Donnerstag, 1. Januar 2009


Vom Rutschen

Fragt mich nicht, wo will ich hin.
Mir ist heut so Aspirin,
Zu Mute, drum bleib ich hier
Und meide Bier.
(Anon.)

Nach zwei eher ruhigen Silvestern, war mir zu diesem Jahreswechsel mehr nach Laut & Laster, Knall (ohne Fall) und musiksynchronisierter Körperbewegung.



Es ist ein Klassiker und doch immer wieder schön: Wenn sich die beleuchteten Schiffe im Hafen zusammenrotten wie Rehe an der Krippe und um Mitternacht das Tuten beginnt - man muß schon besonders verknöchert in der Herzkammer sein, dies nicht rührend zu finden. In den Himmel torkelten dann, etwas schwerfällig zunächst, diese kleinen, bunten, schwer verbotenen Heißluftballons, vollgepackt mit guten Wünschen, Vorsätzen, Hoffnungen und Absichtserklärungen, mit denen so ein frisches Jahr gleich zu Beginn geschwängert wird. Es war eine bezaubernde und gleichsam wundersame Nacht, die zeigte, daß die Abenteuer alle gleich vor der Haustür beginnen: Silvester unter Palmen, und achten Sie ruhig auf den putzigen kleinen Pinguin unten rechts, der ebenso fasziniert und erstaunt in den Himmel schaut, wie ich es manchmal tue.



Später spielten sie Musik aus meiner Jugend, etwas von Anarchie im Vereinigten Königreich, Kindern in Amerika und daß Schatzi nun einen brandneuen Cadillac besitze. Kommt alles wieder, bis auf den brandneuen Cadillac vielleicht.

Muß man sehen, wie es wird. Sicher bunt, sicher spannend. Väterchen Kid murmelte nach der Rede unserer großen Vorsitzenden etwas sarkastisch von "Währungsreform", aber er hielt ja auch schon nichts von den Aktien des Neuen Marktes.

Ein Jahresmotto habe ich bislang noch nicht. Die schönen Momente suchen. Weiter voran.


 


Mittwoch, 31. Dezember 2008


2008

Viele werden es gar nicht bemerkt haben. Aber so ganz schön fing es nicht an. Ein wenig, als wäre man spät aus einer Winterstarre erwacht, einem Erkennen entgegen. Bis die Sonne senkrecht steht, schattenlos und zwielichtfrei. Man plötzlich wie in einer schlechten Diskothek steht, den Hit de jour hört, dessen Refrain "I don't give a shit" heißt und eine Spur zu laut gespielt wird. Überhaupt immer dieses Laute, so als randalierten The Prodigy durchs Zimmer. Augen rollen, Ohren ziehen, Schulter zucken, selbstverständlich geht das auch besser, aber man schenkt sich halt nichts.

Nicht nur Augen reiben, Glieder strecken. Denn sich nicht mehr ausgebremst fühlen, hingehalten, heißt nicht nur Hänge runter, sondern auch Berge rauf. Ein neues Heim zusammengenagelt und gleich wieder verlassen: in die Nacht. Ein Schnaps, der zu rechten Zeit auf dem Tisch steht. Taten statt Warten: Durchtanzte Nächte, trunkene Runden, ein Picknick am Meer, in den Parks - und überhaupt die kleinen Reisen. Das merkwürdige Gefühl, wieder in Wien zu sein, nicht ganz bei sich, im Traum, in Therapie, nicht ansprechbar und dann doch so ansprechbar. Die verwunschenen Orte, die Freundlichkeit, das Sanfte, der stille Genuß. Die Menschen, denen das nicht eine Mühe ist. Danke.

Man braucht gutes Werkzeug, will man rostige Schrauben bewegen. Das Jahr brachte viele davon. Die Fahrten durch den Hafen, die Hedi nach langem wieder, die Sonnenuntergänge, zu denen eine Cowboy-Band singt, die Sorgenbrecher, dunkle Stuben, Tingeltangel. Atmen können, keine Ausflüchte, Ausreden, niemand, den man vom Sofa jagen muß: Be Young, Be Foolish, Be Happy. Endlich nicht der einzige sein, der die albernen Dinge macht. Danke.

Die Rückkehr in die große und mir wohl immer fremde Stadt. Zwischen Kunst und Hallo, die Angst, die Sorge, das Rückerobern, das Wiedersehen, die freundlichen Menschen. Danke. Überhaupt, die Kunst. Tolle Ausstellungen gesehen, interessante Menschen getroffen, neue Ideen getankt. Allein dafür Danke.

Was man liebt, muß man freigeben. Wenn zwei Schiffe auf Kaperfahrt sich begegnen, jeweils von den glitzernden Galionsfiguren des anderen fasziniert, eine Zeitlang Seite an Seite liegen. Und dann doch in verschiedene Richtungen segeln, vielleicht den ein oder anderen Enterhaken dabei, das ein oder andere Festmachseil übersehen. Man sieht sich noch, für eine Weile, fern am Horizont, bis die Segel immer kleiner werden und alles außer Sicht gerät. Wie man die Flaggen wechselt. Die Meere sind bekanntlich groß und Zufälle selten. Wir werden noch lange segeln. Am Ende aber, nachdem ich alle Planken neu zusammengesetzt habe und alle Splinte und Nieten kontrolliert, kann ich gute Reise wünschen. Und, auch das, Danke sagen.

