
Freitag, 6. März 2009
Ihr Berliner da draußen! Ihr habt es gut, ihr geht nämlich heute Abend alle in die Strychnin-Galerie und schaut auf ganz eigentümliche Skulpturen: Raf Veuleman und Marc Janssen zeigen ihren eklatant eklektizistischen Kosmos aus Tod, Vergänglichkeit und dem Wunder der Tierpräparation, eine eher abgedunkelte Schönheit also und sicher nichts für die ganz Zarten unter uns Weltbetrachtern. Dabei ist das nicht weniger anrührend als ein Mädchen am Morgen, das ein viel zu großes Männerhemd trägt. Nur anders. Hier gibt es noch ein paar Informationen über die Künstler.
Wer wie ich in Hamburg bleiben muß, geht dafür morgen zu Feinkunst Krüger, wo Thorsten Passfeld einmal mehr seine großartigen Skulpturen und Bilder aus Holz zeigt. Witz, Biss und eine feinbestäubte Melancholie summen aus diesen Arbeiten, und wer heute in Berlin Memento mori! murmelt, wird morgen in Hamburg Ja, genau! rufen.
(Raf Veulemans und Marc Janssens: In Our Own Image. Plus: Christina Graf. Strychnin Galerie. Berlin, Boxhagenerstrasse 36. Ab 6. März 2009.)

Mittwoch, 4. März 2009
Am Wochenende lockte ein forschender Blick auf frischdiplomierte Kunst. Die Diplomausstellung der HfbK ist meist amüsant, interessant und guter Überblick über den akademischen Schwebezustand zwischen Epigonentum und frischer Idee. Die Malerei, meditativ, aber vermehrt gegenständlich, einzelne, vor allem die von unterm Dach (u. a. Anna Gestering) wirken wie gewohnt sehr "fertig", anderes wiederum nicht ganz so. Die Konstruktivisten und Bastelfreunde hingegen entziehen sich diesmal nicht völlig meinem Verständnis. Neben einer Installation im Industrial-Ambiente (tolle Sounds und mechatronische Instrumente inklusive) begeisterte mich vor allem ein überdimensionales Laufrad aus Metall. Durch eine schmale Luke stieg man ein und lief dann zum Geräusch einer quietschenden Bremse im Dunkeln entlang. Was einem sonst nur die ewige Mühle täglichen, emsigen Broterwerbs vermittelt, simulierte hier zugleich ein völlig neues Raumgefühl. Endlos gab der Boden unter einem nach, wie ein Hamster im Rad hätte man ebenso endlos - oder so weit die Puste reicht - weiterlaufen können. Doch selbst ich, für gewöhnlich ohne Arg, kam bald dahinter, daß ich so kaum je von der Stelle kommen würde.
Großartig auch die Fotos von Jo van de Loo, die er aus Nepal (muß ich hin) mitgebracht hat. Anna Cieplik fotografiert Details, Flächen, Strukturen, ganz unaufgeregt, fast abstrakt, das gefiel mir gut. Wie ein Rückgriff auf die 50er Jahre wirkten die sehr flächigen, bunten geometrischen Malereien von Monika Michalko. Wie unberührt im Zeitstrom, ihr Tableau vivant wirkte wie Dada-Theater, eine hübsche Idee auch für einen Nachmittag im Sommer am See. Am meisten haben mich aber die Sammelsurium-Skulpturen einer Künstlerin begeistert, deren Namen ich leider nicht entdecken konnte. Reliquiare aus alten Schrankschubladen, es grüßt der deutsche Einrichtungsmief der 70er Jahre, bergen Fotos und Allerweltskitsch und Kram, Flohmarktfunde, Haushaltsreste, alles an die Wand dekoriert, ornamental hochgewuchert wie ein gotische Kathedrale und zu Themenschreinen wie Pragmatismus, Terrorismus, Feminismus zusammengefaßt. Witzig, entlarvend, bitter oft. Und sehr, sehr schön.
Auch nach Jahren verlaufe ich mich immer wieder in diesem labyrinthischen Bau, aber das gehört dazu. Das Finden, nicht das Suchen. Die Kunst zeigt sich sowieso oft in den Details am Rande.
Mehr Fotos in den Kommentaren.

