
Freitag, 1. Juni 2007
Viele Fragen, viele Bilder, viele Meinungen - künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Gipfel.

Mittwoch, 30. Mai 2007
Der neueste Patient wurde uns am Wochenende überwiesen. Etwas über 30 Jahre alt, leicht angegraut, der Einstellknopf für die Weckzeit fehlt, ansonsten für sein Alter äußerlich gut in Schuß. Der Befund: Patient rührt sich nicht, Lebensader äußerlich beschädigt. Die Anamnese ergibt, Patient hat lange im Keller gelebt, ohne weitere soziale Kontakte oder regelmäßige Bewegung. Bezugspersonen zögern, einen Totenschein ausstellen zu lassen. Patient sei immer sehr "treu" gewesen.
Wir entschließen uns zu einer innerlichen Begutachtung, um eine bessere Diagnose stellen zu können. Nach Y-Schnitt und Lösen der Clavicular- und Sternum-Schrauben Öffnung des Brustkorbs. Die makroskopische Begutachtung ergibt degenerative Erscheinungen der Gelenke des Uhrwerks, Kalkinfiltration und staubige Ablagerungen. Sensorischer Befund der Vitalorgane ohne Temperatur. Gefäßwand der Hauptschlagader am Körpereingang (dorsal) porös.
Sektion der Ader, Einsatz eines Shunts zur Wiederherstellung der Stromzirkulation. Reanimation des Patienten ohne Erfolg. Augenkontrolle der Uhrwerkbeleuchtung ohne Ergebnis. Geräusche nicht wahrnehmbar. Meßgeräte zeigen keine Reaktion. Abschluß der makroskopischen Begutachtung.
In einer weiteren Operation sollen verschiedene Stanzbiopsien histologische Befunde vorbereiten. Versagen des Herzkranz-Systems kann derzeit nicht ausgeschlossen werden und gilt als wahrscheinlich. Verfügbarkeit eines Spenderorgans derzeit unklar, Prognose negativ.
Patient überführt auf die Wartestation. Terminsache.
gez. Dr. Frankenkid

Montag, 28. Mai 2007
Der japanische Minister hat sich erhängt. Er hatte mehrere Korruptionsaffären am Hals.
(NDR Info, gerade eben.)

Damals™, in Zeiten als every man had his own pub and women cooked daily*, beherrschten unsere Großmütter eine Kulturtechnik, neben der Bloggen leider bloß wie eine blaßkarierte Kompensationshandlung wirkt: das so einladende wie symbolbehaftete Rühren in der Schüssel wurde einst in Schulen eingeübt, die den feschen jungen Backfisch reif für etwas machen sollte, was man den guten Link die gute Verbindung nannte.
Wäre ich mein eigener Großvater, hätte ich die zweite von links (nicht von rechts, ihr Schlaumeier) gewählt. Oder die ganz links, die - wie Linksaußen nunmal sind - ausschaut, als hätte sie es faustdick hinter den Ohren. Wie hättet ihr gewählt?
Klick fürs große Bild. (Frauen möchten vielleicht lieber hier klicken, denn 1918 standen auch Männer der Küche nicht fern.)
via Shorpy
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* Malcolm Bennett, Aidan Hughes. Brute! Classified Pulp Nasties. London, 1987.