2008 war auch das Jahr, in dem der Tod, sonst kein Gast in meinem Haus, sich wie eine skrupellose Mietnomade benahm. Zu jung, zu brutal, zu unverständlich. Hau ab, für dich Skandal ist hier kein Platz. Nachrichten nämlich sollen so romantisch und hoffnungsvoll wie diese sein.

Die Hoffnung, ein zartes Herz, trägt bekanntlich schöne Strümpfe, und da gehe ich gerne mit. Anderes sehen, eine neue Sprache lernen, weiter wachsen, langsam und nichts beschreien.

Tschüß, 2008. Du warst nicht das versprochene "super Jahr". Aber auch keine Schlunze wie 2007. Heimkommen, genau. Ein Jahr, in dem ich bereute und bereue, mir zwar nicht verziehen wurde, aber doch ein gutes Jahr, eins, das die Bremsen löste, viele schöne Momente brachte. Und nur die sind es ja, die man später erinnern wird.

Ich.

Ich lasse nachher im Hafen die Schiffe tuten. Hört genau hin.
Allen ein gutes neues Jahr.

| von kid37 um 20:01h | 16 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Montag, 29. Dezember 2008


Festhinher




Wenn man erst an Heiligabend fährt, sind die Züge nicht sehr voll. Man hat Platz, für sich, den Mantel, drei Geschenke oder mehr und Thomas Bernhard. Sobald im hinteren Teil des Wagens der kleine Linus und sein Bruder, der doofe Paul, Sitzplatz-, Besitzstands- und wohl auch Fragen der Erbfolge geklärt haben, finde auch ich Muße für Lektüre, betrachte die Monotonie der norddeutschen Landschaft, die verschiedenen Töne von Grün und Grün und Grau und höre mir an, wie der Zugchef über die Sprechanlage die Menüs verkündet, die "Spitzenkoch Helmut Sowieso" just in der Bordgastronomie in Wagen 35 bereitet hat.

In Dortmund großes Umsteigen. Die Frauen tragen jetzt lustige Hüte, denn eigentlich sind sie hier alle verzauberte Feen, Menschen aus dem Ruhrgebiet wissen das. Weiter Bernhard gelesen. Danach deprimiert. Die Natur bringe unaufhörlich alle möglichen Verbrechen, darunter die Menschenverbrechen, hervor, die Natur sei von Natur aus verbrecherisch. Ein starkes Stück.

Schräg gegenüber schreckt ein schönes junges Mädchen aus dem Schlaf, mit großen Augen starrt sie unter einer verstrubbelten blonden Mähne hervor in die Ferne, noch halb im Traum wohl, hält ihren Mantel wie eine Decke über sich und mümmelt an einer Stulle. Ich versuche, interessant auszusehen. Das Mädchen ignoriert mich. Wenn Bernhard mich nicht schon deprimiert hätte - ich dächte über die Natur des Alterns nach.

Die Landschaft wird hügeliger, abwechslungsreicher, da kommt die Mühle an der Grenze des Sauerlands, Hever oder Hemer oder irgendwo dort muß das sein. Das Tal, das schmutzige, graue, spröde. Eine Stadt, die manchen nicht hip genug ist. So wenig lohnenswert. Sie ist trotzdem und immer noch und immer wieder meine.

(Später dann, zurück im Norden, Grünkohl. Das muß man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn Spitzenköche im hermetischen Café ein Menü daschauherzaubern. Wir bleiben auf dem Teppich. In meiner Jackentasche finde ich ein gekräuseltes Geschenkband. Die Reste vom Fest.)


 


Sonntag, 28. Dezember 2008


We Care For You




Leicht angedötscht, wie es heißt, aber nicht weniger vielfältig, vielduftig, vielgeschmacklich. Das Multimulti Carepaket mit allem darin und dabei. Nur eine Mango fehlt. Zu der hätte ich immer noch eine schöne und irgendwie auch romantische Geschichte zu erzählen. Wie ich die verdammte Mango jagte, für jemand besonderen. Bevor nun aber die neuen Abenteuer starten, brauche ich erst noch das Mittel, mit dem auch die Engländer ihre kalten und nassen Winter überstehen.

Ich stand zu lange im Zug. Oder im Hausflur. Irgendwas muß es gewesen sein.


