
Freitag, 19. Oktober 2007

Die Herbstsonne, das ist bekannt, kriecht am schönsten in den Wäldern des Bergischen Landes durchs fehlfarbige Laub. Zeit also, die Streikpause der BundesBahn zu nutzen und kurz einmal eine Luft zu schnuppern, für die es keine maritime Notausrüstung braucht. Sie wird erfüllt sein vom Fangesang des Regionalligaführers, dem psychedelischen Wispern der Wupperfabelwesen, vielleicht aber auch vom Heulen der zerzausten Klageweiber. Aber in den Baumlöchern der Gegend ist sicher noch Platz für ausgehauchte Geheimnisse. Schwere Erde, karges Essen und eisige Gemütlichkeit bei geöffneter Balkontüre erwarten den Wandersmann. Eine Reise ohne Rettungsring. In den Labyrinthen des Bergischen vertraut man schließlich besser nur sich selbst.
In der Zwischenzeit erfreuen sich alle herzensguten Menschen an den bezaubernd animierten Expeditionen des Jasper Morello (IMDb). Trailer
Wie heißt es: Jede Reise führt zu sich selbst zurück.
Außerdem brauche ich neue Schuhe.

Donnerstag, 18. Oktober 2007
daß der medicus nicht alles,
das er können und wissen soll,
auf den Hohen Schulen lernt...
(Paracelsus, 1493-1541)
Viel hat sich getan im Werbewunderland. Die Prospekte, die sich zum Wochenende in meinem hermetischen Briefkasten einfinden, heischen nicht mehr nur mit billigen Anspielungen unter die Gürtellinie um Aufmerksamkeit für weitgespreizte Hühnerbeine und klaffende Portionen Bauchfleisch.
PISA-Schock und Bildungsdebatten haben Folgen gezeigt und auch die Supermärkte in die Pflicht genommen. Die Discounter haben verstanden: Der Bildungsauftrag darf nicht länger nur den Ministerien überlassen bleiben. Jetzt heißt es: Wissenschaft statt frivoler Genußbefriedigung!
Den Auftakt macht ein Dingevermarkter mit realem Anspruch. Sein Prospekt ist gespickt mit Bildern, die eine forschende Jugend begeistern werden und heiße Kanidaten für den Wettbewerb der Mikroskopfotografie sind. Ich habe mir zwei ausgeschnitten und gleich mal mit meinem, zugegebenermaßen etwas simplen, Untersuchungsgerät analysiert.
Rechts oben, gibt es für einen Euro, erkennt man fast schon mit bloßem Auge (Vergrößerung 100fach) wie zwei Spermatozoen vor zwei Eizellen flüchten. Rückgang der Geburtenrate? Hier ist der Beweis, selten eindrucksvoller festgehalten. Das zweite Bild, ich nenne es das histologische Tablett, ist anspruchsvoller. In mehr als 300facher Vergrößerung entdeckt man in Kongorot-Agar-Nährlösung schwimmend diffus verteilte, mäßig ausdifferenzierte Zellstrukturen. Membran und Zellkerne sind deutlich abgegrenzt zu erkennen. Möglicherweise handelt es sich um einen Schnitt durch die Basalzellschicht. Melanozyten klumpen sich in einer UVA-Licht-induzierten Schreckstarre zusammen. Befund unklar, ein Nachschnitt wird empfohlen.
...
[Unterschrift unleserlich]*
Mit einem Wort: Sehen, Staunen, Lernen - und alles für einen Euro. Die Werbung zeigt: Es müssen nicht immer die teuren Folianten sein, die einem den Horizont erweitern. Wer Wissenschaft sehen will, findet Wissenschaft überall. Ihr müßt nur Hinschauen!
>>> Frühere Folgen
*Vermutlich lacht sich Frau Fragmente gerade tot, wie ich versuche, mich hier durch die Prüfung zu mogeln.

