
Mittwoch, 31. März 2010

Es gibt ja diese Tage, an denen hält man plötzlich einen Ball in den Händen, kann ihn spielen oder auch überhaupt nicht, und wenn, dann in diese oder auch jene Ecke werfen. Der Platz ist begrenzt aus den Linien der Entscheidungsfreiheit, der Pflicht, der Neigung, der guten und der bösen Sitten. Der Tag also, an dem es heißt, professionell kühl bleiben zu müssen, wenn sich die kleine gemeine oder auch schöne Gelegenheit ergibt. Wenn Hop oder Top einen Schalterdruck auseinanderliegen. Natürlich sind die Folgen viel zu belanglos, um überhaupt über Folgen zu reden. Aber man kann kurz einmal nachdenken, sich selbst beobachten, diese seismographischen Ausschläge zwischen Schulterzucken und Niedertracht, sich die abgeflexten Hörnchen reiben, ein süffisantes Grinsen aufsetzen oder einfach ganz kalt bleiben. Mal nach innen hören. Und einfach so weitermachen, als sei nichts. Weil der Gedanke an die Tat oft reizvoller ist als die Tat. Es ist bloß ein Job, und ich erledige ihn gewissenhaft.

Montag, 29. März 2010


Freitag nach Ende einer weiteren Komprimierungswoche durch Sturm und Regen schnell noch beim Café Smögen vorbeigekreuzt. Frau Fishy, zur großen Freude in der Stadt, hatte mir freundlicherweise einen Stuhl freigehalten, man findet ja sonst oft als nassgeregneter Matrose keinen Liegeplatz mehr. Also fix aus dem Ölzeug geschält und Herrn Bogdans musikalischen Ausführungen zum Thema schwere See und heitere Not gelauscht.
Der Besuch hat nicht das beste Wetter zur Stadterkundung erwischt, da muß man dann aber durch, von Bewirtungsstätte zu Bewirtungsstätte schwimmen, sich anstemmen gegen Kapriolen und blinkende Lichter. Wo ich bin, ist immer..., das kann man schließlich wissen. "Der Frost und die Frauen bringen die Männer um", heißt es bei Bernhard. Daher des Sonntags bloß ordnender Tau oder vorfrühlingshafte Ödnis: Belege ordnen, Akten sortieren, Ausweichstrategien gegen Steuerunterlagen erfinden - Politur mit einem Pinsel satt auftragen, zusehen, wie es einzieht in durstiges Holz.

Donnerstag, 25. März 2010

Erst Donnerstag und schon Träume von le week-end. Draußen lockt die Sonne selbst misanthropische Langsamdenker wie mich zu einer Art Nichtstun (während daheim schon wieder Elstern warten, Diebsgedanken im Hirn und jede ihr eigenes Fluchtfahrzeug). Ich freue mich über Blumen, aus hartverknospeten Wintermänteln brechen wie frischgemilchte Leiber hervor, wir lüften aus, wir sind Bewegung.
Aber nur bis zur nächsten Sonnenterrasse.

Mittwoch, 24. März 2010
Die Abende werden milder, endlich macht auch das Ausgehen in Hamburg wieder Spaß. Der Ausschnitt aus der teilweise berüchtigten, aber irgendwie anrührenden Dokumentation Mondo Cane zeigt das Nachtleben dieser Stadt, wie es sich seit den 60ern ja eigentlich nur maßvoll verändert hat. Bei 2:10 sieht man beispielsweise mich, wie ich den Kopf zum Nachdenken auf den Tresen lege. Heute allerdings raucht mir der Kopf, und das Stampfen der Maschinen ist kaum zu ertragen.
(Mondo Cane. Italien, 1962. Regie: Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi.)
via Rollinger

Montag, 22. März 2010

Samstag spontan festgestellt, ich kann nicht nur bis 37 zehn zählen, sondern fast bis hundert. Dafür entgingen mir, andere Geschichte, dann Sonntagmorgen doch noch Fischli & Weiss, ich weiß auch nicht, warum mir da der innere Antrieb plötzlich fehlte. Jedenfalls hat Hamburg jetzt eine Filiale von Walther König, Kunstbuchhandlung, kann ich alles leerkaufen - obwohl es mit Personalrabatt in der schönen Stadt noch schöner wäre. Hamburg hält Anschluß, die Zeit der Dorfmusik ist vorbei, auch wenn ich erfahren muß, daß Patti Smith heuer nur in der Bundeshauptstadt Bonnberlin spielt. Ach. Bevor sich aber bittere Züge um meine zugenähten Lippen legten, lieber die Gelgenheit genutzt, endlich einmal in The Coral Sea hineinzuhören und im wunderbaren Bildband Land 250 zu blättern. Ein liebevoll aufgemachter Begleitband zur Ausstellung vor zwei Jahren in der Fondation Cartier in Paris, in der die Sängerin ihre Polaroids zeigte. Manches vielleicht banal, vieles aber in seiner manchmal schlichten, dann wieder poetischen Beobachtung sehr fühlbar, reizvoll, witzig. Reiseandenken eines nun auch schon langen und eindrucksreichen Künstlerlebens. "Impressionen" sagte man früher, aber das klingt ein wenig betulich.
Sonntagsruhe: Ein wenig auf dem Teppich liegen, dort wo die Sonne ein Fenster hinmalt, telefonieren, die Enten von draußen hören, die den eisfreien Kanal feiern, die ersten Motorboote begrüßen, die hier elegant die Kurve nehmen. Krantage, wir werden alles frischüberholt zu Wasser lassen.
Herr Kelly hatte ebenfalls einen Patti-Smith-Tag. Die erwähnte CD-Box mit den ersten fünf Alben von Patti Smith kann ich sehr empfehlen. Zwar fehlen die Booklets der Original-LPs, aber selten hat man für zehn Euro (!) so viel gewaltige Musik bekommen. Wie eine Herde Pferde.

