
Freitag, 17. April 2009
Seit Jahren hatte ich um das Bauwerk gebangt, zu lange war dort nichts getan worden, nun drohte der Verfall. Oft dachte ich, das sei doch eine ideale Wohnstätte, oben der Ort für eine Galerie, ein Bett und eine Bibliothek, unten dann ein Partyzimmer Wohnraum, die Küche, selbst Platz, um seine Weinflaschen kühl zu lagern, ist genügend vorhanden. Zudem ist das Gebäude verkehrsgünstig gelegen, der Bus hält genau gegenüber, und abends ist es dort fast erschreckend ruhig.
Mehrere dieser Mausoleen stehen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, und mittlerweile haben alle Paten gefunden, die dort die Sanierung übernehmen und die Grabstätten später für sich selber nutzen können. Während des traditionellen Osterspaziergangs nun traf ich einen der neuen Besitzer. Der freundliche Herr saß in der Nachmittagssonne, bat auf ein Foto oder zwei in die gute Stube nebenan und gab sich auch sonst sehr auskunftsfreudig. Während also andere im Kleingarten sitzen, genießen diese Menschen ("Wir sind mit unseren Nachbarn hier befreundet") den Sommer vorm Totenbalkon und richten auch die ein oder andere Feier dort aus: "Wie ein italienisches Fest", hieß es. Partyzelte, lange Tische, guter Wein. Denn wer später eine chic möblierte letzte Ruhe finden will, sollte ruhig vorher schon gut leben. Es wird keinen wundern - elektrisiert lud ich mich spontan dazu, denn Gartenfeste, Lampions und Sepulchralkultur sind mir sozusagen ein natürlicher Lebensraum. Kunst fehlt vielleicht, eine melancholische Lesung oder (Eros! Thanatos!) ein tableau vivant mit entzückenden Damen, die in stiller Andacht und nur mit ihrem langen Haar bekleidet, etwas von Mary Wigman tanzen, vielleicht maskiert, um das Geheimnis zu wahren. Ich hätte da schon ein paar Ideen, einen dunklen Anzug und auch die angemessene Blässe.

Donnerstag, 16. April 2009
Bevor es hier also weitergeht, ich die Fäden, die man mir jeden Tag aus dem Pullover zieht, neu verspinne, ein kurzer Blick auf das, was andere machen, wenn sie nicht gerade den Twittertod sterben. Auch dafür war alles mal gut - die entblößten Hände, die Herzen, die täglichen kleinen und noch kleineren Geschichten, die sich nicht im Superlativ selbst daherbewerben, das in Fragmenten erzählte Leben as if no one was watching: I'm Still Her.

Sonntag, 12. April 2009
Rausfahren, heißt es, den Jahreskreis vollenden, aus dem Nebel treten und nur einmal melancholisch noch ins Feuer blicken. Den dicken Mond bei den Eiern packen, wieder etwas neu beginnen. Den Mund vom Boden nehmen, Rotz und Staub von der Nase wischen, Brille geraderücken, not so strong without these open arms*. Ich aber fühlte mich zu oft ankerlos, hafenlos. Fühlte mich vergessen, nur deshalb bin ich fort.
Und wie man ringt mit Stolz und Kränkung, verlorener Würde und Zurückkränkung, wie man sich selbst zusammennäht, die eigenen Fehler wie Handtücher zählt. Und wie die Zeit neue Schichten darüberlegt, dann endlich. Schatten um Schatten, durch die kein Glitter dringt.
Alles verbrennen. Den Rauch schmecken. Und selber wie die Igel flüchten.
* Yeah Yeah Yeahs, "Runaway"

Samstag, 11. April 2009
Wenn man just vergessen hat, einen L*nd-Schokoladenosterhasen vom Tisch der sonnigen Frühstücksloggia zu nehmen, will sich Vorfreude einstellen auf einen wunderschönen Herbst. Das Glöckchen um den Hals klang kläglich.