Dienstag, 16. Oktober 2007
Also known as the Justified Ancients of MuMu
Furthermore known as The Jams
(KLF, "Last Train To Transcentral")
Mir war, als sei Ende der 80er irgendwie die Luft rausgewesen - vor allem in den mit ekstatischen Sauerdrops gefüllten Ballonköpfen der House- und Rave-Szenenbewohner. Zum Glück tauchte für ein paar kurze Jahre ein Unterseeboot namens The KLF aus dem smileytrunkenen Elektrobeatsumpf und schrieb ein paar ebenso tanzbare wie unvergessliche Botschaften Kornkreisen gleich in empfangsbereite Hirnrinden.
Damals war ich noch sehr vertraut mit dem Werk von Robert Anton Wilson, hatte die Illuminatus!-Trilogie inhaliert, den Hagbard durch discordianische Sozialgefüge tauchen lassen, mein Hirn für Verschwörungstherorien aller Art aufgeweicht, Botschaften aus dem Radio empfangen und war von Herzen entzückt über die subversiven Kracher der Herren Bill Drummond und Jimmy Cauty.
Der Mix aus fetten Beats und brachialen Gitarren(-samples) von KLF war ein wenig die Kunsthochschulvariante der Grebo-Popper von Pop Will Eat Itself (mit ihrem Klassiker There Is No Love Between Us (Anymore)), mindestens so dreckig, aber eben mit Grips. KLF standen mit den Füßen tief im fruchtbaren Schlamm ihrer jeweiligen Punk- und Kunst-Biografien, zeichneten sich durch situationistische Aktionen und Streiche gegen die (Musik-)Industrie aus, die man nicht immer verstand (ich wäre wohl zu spießig, so wie sie eine Million Pfund auf der Isle of Man oder Helgoland zu verbrennen), aber spontan interessant gut finden konnte.

Bild via KLF
Zwei Copyright-Gangster (KLF bedeutete u.a. auch "Kopyright Liberation Front", ihr frech geklautes "Dancing Queen"-Sample hingegen beendete fast ihre Karriere, kaum daß sie begonnen hatte) mit schmutzigen Stiefeln auf dem Weg ins mythische "MuMu"-Land (schon klar, da kommen wir her, da wollen wir hin), ich war gleich hin und weg. Ich habe keine Ahnung, ob einen die kleinen intertextuellen Scherze ansprechen, wenn man nicht wenigsten ein paar hundert Seiten Robert Anton Wilson gelesen hat. Die Musik selbst ist natürlich wie immer Geschmacksache und selbst deren Zitatreichtum bleibt heute vielleicht unverstanden. Mag also sein, daß ich wieder einmal nur sinnfrei von damals™ schwadroniere, aber he, eure Aufgabe ist ja nicht Zuhören. Eure Aufgabe ist, euch eine eigene Vergangenheit zu schaffen. New style, meanwhile, always on a mission while fishing in the rivers of life... (KLF)
Zurück zu KLF. Die sind nun Geschichte ("Ladies and Gentlemen, The KLF have now left the building") und warten auf erste Doktorarbeiten, die über ihr Werk verfaßt werden. Ihr berühmtes "Handbuch" ("How To Have A Number One The Easy Way") jedenfalls ließe sich auch prima auf die Blogger-Szene übertragen. Das karnevaleske Revolutionsgehabe mit all seiner romantischen Ironie allerdings wirkt heute, bald 20 Jahre später, weniger wie postmoderne, selbstverliebte Scharadenspiele (i.e. Masturbation mit Popkulturmythen), sondern eher wie eine burleske Blaupause für post-freiheitliche Überlebensstrategien: Wenn das Innenministerium™ uns bald alle zu staubmanteltragenden Kanalisationsbewohnern gezwungen hat, die sich nur noch flüsternd verständigen, wird die ClockworkOrangeMadMax1984-Welt dringend subversive Winke, Übertragungen von "Radio Freedom", den Traum vom mythischen Mumuland, viel Witz und den Glauben an die Liebe brauchen. Dies alles kann aber auch in anderen Zeiten nicht schaden.
Ach, und Herr Gheist, falls Sie mitlesen: KLF haben auch für unser Opernprojekt wertvollen Inspirationsgrund gepflügt!
>>>
- Videos zu Last Train To Transcentral und 3 am Eternal
- KLF in der Wikipedia
- KLF in der Indiepedia
- Die sehr kompetente deutsche Fan-Seite
- Jimmy Cautys Videosammlung auf Youtube
- Timelords - Doctorin' The Tardis (Video)

Montag, 15. Oktober 2007
Das folgende Video zeigt bloß eine TV-Moderatorin, die vor laufender Kamera, nun ja, "spucken" muß, das kennen viele vielleicht, und anschließend, das wird ebenso viele sicher überraschen, einfach weitermacht. Es ist nicht besonders feinsinnig oder sonstwie "schön". Unerschrockene Kulturforscher klicken dann bitte hier [Youtube]