Samstag, 20. März 2010



Die ersten Abende mit milden Temperaturen locken auch in Hamburg die Menschen heraus, junge Menschen zumeist, die nun aus der Winterruhe erwachen und den Bienen gleich, sich aus ihren Stöcken heraus und auf erste Erkundungsflüge begeben. Gleich bildet sich wieder das Phänomen der Teenagertrauben auf den Gehsteigen, Unterhakmädchen, die mindestens zu dritt oder manchmal auch zu viert, den Gehweg blockieren, miteinander über die dünnen Kabel ihrer MP3-Player verbunden, ein symbiotisches Wesen, das auch gut in Türen träumen könnte. Die Mädchen zeigen ihre winters erworbenen Beinbekleidungen, wildgemusterte Lurex-(Alb-)Träume, enganliegende Stiefel aus buntglänzenden Satinstoff, zurechtzerrupfte Wickel über raubtiergefleckte Strümpfen.
Das aber bloß Wegbetrachtungen auf der Fahrt vom Rande des Sozialabseits in die Nähe der Reeperbahn. Hier, bei der Linda - die es leider nicht mehr lange geben wird, weil dem Kunstverein der Mietvertrag gekündigt wurde - eröffnete Judith Mall ihre Ausstellung "Secret Volume". Herr Kelly war so freundlich, mich darauf aufmerksam zu machen, zum Glück, denn während ich anfänglich regelmäßig chez Linda war, sind mir die Eröffnungstermine am Freitag am Ende einer Arbeitswoche meistens irgendwie zu frühspät.
Die atmosphärischen Schwarzweißzeichnungen der Hamburger Illustratorin gewinnen ihren Reiz aus ruhigen, lakonisch beobachteten Szenen. Arbeitswelten, Büro- und Hotelzimmer, in denen scheinbar unauffällige Details wie Radiatoren, Steckdosen, Mikrofone und Überwachungskameras hervorgehoben sind. Eine diffus mysteriöse Stimmung liegt über den (hier ohne Text präsentieren) Bildgeschichten, etwas geheimnisvoll Bedrohliches scheint hier vorzugehen. Vielleicht ist es auch bloß Einsamkeit. Sie fügen sich ansatzlos in die leicht runtergerockten Räumlichkeiten der Galerie, nach kurzer Zeit schon ist man selbst ein Teil dieser filmischen Szenarien geworden, eingesogen, als stünde man vor halbdurchlässigen Spiegeln.
Mit Judith Mall, die ich sehr sympathisch finde, kann ich ein paar Worte wechseln. Ein wenig bin ich aber abgelenkt von ihrem kleinen Tattoo auf dem Oberarm. Ich kann es hier nicht näher beschreiben, aber es ist das coolste Tattoo, das ich seit langem gesehen habe. Ganz große Begeisterung. Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. März.
(Judith Mall. "Secret Volume"". Kunstverein Linda, Hamburg. Bis zum 28. März 2010.)
>>> Webseite von Judith Mall

Mittwoch, 17. März 2010
Eins meiner Liebslingsklanginstallationen zur Zeit heißt "200 Tons Of Bad Luck", und wenn es so weiter geht wie bei Rise Up And Fight, kann ich bald wieder die mittleren Pink Floyd hören. Kommt alles wieder - wie ein zweihunderttonnenschwerer Eisenhammer, der vor- und zurückschwingt, während man den kopfhörerverkleideten Schädel im gegenläufigen Takt hin- und herbewegt, immer nur Zentimeter vom Treffer entfernt.
Apropos Treffer und scharfe Bemerkungen - oder Küchenmesser. Mir beim Zerschneiden einer etwas hartgewordenen Zitrone (die haben ja bekanntlich noch viel Saft) mit dem Messer erstmals von der Seite her den Fingernagel, ach was, den Finger ich sag mal bis zur Hälfte aufgetrennt. Während ich spontan ein mexikanisches Revolutionslied sang, den Finger abdrückte und zusah, wie dicke rote Tropfen auf meine weißen Küchenfliesen fielen, überlegt, für die nächsten Stunts doch besser ein Double anzufordern. Die Wunde, vom Zitronensaft gleich desinfiziert, pocht, heute Nacht werden mich pinkfloydische Träume heimsuchen, zentimeterdick die Wände bemalen und ölverschmierte Wesen aussenden, die mit glitschigen Fingern nach meinen Füßen greifen. Ihr möchtet das alles näher nicht wissen.

"Die Frage ist nur, ob Hegemann nun plagiiert hat oder nicht, und diese Frage ist trotz der mit enormen Aufwand geführten Debatte bis heute ungeklärt." (Frankfurter Rundschau, 17.3.2010)
Vielleicht hilft ja ein Speicheltest, ein Fall sicher für die Experten vom C.S.I., wenn das Feuilleton schon auf ergebnisloses Aussitzen setzt. Nichts genaues weiß man eben nicht.
Besser macht es immerhin Thomas Wolff im Magazin, der dem wahren "Lotl" ein informatives Porträt widmet: "ein recht unkomplizierter Typ". Wie ich also.
Das stärkste Stück aber steht wiederum nicht im Feuilleton, sondern im Panorama. Wie und warum das Buch von Norbert Leithold, der sich bereits als Norbert Bleisch einen Namen als Autor, aber auch als Regisseur von Schwulenpornos, gemacht hatte, wohl recht unvermittelt wieder von der Nominiertenliste des Preises der Leipziger Buchmesse verschwand.
Die beginnt morgen. Dann geht es weiter in Lurchis Possenspiel.