Freitag, 25. Mai 2007
Roger Ballen, 1950 in New York geboren, lebt seit Jahrzehnten in Südafrika. Er hat Geologie studiert, kam aber vielleicht über seine Mutter in Kontakt zur Fotografie. Die war nämlich Repräsentantin von Magnum in New York, was vielleicht eine bessere Schule war als manche, die sich dafür hält. Als Geologe legt man Schichten frei, schätze ich, und das macht Ballen bei Menschen mit der Kamera. Sein Thema ist die im Ausland wenig bekannte weiße südafrikanische Unterschicht. White Trash, ein verwahrlostes Prekariat, das in den Werken von Fotografen wie Nan Goldin oder
Ray Richard Billingham auch in den USA oder Großbritannien zu musealem Repräsentation und Kunstmarktruhm gekommen ist. Das Ende der Apartheid stürzte die ehemals immer noch privilegierte Unterschicht in soziales Elend, das Ballen nicht verklärt, aber auch längst nicht mehr teilnahmslos, quasi-dokumentarisch abbildet.
Da stand er anfangs deutlich in der Tradition von Diane Arbus, der größten und zugleich eine der verkanntesten und umstrittensten Fotografin ihrer Zeit. Arbus hatte selbst schwer einen an der Klatsche, in gewisser Weise, Fischefrau, wen das astrologisch interessiert. Ihre großartige, wenn auch selbstzerfleischende Tat war aber, sowohl den gut situierten sprichwörtlichen New-Yorker-Zahnarztgattinnen als auch den Freizeit- und Wochenend-Beatniks und Blumenkindern eine Wirklichkeit ins Gesicht geklatscht zu haben, wie man sie lieber nicht sehen wollte: Irrenanstalten, Mittelstandshöllen, Falsch-Lächler, die sie - technisch ganz naiv - gnadenlos ausblitzte, überscharf aufs Korn nahm, daß... ach, über die Arbus müßte man mal schreiben! Auch schon tot.
Über Roger Ballen innere Disposition mag ich nicht urteilen. Seine grandios fotografierten Ausflüge ins psychische Lala-Land sind so oder so eindrucksvoll: verkommen, verloren, verlassen, verdreckt und verbrecherisch schön sind die Porträts aus den Anstalten, den heruntergekommenen Hütten und Räumen, in denen jede Hoffnung unter einer Patina aus Rotz, Dreck und Tränen liegt. Mit einem Wort: toll. Toll geworden auch seine neueren Arbeiten, die den Großteil der Austellung in den Deichtorhallen ausmachen. Wer sich die beiden dort gezeigten Dokus anschaut, sieht, wie Ballen seine Szenarien zusammensucht, die Personen, die Gestalten, die Objekte, mit denen sie agieren. Wie er arrangiert, probiert, Kompositionen schafft, die manche vorschnell surreal nennen, weil sie unwirklich meinen. Ich sehe das aber wirklich, es ist die Wahrheit und damit einfach nur real. Mitleidig und grausam zugleich.
Ballen arbeitet simpel, mit Hassi und Stabblitz. Sein Studio ist eine grimme Welt da draußen, wo einen müde Menschen anstarren und nur Tiere und Kinder für Bewegung sorgen. Er zählt sich zur letzten Generation der Schwarzweiß-Analogfotografen, sein Printer berichtet verschmitzt vom Verarbeitungsprozeß in der Doku "Selbstporträt". Von der Qualität der Arbeiten mag man sich gerne selbst überzeugen. Überhaupt: Wer von den Hamburger Ausstellungen mit ihrem Hang zum "gut Abgehangenen" genervt ist, sollte sich einen Ruck geben. Hier gibt es wirklich was zu sehen, verstörend schön oder wie Ballen auf der Eröffnung sagte: "Maybe a nightmare, maybe a nice dream."
>>> Webseite von Roger Ballen / Webseite der Ausstellung / Webseite zu Diane Arbus
(Roger Ballen, "Schattenkabinett". 25.5. bis 26.8.2007 im Haus der Photographie, Deichtorhallen, Hamburg.)

Mittwoch, 23. Mai 2007
Irgendwie habe ich es schon immer geahnt. Wir sind ein Staat von Höschenschnüfflern. Landauf, landab stehlen in graue Trenchcoats gewandete Männer (und Frauen!) Unterwäsche von den zu einem Anti-Globalisierungsnetz aufgespannten Wäscheleinen, füllen die heiße Ware in Einweckgläser und machen sich eine gute Zeit in der Asservatenkammer.
Als die ganz ähnlichen Methoden der Stasi nach der Wende ans westliche Tageslicht gezerrrt wurden, Schaum vor dem Mund, Abscheu im Knopfloch, sah man ja förmlich das Blitzen der Geilheit Begehrlichkeit in den Augen der Schützer, spitz förmlich wie der sprichwörtliche Schäferlumpi an ihrer Seite. Heute lernte ich, daß solche Ideen in der Bundesrepublik bereits in den 80er Jahren verfolgt wurden. Heute lernt man auch, daß in Deutschland wieder Mauern Zäune gebaut werden. Und wenn dieser Witzbold einst fragte, wie das geht mit dem Geld, sage ich immer wieder: "Wieso? Geld ist doch da."
Ich bin der Meinung, solche Ideen sollte man nur ganz privat verfolgen. Andenken an schöne Momente, die mit einem T-Shirt, einem Schal, meinetwegen einem Höschen wieder aufleben. Wie gesagt, privat. Wer darüber hinaus Bedarf hat, ein Vorschlag zur Güte, Herr Schäuble, kann es mal am Automaten versuchen.
Ich weiß gar nicht, wie ich darauf komme, aber bei diesem Thema fällt mir auch heiße Musik ein. Auf der Informationsplattform Move Against G8 gibt es einen tollen Sampler zu besichtigen. Bands und Künstler wie Blumfeld, Tocotronic, Kettcar, Tomte, Bernadette La Hengst, Jan Delay, Wir sind Helden u.a. unterstützen mit "bislang unveröffentlichten Songs" (hier übertreiben die Initiatoren) das Kulturprogramm von Heiligendamm. Und für ein bißchen Kultur - und sei es untendrunter - bin ich immer zu haben.

