Welch schreckliches Leben auf einen Gesangskünstler wartet, ist er des Englischen nicht akzentfrei mächtig, bewies ja bekanntlich schon Gudmunds Tochter Björk ("It rhymes with 'Jerk'".) Ich meine, hätte sie besser in der Schule aufgepaßt oder eine zeitlang in England gelebt, was hätte sie nicht alles erreichen können! Eine internationale Karriere vielleicht! Zurecht hingegen ist sie in Deutschland völlig unbekannt. Bei dem Englisch wundert es uns nicht.

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Mit Augen reden. Berlin: Heute abend zeigt die Strychnin-Galerie morbid-verspielte Puppen von Marina Bychkova, dazu Arbeiten von Wendy Froud und Virginie Ropars. Hamburch: Ausnahmsweise am Freitag bereits, also heute, eröffnet Herr Krüger mit Alles Eiteljoerge. Hm? Genau, Rudi "Elfmetertöter" Kargus (!) und Ulf Harten zeigen Fußballbilder, darunter nachgemalte Panini-Bildchen und solche Sachen. Bewegtbilder des aktuellen Anlaß' wegen gibt's auch! Entschuldigungen können also nicht gelten, wer den Kuranyi macht fehlt, wird nicht mehr aufgestellt.
Daheimgebliebene: "Blood Tea and Red Strings", ein berückender Animationsfilm ohne Worte, über den ich hier schon mal was schrieb, hat nun endlich einen Weg ins Fernsehen gefunden. Am 20. Juli auf 3SAT nämlich, falls gerade jemand seinen Taschenkalender bereithält. Christiane Cegavkse hat übrigens auch die animierten Zwischensequenzen bei The Heart is deceitful above all Things gemacht.

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Manche lieber hören als andere. Schon, weil sie ein anderes Timbre in der Stimme haben, die Wörter klangreich betonen oder mir gänzlich unbekannte benutzen, auf eine Weise, die ich sexy schön finde. @Telefon

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"Regionale Sprache wird in Großbritannien jetzt viel positiver gesehen; glaubwürdige, echte Typen in der Werbung beispielsweise sprechen regional gefärbt. [...] Ein "pures" Englisch klingt nach Elite, und das kommt nicht mehr überall so gut an." (Sprachwissenschaftlerin Lynda Mugglestone in der Süddeutschen Zeitung, 29./30.5.2010)

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Die japanische Kollegin mit dem charmanten Akzent, die morgens die Tür zu ihrem Großraumbüro aufreißt und ein herzhaftes "Moin!" ruft.

MerzBow | von kid37 um 12:00h | 6 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Mittwoch, 9. Juni 2010


Sehen & Ansehen



Videokunst ist an und für sich nur selten meine Welt. Es ist nicht so, als hätte mich nicht die ein oder andere Arbeit fesseln können, der kleine VW-Käfer etwa, der sich unermüdlich einen Berg hochquält. Aber für viele Dinge, die auf dem Konzept von Zeit basieren (konzertante Aufführungen!), habe ich zusehends weniger... Zeit. Dazu kommt, daß die meisten Kunstvideos auf kleinen, flackernden Monitoren präsentiert werden, die irgendwo zufällig im Ausstellungsbereich abgestellt sind (also dort, wo keine Wände mit Bildern zu füllen sind). Manchmal setze ich mich dann dorthin, aber eigentlich nur, um die müden Beine auszuruhen und etwas abgestandene Museumsluft zu schnappen. Fürchterlich.

Entsprechend gemäßigt erwartungsvoll besuchte ich die Präsentation der - Zitat - "bedeutenden Sammlung von Julia Stoschek" in den Deichtorhallen. Die nicht unbedingt an Verschüchtertheit leidende junge Coburgerin hat in den letzten Jahren eine beachtliche Sammlerkarriere hingelegt. Das klingt referiert meist so: BWL-Studium, dann Kunstinteresse, kurzentschlossen einige der wichtigsten Multimediaarbeiten gekauft, wie man das so macht, eine Sammlung begründet und, man braucht ja Platz und will auch was zeigen, mal eben gefühlt mehrere zehntausend Quadratmeter eines alten Fabrikgebäudes in Düsseldorf zum eigenen Museum umgebaut (e.V.). Um nicht ganz zu versauern, engagiert sie sich nebenher fürs Berliner KW und sitzt (man kann nicht immer rennen) seit 2008 auch in der Ankaufkommission des New Yorker MoMa. Mama, Hilfe!