Sonntag, 14. Oktober 2007
Ich mache jetzt auch mal Food-Bloggen und stelle fest: Ein Sonntag ohne Kuchen ist wie ein Supermodel ohne Echtpelz. Irgendwie nackt nämlich fühlt sich so ein Nachmittag an, wenn der, nennen wir ihn ruhig, Milchkaffee ein unbegleitetes Dasein auf dem sonnenbeschienenen Holztisch fristet.
Das Schöne am Bloggen (mistige Metagedanken) ist ja die Freiheit sagen zu dürfen: Du trägst stolz eine verstorbene Blume auf dem Kopf, aber ich finde es trotzdem scheiße.
Leben 2007 muß als potentielles Verbrechen begriffen werden.
Danke.
"Bitte schick mir das Videoband dort wo ich kotze." Was Dieter Roth, von dem das Zitat stammt, nicht wissen konnte: Der Anstand des Privaten ist heuer einer Ästhetik der Selbstüberwältigung gewichen. [Youtube, not safe while eating]
Unsere größte Leistung: Wir haben den Handy-Film erfunden!
Mein nächstes Heim wiederum ließe ich am liebsten von Rebecca Purcell dekorieren. Sie scheint auch die böse Motte, des Requisiteurs größter Feind, im Griff zu haben. Für die Dieter-Roth-Abende allerdings wäre wenigstens im Sanitärbereich eine industriellere Variante vorteilhaft.

Samstag, 13. Oktober 2007
Diesmal bin ich nicht schuld. Ich war nämlich nicht da. Das ist ja abends viel zu spät. Soeben flattert mir eine Nachricht auf den hermetischen Newsticker, daß die Frau fehlende Hälfte von Genesis P. Orridge - Lady Jaye Breyer P-Orridge - überraschend in New York verstorben ist. Zwar will ich nicht behaupten, einen wirklich großen inneren Bezug zum Bandprojekt gehabt zu haben, sonst wäre ich ja wohl auch auf dieses Konzert gegangen, das vor knapp zwei Wochen in Hamburg war. Und Psychic TV galten nun auch nicht exakt als Vorreiter einer sonderlich lebensbejahenden Musik. Aber Vorreiter wohl in vielerlei Hinsicht. Darf man sich trotzdem oder gerade deshalb ein bißchen wundern, vielleicht sogar traurig sein? Immerhin würden es sicher viele als "romantisch" bezeichnen, in den Armen des Liebsten zu sterben. Vielleicht nicht unbedingt so.
Vor fast zwei Jahren sah ich in Berlin die Ausstellung Education Through Pain - Annual Report , wo sich viele Kreise schlossen. Auf der Karte von Ian Curtis, der sich für den Verteiler des Projekts angemeldet hatte, stand kurz und trocken "Deceased". Vielleicht ist das so. Akte geschlossen.
>>> Webseite von Genesis P. Orridge
Psychic TV in der Wikipedia
- Video zu Godstar (Youtube)

Montag, 8. Oktober 2007
Ich freue mich immer auf den Samstag. An diesem Tag nämlich ist in der hermetischen Anstalt Handtuchwechsel. Da kann ich mittags morgens nach der Dusche meinen bleichen Körper mit einem frischen, brettharten Frottiertuch abreiben.
Meine Hinz&Kunzt kaufte ich bei einem Mann, der aussah wie ich in zwanzig Jahren. Er trug sogar die gleiche Brille, nur daß seine am Rand mit Leukoplast geklebt war.

In der Fabrik beginnt langsam das Vorweihnachtsgeschäft. Feiertage müssen rausgearbeitet, Gartenzwerge mit Nikolausmützen versehen, Stiefel und Ruten gefaltet werden. Die Motivbanderole dieses Jahr heißt "Sonderschichten". Ich bin kaum zu bremsen, finde aber keine adäquaten Worte.
Meinem zweiten Roman Traumaland gleich bleiben alle Menschen stumm. Ich hingegen könnte eine Weile aus meinen geheimen A-Blog-Tagebüchern zitieren, in denen ich alles im Präsens schreibe. Und klein natürlich.
~ zufällig ferngesehen. eine seltsam verschobene szene: wie der mann von ganz links nach ganz rechts im bild geht. bis er sich selbst aufzulösen scheint am schwarzen rand der mattscheibe.
dabei an hegel gedacht. ~
Aber nun ist heute der wichtigste Tag für mich. Der erste nämlich vom Rest meines Lebens. (Erweiterte Sinnsprüche und Aphorismen, demnächst in Buchform. Gleich in zwanzig Sprachen übersetzt, 15 Millionen Auflage. Verkauft. Dann Tantiemen vom Verlag plus Scheck der VG Wort = finanziell sorgenfreie Zukunft.)
Als das Denken noch geholfen hat, wäre mir vielleicht ein Ausweg eingefallen. Nun hilft nur noch Notverriegelung. Nennen wir es einfach kreative Pause.
Bald ist wieder Samstag.