 


Mittwoch, 24. Dezember 2008


Fünf



Vor fünf Jahren habe ich mir sozusagen selbst dieses Blog auf den Gabentisch gelegt. Ein prima Geschenk, von dem ich nicht wußte, was das sollte, wohin das führen würde. Das war ein Jahr, in dem es mir nicht ganz so gut ging. Weitermachen, hieß der Plan. Über Blogs muß man nun nicht mehr viel erzählen. Ich habe viel erzählt, geschrieben, gelesen, vorgelesen und gezeigt, mich abgearbeitet, mich umgestülpt und neu zusammengenäht, habe viele spannende, faszinierende und tolle Menschen kennengelernt, ein paar Blender und nicht so nette auch, dafür auch welche wirklich geliebt oder lieben gelernt, mich entliebt auch und wieder umgestülpt und noch einmal zusammengenäht, vieles gefunden, entdeckt und verloren, mein Herz verschenkt und zurückbekommen, mich aus virtuellen Gemeinschaften zurückgezogen und in realen Gärten gesessen, echten Kuchen gegessen und prima Biere getrunken. Menschen getroffen, die etwas machen, tun, unternehmen, nicht nur reden oder ankündigen. Das Blog also bleibt ein wunderbares Werkzeug, eine knarzende Bühne, ein simpler Tuschkasten mit vielen Farben. Immer weitermachen.

Allen ein schönes Weihnachtsfest. Besinnliche Tage. Denkt mal an andere.


 


Dienstag, 23. Dezember 2008


K.



Eine Freundin von mir eröffnete damals eine kleine Ausstellung auf dem Kiez. Da begegnete ich ihr zum ersten Mal. 2004 war das. Wir haben ein bißchen gefachsimpelt, das Analoge, die Branche, die Stadt. Wege und Möglichkeiten.

Ich habe hier eins ihrer Fotos, das sie mir geschenkt hat. Ich habe hier ein paar Erinnerungen an die Feiern, das Picknick am Hafen damals. An der Elbe. Die Gespräche über Bilder und das Meer. Dinge, die bleiben.

Mach's gut.

| von kid37 um 01:01h | | Link

 


Montag, 22. Dezember 2008


Merz/Bow #17

Sie stellt fest, dass hier niemandem etwas anderes übrigbleibt, als sich ausschließlich für sich selbst zu interessieren und seinem eigenen Wahnsinn zum Opfer zu fallen.

Interview mit der 16-jährigen Regisseurin Helene Hegemann.

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Miss Wurzeltod beschreibt das Faszinosum des Wunderlichen und die Qual der täglichen kleinen Entfremdung.

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In der Mittagspause habe ich versucht, großes Abenteuer, eben mal schnell, eine CD oder eine DVD für meinen Bruder zu erwerben. Leider waren tausende andere Menschen ebenfalls mal eben schnell unterwegs. Mir zur Seite das Problem: Mein Bruder ist 20 Jahre jünger als ich, für ihn bin ich eine Art ferner Onkel aus Hamburg. Ich weiß nicht so recht, was er derzeit für Musik hört oder Filme sieht. Früher stand er auf Rap und HipHop. Also brachte ich ihm Public Enemy-Alben mit. Aber die Zeiten (Yes, we can!), in denen es "Fear Of A Black Planet" gab, sind wohl vorbei. Glücklicherweise auch die mit der blonden Hupfdohle. Ich hatte keinen Einfluß auf seine Entwicklung, seht es ihm und mir nach. Filme sind natürlich auch prima, allerdings besitzt er eine zimmerüberflutende DVD-Sammlung, deren Ufer mir im einzelnen nicht bekannt sind. Schwierig. Früher hockte er mit Kumpels zusammen und sah Horror- und Splatterfilme. Es steht zur vermuten, daß er alle Medium- und Raw-Streifen dieser Zunft bereits besitzt. Außerdem soll man so was ja nicht unterstützen. Beim Elektrohändler gab es stapelweise Filme, in denen junge japanische Frauen in Schuluniformen moderne Arten der peinlichen Befragung erleben. Diese Japaner wieder. Mein Bruder, kein Japaner, hat seit einiger Zeit eine Freundin, vielleicht ist das also nicht das Richtige. Auch Lars und die Frauen fällt aus ähnlichen Gründen aus. Sicher sitzen die beiden nun zusammen und schauen Dinge wie KeinOhrHasen. Ich möchte so etwas nicht verschenken. Vielleicht setze ich ihn also der letzten großen Herausforderung außerhalb eines Hostels aus: Ich schenke ihm ein Buch.

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Oder ich lasse ihn Filmtitel schauen. Eine zu Unrecht belächelte Kunst.

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Rachel Ashwell, die Frau hinter Shabby Chic, hat ein Blog.

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Wie wunderbar. Ich bin ja nicht nur ein Freund schöner Menschen Dinge, sondern vor allem der ebenso freundlichen Tiere. Hier hat jemand - wie bezaubernd ist das denn? - einen Kuchen in Form eines Axolotls gemacht. Ich möchte bitte ein Stück Taschentuch.

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Diese Tiere sind aber auch äußerst rührend.

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Merkt ihr, wie Weihnachten näherrückt?

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Und wieder so plötzlich.

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Nachtrag: Wer noch alles einpacken muß, hier gibt es eine prima Anleitung. Selbst ein Kleinkind könnte es. Ach was, ein Hund.

MerzBow | von kid37 um 18:29h | 21 mal Zuspruch | Kondolieren | Link