Mittwoch, 13. Mai 2009


Im Wasser wohnen

Ich sehe gerade Prinzessinnenbad. Man sieht vieles, was man für jene Stadt als typisch empfindet, was an ihr befremdet und abstößt. Was man an ihr lieben kann. Die Kameraarbeit ist ziemlich gut, viele sehr gut komponierte Bilder, Tableaus aus abgewrackter Tristesse, in denen zarte Pflanzen blühen. Beklemmend, wie man ahnt, daß sie niemals diese Verhältnisse überwinden werden, die Welt in den Grenzen von Internet-Café, Freibad und Dönerbuden-Party. Und anrührend wie so vieles nicht anders ist als es immer war und überall. Der Kummer, die erkämpften Freiräume, der Zweifel, die Sehnsucht, die Unsicherheit. Immer diese Unsicherheit, für die wir später Masken finden.

Wäre alles anders, würde man woanders wohnen? Gestern schaute ich mir hinter dem Krankenhaus das kleine Viertel mit den Kapitänshäusern für Oberärzte an. Kleine schmucke Häuschen, alter Klinker, an dem der Efeu rankt, diese typische, heute etwas muffig wirkende Architektur mit dem großen Panoramafenster, der Wintergarten für die Mittelschicht. Dahinter sitzen alte Damen in der Sonne, lesen Romane von Erich Maria Remarque oder Novellen von Binding, rücken ab und an die Blumen in der Vase zurecht und lauschen dem Gesang ihres Kanarienvogels. Na ja, vielleicht stimmt das gar nicht, und ich glaube, es gibt auch keine Kanarienvögel mehr. Gleich um die Ecke kann man auch nett wohnen. Dort steht ein alter umgebauter Wasserturm, in dem die kleine Einliegerwohnung ja wohl hoffentlich noch frei steht. Ich werde mich als Ina Müller verkleiden, einfach mal leutselig klingeln und mich zum Tee einladen. Die Entdeckungen, die man macht, wenn man vom Weg abkommt und in Seitenstraßen gerät. So viele Geschichten liegen dort rum.


 


Montag, 11. Mai 2009


Mittag & Pause

Gerade eben beim Autohaus (das soll nur eine Ortsbestimmung sein, kein inhaltlicher oder kausaler Zusammenhang, auch wenn es dort auch eine Kantine gibt) einen televisionsbekannten Restauranttester gesehen, das Mobiltelefon am Ohr, wie das so ist bei televisionsbeschäftigten Menschen, fern, aber nah, fast so wie ich. Ich fühle mich auch häufig aus weiter Ferne so nah als Tester der ins Hintertreffen geratenen Lebensumstände, wenn ich frage: Was willst du eigentlich darstellen? Was soll das hier eigentlich sein? Ist das hier eine Schnitzelbude oder ein Lifestylerestaurant? Ehrlich, ich hätte ihm gerne kurz mal im Vertrauen mein Käsebrot gezeigt. So unter uns.


 


Sonntag, 10. Mai 2009


Heute die, morgen...

Mal kurz etwas ganz anderes. Eigentlich wollte ich auch ein paar Gedanken zu den geplanten Sperrungen, Indizierungen und offenbar höchst undurchsichtigen Verlistungen von Internetseiten zusammentragen; aber vieles wurde zu diesem Thema bereits gesagt und meist auch besser als ich es tun könnte. Die Kaltmamsell hat es hier vor ein paar Tagen kurz erklärt, dortselbst findet sich auch der Link zur Petition. Mittlerweile sind bereits deutlich mehr als die benötigten 50.000 Unterschriften erreicht, aber mehr ist auch in diesem Fall mehr. Die Zeichnungsfrist endet am 16.6.2009.

Hintergründe erläutert auch dieser Artikel bei Spon.

Tentakel | von kid37 um 22:22h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 9. Mai 2009


Putzig



Auch wenn ich nicht wirklich und vom Herzen her zu den early birds gehöre (ihr habt ja alle kein schönes Bett), lasse ich mich von der Sonne gerne auch am Wochenende zu einem frühen Start in den Tag überreden. Nach dem kleinen Wolkenbruch gestern abend blitzte die Landschaft draußen irgendwie wie frisch geschrubbt, und das muß inspirierend bis in die schattigen Tiefen meiner kleinen Kapitänskajüte gewirkt haben.

Bei Isa plauderten wir kürzlich angeregt über den Verbleib der Stachelbeere, was wohl ebenfalls inspirierend bis hinein in meine kleine Kapitänskombüse wirkte, und außerhalb der Saison wurde ich zufällig im schwedischen Feinkostgeschäft fündig. Ich muß sagen: Stachelbeermarmelade, nun comment dirais-je, stachelt einen offenbar so richtig auf - und in einem plötzlichen Energieimpuls dachte ich frech wie ein Schwedenmädel, Mensch, kannste ja mal wieder.