Sonntag, 1. März 2009
Expeditionskompaß und wasserfestes Logbuch gepackt, Traubenzucker, die Wasserflasche aus Metall - es gilt, Altschätze zu heben. Krims und Krams und Krempel, der Alltag soll bekanntlich schöner werden. Zwischen Büchern, abgewetzten Lederkoffern, Kriegskartenmaterial und 30er-Jahre-Pelz steht dieser Stubenhockerstuhl. Ein Blogger fände hier einen schönen Platz und verließe ihn nur selten, während er das Internet befüllt oder seine Zeitung liest.
In einem halb zerbrochenen Holzkasten liegt eine tintenbefleckte Ode an die Einsamkeit. Ein kaltes Fernrohr aus Messing gibt den Blick auf einen windigen Strand frei, ein alter Dynamo kommt ohne Fahrrad daher wie ein Herz ohne Körper. Aus einer rostigen Dose lugt ein 16-mm-Film hervor, ein Pärchen beim Tanz, die Dose ist ohne Beschriftung, wir werden das Wer und Wo nie erfahren. Vielleicht ein Film über die Fehler des Lebens, den man nur rückwärts laufen lassen muß.
Ich kaufe Dinge, die mir nie gehörten, ich klaube eine Biografie zusammen für ein Leben, das ich nie führte. Ich versuche, den Anfang von allem zu finden.
Im Ohr das peinliche Lieblingslied. 3 Millionen. So ist es wohl.

Donnerstag, 26. Februar 2009
Wie ich im Bad stehe und das herausgebrochene Stück Fuge neu verfuge (Hiermit wird verfugt, daß...), vor mich hinsumme, dummes Zeug, alles Fug und Trug, denke ich, und was das immer soll auf Fugen und Brechen. Was ich verfugt habe, soll Wasser nicht mehr trennen. Fugen lernen, auch ein schönes Buch. Nachtfug von diesem Schriftsteller, der Postfuger war, so wie ich es als Kind auch gerne geworden wäre. In einem winzigen Doppeldecker, manchmal war es ein Pappkarton, fug ich über Südamerika oder Alaska, landete mit rasanter Fugbahn in halb verlassenen Ortschaften und brachte die Post. Und Medikamente, immer ganz wichtig. Die Medikamente. Für ein fieberndes Kind, ein krankes Schaf oder den schlimmen Husten der Großmutter.
Die Fliesenpartie sieht gut aus, ich bessere hier und da noch ein paar schadhafte Stellen aus, ziehe die Fugenlippe immer schön diagonal über die Rillen, streiche die Ränder glatt. Wie neu alles wirkt, ein weiteres unentdecktes Land. Ich sollte kleine Fähnchen in die noch feuchte Masse stecken, das Fugengebiet reklamieren für Gott, für mich, fürs Fugenland. Ein vergnügter Monarch würde mir Orden verleihen, ein berühmter Orgelspieler donnerte Toccata und Fuge zu meinen Ehren und der elfenbeinernen Reinheit der neuen Kolonie. Tierarten würden nach mir benannt und nicht nur im Zorn, Fughunde würden es sein. Aufnehmen würde man mich im Klan der Fugger... gut, es geht jetzt etwas zu weit. Man soll sich nicht selber loben, das Werk muß für sich sprechen.
Morgen beim Duschen, wenn wir Auge in Auge, schutzlos und nackt gegenüberstehen und uns gegenseitig die Fugen zählen können, wird sich zeigen wie dauerhaft, hilfreich und gut sich alles fugte. Morgen dann.

Mich erreichte heute diese Videobotschaft, und sie hat mir sehr zu denken gegeben.
via Wurzeltod
(Und ja, ich weiß, es ist was virales, aber ich habe vor einiger Zeit den Piloten zu Breaking Bad gesehen und fand den super. Und ihr wollt es doch auch. Gebt es zu.

Dienstag, 24. Februar 2009
Mehrere Leben führen
Auf mehrere Schiffe gehn.
(PeterLicht, "Kopf Zwischen Sterne".)