Donnerstag, 9. April 2009
Man wacht auf, die Decke übersäht mit den Traumfetzen der Nacht. Was beim morgendlichen Schwung aus dem Bett aufgewirbelt wird, durch die Luft schwirrt wie eine Traube irregeleiteter Schmetterlinge, gilt es zu sortieren, einzuordnen. Nicht alles kann mit auf die Reise durch den Tag, kann sich den Platz in der schäbigen Aktentasche teilen mit Pausenbrot und Thermoskanne. Da sind die angedachten und halbfertigen Gedanken, Erinnerungen, gute, böse, ein paar unzüchtige, die bleiben natürlich zuhaus, eine bißchen Gram vielleicht, Ärger mit der Fiskalbehörde, dem Stromversorger, Fetzen von heiligem und auch unheiligem Zorn, den man besser zerhäckselt, zerreißt, vielleicht als Würze bewahrt, als kleine Dosis für ein besonders scharfes Mahl. Ein doofer Satz, wie eine häßliche Motte. Eine süße Erinnerung, ein sanfter Geruch, eine Melodie, die je wacher man wird sich in einzelne Töne verliert, ehe sie völlig auseinanderfällt, erst ein Klingelton, dann ein Nichts, auf keinen Fall eine Symphonie, kein Welthit mehr. Eine Vorstellung vielleicht, das Bild eines Strandes, das am Morgen immer grober wird, eine Kinderzeichnung, dann Gekritzel auf einer Tafel. Jeden Tag neues Gepäck, ein neues Sortiment, Begleiter, die man weise wählen muß.
Seine eigene Blogwortwolke kann man auch anders bestimmen, drehen und wenden. (Leider ist der RSS-Feed hier im hermetischen Café nicht richtig konfiguriert, es funkioniert nur mit der schlecht bestückten Außenstelle.)
via Wordle

Mittwoch, 8. April 2009
- Hausmitteilung -
Abends zaubere ich schnell ein paar Putenstreifen, chilischarf, an roter Paprika. Dazu Ciabatta und Miles Davis im Radio. Man mag in der milden Luft bereits an den Sommer denken. Naked chefs in meiner Küche, ans Fenster hänge ich ein paar Lampions. Kochen wie die italienische Freundin, die zu Grabe getragen wurde. Der Flohmarkt in der Hamburger Heimat wird in einer makabren Synchronizität plötzlich zur Testamentseröffnung, das Erbe wird verteilt, strictly nur für Mitarbeiter. Taschen, Bücher der Starautoren, mit dem Namen des Projekts bedruckte schwarze Jacken. Schau, sag ich. Die könnte man zur Beerdigung tragen. Man will sich besser aufstellen, die Schlagkraft erhöhen, die Position ausbauen. Deshalb hat man es jetzt mal tot gemacht. Wie ein Osterlamm, das zuviel Gras fraß. Denk nicht drüber nach, es ist schon in Ordnung. Es sind nur Zeichen, die uns den Weg zum Ausgang zeigen.
Wir tanzen solange das Hasenballett.

Montag, 6. April 2009
Wenn man wie ich die Woche über hart mit eher weichen Sachen arbeitet, steht einem am Ende pflichtschuldigst erregt besungener Tage der erholungssehnsüchtige Hunger nach einem Ausflug in die Gebiete, die in der Stadt des weißkragigen Handels für industriell gehalten werden. Die meinem Stadtteil vorgelagerte Gewerbezone ist demjenigen, der gezwungen ist, seine Mittagspausen in Planten un Blomen oder an derAußenalster zu verbringen, ein sonntagsberuhigtes Elysium.
Schutt, Rost und hingefledderte Fernfahrerlektüre säumen die Wege, mein betagtes Hollandrad ächzt durch Splittermulden, aus denen Glas mir in staubiger Sonne entgegenglitzert, flirrendes Licht zwängt sich durch Maschendrahtzäune, ein melancholischer Rottweiler, der einen stillen Autohof bewacht, wufft mir hinterher, während ich juchzend, Wind bricht sich an meinen Ohrläppchen, so beschwingt geht die Fahrt, dem Geruch von altem Metall und Frühling entgegenreiteradle.
Ich bin das Schienenfahrzeug! rufe ich laut, eile an dösenden Monstertrucks vorbei, die schwarze Schatten werfen, durch die ich hindurchfliege, ein viel schwärzerer als sie, ein quietschender Vogel mit ausgeschlagenem Tretlager und zerschundenen Schwalbe-Reifen, die immer wieder Luft verlieren. Ein schöner Tag, die warme Luft läßt Farbe von den Wänden platzen. Die Menschen flirten wieder, wenn es denn hier bloß welche gäbe.