Dienstag, 22. Mai 2007
Words weren't so clear,
Only echos passing through the night.
(The Greenhornes feat.
Holly Golightly, "There Is An End")
Auf zur Nachtfahrt, Lob dem Spelunkigen. Ich sage natürlich nicht, daß es zum christlichen Liederabend geht. Ein Mann und eine Frau, die so tun als seien sie aus Amerika, brav in Kleid und Anzug, schnallen ihre Gitarren um und singen Lieder wie "Jesus Don't Love Me Anymore". Den mußten wir in Norwegen zensieren, die sind da empfindlich, erzählen sie. Es ist der letzte Tag der Tour, Holly Golightly ist gut gelaunt und hält ein bissiges Schwätzchen mit ihrem Begleiter, der ein wenig aussieht wie Vincent Gallo. Dann müßte er einen Skorpion auf der Fußsohle tätowiert haben, erklärt man mir. Was wiederum zeigt, wie wenig Ahnung ich von echten Grebos Männern habe. Es handelt sich offiziell um Lawyer Dave, der im Vorprogramm ein paar eigene Songs über Gefängnisse und verdorbenes Fleisch mit lässiger Südstaatenschwüle daherjault, daß man sich in The Big Easy wähnt und am liebsten einer Ellen Barkin ein paar Rippchen brutzeln will. Feuerwasser und Klapperschlangen - und fast hätte ich mir eine Zigarette angezündet.
Überhaupt: Holly Golightlys rauchig schwingender Liederzyklus lädt mit Titeln wie "Your Love Is Mine" zu einem grobkörnigen Film ein, in dem sich sinnliche Frauen langsam entkleiden, wenn man Glück oder viel Alkohol zu Hause hat.
Vielleicht lehnen sie sich auch nur leicht, wie unabsichtlich, an der Bar neben einen und versuchen, mich für eine Religionsgemeinschaft zu gewinnen. Morgen lasse ich mir die Füße tätowieren und spiele christliche Seefahrerlieder zum Akkordeon. Morgen ziehe ich dich langsam aus. Nur die Kette mit dem silbernen Kreuz, die darfst du anbehalten.
>>> Holly Golightlys offizielle Webseite. Kauft alle Platten.

Sonntag, 20. Mai 2007
Ein sportlich ungeheuer aktives Wochenende findet seinen vergnüglich stimmenden Ausklang. Während der Samstag von den Bundesligaergebnissen dominiert wurde, harrte ganz Norddeutschland bangen Herzens dem Ausgang des 1. inoffiziellen Blogger-Golfturniers, das aus organisatorischen Gründen auf kleinem Platz ausgetragen wurde. Ich möchte es mal so andeuten: Wer diese Saison T-Shirts vom Hermetischen Golfcafé trägt, kann sich ganz vorne mit dabei zählen, aber so was von ganz vorne. Gleichwohl der Platz auf dem Siegertreppchen von einer geradezu furchterregend präzise aufspielenden Antville-Bloggerin hart bedrängt wurde.
Wer jetzt ein schlechtes Gewissen bekommt, weil das eigene Wochenende vielleicht eher unbeweglich vergammelt wurde, kann sich ein wenig "dabei" fühlen. Einfach mit der Maus kurz über das Bild gehen, schon läßt sich Hamburgs elegantester Abschlag nachstellen.