Ein Geflecht von Stiftung, Sammlung, Sammlerin und bestalltem Kunst-Kommissariat hält das Luftschiff "Stoschek" seither auf Kurs, und man muß das nicht neiden, sondern beachtlich finden. Getreu dem Vorbild des edlen Stifters begrüßt den Besucher dann auch das überlebensgroße Porträt der Stoschek am Eingang der Sammlungsschau. Aber da finde ich das bereits schon wieder sehr ironisch, man muß die Dinge eben richtig machen und nicht auf halbem Wege zaghaft das Hindernis verweigern. (Juniorenspringmeisterin war sie übrigens auch.) Kurz und vorab: Ist super.

Zahlreiche beeindruckende und vor allem beeindruckend präsentierte Arbeiten zu sehen: wenig Monitore, viele Leinwände, manche in einen kleinen Lastenaufzug gezwängt (sehr schöne Idee), andere als zum Teil großräumige Installationen mit Split-Screens und Panoramablick (z. B. das wunderbare "True North" von Isaac Julien), darunter Klassiker von Hannah Wilke, Carolee Schneemann, Pipilotti Rist, Marina Abramović bis zu Schlingensief und, tatsächlich, Björk. Man sieht Männer, die aus Häusern brechen, Frauen, die ihren Nachbarn beglücken (endlich eine Kunstausstellung ohne verschämten "ab 18"-Bereich), tanzende Menschen in S-Bahnen (Tanzen statt Streiten, sage ich doch), Frauen durch Duchamps "Großes Glas" betrachtet, Diven in zerhackten Filmsequenzen (merke: Polanskis "Ekel" noch einmal sehen), Dinge, die man nicht versteht, andere, die man witzig findet und immer wieder das Thema "Zeit".

Die allerdings braucht man für den Besuch, weshalb - sehr umsichtig - die Eintrittskarte gleich an zwei Tagen gültig ist.

("I want to see how you see" - die Julia-Stoschek-Sammlung in den Hamburger Deichtorhallen. Bis zum 25.7.2010)

>>> Webseite der Julia-Stoschek-Collection


 


Dienstag, 8. Juni 2010


The Devil

I go out
To the old milestone
Insanely expecting
You to come there
Knowing that I wait for you there

(P J Harvey, "The Devil")

Da hocken wir also sicher in unseren vollverzinkten Blogs, während anderswo eine Frau in einem spinnwebverhangenen Keller sitzt und von ihrem Dämon singt. Ich weiß, das Album gibt es schon länger, bei mir geht eben wirklich alles sehr langsam, wie unter Äther sozusagen. Sonst hätte ich es 2007 schon wie ein fernes Wispern im Gebälk wahrgenommen. Aber da schlug sie mit ihrem verhuschten Jane-Austen-Spinster-Attire allen ein Schnippchen, die sie zuletzt mit viel Bein in kurzen Fummeln lieb gewonnen hatten. Lenkt nur ab, wenn auch erfreulich. Manche hatten auch ein bißchen Angst und Ehrfurcht vor ihr und ihrer Energie und Intensität bekommen, dabei sieht sie immer so schmal aus, daß man ihr heimlich ein Käsebrot zustecken möchte. Die Musik nun von White Chalk, das vorletzte Album also, oszilliert zwischen sanften Geklimper im Kreidestaubzimmer und dem Geräusch eines quietschenden Stücks Kreide auf dem zittrigen Weg die Wandtafel hinunter. Da ist so viel Liebe darin. Und Einsamkeit. Und Verzweiflung, daß es für mehrere Sommer reicht. Wenn Die Stille ganz besonders laut ist: And somehow expect/You'll find me there/That by some miracle/You'd be aware.

Prima Idee von euch und unausweichlich dazu, das Album gleich morgen zu erwerben. Alle.

Radau | von kid37 um 12:22h | 2 mal Zuspruch | Kondolieren | Link