Den Regen teilen, Zuflucht finden in einem dieser vielen neuen Cafés, die mit bedrückend vorgestanzter Inneneinrichtung entlang der Kopfsteinpflasterstraße den Charme einer gerade erwachenden Autobahnraststätte verbreiten. Draußen also Regen, es pladdert, plästert würde man daheim sagen. Früher habe ich Musik gemacht, genau so, aber du wolltest es nicht hören. Drinnen modelliere ich Mondphasen im Selbsterklärungsversuch, lasse eine Tasse um die Kerze kreisen, das Zuckerglas im Schatten stehen.
Den Wind teilen, später also, kleine Fluchten auf noch kleinere Inseln. Triste, zusammengeduckte Fassaden, abgeliebte Klinken, mühsam versperrte Gatter. Man hat sich selbst im Gepäck, die zwei, drei Träume für die Notration, und keine Mütze, immer fehlt die Mütze, wenn die schneidend kalte Luft um die Ohren pfeift. Eine vergessene Tasche an der Bushaltestelle. Ein verschlurfter Schuh. Eine demolierte Bretterbude. Ein Wochenende der stummen Lieder, vielleicht einmal kurz nur den alten Refrain, wirklich nur kurz, man kann sich ja selbst nicht mehr hören. Und will es auch nicht.

Freitag, 20. Februar 2009
Tausend Träume geträumt, von neuen Häusern, einer neuen Welt. Sich zwischendurch mal auserwählt gefühlt, ehe man doch nur wieder neues Mineralwasser heranschleppte. Die Kreide halten. Die Frühstückspakete packen, den Reiseproviant. Die Zeitung meldet, auch der Angsthase sei in der Evolution ein Siegertyp. Narben, Brüche, Falten, Adern. Neue Länder zu entdecken heißt, die weißen Flecken im eigenen Ich zu besetzen, Flaggen zu hissen auf der eisigen Insel Un (-berührt, -aussprechlich, -erkannt), auf der einem Meteoritenhagel gleich das ganz andere seine Spuren hinterläßt. Beim Wettlauf aber zu den eigenen Polen verloren wir die Schlittenhunde.
Vielleicht auch nur den Weg.
Echte Verluste indes sind andere. In short in between setting up my birthday shot yesterday and shooting and printing it I discovered that some 20 years of selected negs had been attacked by liquid carrying caustic substance, plaster, ash and 88 years of dust. Und auch danach bleibt immer nur das eine, die ewig gleich Mühle: immer weitermachen.
So now I just look for the next shot.
>>> Sowieso und hier bereits ab und an erwähnt: ein ganz wunderbarer stream of consciousness, ein schier endloser, dunkler Traum: Lauren E. Simonutti.
Nachtrag: Lauren E. Simonutti bei Ipernity.

Donnerstag, 19. Februar 2009
Während ich es also endlich geschafft habe, mich dem Werk PeterLichts anzunähern, ein Vorgang, der um so leichter fiel, je mehr der gute Mann abließ vom hingetupften Spaßsong, mir also die Lieder vom Ende des Kapitalismus (immerhin bereits drei Jahre nach ihrem Erscheinen) vom Ende des genannten künden und mir zugleich mit zaghaftem Klingeln Bestätigungsmails eines bekannten internationalen Buch- und Kochtopfversenders die Illusion vom Fortbestand des bargeldlosen Zahlungsverkehrs wahren - wenn es mit dem wahren Geld schon nicht klappt, jedenfalls und erst recht nicht, so lange das Hermetische Café nicht unter aufgespannte Schutzschirme schlüpft und seinem Autor Boni auszuschütten sich in der Lage sieht - während all dieses also geschieht (und wer sich dem Werk des PeterLicht ebenfalls nocht nicht genähert haben sollte, was ich angesichts meiner hochinformierten, urbanen, junggebliebenen und jeden Scheiß mitmachenden gebildeten Leserschaft bezweifeln möchte [Ihr müßt mir das doch sagen!], der erwerbe die Lieder vom Ende Kapitalismus jetzt oder schweige für immerdar), während dies alles sich also vollzieht, denke ich über Erschöpfung nach.
Es ist doch ein Umstand mit der Monotonie des immer wieder aufs Neue geübten Einsatzes. Dem Einsatz für Rendite und Wohlergehen von Kunden (gern), dem philantrophischen Konzernlenker (untertänigst) und - natürlich - meiner selbst (Bitte. Danke.). Am Anfang eines Jahres merkt man auch erst, welche Kraft das zurückliegende mitunter gekostet hat. Wenn man ausgelaugter ist als die Luftballonmenschen, die sowieso immer im Wind fliegen, egal aus welcher Richtung er gerade weht.
Ich bin dünner geworden, ein bißchen. Und nur ein wenig müde. Wie nach einer sehr lauten Party.
>>> PeterLicht, Lied vom Ende des Kapitalismus