Ich also mit einer ollen Jeans, die Beine hochgekrempelt, die Haare hochgesteckt wie Cinzia in Hausboot feudelte ich mit Besen und feuchtem Tuch, ein Lied auf den Lippen, Pesto, Pesto Presto, presto, doing very besto wie eine Schweizer Kunstflugstaffel im Tiefflug durch die Wohnung, drückte mit einem kühnen Mamboschwung meines Hinterns die Tür zur Waschmaschine zu, setzte das Programm in Gang, hatte schon den Staubsauger in der Hand, in der anderen ein weiteres Wischtuch um die Deckplanken zitrusfrisch zu schrubben. Am Ende mußte ich mich glatt selber bremsen, weil ich plötzlich meine Nena Live-CD (fragt nicht) einlegte, das Tempo verschärfte und unentwegt ...ich putz dir ein Schloß aus Sand (aus dem Kopf zitiert) summte.


 


Donnerstag, 7. Mai 2009


Rrrrr



Die neuen Laufwege erkunden. Einen Brokkoli gekauft, mein kleines Grünkonzept, Kreise ziehen, Autohaus reiht sich an Autohaus, ein Lebensmitteldiscount, ein Lotto-Toto-Bistro. Ein Reservat der Mittagstische, mein Käsebrot ein tragbares Basislager, ein Stück Heimat, mein Rettungsring. Man muß die Kruste ringsum so abbeißen, daß ein Herz übrigbleibt.

Zwischendurch regnet es. Ich mag den Regen. Wie er alles dämpft, bedeckt, das aufdringlich Bunte ertränkt.


 


Mittwoch, 6. Mai 2009


Banale Bushaltestellenbeobachtungen



Mit dir stehe ich ja buchstäblich auf dem plattgefahrenen Kriegsfuß, o Hamburger Autofahrer, der du denkst, man müsse den Kreuzungsbereich nicht freihalten. Der du dich erregst, wenn Rechtsabbieger erst einmal die Fußgänger queren lassen. Der du dem archaischen Irrglauben anhängst, lautstarkes Hupen ließe ein vor dir stehendes Hindernis levitieren und löse jeden Stau in eine wabernde Wolke von Weihrauch auf, so als ginge eine besondere spirituelle Kraft von deinen protestantischen Straßen aus. Manchmal passieren auch kleine Wunder, wie heute, als der engagierte < insert eine gewisse Automarke >-Lenker dem vor ihm zögernden Fahrzeug mit expressiv herausgestellter Emphase, wildem Gestikulieren und durchdringendem Signalgeben quasi von hinten aufs Gaspedal steigen wollte, darob aber den eigenen Motor vernachlässigte. Selten ein schöneres Abwürgen betrachtet, begleitet vom nun einsetzenden Konzert der wiederum Blockierten, ach es muß raus, es muß raus, die stürmische See, das innere Wogen. Nun ist Schadenfreude natürlich kein feiner Zug, um auch einmal ein anderes Verkehrsmittel aber ein kleiner Charakter wie ich kann sich daran gut aufbauen. Es gibt einem den Glauben an einen gerechten Gott zurück und den Sinn für den Ausgleich alles Seins und Wirkens. Wo die Transzendentalisten die Existenz Gottes aus der Natur lasen, bleibt uns Urbanisten der Straßenverkehr. Die silbrig glänzenden Maschinen der Handelsreisenden sollen sein wie Schwalben am Himmel.

Ich hingegen stieg in den Bus der Liebe, Keim an Keim im Chor der hustenden Nahverkehrsbewegten und bin nun hier, in unserem kleinen Kloster und übe mich im Schweigegebot.


 


Montag, 4. Mai 2009


Und nun wieder wie immer

Morgens um sieben ist die Welt vielleicht noch in Ordnung, sicher aber noch nicht so geballt in den U-Bahnen unterwegs. Frohen Mutes also Kisten und Kartons auspacken. Es sei wie eine Klassenfahrt, rufen wir inmitten Papier und Folie und Bücherstapel. Aufgedrehtes Zimmerstürmen, explodierende Koffer überall. "Ich schlaf oben!" ruft einer. "Wie Stromberg!" ein anderer. Das Büro riecht neu nach leichtflüchtigen Lösungsmitteln, wie im Rausch suchen wir Papierkörbe, stecken unsere Köpfe in Rollcontainer, betrachten den Regen, der sich pünktlich zum Montag an die Fenster drückt.